Die Schweiz und das Recht auf Privatkopie — ein Vorbild für Deutschland?

Urheberrecht | 20. Dezember 2006
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Die Schweiz ken­nt man als nettes kleines Land, in dem es mehr Sprachen als Ein­wohn­er gibt und das vor allem aus Bergen, Käse und Bankge­heim­nis beste­ht. Weniger bekan­nt ist, dass hier auch an lib­eralen Entwür­fen für das Urhe­ber­recht gear­beit­et wird. Und das offen­sichtlich mit gewis­sem Erfolg.

Heute hat der Schweiz­er Stän­der­at eine Vor­lage des Bun­desrates zur Anpas­sung des URG — das ist das Schweiz­er Pen­dant zum UrhG — mit nur ein­er Änderun­gen ein­stim­mig und angenom­men. Dabei geht es um eine ganze Rei­he von Punk­ten. Vieles dient der Har­mon­isierung mit dem EU-Recht — zwar ist die Schweiz kein Mit­glied, man munkelt aber, die Schweiz­er Geset­ze wäre so gut har­mon­isiert, dass mögliche Beitrittsver­hand­lun­gen in drei Tagen bei Kaf­fee und Kuchen erfol­gre­ich geführt wer­den kön­nten.

Wirk­lich span­nend ist die Schweiz­er Lösung zur Umge­hung von „tech­nis­chen Schutz­maß­nah­men“, vul­go: Koperischutz und Dig­i­tal Rights Man­age­ment (DRM). Es gibt dieses Umge­hungsver­bot in Zukun­ft auch in der Schweiz. Es kann aber von den Rechtein­hab­ern wed­er ziv­il- noch strafrechtlich durchge­set­zt wer­den kann, wenn die Umge­hung auss­chließlich zum Zweck ein­er geset­zlich erlaubten Ver­wen­dung vorgenom­men wird.

In der Sache ist dies also eine Art Selb­sthil­fer­echt u.a. zur Durch­set­zung der Pri­vatkopie, denn die ist solch eine Schranke. Die Pri­vatkopie wird damit zum echt­en „Recht“, anders als in Deutsch­land.

Das geht sog­ar noch weit­er. Wer selb­st nicht in der Lage ist, tech­nis­che Maß­nah­men zu umge­hen, um eine geset­zlich erlaubte Ver­wen­dung vorzunehmen, erhält zwar zunächst noch keinen Anspruch gegen den Rechtein­hab­er, dass ihm dieser den die Umge­hung der Maß­nahme ermöglicht. Es wird aber eine Beobach­tungsstelle ein­gerichtet, welche die die Auswirkun­gen von tech­nis­chen Maß­nah­men auf die geset­zlichen Schranken des Urhe­ber­rechts beobachtet und part­ner­schaftliche Lösun­gen zwis­chen Anwen­dern und Nutzer-/Kon­sumentenkreisen fördert. Wenn das öffentliche Inter­esse, dass in den Schranken zum Aus­druck kommt es erfordert, sollen auch weit­erge­hende Maß­nah­men ver­fügt wer­den kön­nen.

Das ist zum Teil mehr, zum Teil aber auch weniger, als das deutsche Recht derzeit vor­sieht. Hier gibt es den § 95a UrhG, der die Umge­hung von tech­nis­chen Maß­nah­men ver­bi­etet:

§ 95a UrhG: Schutz tech­nis­ch­er Maß­nah­men

(1) Wirk­same tech­nis­che Maß­nah­men zum Schutz eines nach diesem Gesetz geschützten Werkes oder eines anderen nach diesem Gesetz geschützten Schutzge­gen­standes dür­fen ohne Zus­tim­mung des Rechtsin­hab­ers nicht umgan­gen wer­den, soweit dem Han­del­nden bekan­nt ist oder den Umstän­den nach bekan­nt sein muss, dass die Umge­hung erfol­gt, um den Zugang zu einem solchen Werk oder Schutzge­gen­stand oder deren Nutzung zu ermöglichen.
(2) Tech­nis­che Maß­nah­men im Sinne dieses Geset­zes sind Tech­nolo­gien, Vor­rich­tun­gen und Bestandteile, die im nor­malen Betrieb dazu bes­timmt sind, geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzge­gen­stände betr­e­f­fende Hand­lun­gen, die vom Rechtsin­hab­er nicht genehmigt sind, zu ver­hin­dern oder einzuschränken. Tech­nis­che Maß­nah­men sind wirk­sam, soweit durch sie die Nutzung eines geschützten Werkes oder eines anderen nach diesem Gesetz geschützten Schutzge­gen­standes von dem Rechtsin­hab­er durch eine Zugangskon­trolle, einen Schutzmech­a­nis­mus wie Ver­schlüs­selung, Verz­er­rung oder son­stige Umwand­lung oder einen Mech­a­nis­mus zur Kon­trolle der Vervielfäl­ti­gung, die die Erre­ichung des Schutzziels sich­er­stellen, unter Kon­trolle gehal­ten wird. (…)

