Weblogs – das Reich der Schatten!?

Übergreifendes | 29. Oktober 2005
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Für ein wenig Aufruhr in der Blo­gosphäre sorgt derzeit ein Artikel auf Forbes.com. Hier wer­den Weblogs als Werkzeug zur Ver­anstal­tung von Ver­leum­dungskam­pag­nen und Lynchjus­tiz gebrand­markt. Anhand ein­er Rei­he von Beispie­len ver­sucht der Autor zu bele­gen, dass Medi­en- und Mei­n­ungs­macht in der Hand von Blog­gern prak­tisch automa­tisch zu Miss­brauch, zur Zer­störung von Kar­ri­eren und Einkom­men, der Beschmutzung des guten Rufs von ver­i­ta­blen Unternehmen und Pri­vat­per­so­n­en führt.

Vor­ab: der Artikel ist polemisch, er ist laut und an vie­len Stellen ungerecht. Er beleuchtet die Schat­ten­seit­en, nicht die Vorzüge von Blogs. Er berichtet ein­seit­ig. Er kann und wird sich­er von Blog­gern als Angriff auf Ihre Iden­tität und ihr „Geschäftsmod­ell“ (nen­nen Sie es auch Daseins­berech­ti­gung, Selb­stver­ständ­nis: was immer Ihnen genehm ist) gese­hen wer­den. Und genau das will er wohl auch sein.

Aber er beleuchtet auch eine pro­funde Wahrheit: die Blo­gosphäre taugt als Ver­stärk­er für viele For­men von Schwingun­gen. Guten wie schlecht­en.

Ein­er der impliziten Glaubens­grund­sätze der Blo­gosphäre ist nach wie vor, dass Blog­ger die Guten sind. Der David, der gegen den geld- und kom­merzgetriebe­nen Goliath der Unternehmen und Medi­enkon­glom­er­ate mit­tels Gueril­latak­tiken erfol­gre­ich kämpft. Das Reich des Lichts, in dem Bös­es per def­i­n­i­tionem gar nicht geschehen kann.

Das ist natür­lich Unsinn.

Jed­er von uns ken­nt Men­schen, die über­trieben selb­st­gerecht sind; die glauben, im Besitz der allein­seel­ig­machen­den Weisheit zu sein oder die schlicht keine Kinder­stube besitzen. Die belei­di­gen, fremde Mei­n­un­gen nicht akzep­tieren oder schlicht auch lügen. Wird so jemand geläutert, nur weil er ein Blog besitzt? Unwahrschein­lich. Im Gegen­teil wird er doch sich­er dieses Mit­tel nutzen, um diese Charak­terzüge auszuleben. Und bei guter Ein­bindung in die Blo­gosphäre, nun, eben zu ver­stärken. Ger­ade kon­tro­verse Artikel wer­den ja gern ver­linkt: schmutzige Wäsche macht so schön viel Buzz.

Das ist aber nur die eine Seite. Die Blo­gosphäre ist auch anfäl­lig für eine ganz andere Form von Angrif­f­en.

Jed­er Blog­ger hat Erfahrung mit Ver­suchen, die Blo­gosphäre für gar nicht hoch ste­hende, son­dern ganz in Gegen­teil aus­ge­sprochen eigen­nützige Zwecke auszunutzen. Im ein­fach­sten Fall äußern sich das durch Trackback‑, Kom­men­tar- und Refer­rer-Spam. Etwas sub­til­er sind vielle­icht Spam-Blogs, denen man – wenn sie denn gut gemacht sind – nicht ein­mal sofort ansieht, dass sie nur Trit­tbret­tfahrer der Blog-Bewe­gung sind. Wirk­lich schlimm sind – und eben davon berichtet der Artikel auch – die Ver­suche von Unternehmen, aber schlicht auch ein­flussre­ichen „Pri­vat-Blog­gern“, mit Hil­fe von Weblogs ihre ganz eigene Agen­da zu ver­fol­gen.

Diese eigene Agen­da heißt oft genug schlicht und ergreifend, bes­timmte Unternehmen oder auch Pri­vat­per­so­n­en fer­tig zu machen.

