Unverschlüsseltes WLAN und Störerhaftung: LG Hamburg öffnet die Büchse der Pandora

Onlinerecht | 8. September 2006
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Mit einem durch­aus erschre­cken­den neu­en Urteil (AZ: 308 O 407 / 06, ver­kün­det am 26.07.2006, Voll­text via RAe Lamp­mann Behn Rosen­baum) über­rascht uns das LG Ham­burg. Es macht Betrei­ber von unge­si­cher­ten WLANs für Rechts­ver­let­zun­gen als Stö­rer ver­ant­wort­lich, die Drit­te unter Nut­zung die­ses Net­zes bege­hen. Das Pro­blem bei die­sem Urteil ist: im Ergeb­nis ist es — im vor­lie­gen­den Ein­zel­fall — noch nach­voll­zieh­bar, in sei­ner Kon­se­quenz aber nahe der Untrag­bar­keit. Man hat offen­bar schlicht nicht zu Ende gedacht.

Im Fall waren hun­der­te von Musik­da­tei­en über ein — spä­ter inden­ti­fi­zier­tes — WLAN in das File­sha­ring-Sys­tem Gnu­tel­la gela­den wor­den. Und das ohne die erfor­der­li­chen Rech­te an den Songs, mit­hin rechts­wid­rig. Die Rech­te­inha­be­rin mahn­te die Inha­be­rin des WLANs ab, das für den Upload benutzt wur­de. Die ver­tei­dig­te sich damit, sie sei’s nicht gewe­sen, auch kein Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ger, aber das Netz­werk sei offen und unver­schlüs­selt betrie­ben wor­den, ein Drit­ter hät­te also jeder­zeit über das WLAN ille­gal han­deln kön­nen. Dem hät­te sie nicht vor­beu­gen müs­sen, habe aber inzwi­schen auch ein Pass­wort ein­ge­rich­tet.

Das Gericht scheint nach der For­mu­lie­rung des Urteils augen­zwin­kernd davon aus­zu­ge­hen, dass die Betrei­be­rin des WLANs oder deren Sohn es schon gewe­sen sein wer­de. Natür­lich kann man das so nicht schrei­ben, bewie­sen wer­den kann das nicht. Daher wird argu­men­tiert, dass dies dahin­ste­hen kön­ne, denn in jedem Fall sei die Betrei­be­rin auch für die Nut­zung des Netz­werks durch Drit­te ver­ant­wort­lich: das WLAN sei unge­schützt gewe­sen, es sei ihr aber zumut­bar gewe­sen, wenigs­tens ein Pass­wort ein­zu­rich­ten.

Die­se Argu­men­ta­ti­on hal­te ich für zumin­dest sehr bedenk­lich.

Natür­lich kann man vor­lie­gend der Mei­nung sein, dass es schon „den Rich­ti­gen tref­fen“ wird. Denn die Ver­mu­tung ist nicht abwe­gig, dass es sich bei der Dar­stel­lung der Beklag­ten, die rechts­wid­ri­gen Hand­lun­gen hät­ten Drit­te vor­ge­nom­men, um eine Schutz­be­haup­tung han­delt. Und den­noch: selbst wenn es so sein soll­te wäre das Urteil — jeden­falls mit die­ser Begrün­dung — wohl falsch.

Zum einen wird — expres­sis ver­bis! — vor­aus­ge­setzt, dass der­je­ni­ge, der ein WLAN ein­rich­tet, damit rech­nen muss, dass Drit­te damit rechts­ver­let­zen­de Hand­lun­gen bege­hen. Das ist schon im Ansatz ein höchst pes­si­mis­ti­scher Blick auf die Welt. Auf ein ande­res Bei­spiel bezo­gen könn­te man genau­so gut ver­tre­ten dass der­je­ni­ge, der aus Nach­läs­sig­keit sein Auto mit ste­cken­dem Schlüs­sel am Park­platz ste­hen lässt, nicht nur damit rech­nen muss, dass sein Auto gestoh­len wird (das zwei­fel­los), son­dern auch noch haf­tet, falls der Dieb mit dem Wagen einen Unfall baut. Oder dass der­je­ni­ge, der ein Taschen­mes­ser ver­schenkt, dafür haf­tet, wenn damit ein Drit­ter vom Beschenk­ten ver­letzt wird.