Der nach­fol­gende § 95b UrhG gibt in Deutsch­land dur­chaus das Recht, Schrankenbes­tim­mungen auch durchzuset­zen. Aber nicht für alle Schranken, ins­beson­dere nicht für die Pri­vatkopie, jeden­falls in deren Kern­bere­ich. Was beson­ders toll ist: er nen­nt sog­ar noch die Vorschrift über die Pri­vatkopie, ges­tat­tet die Durch­set­zung des Rechts aber nur in Rand­bere­ichen. Damit dürfte er eine der irreführen­desten Vorschriften im Deutschen Recht außer­halb der Steuerge­set­ze sein:

§ 95b UrhG — Durch­set­zung von Schrankenbes­tim­mungen

(1) Soweit ein Rechtsin­hab­er tech­nis­che Maß­nah­men nach Maß­gabe dieses Geset­zes anwen­det, ist er verpflichtet, den durch eine der nach­fol­gend genan­nten Bes­tim­mungen Begün­stigten, soweit sie recht­mäßig Zugang zu dem Werk oder Schutzge­gen­stand haben, die notwendi­gen Mit­tel zur Ver­fü­gung zu stellen, um von diesen Bes­tim­mungen in dem erforder­lichen Maße Gebrauch machen zu kön­nen:

1. § 45 (Recht­spflege und öffentliche Sicher­heit),
2. § 45a (Behin­derte Men­schen),
3. § 46 (Samm­lun­gen für Kirchen‑, Schul- oder Unter­richts­ge­brauch), mit Aus­nahme des Kirchenge­brauchs,
4. § 47 (Schul­funksendun­gen),
5. § 52a (Öffentliche Zugänglich­machung für Unter­richt und Forschung),
6. § 53 (Vervielfäl­ti­gun­gen zum pri­vat­en und son­sti­gen eige­nen Gebrauch)
a) Absatz 1, soweit es sich um Vervielfäl­ti­gun­gen auf Papi­er oder einen ähn­lichen Träger mit­tels beliebiger pho­to­mech­anis­ch­er Ver­fahren oder ander­er Ver­fahren mit ähn­lich­er Wirkung han­delt,
b) Absatz 2 Satz 1 Nr. 1,
c) Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Satz 2 Nr. 1 oder 3,
d) Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 jew­eils in Verbindung mit Satz 2 Nr. 1 und Satz 3,
e) Absatz 3,
7. § 55 (Vervielfäl­ti­gung durch Sende­un­ternehmen).

Damit Sie prüfen kön­nen was geht: hier noch ein­mal die Vorschrift über die Pri­vatkopie:

§ 53 UrhG — Vervielfäl­ti­gun­gen zum pri­vat­en und son­sti­gen eige­nen Gebrauch

(1) Zuläs­sig sind einzelne Vervielfäl­ti­gun­gen eines Werkes durch eine natür­liche Per­son zum pri­vat­en Gebrauch auf beliebi­gen Trägern, sofern sie wed­er unmit­tel­bar noch mit­tel­bar Erwerb­szweck­en dienen, soweit nicht zur Vervielfäl­ti­gung eine offen­sichtlich rechtswidrig hergestellte Vor­lage ver­wen­det wird. Der zur Vervielfäl­ti­gung Befugte darf die Vervielfäl­ti­gungsstücke auch durch einen anderen her­stellen lassen, sofern dies unent­geltlich geschieht oder es sich um Vervielfäl­ti­gun­gen auf Papi­er oder einem ähn­lichen Träger mit­tels beliebiger pho­to­mech­anis­ch­er Ver­fahren oder ander­er Ver­fahren mit ähn­lich­er Wirkung han­delt.

