Für ein wenig Aufruhr in der Blogosphäre sorgt derzeit ein Artikel auf Forbes.com. Hier werden Weblogs als Werkzeug zur Veranstaltung von Verleumdungskampagnen und Lynchjustiz gebrandmarkt. Anhand einer Reihe von Beispielen versucht der Autor zu belegen, dass Medien- und Meinungsmacht in der Hand von Bloggern praktisch automatisch zu Missbrauch, zur Zerstörung von Karrieren und Einkommen, der Beschmutzung des guten Rufs von veritablen Unternehmen und Privatpersonen führt.
Vorab: der Artikel ist polemisch, er ist laut und an vielen Stellen ungerecht. Er beleuchtet die Schattenseiten, nicht die Vorzüge von Blogs. Er berichtet einseitig. Er kann und wird sicher von Bloggern als Angriff auf Ihre Identität und ihr „Geschäftsmodell“ (nennen Sie es auch Daseinsberechtigung, Selbstverständnis: was immer Ihnen genehm ist) gesehen werden. Und genau das will er wohl auch sein.
Aber er beleuchtet auch eine profunde Wahrheit: die Blogosphäre taugt als Verstärker für viele Formen von Schwingungen. Guten wie schlechten.
Einer der impliziten Glaubensgrundsätze der Blogosphäre ist nach wie vor, dass Blogger die Guten sind. Der David, der gegen den geld- und kommerzgetriebenen Goliath der Unternehmen und Medienkonglomerate mittels Guerillataktiken erfolgreich kämpft. Das Reich des Lichts, in dem Böses per definitionem gar nicht geschehen kann.
Das ist natürlich Unsinn.
Jeder von uns kennt Menschen, die übertrieben selbstgerecht sind; die glauben, im Besitz der alleinseeligmachenden Weisheit zu sein oder die schlicht keine Kinderstube besitzen. Die beleidigen, fremde Meinungen nicht akzeptieren oder schlicht auch lügen. Wird so jemand geläutert, nur weil er ein Blog besitzt? Unwahrscheinlich. Im Gegenteil wird er doch sicher dieses Mittel nutzen, um diese Charakterzüge auszuleben. Und bei guter Einbindung in die Blogosphäre, nun, eben zu verstärken. Gerade kontroverse Artikel werden ja gern verlinkt: schmutzige Wäsche macht so schön viel Buzz.
Das ist aber nur die eine Seite. Die Blogosphäre ist auch anfällig für eine ganz andere Form von Angriffen.
Jeder Blogger hat Erfahrung mit Versuchen, die Blogosphäre für gar nicht hoch stehende, sondern ganz in Gegenteil ausgesprochen eigennützige Zwecke auszunutzen. Im einfachsten Fall äußern sich das durch Trackback‑, Kommentar- und Referrer-Spam. Etwas subtiler sind vielleicht Spam-Blogs, denen man – wenn sie denn gut gemacht sind – nicht einmal sofort ansieht, dass sie nur Trittbrettfahrer der Blog-Bewegung sind. Wirklich schlimm sind – und eben davon berichtet der Artikel auch – die Versuche von Unternehmen, aber schlicht auch einflussreichen „Privat-Bloggern“, mit Hilfe von Weblogs ihre ganz eigene Agenda zu verfolgen.
Diese eigene Agenda heißt oft genug schlicht und ergreifend, bestimmte Unternehmen oder auch Privatpersonen fertig zu machen.
Das kann ganz private Gründe haben. Weil etwa, solche Beispiele bringt der Artikel, ein Beratungsunternehmen Software eines kommerziellen Unternehmens empfehlt. Ein einflussreicher Blogger, der Open-Source bevorzugt, mag dies vielleicht zum Anlass nehmen, eine Gegen-Kampagne zu starten. Und wenngleich die am Anfang sogar gut gemeint sein mag, kann sie schnell zur Schlammschlacht ausarten: auch Blogger arbeiten oft für die Quote und kontroverse Geschichten „verkaufen“ sich gut. Gerade Blogs aus der zweiten Reihe, die noch nach Beachtung suchen, müssen besonders laut schreien, um gehört zu werden.
Noch deutlich schlimmer wird es – und auch diese Beispiele gibt es – wenn Bloggs und Blogger gezielt benutzt werden, um bestimmte Meinungen zu pushen. Notfalls auch mit Geld. Bestechlich ist jeder, auch Blogger. Wer anderes glaubt, irrt ganz sicher.
Es ist – und da bitte ich, mich nicht mißzuverstehen – nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten, seine Meinung zu äußern, seine Ansicht über die Welt, in der wir leben, wie sie ist und wie sie sein sollte. Gern auch gegen Bezahlung: das tun „normale“ Journalisten ja auch.
Die Freiheit von Meinung und Presse ist im Grundgesetz explizit als eines der wenigen schrankenlosen Grundrechte gewährleistet, ist eine Säule unserer Demokratie.
Unsere Rechtsordnung aber hat – wir sind hier ja im Law-Blog – sinnvolle Regeln dafür entwickelt, wie diese Freiheit wahrgenommen werden kann:
Praktisch alle diese Pflichten werden von vielen Weblogs ignoriert. Es schießt sich eben so schön aus dem Hinterhalt, aus der Anonymität.
Blogger haben einen ausgesprochen effektiven Weg gefunden, um den etablierten Meinungsmachern und Spin-Doctors mit all ihren Möglichkeiten und großen Marketing-Budgets eine „andere“ Öffentlichkeit entgegen zu setzen. Das erreichen sie durch geschickte Nutzung der Strukturen des Internets und der dort verfügbaren Dienste. Der Möglichkeit der Verlinkung, der Referenzierung, der Platzierung von Ergebnissen, Fakten, Meinungen in Suchmaschinen.
Und das ist gut so. In gewisser Weise ist es die Verwirklichung des Versprechens von 1994: dass im Internet jeder allen alles sagen kann. Dass jeder eine Stimme hat, die in der ganzen Welt gehört werden kann.
Diese Möglichkeit bringt aber auch Verantwortung mit sich. Wer Meinungsmacht für sich in Anspruch nimmt, der muss auch mit offenem Visier kämpfen, der muss sich der Auseinandersetzung auf jeder Ebene – notfalls eben auch der des Rechts – stellen. Wer die Nase in den Wind streckt, der muss auch den Zug vertragen.
Vielen Dank an Nach-Recht-En für den Link zum Artikel.
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