Wei­ter­hin ist das Urteil — ent­ge­gen der Inten­ti­on von TDG und MDStV — doch wie­der ein Schritt hin zu einer ganz all­ge­mei­nen Pro­vi­der­ver­haf­tung, jeden­falls unter dem Gesichts­punkt der Stö­rer­ver­ant­wort­lich­keit. Und das wohl in einem Aus­maß, das auch der BGH in sei­ner Ent­schei­dung vom 11.3.2004 nicht beab­sich­tig­te. Denn dort stell­te er zwar fest, dass die miss­glück­ten For­mu­lie­run­gen des Pro­vi­der-Haf­tungs­pri­vi­legs des TDG und MDStV die Unter­las­sungs­an­sprü­che unbe­rührt lässt, ins­be­son­de­re eine Inan­spruch­nah­me aus Stö­rer­haf­tung mög­lich bleibt. Aber auch:

Weil die Stö­rer­haf­tung aber nicht über Gebühr auf Drit­te erstreckt wer­den darf, die nicht selbst die rechts­wid­ri­ge Beein­träch­ti­gung vor­ge­nom­men haben, setzt die Haf­tung des Stö­rers die Ver­let­zung von Prü­fungs­pflich­ten vor­aus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwie­weit dem als Stö­rer in Anspruch Genom­me­nen nach den Umstän­den eine Prü­fung zuzu­mu­ten ist.

Nun kann man schon strei­ten, ob die Pflicht, ein WLAN mit einem Pass­wort zu ver­se­hen, also „offe­ne Löcher im Netz­werk zu fli­cken“, über­haupt eine „Prüf­pflicht“ ist oder nicht viel­mehr eine Art Ver­kehr­über­wa­chungs­pflicht. Denn auch eine sol­che Pflicht, woll­te man sie denn anneh­men, macht schlicht kei­nen Sinn:

Im vor­lie­gen­den Fall war es zwar so, dass ein WLAN-Netz betrie­ben wur­de und — so jeden­falls die Ver­tei­di­gung der Beklag­ten — unge­wollt Drit­te, Frem­de mit­surf­ten. Da mag man mit einem Pass­wort ja noch wei­ter­kom­men. Wie nun aber, wenn die freie und kos­ten­lo­se Zur­ver­fü­gung­stel­lung des Net­zes gera­de gewollt, Sinn des Betriebs ist? Wie z.B. an man­chen Flug­hä­fen, vie­len Innen­stadt-Cafés, Biblio­the­ken und unzäh­li­gen Stu­den­ten-WGs? Der offe­ne Zugang zum Netzt ist in die­sen Fäl­len nicht Abfall­pro­dukt son­dern Ziel des Betriebs.

All die­sen Ein­rich­tun­gen muss nach dem Urteil des LG Ham­burg eigent­lich gera­ten wer­den, doch bit­te die­sen nett gemein­ten Ser­vice zukünf­tig nicht mehr zu erbrin­gen oder jeden­falls nicht ohne — natür­lich in der Pra­xis kaum durch­führ­ba­re — Regis­trie­rung und Erfas­sung der Teil­neh­mer.

Im Ergeb­nis kann — oder wird — das Urteil eine gan­ze Netz­kul­tur zum Erlie­gen brin­gen. Das LG Ham­burg hat hier die Büch­se der Pan­do­ra geöff­net. Bekann­ter­ma­ßen fällt es schon in der Sage schwer, die­se wie­der zu schlie­ßen.

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