OLG Frankfurt zu unverschlüsseltem WLAN und Störerhaftung

Onlinerecht | 11. Juli 2007
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Neue — ungu­te — Ent­wick­lun­gen gibt es zur Fra­ge der WLAN-Stö­rer­haf­tung. Wie die Kol­le­gen von aufrecht.de berich­ten, hat­te das OLG Frankfurt/Main über einen Fall zu ent­schei­den, (AZ: 2–3 O 771/06, vom 22. Febru­ar 2007) der dem bekann­ten WLAN-Fall des LG Ham­burg recht ver­gleich­bar ist. In der Sache dreht es sich zwar um ein Ver­fü­gungs­ver­fah­ren, da die kon­tro­ver­sen Details des Falls aber vor allem auf recht­li­chem Gebiet lie­gen darf kaum erwar­tet wer­den, dass die Gerich­te im Haupt­sa­che­ver­fah­ren eine abwei­chen­de Beur­tei­lung fin­den.

Der Beklag­te betreibt offen, also ohne beson­de­re tech­ni­sche Siche­rung, Ver­schlüs­se­lung oder die Ver­wen­dung von Pass­wör­tern, ein pri­va­tes WLAN. Unter Nut­zung die­ses Inter­net­an­schlus­ses war der Song „Som­mer unse­res Lebens“ in der Inter­net-Tausch­bör­se eMu­le zum Down­load ange­bo­ten wor­den. Der Beklag­te war — so jeden­falls sei­ne Behaup­tung — zum Zeit­punkt des Ange­bots im Urlaub, sein Rech­ner aus­ge­schal­tet, das WLAN offen­sicht­lich aber nicht. Wenn jemand den Song unter Nut­zung des Inter­net­an­schlus­ses des Beklag­ten anbot, dann wohl ein Drit­ter, der „schwarz mit­surf­te“.

Das genügt dem OLG Frankfurt/Main, um den Beklag­ten jeden­falls als Stö­rer auf Unter­las­sung der Ver­brei­tung des Musik­stücks in Anspruch zu neh­men. Das Gericht führt dazu aus:

Für die­se Rechts­ver­let­zung hat der Beklag­te indes gleich­falls nach den Grund­sät­zen der Stö­rer­haf­tung ein­zu­ste­hen.

Im Rah­men des Unter­las­sungs­an­spruchs haf­tet in ent­spre­chen­der Anwen­dung des § 1004 BGB jeder als Stö­rer für eine Schutz­rechts­ver­let­zung, der — ohne selbst Täter oder Teil­neh­mer zu sein — in irgend­ei­ner Wei­se wil­lent­lich und adäquat kau­sal an der rechts­wid­ri­gen Beein­träch­ti­gung mit­ge­wirkt hat. Um eine sol­che Haf­tung nicht über Gebühr auf Drit­te zu erstre­cken, die nicht selbst die rechts­wid­ri­ge Beein­träch­ti­gung vor­ge­nom­men haben, setzt die Haf­tung des Stö­rers die Ver­let­zung von Prü­fungs­pflich­ten vor­aus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwie­weit dem als Stö­rer in Anspruch Genom­me­nen nach den Umstän­den eine Prü­fung zuzu­mu­ten ist [BGH GRUR 2004, 860 (864) — Stö­rer­haf­tung des Inter­net­auk­ti­ons­hau­ses bei Fremd­ver­stei­ge­rung m.w.N.], wobei sich Art und Umfang der gebo­te­nen Prüf- und Kon­troll­maß­nah­men nach Treu und Glau­ben bestim­men [Wandtke/Bullinger, § 97 Rn. 15] So hat sich auch die Ver­pflich­tung, geeig­ne­te Vor­keh­run­gen zu tref­fen, durch wel­che die Rechts­ver­let­zung soweit wie mög­lich ver­hin­dert wer­den kann, im Rah­men des Zumut­ba­ren und Erfor­der­li­chen zu hal­ten [BGH GRUR 1984, 54/55 — Kopier­lä­den].

