Für viel Aufruhr sorgte vor einigen Monaten das Heise-Forenurteil, das auch hier besprochen wurde. Für die juristische Ausgangslage, wie sie hiesig verstanden wird, darf ich auf diesen Beitrag nochmals verweisen. Allzu tiefsinnig konnten die Gedanken damals mangels näherer Begründung freilich nicht ausfallen. Die Gründe liegen nun vor, ein aufmerksamer Kommentator hat auf die Buskeismus verwiesen, man kann den Text auch von heise herunterladen (PDF). Die Lektüre gibt dem Tiefsinn freilich dennoch nur bedingt Nahrung.
Noch einmal ganz kurz der Ausgangspunkt: für Äußerungen Dritter in einem Forum o.ä. haftet man als Betreiber nach dem TDG / MDStV eigentlich nicht. Auf Unterlassung aber dann wegen Schlamperei des Gesetzgebers doch als Störer, jedenfalls, so der BGH, wenn man Prüfpflichten bezüglich der fremden Inhalte verletzt. Eine solche Pflicht folgert das LG Hamburg im konkreten Fall schon aus der reinen Tatsache, dass eben Dritte auf der Webseite eines Organs der elektronischen Presse Inhalte generieren können:
Zu einer solchen Prüfung der Inhalte, die sie über ihren lntemetauftritt verbreitet, ist die Antragsgegnerin auch verpflichtet.
Denn diejenige Person, die Einrichtungen unterhält, über die Inhalte in pressemäßiger Weise verbreitet werden, muss Vorkehrungen dahingehend treffen, dass über diese Einrichtungen keine rechtswidrigen Inhalte verbreitet werden (s. z.B. BGH, Urt. V. 8. 7.1980, GRUR 1980, S. 1099 ff., 1104).
Das mag man so vertreten können, diese „harte“ Linie verkennt aber die Grundentscheidung des Mediendienstestaatsvertrages, dass Betreiber von Mediendiensten grundsätzlich eben nicht haften. Wenn man schon, wie der BGH das tut, dies nicht auf die Frage der Unterlassung beziehen will, dann sollte man die grundsätzliche Wertung des Staatsvertrages doch jedenfalls einfließen lassen in die Antwort auf die Frage, wann genau Prüfpflichten bestehen.
Auch das Argument, bei einem Forum mit sehr vielen Beiträgen pro Tag sei eine manuelle Freischaltung jedes Beitrages gar nicht möglich, will das LG Hamburg nicht gelten lassen:
Die Kammer hat schon erhebliche Zweifel daran, dass die Vielzahl der verbreiteten Einträge allein überhaupt einen Grund dafür abgeben kann, den Verbreiter von seiner Verantwortlichkeit zu befreien.
Denn wer Betriebsmittel bereit hält, die es ihm erlauben, über ein redaktionell gestaltetes Angebot in riesenhafter Anzahl Äußerungen zu verbreiten, unterhält damit eine Gefahrenquelle, indem er einer unbestimmten Vielzahl von Nutzern gerade damit die Möglichkeit eröffnet, in großer Zahl Äußerungen zu verbreiten, die geeignet sind, Rechte Dritter zu verletzen.
Dieses Argument ist interessanterweise bei näherer Betrachtung eine tautologische Widerholung und Verschärfung des ersten Arguments: Wer eine Einrichtung unterhält, die fremde Inhalte zulässt, muss diese Inhalte überprüfen. Und wer eine Einrichtung unterhält, die besonders viele Inhalte zu lässt, muss das erst recht tun. Seine Pflichten werden deshalb nicht weniger, sondern mehr.
Auch hier ist zu entgegnen, dass dies die Wertung des Gesetzes auf den Kopf stellt. Ich meine auch nicht, dass der BGH solche Fälle so bewertet haben wollte, als er seine unselige Entscheidung traf, die Unterlassung nicht vom Haftungsprivileg des TDG / MDStV gedeckt zu sehen. Immerhin schreibt er:
Einem Unternehmen, das – wie die Beklagte – im Internet eine Plattform für Fremdversteigerungen betreibt, ist es nicht zuzumuten, jedes Angebot vor Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Eine solche Obliegenheit würde das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen.
Das darf man anlog auch für ein Forum gelten lassen.
Zuletzt allerdings trifft das LG Hamburg einen Punkt, über den man m.E. durchaus trefflich streiten kann:
Denn die Antragsgegnerin hatte zu ihrem Beitrag, in dem sie das Verhalten der Antragsteller beanstandet hatte, ein Forum eröffnet, und aufgrund der in ihrem eigen Beitrag geübten harten Kritik an dem Verhalten der Antragsteller musste sie jedenfalls damit rechnen, dass Nutzer, die Beiträge in dieses Forum einstellen würden, dabei „über die Stränge schlagen” und die Gelegenheit nutzen würden, gerade an dieser Stelle, die durch die Veröffentlichung der Antragsgegnerin einen hohen Aufmerksamkeitswert genoss, zu rechtswidrigen Aktionen gegen die Antragsteller aufzurufen.
Jedenfalls dann, wenn, wie bei einer solchen Sachlage, der Verbreiter damit rechnen muss, dass das von ihm den Nutzern zur Verfügung gestellte Angebot missbraucht werden wird, muss er wirksame Vorkehrungen treffen, um einen solchen Missbrauch zu vermeiden, und solche Vorkehrungen können hier nur darin bestehen, dass die eingehenden Beiträge vor ihrer Freischaltung geprüft werden.
Das Argument kann man in der Tat gelten lassen. Wer damit rechnen muss, das ein Beitrag auch sehr harsche Reaktionen hervorruft, der mag in der Tat gesteigerte Sorgfaltspflichten haben.
Natürlich kann man auch hier anderer Meinung sein. Man kann – und wird – argumentieren, dass pressemäßiges Arbeiten auch die sehr scharfe Formulierung von Werturteilen zulässt, dass das von Art. 5 GG gedeckt ist. Dass andererseits auch die Möglichkeit des „Instant Feedback“, der sofortigen Reaktion auf einen solchen Beitrag, wie er eben internettypisch ist, zugelassen werden muss. Dass es nicht sein kann, dass der, der investigativ tätig ist, eben doch ständig ein Damoklesschwert über sich schweben hat, obwohl er es doch ist, der dem demokratischen Prozess der Meinungsbildung einen wahrhaften Dienst erweist.
Aber wie gesagt: das ist dann echter Streit über vertretbare Positionen. Auf beiden Seiten.
Nachtrag am 22.8.2006:
Zur Berufungsverhandlung in der Sache berichtet heise. Da hat sich offenbar der Zungenschlag geändert — nicht allerdings das konkrete Ergebnis. Mehr, sobald die Begründung verfügbar ist.
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