Gewerbemieten im Corona-Lockdown | BGH erteilt pauschalen Mietkürzungen eine Absage

© Corona Borealis/stock.adobe.com
Mietrecht | 12. Januar 2022
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Der BGH lehnt eine pauschale Hal­bierung von Gewerbe­mieten während der Schließungsanord­nung im Rah­men des Coro­na-Lock­downs ab. Die Karl­sruher Richter bestäti­gen, dass eine Abwä­gung im Einzelfall nötig bleibt. Und nen­nen Kri­te­rien, wann ein Fes­thal­ten am Ver­trag eigentlich unzu­mut­bar ist.

Es ist eine der wichtig­sten und am meis­ten her­beige­sehn­ten Entschei­dun­gen des Jahres. Die Frage, ob bei behördlichen Schließungsanord­nun­gen auf­grund der Coro­na-Pan­demie die Miet­zahlungspflicht von Gewerbe­mietern anzu­passen ist, hat Wis­senschaft und Jus­tiz seit April 2020 ges­pal­ten. Wann es Mietern im Sinne von § 313 Abs. 1 Bürg­er­lich­es Geset­zbuch (BGB) unzu­mut­bar ist, auch während ein­er Pan­demie am Ver­trag festzuhal­ten, W ist durch das Urteil des BGH vom 12. Jan­u­ar 2022 nun zumin­d­est teil­weise beant­wortet.

Der für das Gewerbe­mietrecht zuständi­ge XII. Zivilse­n­at des BGH hat entsch­ieden, dass eine Anpas­sung des Mietver­trags angesichts staatlich ange­ord­neter Geschäftss­chließun­gen grund­sät­zlich möglich ist.  Eine pauschale Hal­bierung der Miete, wie sie einige Gerichte vorgenom­men hat­ten, werde jedoch den Anforderun­gen ein­er Störung der Geschäfts­grund­lage (§ 313 BGB) nicht gerecht (BGH, Urt. v. 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21). Ob und inwieweit eine Anpas­sung der Miete in Betra­cht kommt, bleibe  – wie es auch das Gesetz aus­drück­lich fordert – eine Einzelfal­l­entschei­dung, die eine umfassende Prü­fung aller Umstände erfordert.  Dabei seien unter anderem der Umsatzrück­gang des Mieters und der Erhalt staatlich­er Hil­fen sowie etwaige Leis­tun­gen aus Betrieb­ss­chließungsver­sicherun­gen zu berück­sichti­gen.

Wer trägt das Risiko eines Lockdowns?

Viele Einzel­han­dels­geschäfte mussten in der ersten Coro­na-Welle und dem in diesem Zusam­men­hang staatlich ange­ord­neten Lock­down neb­st behördlichen Schließungsanord­nun­gen für mehr als einen Monat schließen. Daran entzün­dete sich ein Stre­it über die grundle­gende Rechts­frage, ob Gewerbe­mieter die volle Miete zahlen müssen oder nicht.

Auch in dem vom BGH nun entsch­iede­nen Fall war die Mieterin der Ansicht, sie sei auf­grund der behördlich ange­ord­neten und pan­demiebe­d­ingten Schließung, die einen Man­gel des Mieto­b­jek­ts darstelle, nicht zur Zahlung des Miet­zins­es verpflichtet. Sie habe während der Schließung der Fil­iale keine Umsätze gemacht, auch der von ihr betriebene Onli­neshop habe die Umsatzein­bußen nicht aufge­fan­gen. Staatliche Hil­fen habe sie nicht bekom­men und ihre Arbeit­nehmer in Kurzarbeit geschickt. Deshalb liege, so die Mieterin, jeden­falls eine Störung der Geschäfts­grund­lage wegen der durch die Schließungsanord­nung einge­trete­nen schw­er­wiegen­den Äquiv­alen­zstörung vor, sodass sie nach ein­er angemesse­nen Anpas­sung des Ver­trags allen­falls die hälftige Miete zu zahlen habe.

Die Ver­mi­eterin sah das anders. Sie bestand auf der voll­ständi­gen Miet­zin­szahlung auch während der staatlichen Schließungsanord­nung, da sich ein typ­is­ches unternehmerisches Risiko ver­wirk­licht habe.

Kein Mangel, aber Störung der Geschäftsgrundlage

Ganz Recht bekom­men haben nun bei­de nicht. Die mietrechtlichen Gewährleis­tungsvorschriften und die Regelun­gen des all­ge­meinen schul­drechtlichen Leis­tungsstörungsrechts bleiben anwend­bar, daran änderte auch die vom 1. April 2021 bis 30. Juni 2022 gel­tende „Kündi­gungs­beschränkung“ des Art. 240 § 2 EGBGB nichts, die Kündi­gun­gen wegen Nichtzahlun­gen von Miete im Lock­down 2020 auss­chließt.

