Zahnverlust und Anscheinsbeweis beim Genuss von Hackfleischröllchen

Skurriles | 26. April 2006
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Juris­ten arbei­ten bekann­ter­ma­ßen mit­ten im Leben. Das gilt ganz zwei­fel­los für die bei den Amts- und Land­ge­rich­ten täti­gen Rich­ter und Anwäl­te, bei denen täg­lich die sprich­wört­li­chen Blut- und Blech­fäl­le lau­fen. Dage­gen ste­hen bei OLG- und BGH-Ent­schei­dun­gen doch recht häu­fig Fra­gen eher aus dem Wirt­schafts­le­ben an, oft beglei­tet von der Beant­wor­tung sehr abs­trak­ter Rechts­fra­gen – die Tat­sa­chen selbst wur­den ja in den unte­ren Instan­zen bereits auf­be­rei­tet.

Aber ab und an beschäf­tigt sich der Bun­des­ge­richts­hof eben auch mit Sach­ver­hal­ten, die direkt aus dem Sam­mel­ter­min eines länd­li­chen Amts­ge­richts zu stam­men schei­nen. Über einen sol­chen Fall berich­tet der BGH Pres­se­dienst unter der etwas rei­ße­ri­schen Über­schrift „Zahn­ver­lust bei Restau­rant­be­such“ (Urteil vom 5. April 2006 – VIII ZR 283/05). Im Recht­li­chen ver­birgt sich dar­un­ter eine gar nicht so unspan­nen­de, fast lehr­buch­haf­te Abhand­lung über den so genann­ten „Beweis des ers­ten Anscheins“.

Fol­gen­des war pas­siert: Ein Restau­rant­be­su­cher hat­te beim herz­haf­ten Biss in ein Hack­fleisch­röll­chen, ein Cevap­ci­ci, einen Zahn durch Bruch des­sel­bi­gen ver­lo­ren. Er führ­te das dar­auf zurück, dass sich in der Spei­se ein Fremd­kör­per, etwa ein Stein­chen, befun­den habe, wofür der Restau­rant­be­sit­zer ver­ant­wort­lich sei. Die­ser war ja sein Ver­trags­part­ner und unter­lag damit einer Rei­he von Sorg­falts­pflich­ten. Der Gast ver­lang­te Scha­den­er­satz, vor allem Ersatz von Behand­lungs­kos­ten.

Der Beklag­te Wirt meint, der Zahn kön­ne auch beim Biss auf ein Kno­chen- oder Knor­pel­teil­chen im Fleisch abge­bro­chen sein. Das Objekt, auf das der Klä­ger ver­meint­lich biss, exis­tier­te jeden­falls nicht mehr; nach Aus­füh­run­gen des Klä­gers, weil er es wohl ver­schluckt habe.

Der BGH muss­te sich nun mit der hoch­in­ter­es­san­ten Fra­ge beschäf­ti­gen, ob der „Beweis des ers­ten Anscheins“ dafür spricht, dass Zahn­ver­lus­te beim Restau­rant­be­such auf har­te Fremd­kör­per in Hack­fleisch­röll­chen zurück­zu­füh­ren sei­en. Das wird ver­neint, und wohl völ­lig zu Recht. Das Gericht führt aus:

Nach stän­di­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs sind die Grund­sät­ze über den Beweis des ers­ten Anscheins nur bei typi­schen Gesche­hens­ab­läu­fen anwend­bar, das heißt in Fäl­len, in denen ein bestimm­ter Sach­ver­halt fest­steht, der nach der all­ge­mei­nen Lebens­er­fah­rung auf eine bestimm­te Ursa­che oder auf einen bestimm­ten Ablauf als maß­geb­lich für den Ein­tritt eines bestimm­ten Erfol­ges hin­weist. Dabei bedeu­tet Typi­zi­tät nicht, dass die Ursäch­lich­keit einer bestimm­ten Tat­sa­che für einen bestimm­ten Erfolg bei allen Sach­ver­hal­ten die­ser Fall­grup­pe not­wen­dig immer vor­han­den ist; sie muss aber so häu­fig gege­ben sein, dass die Wahr­schein­lich­keit, einen sol­chen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist.

An einem in die­sem Sin­ne typi­schen Gesche­hens­ab­lauf fehl­te es hier. Das Abbre­chen eines Zahns beim Ver­zehr eines aus ver­schie­de­nen Fleisch­stü­cken und Hack­fleisch­röll­chen bestehen­den Gerichts ist nicht nach der Lebens­er­fah­rung typi­scher­wei­se auf das Vor­han­den­sein eines in der Hack­fleisch­mas­se ver­bor­ge­nen fes­ten (Fremd-) Kör­pers zurück­zu­füh­ren. Viel­mehr kom­men dafür auch ande­re, nicht fern­lie­gen­de Ursa­chen wie etwa eine Vor­schä­di­gung des abge­bro­che­nen Zahns oder die ver­se­hent­li­che Mit­auf­nah­me von Kno­chen- oder Knor­pel­res­ten, die nach dem Ver­zehr ande­rer Fleisch­stü­cke im Lau­fe der Mahl­zeit auf dem Tel­ler zurück­ge­blie­ben sind, in Betracht.

Dem ist eigent­lich wenig hin­zu­zu­fü­gen. Scha­de nur, dass die Hack­fleisch­fäl­le doch recht sel­ten sind: man wird so näm­lich kaum je in den Genuss kom­men, die­se Ent­schei­dung in ihrem ori­gi­nä­ren Sinn ein­mal zu zitie­ren.

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