Das kann ganz pri­vate Gründe haben. Weil etwa, solche Beispiele bringt der Artikel, ein Beratung­sun­ternehmen Soft­ware eines kom­merziellen Unternehmens empfehlt. Ein ein­flussre­ich­er Blog­ger, der Open-Source bevorzugt, mag dies vielle­icht zum Anlass nehmen, eine Gegen-Kam­pagne zu starten. Und wen­ngle­ich die am Anfang sog­ar gut gemeint sein mag, kann sie schnell zur Schlamm­schlacht ausarten: auch Blog­ger arbeit­en oft für die Quote und kon­tro­verse Geschicht­en „verkaufen“ sich gut. Ger­ade Blogs aus der zweit­en Rei­he, die noch nach Beach­tung suchen, müssen beson­ders laut schreien, um gehört zu wer­den.

Noch deut­lich schlim­mer wird es – und auch diese Beispiele gibt es – wenn Blog­gs und Blog­ger gezielt benutzt wer­den, um bes­timmte Mei­n­un­gen zu pushen. Not­falls auch mit Geld. Bestech­lich ist jed­er, auch Blog­ger. Wer anderes glaubt, irrt ganz sich­er.

Es ist – und da bitte ich, mich nicht mißzu­ver­ste­hen – nicht nur erlaubt, son­dern ger­adezu geboten, seine Mei­n­ung zu äußern, seine Ansicht über die Welt, in der wir leben, wie sie ist und wie sie sein sollte. Gern auch gegen Bezahlung: das tun „nor­male“ Jour­nal­is­ten ja auch.

Die Frei­heit von Mei­n­ung und Presse ist im Grundge­setz expliz­it als eines der weni­gen schranken­losen Grun­drechte gewährleis­tet, ist eine Säule unser­er Demokratie.

Unsere Recht­sor­d­nung aber hat – wir sind hier ja im Law-Blog – sin­nvolle Regeln dafür entwick­elt, wie diese Frei­heit wahrgenom­men wer­den kann:

  • Tat­sachen, die ich behaupte, müssen wahr sein; wobei „Wahrheit“ hier meint: sie müssen mit genü­gen­der Sorgfalt ermit­telt sein. Ein­fach nur nach­plap­pern, was alle sagen und noch einen drauf set­zen: das reicht nicht.
  • Mei­n­un­gen müssen vertret­bar sein. Sie dür­fen hart for­muliert sein, auch Satire und ähn­liche Stilmit­tel sind erlaubt, For­mal­belei­dun­gen aber gehen nicht.
  • Im Fall von Tat­sachen­be­haup­tun­gen muss ich – ob wahr oder nicht! – dem Betrof­fe­nen das Rechte auf Gegen­darstel­lung gewähren.
  • Und – vor allem – ich muss zu mein­er Mei­n­ung ste­hen. Heißt: ich muss der Welt sagen, wer dafür ver­ant­wortlich ist, ein Impres­sum haben, Ross und Reit­er nen­nen.

Prak­tisch alle diese Pflicht­en wer­den von vie­len Weblogs ignori­ert. Es schießt sich eben so schön aus dem Hin­ter­halt, aus der Anonymität.

Blog­ger haben einen aus­ge­sprochen effek­tiv­en Weg gefun­den, um den etablierten Mei­n­ungs­mach­ern und Spin-Doc­tors mit all ihren Möglichkeit­en und großen Mar­ket­ing-Bud­gets eine „andere“ Öffentlichkeit ent­ge­gen zu set­zen. Das erre­ichen sie durch geschick­te Nutzung der Struk­turen des Inter­nets und der dort ver­füg­baren Dien­ste. Der Möglichkeit der Ver­linkung, der Ref­eren­zierung, der Platzierung von Ergeb­nis­sen, Fak­ten, Mei­n­un­gen in Such­maschi­nen.

Und das ist gut so. In gewiss­er Weise ist es die Ver­wirk­lichung des Ver­sprechens von 1994: dass im Inter­net jed­er allen alles sagen kann. Dass jed­er eine Stimme hat, die in der ganzen Welt gehört wer­den kann.

Diese Möglichkeit bringt aber auch Ver­ant­wor­tung mit sich. Wer Mei­n­ungs­macht für sich in Anspruch nimmt, der muss auch mit offen­em Visi­er kämpfen, der muss sich der Auseinan­der­set­zung auf jed­er Ebene – not­falls eben auch der des Rechts – stellen. Wer die Nase in den Wind streckt, der muss auch den Zug ver­tra­gen.

Vie­len Dank an Nach-Recht-En für den Link zum Artikel.

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