In Übere­in­stim­mung mit sein­er ständi­gen Recht­sprechung hat der BGH aber das Vor­liegen eines Man­gels der Miet­sache abgelehnt: Ein staatlich ange­ord­neter Lock­down ste­he mit der konkreten Beschaf­fen­heit der Miet­sache nicht in Zusam­men­hang.

Die Frage, ob die Geschäfts­grund­lage des Mietver­trags durch die staatlich ange­ord­neten Geschäftss­chließun­gen gestört ist, war bere­its mit der Ein­führung des Art. 240 §7 des Ein­führungs­ge­set­ztes zum Bürg­er­lichen Geset­zbuch (EGBGB), der die Störung der Geschäfts­grund­lage auf­grund staatlich­er Coro­na-Maß­nah­men  ver­mutet, pos­i­tiv beant­wortet. Zwar trat das Gesetz erst zum 1. Dezem­ber 2020 in Kraft, eine Störung der Geschäfts­grund­lage ist jedoch, wie der BGH nun bestätigt hat, auch ohne diese Ver­mu­tungsregelung gegeben.

Keine pauschale Halbierung der Miete

Allerd­ings reicht, wie der BGH noch ein­mal klarstellt, selb­st eine schw­er­wiegende Störung der Geschäfts­grund­lage nicht aus, um eine Anpas­sung des Ver­trags zu ver­lan­gen. Es müsste dem Mieter darüber hin­aus auch unzu­mut­bar sein, am unverän­derten Ver­trag festzuhal­ten. Welche Anforderun­gen an dieses Tatbe­standsmerk­mal zu stellen sind, war in der Recht­sprechung der Ober­lan­des­gerichte zur Coro­na-Pan­demie bish­er nicht ein­heitlich beant­wortet wor­den. § 313 Abs. 1 BGB gibt bere­its in seinem Wort­laut die Kri­te­rien vor, anhand der­er eine Unzu­mut­barkeit festzustellen ist: die Berück­sich­ti­gung aller Umstände des Einzelfalls unter Ein­beziehung der ver­traglichen oder geset­zlichen Risikoverteilung.

Das OLG Dres­den als Vorin­stanz hat­te die Verpflich­tung, die voll­ständi­ge Miete zu bezahlen, bere­its dann für unzu­mut­bar gehal­ten, wenn es zu Schließungsanord­nun­gen von mehr als einem Monat kam. Das Risiko hat­te es je zur Hälfte auf die Mietver­tragsparteien verteilt, den Mietver­trag dementsprechend durch pauschale Hal­bierung der Miethöhe angepasst. Begrün­dung: Das ist gerecht!

Das ist nach der Entschei­dung des BGH nun nicht mehr möglich. Eine der­ar­tige pauschale Anpas­sung der Miete für Schließungszeiträume stellt keine Einzelfal­lab­wä­gung dar und entspricht nicht den Anforderun­gen des § 313 Abs. 1 BGB, macht der XII. Zivilse­n­at sehr deut­lich.

Zwar bleibt es auch nach der Entschei­dung des BGH dabei, dass die Coro­na-Pan­demie und daraus resul­tierende Schließun­gen keinem Risikobere­ich der Ver­tragsparteien zuzuord­nen sind. Es han­dele sich um ein all­ge­meines Leben­srisiko, das von der mietver­traglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende ver­tragliche Regelung nicht erfasst sei, so der Sen­at. Dass kein­er der Parteien das Risiko der Gebrauchs­beschränkun­gen anzu­las­ten ist, heiße aber nicht, dass die Miete ohne Berück­sich­ti­gung der konkreten Umstände pauschal um die Hälfte zu reduzieren sei.

Wann das Festhalten am Vertrag unzumutbar werden kann

Es muss vielmehr eine umfassende auf den Einzelfall bezo­gene Abwä­gung stat­tfind­en, bei der zunächst die Nachteile des Mieters und die Dauer der Geschäftss­chließung zu betra­cht­en sind. Der Nachteil liegt dabei ins­beson­dere im Umsatzrück­gang der betrof­fe­nen Fil­iale, also des konkreten Mieto­b­jek­ts.  Auf den Konz­er­num­satz komme es nicht an.

Dem OLG Dres­den, das diese Abwä­gung nun vornehmen muss, gibt der BGH außer­dem mit, dass es auch darauf ankommt, welche Maß­nah­men der Mieter ergrif­f­en hat oder ergreifen kon­nte, um die dro­hen­den Ver­luste während der Geschäftss­chließung zu ver­min­dern. Aber auch finanzielle Vorteile wie staatliche Hil­fen oder Betrieb­sver­sicherungsleis­tun­gen, die der Mieter als Aus­gle­ich der Coro­na-Nachteile erhal­ten hat, sind zu berück­sichti­gen. Eine exis­ten­zge­fährdende Lage allerd­ings brauche es nicht, um die Miete kürzen zu dür­fen. Schließlich seien auch die Inter­essen des Ver­mi­eters zu berück­sichti­gen.

