Mit einem durchaus erschreckenden neuen Urteil (AZ: 308 O 407 / 06, verkündet am 26.07.2006, Volltext via RAe Lampmann Behn Rosenbaum) überrascht uns das LG Hamburg. Es macht Betreiber von ungesicherten WLANs für Rechtsverletzungen als Störer verantwortlich, die Dritte unter Nutzung dieses Netzes begehen. Das Problem bei diesem Urteil ist: im Ergebnis ist es — im vorliegenden Einzelfall — noch nachvollziehbar, in seiner Konsequenz aber nahe der Untragbarkeit. Man hat offenbar schlicht nicht zu Ende gedacht.
Im Fall waren hunderte von Musikdateien über ein — später indentifiziertes — WLAN in das Filesharing-System Gnutella geladen worden. Und das ohne die erforderlichen Rechte an den Songs, mithin rechtswidrig. Die Rechteinhaberin mahnte die Inhaberin des WLANs ab, das für den Upload benutzt wurde. Die verteidigte sich damit, sie sei’s nicht gewesen, auch kein Familienangehöriger, aber das Netzwerk sei offen und unverschlüsselt betrieben worden, ein Dritter hätte also jederzeit über das WLAN illegal handeln können. Dem hätte sie nicht vorbeugen müssen, habe aber inzwischen auch ein Passwort eingerichtet.
Das Gericht scheint nach der Formulierung des Urteils augenzwinkernd davon auszugehen, dass die Betreiberin des WLANs oder deren Sohn es schon gewesen sein werde. Natürlich kann man das so nicht schreiben, bewiesen werden kann das nicht. Daher wird argumentiert, dass dies dahinstehen könne, denn in jedem Fall sei die Betreiberin auch für die Nutzung des Netzwerks durch Dritte verantwortlich: das WLAN sei ungeschützt gewesen, es sei ihr aber zumutbar gewesen, wenigstens ein Passwort einzurichten.
Diese Argumentation halte ich für zumindest sehr bedenklich.
Natürlich kann man vorliegend der Meinung sein, dass es schon „den Richtigen treffen“ wird. Denn die Vermutung ist nicht abwegig, dass es sich bei der Darstellung der Beklagten, die rechtswidrigen Handlungen hätten Dritte vorgenommen, um eine Schutzbehauptung handelt. Und dennoch: selbst wenn es so sein sollte wäre das Urteil — jedenfalls mit dieser Begründung — wohl falsch.
Zum einen wird — expressis verbis! — vorausgesetzt, dass derjenige, der ein WLAN einrichtet, damit rechnen muss, dass Dritte damit rechtsverletzende Handlungen begehen. Das ist schon im Ansatz ein höchst pessimistischer Blick auf die Welt. Auf ein anderes Beispiel bezogen könnte man genauso gut vertreten dass derjenige, der aus Nachlässigkeit sein Auto mit steckendem Schlüssel am Parkplatz stehen lässt, nicht nur damit rechnen muss, dass sein Auto gestohlen wird (das zweifellos), sondern auch noch haftet, falls der Dieb mit dem Wagen einen Unfall baut. Oder dass derjenige, der ein Taschenmesser verschenkt, dafür haftet, wenn damit ein Dritter vom Beschenkten verletzt wird.
Weiterhin ist das Urteil — entgegen der Intention von TDG und MDStV — doch wieder ein Schritt hin zu einer ganz allgemeinen Providerverhaftung, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Störerverantwortlichkeit. Und das wohl in einem Ausmaß, das auch der BGH in seiner Entscheidung vom 11.3.2004 nicht beabsichtigte. Denn dort stellte er zwar fest, dass die missglückten Formulierungen des Provider-Haftungsprivilegs des TDG und MDStV die Unterlassungsansprüche unberührt lässt, insbesondere eine Inanspruchnahme aus Störerhaftung möglich bleibt. Aber auch:
Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist.
Nun kann man schon streiten, ob die Pflicht, ein WLAN mit einem Passwort zu versehen, also „offene Löcher im Netzwerk zu flicken“, überhaupt eine „Prüfpflicht“ ist oder nicht vielmehr eine Art Verkehrüberwachungspflicht. Denn auch eine solche Pflicht, wollte man sie denn annehmen, macht schlicht keinen Sinn:
Im vorliegenden Fall war es zwar so, dass ein WLAN-Netz betrieben wurde und — so jedenfalls die Verteidigung der Beklagten — ungewollt Dritte, Fremde mitsurften. Da mag man mit einem Passwort ja noch weiterkommen. Wie nun aber, wenn die freie und kostenlose Zurverfügungstellung des Netzes gerade gewollt, Sinn des Betriebs ist? Wie z.B. an manchen Flughäfen, vielen Innenstadt-Cafés, Bibliotheken und unzähligen Studenten-WGs? Der offene Zugang zum Netzt ist in diesen Fällen nicht Abfallprodukt sondern Ziel des Betriebs.
All diesen Einrichtungen muss nach dem Urteil des LG Hamburg eigentlich geraten werden, doch bitte diesen nett gemeinten Service zukünftig nicht mehr zu erbringen oder jedenfalls nicht ohne — natürlich in der Praxis kaum durchführbare — Registrierung und Erfassung der Teilnehmer.
Im Ergebnis kann — oder wird — das Urteil eine ganze Netzkultur zum Erliegen bringen. Das LG Hamburg hat hier die Büchse der Pandora geöffnet. Bekanntermaßen fällt es schon in der Sage schwer, diese wieder zu schließen.
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