Die Schweiz und das Recht auf Privatkopie — ein Vorbild für Deutschland?

Urheberrecht | 20. Dezember 2006
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Die Schweiz kennt man als net­tes klei­nes Land, in dem es mehr Spra­chen als Ein­woh­ner gibt und das vor allem aus Ber­gen, Käse und Bank­ge­heim­nis besteht. Weni­ger bekannt ist, dass hier auch an libe­ra­len Ent­wür­fen für das Urhe­ber­recht gear­bei­tet wird. Und das offen­sicht­lich mit gewis­sem Erfolg.

Heu­te hat der Schwei­zer Stän­de­rat eine Vor­la­ge des Bun­des­ra­tes zur Anpas­sung des URG — das ist das Schwei­zer Pen­dant zum UrhG — mit nur einer Ände­run­gen ein­stim­mig und ange­nom­men. Dabei geht es um eine gan­ze Rei­he von Punk­ten. Vie­les dient der Har­mo­ni­sie­rung mit dem EU-Recht — zwar ist die Schweiz kein Mit­glied, man mun­kelt aber, die Schwei­zer Geset­ze wäre so gut har­mo­ni­siert, dass mög­li­che Bei­tritts­ver­hand­lun­gen in drei Tagen bei Kaf­fee und Kuchen erfolg­reich geführt wer­den könn­ten.

Wirk­lich span­nend ist die Schwei­zer Lösung zur Umge­hung von „tech­ni­schen Schutz­maß­nah­men“, vul­go: Kope­ri­schutz und Digi­tal Rights Manage­ment (DRM). Es gibt die­ses Umge­hungs­ver­bot in Zukunft auch in der Schweiz. Es kann aber von den Rech­te­inha­bern weder zivil- noch straf­recht­lich durch­ge­setzt wer­den kann, wenn die Umge­hung aus­schließ­lich zum Zweck einer gesetz­lich erlaub­ten Ver­wen­dung vor­ge­nom­men wird.

In der Sache ist dies also eine Art Selbst­hil­fe­recht u.a. zur Durch­set­zung der Pri­vat­ko­pie, denn die ist solch eine Schran­ke. Die Pri­vat­ko­pie wird damit zum ech­ten „Recht“, anders als in Deutsch­land.

Das geht sogar noch wei­ter. Wer selbst nicht in der Lage ist, tech­ni­sche Maß­nah­men zu umge­hen, um eine gesetz­lich erlaub­te Ver­wen­dung vor­zu­neh­men, erhält zwar zunächst noch kei­nen Anspruch gegen den Rech­te­inha­ber, dass ihm die­ser den die Umge­hung der Maß­nah­me ermög­licht. Es wird aber eine Beob­ach­tungs­stel­le ein­ge­rich­tet, wel­che die die Aus­wir­kun­gen von tech­ni­schen Maß­nah­men auf die gesetz­li­chen Schran­ken des Urhe­ber­rechts beob­ach­tet und part­ner­schaft­li­che Lösun­gen zwi­schen Anwen­dern und Nut­zer-/Kon­su­men­ten­krei­sen för­dert. Wenn das öffent­li­che Inter­es­se, dass in den Schran­ken zum Aus­druck kommt es erfor­dert, sol­len auch wei­ter­ge­hen­de Maß­nah­men ver­fügt wer­den kön­nen.

Das ist zum Teil mehr, zum Teil aber auch weni­ger, als das deut­sche Recht der­zeit vor­sieht. Hier gibt es den § 95a UrhG, der die Umge­hung von tech­ni­schen Maß­nah­men ver­bie­tet:

§ 95a UrhG: Schutz tech­ni­scher Maß­nah­men

(1) Wirk­sa­me tech­ni­sche Maß­nah­men zum Schutz eines nach die­sem Gesetz geschütz­ten Wer­kes oder eines ande­ren nach die­sem Gesetz geschütz­ten Schutz­ge­gen­stan­des dür­fen ohne Zustim­mung des Rechts­in­ha­bers nicht umgan­gen wer­den, soweit dem Han­deln­den bekannt ist oder den Umstän­den nach bekannt sein muss, dass die Umge­hung erfolgt, um den Zugang zu einem sol­chen Werk oder Schutz­ge­gen­stand oder deren Nut­zung zu ermög­li­chen.
(2) Tech­ni­sche Maß­nah­men im Sin­ne die­ses Geset­zes sind Tech­no­lo­gien, Vor­rich­tun­gen und Bestand­tei­le, die im nor­ma­len Betrieb dazu bestimmt sind, geschütz­te Wer­ke oder ande­re nach die­sem Gesetz geschütz­te Schutz­ge­gen­stän­de betref­fen­de Hand­lun­gen, die vom Rechts­in­ha­ber nicht geneh­migt sind, zu ver­hin­dern oder ein­zu­schrän­ken. Tech­ni­sche Maß­nah­men sind wirk­sam, soweit durch sie die Nut­zung eines geschütz­ten Wer­kes oder eines ande­ren nach die­sem Gesetz geschütz­ten Schutz­ge­gen­stan­des von dem Rechts­in­ha­ber durch eine Zugangs­kon­trol­le, einen Schutz­me­cha­nis­mus wie Ver­schlüs­se­lung, Ver­zer­rung oder sons­ti­ge Umwand­lung oder einen Mecha­nis­mus zur Kon­trol­le der Ver­viel­fäl­ti­gung, die die Errei­chung des Schutz­ziels sicher­stel­len, unter Kon­trol­le gehal­ten wird. (…)

