Heise-Forenurteil reloaded

Medienrecht | 29. August 2006
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Für viel Auf­re­gung hat ja vor eini­gen Mona­ten das Hei­se-Foren­ur­teil des LG Ham­burg gesorgt. Auch das Law-Blog hat sich an Exege­se und Kri­tik der Ent­schei­dung ver­sucht. In der Sache ging es um die Fra­ge, inwie­weit ein Foren­be­trei­ber für Bei­trä­ge Drit­ter haf­tet. Im Hei­se-Forum hat­te ein Foren­nut­zer einen Blo­cka­de­auf­ruf gegen die Ser­ver eines schil­lern­den Inter­net-Dienst­leis­ters gepos­ted. Das LG Ham­burg hat­te in ers­ter Instanz in Gestalt einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung ent­schie­den, dass Hei­se als Stö­rer für die­sen – rechts­wid­ri­gen — Bei­trag haf­te.

Der Hei­se-Ver­lag ging in Beru­fung und ver­lor aber­mals. Aber mit bes­se­rem Tor­ver­hält­nis.

Die Entscheidung

In der Begrün­dung der Ent­schei­dung räumt das OLG – wenn es auch im Ergeb­nis im kon­kre­ten Fall mit dem LG über­ein­stimmt – der Mei­nungs­frei­heit einen höhe­ren Stel­len­wert ein. Das OLG beginnt auf gesi­cher­tem Ter­rain mit der Fest­stel­lung:

Da der Antrags­geg­ne­rin der Inhalt der Bei­trä­ge bei Ein­stel­len in das von Ihr eröff­ne­te Forum nicht bekannt war, kommt sie aller­dings weder als Täte­rin noch Teil­neh­me­rin (…) in Betracht. Ihr Bei­trag zu die­sen Ver­öf­fent­li­chun­gen bestehet aus­schließ­lich dar­in, gene­rell ein Forum die Bei­trä­ge Drit­ter zu Ver­fü­gung gestellt zu haben. Wie sich aus § 9 MDStV ent­neh­men lässt, sind Medi­en­diens­te­an­bie­ter im All­ge­mei­nen nicht für frem­de Infor­ma­tio­nen ver­ant­wort­lich (…) sofern sie von dem rechts­wid­ri­gen Bei­trag kei­ne Kennt­nis haben und sofern sie nach Kennt­nis unver­züg­lich tätig gewor­den sind, um die Infor­ma­tio­nen zu ent­fer­nen.
Wie der BGH in dem Urteil vom 11.3.2004 in Bezug auf die gleich lau­ten­de Bestim­mung des § 11 TDG aus­ge­führt hat, schließt dies aller­dings eine wei­ter­ge­hen­de Vers­ant­wor­tung im Rah­men von Unter­las­sungs­an­sprü­chen nicht aus.

In der Tat hat der BGH so ent­schei­den, letzt­lich wohl auf­grund einer bedenk­lich schlech­ten For­mu­lie­rung im Gesetz. Schul­buch­ar­tig fährt das OLG fort:

In Betracht kommt jedoch ein Unter­las­sungs­an­spruch gegen den Foren­be­trei­ber als Stö­rer.

Die Inan­spruch­nah­me als Stö­rer kommt aber nur in Betracht, sofern der Stö­rer eige­ne Prü­fungs­pflich­ten ver­letzt hat. Und das geht – so übri­gens im zitier­ten Urteil auch der BGH – nicht so schnell, wie man­che Land­ge­rich­te das in einst­wei­li­gen Ver­fü­gun­gen anneh­men. Denn:

Dabei ist ins­be­son­de­re zu beach­ten, dass das Betrei­ben eines Inter­net­fo­rums unter dem Schutz der Pres­se- und Mei­nungs­äu­ße­rungs­frei­heit steht, und dass die Exis­tenz eines der­ar­ti­gen Forums bei Über­span­nung der Über­wa­chungs­pflich­ten gefähr­det wäre.

Nach­fol­gend zieht das Gericht eine ele­gan­te Par­al­le­le zur Live-TV-Bericht­erstat­tung und führt hier aus:

Dem gemäß wird nur dann von einer Haf­tung des Medi­ums aus­ge­gan­gen, wenn sich die­ses nicht in ange­mes­se­ner Wei­se von dem Inhalt der Äuße­run­gen distan­ziert oder die­se sogar bewusst pro­vo­ziert hat.

Aber – so das Gericht wei­ter – ab und an muss man, Mei­nungs­frei­heit hin oder her, jeden­falls das eige­ne Forum (gemeint ist aber der jewei­li­ge Thread) über­wa­chen, wenn der Betrei­ber

(…) ent­we­der durch sein eige­nes Ver­hal­ten vor­her­seh­bar rechts­wid­ri­ge Bei­tra­ge Drit­ter pro­vo­ziert hat, oder wenn ihm bereits min­des­tens eine Rechts­ver­let­zungs­hand­lung von eini­gem Gericht im Rah­men des Forums benannt wor­den ist, und sich damit die Gefahr wei­te­rer Rechts­ver­let­zungs­hand­lun­gen durch ein­zel­ne Nut­zer bereits kon­kre­ti­siert hat.

Und dar­an hat es Hei­se vor­lie­gend nach Ansicht des OLG man­geln las­sen. Man hat nach den ers­ten rechts­ver­let­zen­den Bei­trä­gen nicht wei­ter über­wacht, obwohl man gewarnt war. Das läßt sich hören.

Bei der Fra­ge des zumut­ba­ren Umfangs der Über­wa­chungs­pflich­ten dif­fe­ren­ziert das OLG – vie­le wird’s freu­en – dann noch zwi­schen gewerb­li­chen und nicht­ge­werb­li­chen Betrei­bern von Foren. Ers­te­ren ist eine Über­wa­chung eher zuzu­mu­ten.

Fazit

Das OLG scheint mir ein recht ver­nünf­ti­ges und nach­voll­zieh­ba­res Haf­tungs­kon­zept dar­zu­le­gen. Nach­schau­en muss der Foren­be­trei­ber, wenn er Äuße­run­gen selbst pro­vo­ziert oder durch vor­an­ge­gan­ge­ne Ereig­nis­se gewarnt ist. Er muss nur da (in dem Unter­fo­rum / Thread) nach­schau­en, wo Rechts­ver­let­zun­gen zu erwar­ten sind und er muss als Gewerb­li­cher eher auf der Hut sein als ein Hob­by-Foren­be­trei­ber.

Inter­es­san­ter­wei­se hat das LG Ham­burg in sei­ner Ent­schei­dung in der Sache kaum ande­res dar­ge­legt – aller­dings in der Tat auf dem Boden eines sehr viel restrik­ti­ve­ren Ansat­zes.

Im Ergeb­nis lässt es sich treff­lich strei­ten, was das neu­er­li­che Urteil für Aus­wir­kun­gen haben wird. Letzt­lich haben LG und OLG bei­de nur einen – wenn auch pro­mi­nen­ten – Ein­zel­fall ent­schie­den, wie das Gerich­te nun ein­mal tun (müs­sen). Die Kri­te­ri­en sind vom BGH vor­ge­ge­ben und ver­nünf­tig. Wann kon­kret eine Prüf­pflicht ver­letzt ist, wird auch in Zukunft von Sach­ver­halt zu Sach­ver­halt unter­schied­lich beur­teilt wer­den.

Wei­te­re Auf­re­ger sind mit­hin durch­aus zu erwar­ten.

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