(2) Zuläs­sig ist, einzelne Vervielfäl­ti­gungsstücke eines Werkes herzustellen oder her­stellen zu lassen

1. zum eige­nen wis­senschaftlichen Gebrauch, wenn und soweit die Vervielfäl­ti­gung zu diesem Zweck geboten ist,
2. zur Auf­nahme in ein eigenes Archiv, wenn und soweit die Vervielfäl­ti­gung zu diesem Zweck geboten ist und als Vor­lage für die Vervielfäl­ti­gung ein eigenes Werk­stück benutzt wird,
3. zur eige­nen Unter­rich­tung über Tages­fra­gen, wenn es sich um ein durch Funk gesendetes Werk han­delt,
4. zum son­sti­gen eige­nen Gebrauch,

a) wenn es sich um kleine Teile eines erschiene­nen Werkes oder um einzelne Beiträge han­delt, die in Zeitun­gen oder Zeitschriften erschienen sind,
b) wenn es sich um ein seit min­destens zwei Jahren ver­grif­f­enes Werk han­delt.

Dies gilt im Fall des Satzes 1 Nr. 2 nur, wenn zusät­zlich

1. die Vervielfäl­ti­gung auf Papi­er oder einem ähn­lichen Träger mit­tels beliebiger pho­to­mech­anis­ch­er Ver­fahren oder ander­er Ver­fahren mit ähn­lich­er Wirkung vorgenom­men wird oder
2. eine auss­chließlich analoge Nutzung stat­tfind­et oder
3. das Archiv keinen unmit­tel­bar oder mit­tel­bar wirtschaftlichen oder Erwerb­szweck ver­fol­gt.
Dies gilt in den Fällen des Satzes 1 Nr. 3 und 4 nur, wenn zusät­zlich eine der Voraus­set­zun­gen des Satzes 2 Nr. 1 oder 2 vor­liegt.

(3) Zuläs­sig ist, Vervielfäl­ti­gungsstücke von kleinen Teilen eines Werkes, von Werken von geringem Umfang oder von einzel­nen Beiträ­gen, die in Zeitun­gen oder Zeitschriften erschienen oder öffentlich zugänglich gemacht wor­den sind, zum eige­nen Gebrauch

1. im Schu­lun­ter­richt, in nicht­gewerblichen Ein­rich­tun­gen der Aus- und Weit­er­bil­dung sowie in Ein­rich­tun­gen der Berufs­bil­dung in der für eine Schulk­lasse erforder­lichen Anzahl oder
2. für staatliche Prü­fun­gen und Prü­fun­gen in Schulen, Hochschulen, in nicht­gewerblichen Ein­rich­tun­gen der Aus- und Weit­er­bil­dung sowie in der Berufs­bil­dung in der erforder­lichen Anzahl

herzustellen oder her­stellen zu lassen, wenn und soweit die Vervielfäl­ti­gung zu diesem Zweck geboten ist. (…)

Falls Sie das Gefühl haben, dass das reich­lich kom­pliziert gewor­den ist und kein Men­sch mehr ver­ste­ht, was eigentlich gemeint, was erlaubt und was ver­boten ist: Sie haben Recht. Die Regelung ist kom­pliziert, kasu­is­tisch, unver­ständlich und vor allem unnötig.

Die Schranke der Pri­vatkopie ist unter anderem einge­führt wor­den, weil man den pri­vat­en Bere­ich der Men­schen vor den neugieri­gen Blick­en Drit­ter schützen wollte. Dort soll­ten, wenn Ton­bän­der (gab’s 1965 als das UrhR ent­stand) klnades­tin bei Kerzen­schein kopiert wer­den, wed­er der Staat mit Straf­barkeit (nur zur Klarstel­lung: die Umge­hung von tech­nis­chen Maß­nah­men für rein pri­vate Zwecke ist auch heute nicht straf­bar, § 108b UrhG) noch die Musikin­dus­trie mit Unter­las­sungsansprüchen lauern. Dafür suchte man eine klar und ver­ständliche Regelung und fand diese auch. Es ist Zeit, zu diesem Zus­tand zurück­zukehren. Die Schweiz macht vor, dass das auch in Kul­turlän­dern möglich ist.

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Wettbewerbsrecht 16. Februar 2023

BGH zu Affiliate-Marketing: Alles ist schrecklich, aber Amazon haftet trotzdem nicht für seine Partner

Amazon muss nicht für seine Affiliate-Partner haften, entschied der Bundesgerichtshof. Rechtlich ist das Urteil kaum zu beanstanden, aber trotzdem hinterlässt es einen bitteren Nachgeschmack. Eine Einschätzung von Arne Trautmann.  (mehr …)

Crypto 20. Januar 2023

DAO: Die codierte Organisation

Haben Sie schon jemals darüber nachgedacht, was sich hinter dem Begriff „dezentralisierte autonome Organisation“ (DAO) verbirgt und welchen Einfluss die DAO im Alltag hat? Arne Trautmann berichtet aus der Fachwelt.  (mehr …)