Heise-Forenurteil mit Begründung verfügbar

Onlinerecht | 18. April 2006
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Für viel Auf­ruhr sorg­te vor eini­gen Mona­ten das Hei­se-Foren­ur­teil, das auch hier bespro­chen wur­de. Für die juris­ti­sche Aus­gangs­la­ge, wie sie hie­sig ver­stan­den wird, darf ich auf die­sen Bei­trag noch­mals ver­wei­sen. All­zu tief­sin­nig konn­ten die Gedan­ken damals man­gels nähe­rer Begrün­dung frei­lich nicht aus­fal­len. Die Grün­de lie­gen nun vor, ein auf­merk­sa­mer Kom­men­ta­tor hat auf die Bus­keis­mus ver­wie­sen, man kann den Text auch von hei­se her­un­ter­la­den (PDF). Die Lek­tü­re gibt dem Tief­sinn frei­lich den­noch nur bedingt Nah­rung.

Noch ein­mal ganz kurz der Aus­gangs­punkt: für Äuße­run­gen Drit­ter in einem Forum o.ä. haf­tet man als Betrei­ber nach dem TDG / MDStV eigent­lich nicht. Auf Unter­las­sung aber dann wegen Schlam­pe­rei des Gesetz­ge­bers doch als Stö­rer, jeden­falls, so der BGH, wenn man Prüf­pflich­ten bezüg­lich der frem­den Inhal­te ver­letzt. Eine sol­che Pflicht fol­gert das LG Ham­burg im kon­kre­ten Fall schon aus der rei­nen Tat­sa­che, dass eben Drit­te auf der Web­sei­te eines Organs der elek­tro­ni­schen Pres­se Inhal­te gene­rie­ren kön­nen:

Zu einer sol­chen Prü­fung der Inhal­te, die sie über ihren lnte­me­t­auf­tritt ver­brei­tet, ist die Antrags­geg­ne­rin auch ver­pflich­tet.
Denn die­je­ni­ge Per­son, die Ein­rich­tun­gen unter­hält, über die Inhal­te in pres­se­mä­ßi­ger Wei­se ver­brei­tet wer­den, muss Vor­keh­run­gen dahin­ge­hend tref­fen, dass über die­se Ein­rich­tun­gen kei­ne rechts­wid­ri­gen Inhal­te ver­brei­tet wer­den (s. z.B. BGH, Urt. V. 8. 7.1980, GRUR 1980, S. 1099 ff., 1104).

Das mag man so ver­tre­ten kön­nen, die­se „har­te“ Linie ver­kennt aber die Grund­ent­schei­dung des Medi­en­diens­tes­taats­ver­tra­ges, dass Betrei­ber von Medi­en­diens­ten grund­sätz­lich eben nicht haf­ten. Wenn man schon, wie der BGH das tut, dies nicht auf die Fra­ge der Unter­las­sung bezie­hen will, dann soll­te man die grund­sätz­li­che Wer­tung des Staats­ver­tra­ges doch jeden­falls ein­flie­ßen las­sen in die Ant­wort auf die Fra­ge, wann genau Prüf­pflich­ten bestehen.

Auch das Argu­ment, bei einem Forum mit sehr vie­len Bei­trä­gen pro Tag sei eine manu­el­le Frei­schal­tung jedes Bei­tra­ges gar nicht mög­lich, will das LG Ham­burg nicht gel­ten las­sen:

Die Kam­mer hat schon erheb­li­che Zwei­fel dar­an, dass die Viel­zahl der ver­brei­te­ten Ein­trä­ge allein über­haupt einen Grund dafür abge­ben kann, den Ver­brei­ter von sei­ner Ver­ant­wort­lich­keit zu befrei­en.

Denn wer Betriebs­mit­tel bereit hält, die es ihm erlau­ben, über ein redak­tio­nell gestal­te­tes Ange­bot in rie­sen­haf­ter Anzahl Äuße­run­gen zu ver­brei­ten, unter­hält damit eine Gefah­ren­quel­le, indem er einer unbe­stimm­ten Viel­zahl von Nut­zern gera­de damit die Mög­lich­keit eröff­net, in gro­ßer Zahl Äuße­run­gen zu ver­brei­ten, die geeig­net sind, Rech­te Drit­ter zu ver­let­zen.

Die­ses Argu­ment ist inter­es­san­ter­wei­se bei nähe­rer Betrach­tung eine tau­to­lo­gi­sche Wider­ho­lung und Ver­schär­fung des ers­ten Argu­ments: Wer eine Ein­rich­tung unter­hält, die frem­de Inhal­te zulässt, muss die­se Inhal­te über­prü­fen. Und wer eine Ein­rich­tung unter­hält, die beson­ders vie­le Inhal­te zu lässt, muss das erst recht tun. Sei­ne Pflich­ten wer­den des­halb nicht weni­ger, son­dern mehr.

