Juristen arbeiten bekanntermaßen mitten im Leben. Das gilt ganz zweifellos für die bei den Amts- und Landgerichten tätigen Richter und Anwälte, bei denen täglich die sprichwörtlichen Blut- und Blechfälle laufen. Dagegen stehen bei OLG- und BGH-Entscheidungen doch recht häufig Fragen eher aus dem Wirtschaftsleben an, oft begleitet von der Beantwortung sehr abstrakter Rechtsfragen – die Tatsachen selbst wurden ja in den unteren Instanzen bereits aufbereitet.
Aber ab und an beschäftigt sich der Bundesgerichtshof eben auch mit Sachverhalten, die direkt aus dem Sammeltermin eines ländlichen Amtsgerichts zu stammen scheinen. Über einen solchen Fall berichtet der BGH Pressedienst unter der etwas reißerischen Überschrift „Zahnverlust bei Restaurantbesuch“ (Urteil vom 5. April 2006 – VIII ZR 283/05). Im Rechtlichen verbirgt sich darunter eine gar nicht so unspannende, fast lehrbuchhafte Abhandlung über den so genannten „Beweis des ersten Anscheins“.
Folgendes war passiert: Ein Restaurantbesucher hatte beim herzhaften Biss in ein Hackfleischröllchen, ein Cevapcici, einen Zahn durch Bruch desselbigen verloren. Er führte das darauf zurück, dass sich in der Speise ein Fremdkörper, etwa ein Steinchen, befunden habe, wofür der Restaurantbesitzer verantwortlich sei. Dieser war ja sein Vertragspartner und unterlag damit einer Reihe von Sorgfaltspflichten. Der Gast verlangte Schadenersatz, vor allem Ersatz von Behandlungskosten.
Der Beklagte Wirt meint, der Zahn könne auch beim Biss auf ein Knochen- oder Knorpelteilchen im Fleisch abgebrochen sein. Das Objekt, auf das der Kläger vermeintlich biss, existierte jedenfalls nicht mehr; nach Ausführungen des Klägers, weil er es wohl verschluckt habe.
Der BGH musste sich nun mit der hochinteressanten Frage beschäftigen, ob der „Beweis des ersten Anscheins“ dafür spricht, dass Zahnverluste beim Restaurantbesuch auf harte Fremdkörper in Hackfleischröllchen zurückzuführen seien. Das wird verneint, und wohl völlig zu Recht. Das Gericht führt aus:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, das heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist.
An einem in diesem Sinne typischen Geschehensablauf fehlte es hier. Das Abbrechen eines Zahns beim Verzehr eines aus verschiedenen Fleischstücken und Hackfleischröllchen bestehenden Gerichts ist nicht nach der Lebenserfahrung typischerweise auf das Vorhandensein eines in der Hackfleischmasse verborgenen festen (Fremd-) Körpers zurückzuführen. Vielmehr kommen dafür auch andere, nicht fernliegende Ursachen wie etwa eine Vorschädigung des abgebrochenen Zahns oder die versehentliche Mitaufnahme von Knochen- oder Knorpelresten, die nach dem Verzehr anderer Fleischstücke im Laufe der Mahlzeit auf dem Teller zurückgeblieben sind, in Betracht.
Dem ist eigentlich wenig hinzuzufügen. Schade nur, dass die Hackfleischfälle doch recht selten sind: man wird so nämlich kaum je in den Genuss kommen, diese Entscheidung in ihrem originären Sinn einmal zu zitieren.
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