Soweit sind erst ein­mal nur die Grund­sät­ze der Stö­rer­haf­tung dar­ge­legt. Frag­lich ist nun, wel­che kon­kre­ten Maß­nah­men der Betrei­bers eines WLANs zu tref­fen hat. Hier­zu das Gericht:

Recht­lich und tat­säch­lich war der Beklag­te in die Lage ver­setzt, wirk­sa­me Maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung der streit­ge­gen­ständ­li­chen Rechts­ver­let­zung zu tref­fen. Es oblag ihm, sich zu infor­mie­ren, wel­che Mög­lich­kei­ten für Rechts­ver­let­zun­gen er schafft und wie er sol­chen Ver­let­zun­gen hät­ten vor­beu­gen kön­nen. Zudem hät­te er tech­ni­sche Mög­lich­kei­ten in Anspruch neh­men kön­nen, um die streit­ge­gen­ständ­li­che Rechts­ver­let­zung zu ver­hin­dern. So hät­te er etwa unter Abän­de­rung des mit­ge­lie­fer­ten Stan­dard­pass­wor­tes einen per­sön­li­chen Pass­word-Schutz ein­rich­ten und den Rou­ter wäh­rend sei­ner Abwe­sen­heit aus­schal­ten kön­nen. Mög­lich wäre auch die Ver­schlüs­se­lung der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Rou­ter und PC mit­tels eines Schlüs­sel­wor­tes gewe­sen.

Ich hal­te die­se Anfor­de­rung für über­dehnt und in viel­fa­cher Hin­sicht an der Wirk­lich­keit vor­bei argu­men­tiert. Sie ver­kennt zwei Din­ge:

Zum einen stellt der­je­ni­ge, der ein WLAN betreibt, zunächst ein­mal — unge­ach­tet der Mög­lich­keit der Ver­schlüs­se­lung — eine mehr oder min­der öffent­li­che Infra­struk­tur zur Ver­fü­gung. Die­se ist also sol­che nur so „gefähr­lich“, wie die­je­ni­gen, die sie benut­zen. Mein Lieb­lings­bei­spiel: Stra­ßen (vom Staat gebaut) wer­den von recht­schaf­fe­nen Bür­gern benutzt, um zur Arbeit zu gelan­gen, von bösen Men­schen, um mit dem Auto zum Bank­raub zu fah­ren. Den­noch ver­langt nie­mand, die Stra­ßen zu schlie­ßen oder vor jeder Stra­ßen­auf­fahrt eine poli­zei­li­che Zwangs­kon­trol­le ein­zu­rich­ten.

Nun mag man argu­men­tie­ren, dass man Stra­ßen ja auch nicht ohne hor­ren­den Auf­wand gesi­chert wer­den kön­nen, ein WLAN aber durch ein Pass­wort schon. Wie aber, wenn ein WLAN gera­de offen betrie­ben wer­den soll, weil es gera­de Absicht des Inha­bers ist, ande­re mit­sur­fen zu las­sen? Das gibt es viel­fach in Cafes, Biblio­the­ken (öffent­li­chen!), Bier­gär­ten und als pri­va­te Initia­ti­ve. Soll das ver­bo­ten wer­den? Soll­te man die­se Initia­ti­ven nicht viel­mehr sogar unter­stüt­zen? Und falls ja: kann es einen Unter­schied machen, ob jemand sein WLAN ganz bewusst oder nur ver­se­hent­lich offen betreibt?

Ich sehe dafür kei­nen recht­li­chen Ansatz­punkt. Viel­mehr scheint es mir auf der Hand zu lie­gen, dass die Bereit­stel­lung von Infra­struk­tur als sol­cher, wenn sie nicht klar mehr oder weni­ger aus­schließ­lich zur Bege­hung von Straf­ta­ten oder ande­ren Rechts­ver­let­zun­gen zur Ver­fü­gung gestellt wird, nicht sank­tio­niert wer­den darf. Tut man es doch, ver­wischt man eine Gren­ze: war­um dann nicht auch die Tele­kom haft­bar machen, wenn über ihre Tele­fon­lei­tun­gen Straf­ta­ten geplant wer­den (man kann ja Wort­fil­ter ein­rich­ten)? War­um nicht den Her­stel­ler von WLAN-Equip­ment haft­bar machen (er kann ja die Gerä­te so pro­du­zie­ren, dass die­se ohne ein­ge­rich­te­tes Pass­wort gar nicht betrie­ben wer­den kön­nen)? Die Bei­spie­le las­sen sich belie­big fort­set­zen.

Ich mei­ne, die Recht­spre­chung hat sich in dem — im Ansatz ja dan­kens­wer­ten — Bemü­hen, jede Rechts­ver­let­zung mög­lichst weit­ge­hend zu ahn­den und zu unter­bin­den, schlicht ver­rannt. Die Stö­rer­haf­tung ist ein kau­gum­mi­ar­ti­ges Instru­ment, mit dem prak­tisch jedes gewünsch­te Haf­tungs­er­geb­nis erzielt wer­den kann. Umso mehr kommt es auf das Judiz des Gerichts an, die­se juris­ti­sche All­zweck­waf­fe mit Sorg­falt zu hand­ha­ben. Die WLAN-Urtei­le schei­nen mir in die­ser Hin­sicht man­gel­be­haf­tet zu sein.

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