Auch hier ist zu ent­geg­nen, dass dies die Wer­tung des Geset­zes auf den Kopf stellt. Ich mei­ne auch nicht, dass der BGH sol­che Fäl­le so bewer­tet haben woll­te, als er sei­ne unse­li­ge Ent­schei­dung traf, die Unter­las­sung nicht vom Haf­tungs­pri­vi­leg des TDG / MDStV gedeckt zu sehen. Immer­hin schreibt er:

Einem Unter­neh­men, das – wie die Beklag­te – im Inter­net eine Platt­form für Fremd­ver­stei­ge­run­gen betreibt, ist es nicht zuzu­mu­ten, jedes Ange­bot vor Ver­öf­fent­li­chung im Inter­net auf eine mög­li­che Rechts­ver­let­zung hin zu unter­su­chen. Eine sol­che Oblie­gen­heit wür­de das gesam­te Geschäfts­mo­dell in Fra­ge stel­len.

Das darf man anlog auch für ein Forum gel­ten las­sen.

Zuletzt aller­dings trifft das LG Ham­burg einen Punkt, über den man m.E. durch­aus treff­lich strei­ten kann:

Denn die Antrags­geg­ne­rin hat­te zu ihrem Bei­trag, in dem sie das Ver­hal­ten der Antrag­stel­ler bean­stan­det hat­te, ein Forum eröff­net, und auf­grund der in ihrem eigen Bei­trag geüb­ten har­ten Kri­tik an dem Ver­hal­ten der Antrag­stel­ler muss­te sie jeden­falls damit rech­nen, dass Nut­zer, die Bei­trä­ge in die­ses Forum ein­stel­len wür­den, dabei „über die Strän­ge schla­gen” und die Gele­gen­heit nut­zen wür­den, gera­de an die­ser Stel­le, die durch die Ver­öf­fent­li­chung der Antrags­geg­ne­rin einen hohen Auf­merk­sam­keits­wert genoss, zu rechts­wid­ri­gen Aktio­nen gegen die Antrag­stel­ler auf­zu­ru­fen.

Jeden­falls dann, wenn, wie bei einer sol­chen Sach­la­ge, der Ver­brei­ter damit rech­nen muss, dass das von ihm den Nut­zern zur Ver­fü­gung gestell­te Ange­bot miss­braucht wer­den wird, muss er wirk­sa­me Vor­keh­run­gen tref­fen, um einen sol­chen Miss­brauch zu ver­mei­den, und sol­che Vor­keh­run­gen kön­nen hier nur dar­in bestehen, dass die ein­ge­hen­den Bei­trä­ge vor ihrer Frei­schal­tung geprüft wer­den.

Das Argu­ment kann man in der Tat gel­ten las­sen. Wer damit rech­nen muss, das ein Bei­trag auch sehr har­sche Reak­tio­nen her­vor­ruft, der mag in der Tat gestei­ger­te Sorg­falts­pflich­ten haben.

Natür­lich kann man auch hier ande­rer Mei­nung sein. Man kann – und wird – argu­men­tie­ren, dass pres­se­mä­ßi­ges Arbei­ten auch die sehr schar­fe For­mu­lie­rung von Wert­ur­tei­len zulässt, dass das von Art. 5 GG gedeckt ist. Dass ande­rer­seits auch die Mög­lich­keit des „Instant Feed­back“, der sofor­ti­gen Reak­ti­on auf einen sol­chen Bei­trag, wie er eben inter­net­ty­pisch ist, zuge­las­sen wer­den muss. Dass es nicht sein kann, dass der, der inves­ti­ga­tiv tätig ist, eben doch stän­dig ein Damo­kles­schwert über sich schwe­ben hat, obwohl er es doch ist, der dem demo­kra­ti­schen Pro­zess der Mei­nungs­bil­dung einen wahr­haf­ten Dienst erweist.

Aber wie gesagt: das ist dann ech­ter Streit über ver­tret­ba­re Posi­tio­nen. Auf bei­den Sei­ten.

Nach­trag am 22.8.2006:

Zur Beru­fungs­ver­hand­lung in der Sache berich­tet hei­se. Da hat sich offen­bar der Zun­gen­schlag geän­dert — nicht aller­dings das kon­kre­te Ergeb­nis. Mehr, sobald die Begrün­dung ver­füg­bar ist.

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