Mehr Einigungsbereitschaft zwischen Mietern und Vermietern

Nun ist wohl einge­treten, was viele Gewerbe­mieter gefürchtet hat­ten: Sie kön­nen sich nicht pauschal auf eine hälftige Reduzierung der Miete berufen. Hinzu kommt, dass es die Mieter sind, die dar­legen und beweisen müssen, dass es ihnen nicht zumut­bar ist, für die Zeit des Lock­downs die volle Miete zu entricht­en. Denn sie sind es, die eine Anpas­sung der Verträge ver­lan­gen und die Tatbe­standsmerk­male des § 313 BGB dar­legen und beweisen müssen. Im Zweifel trifft den Mieter hier die volle Beweis­last.

Ob die Kürzung der Miete um die Hälfte – nach Einzelfal­lab­wä­gung — das Max­i­mum für die Anpas­sung des Ver­trages ist oder sog­ar noch mehr Miete gekürzt wer­den kann, dürfte noch zu klären sein.

Die Entschei­dung des BGH dürfte sich aber dur­chaus auf die Eini­gungs­bere­itschaft der Mietver­tragsparteien auswirken. Die Ver­mi­eter haben nun­mehr Klarheit, dass nicht erst eine exis­tenzbedrohliche Lage ihrer Mieter eine Anpas­sung des Ver­trags erfordern kann. Fest ste­ht auch, dass maßge­blich auf den Umsatz der Fil­iale des Mieto­b­jek­tes ankommt. Die Mieter hinge­gen kön­nen ihr Anpas­sungsver­lan­gen nicht mehr ein­fach nur gel­tend machen, son­dern müssen „liefern“.  Pauschale Behaup­tun­gen reichen nicht aus. Wie die Abwä­gung der entschei­den­den Gerichte am Ende aus­fällt, wis­sen allerd­ings bei­de Parteien weit­er­hin nicht.

Vertragsanpassung heißt nicht zwingend weniger Miete

Bei­de Parteien soll­ten dabei alle möglichen Anpas­sungsmöglichkeit­en des Ver­trags in Betra­cht ziehen. Fast schon selb­stver­ständlich gin­gen die Mieter bis­lang von ein­er Reduzierung oder einem teil­weisen Erlass der Miete aus.

Dabei ist das keineswegs eine zwin­gende Kon­se­quenz, selb­st wenn man dazu kommt, dass der Ver­trag angepasst wer­den sollte. Es gibt es auch andere Möglichkeit­en, Mietern ent­ge­gen­zukom­men und einen angemesse­nen Aus­gle­ich zu erzie­len. So kann man dur­chaus auch Stun­dun­gen und Raten­zahlungsvere­in­barun­gen in Betra­cht ziehen. Schließlich kön­nen, worauf auch der BGH hin­weist, mit Miet­zin­sre­duzierun­gen auch für die Ver­mi­eter­seite erhe­bliche Nachteile ein­herge­hen, zumal es zum Aus­gle­ich ent­gan­gener Mieten kein­er­lei staatliche Leis­tun­gen gibt. Auch diese Umstände soll­ten u.E. in die nun in jedem Einzelfall anste­hende Abwä­gung ein­fließen.

Die Autorin Lisa Knöll ist Fachan­wältin für Miet- und Woh­nung­seigen­tum­srecht bei SNP Schlaw­ien Part­ner­schaft mbB in München. Seit dem Beginn der Pan­demie hat sie Unternehmen in zahlre­ichen Rechtsstre­it­igkeit­en rund um die Auswirkun­gen von Coro­na-Maß­nah­men vertreten. https://de.linkedin.com/in/lisa-kn%C3%B6ll-0a293a13b

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Mietrecht 8. Mai 2024

Wohnraummietrecht: Keine fristlose Kündigung ohne Pflichtverletzung

Allein ein zerrüttetes Mietverhältnis und selbst eine Strafanzeige gegen die Vermieterin rechtfertigen keine außerordentliche fristlose Kündigung. Der BGH bescheinigte einer Vermieterin, es sei ihr nicht unzumutbar, dass die Mieterin bleibt, obwohl der Konflikt im Mietshaus bereits seit Jahren schwelte. Mit Urteil vom 29.11.2023 (Az. VIII ZR 211/22) hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass allein eine Zerrüttung des Mietverhältnisses keine außerordentlich...

Vertragsrecht 2. Februar 2023

Mängel beim Hauskauf: Keine Aufklärungspflicht über Bleileitungen über Putz

Augen auf beim Häuserkauf und immer an die Fristsetzung zur Mangelbeseitigung denken!  (mehr …)