Der nach­fol­gen­de § 95b UrhG gibt in Deutsch­land durch­aus das Recht, Schran­ken­be­stim­mun­gen auch durch­zu­set­zen. Aber nicht für alle Schran­ken, ins­be­son­de­re nicht für die Pri­vat­ko­pie, jeden­falls in deren Kern­be­reich. Was beson­ders toll ist: er nennt sogar noch die Vor­schrift über die Pri­vat­ko­pie, gestat­tet die Durch­set­zung des Rechts aber nur in Rand­be­rei­chen. Damit dürf­te er eine der irre­füh­ren­des­ten Vor­schrif­ten im Deut­schen Recht außer­halb der Steu­er­ge­set­ze sein:

§ 95b UrhG — Durch­set­zung von Schran­ken­be­stim­mun­gen

(1) Soweit ein Rechts­in­ha­ber tech­ni­sche Maß­nah­men nach Maß­ga­be die­ses Geset­zes anwen­det, ist er ver­pflich­tet, den durch eine der nach­fol­gend genann­ten Bestim­mun­gen Begüns­tig­ten, soweit sie recht­mä­ßig Zugang zu dem Werk oder Schutz­ge­gen­stand haben, die not­wen­di­gen Mit­tel zur Ver­fü­gung zu stel­len, um von die­sen Bestim­mun­gen in dem erfor­der­li­chen Maße Gebrauch machen zu kön­nen:

1. § 45 (Rechts­pfle­ge und öffent­li­che Sicher­heit),
2. § 45a (Behin­der­te Men­schen),
3. § 46 (Samm­lun­gen für Kirchen‑, Schul- oder Unter­richts­ge­brauch), mit Aus­nah­me des Kir­chen­ge­brauchs,
4. § 47 (Schul­funk­sen­dun­gen),
5. § 52a (Öffent­li­che Zugäng­lich­ma­chung für Unter­richt und For­schung),
6. § 53 (Ver­viel­fäl­ti­gun­gen zum pri­va­ten und sons­ti­gen eige­nen Gebrauch)
a) Absatz 1, soweit es sich um Ver­viel­fäl­ti­gun­gen auf Papier oder einen ähn­li­chen Trä­ger mit­tels belie­bi­ger pho­to­me­cha­ni­scher Ver­fah­ren oder ande­rer Ver­fah­ren mit ähn­li­cher Wir­kung han­delt,
b) Absatz 2 Satz 1 Nr. 1,
c) Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 in Ver­bin­dung mit Satz 2 Nr. 1 oder 3,
d) Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 jeweils in Ver­bin­dung mit Satz 2 Nr. 1 und Satz 3,
e) Absatz 3,
7. § 55 (Ver­viel­fäl­ti­gung durch Sen­de­un­ter­neh­men).

Damit Sie prü­fen kön­nen was geht: hier noch ein­mal die Vor­schrift über die Pri­vat­ko­pie:

§ 53 UrhG — Ver­viel­fäl­ti­gun­gen zum pri­va­ten und sons­ti­gen eige­nen Gebrauch

(1) Zuläs­sig sind ein­zel­ne Ver­viel­fäl­ti­gun­gen eines Wer­kes durch eine natür­li­che Per­son zum pri­va­ten Gebrauch auf belie­bi­gen Trä­gern, sofern sie weder unmit­tel­bar noch mit­tel­bar Erwerbs­zwe­cken die­nen, soweit nicht zur Ver­viel­fäl­ti­gung eine offen­sicht­lich rechts­wid­rig her­ge­stell­te Vor­la­ge ver­wen­det wird. Der zur Ver­viel­fäl­ti­gung Befug­te darf die Ver­viel­fäl­ti­gungs­stü­cke auch durch einen ande­ren her­stel­len las­sen, sofern dies unent­gelt­lich geschieht oder es sich um Ver­viel­fäl­ti­gun­gen auf Papier oder einem ähn­li­chen Trä­ger mit­tels belie­bi­ger pho­to­me­cha­ni­scher Ver­fah­ren oder ande­rer Ver­fah­ren mit ähn­li­cher Wir­kung han­delt.

(2) Zuläs­sig ist, ein­zel­ne Ver­viel­fäl­ti­gungs­stü­cke eines Wer­kes her­zu­stel­len oder her­stel­len zu las­sen

1. zum eige­nen wis­sen­schaft­li­chen Gebrauch, wenn und soweit die Ver­viel­fäl­ti­gung zu die­sem Zweck gebo­ten ist,
2. zur Auf­nah­me in ein eige­nes Archiv, wenn und soweit die Ver­viel­fäl­ti­gung zu die­sem Zweck gebo­ten ist und als Vor­la­ge für die Ver­viel­fäl­ti­gung ein eige­nes Werk­stück benutzt wird,
3. zur eige­nen Unter­rich­tung über Tages­fra­gen, wenn es sich um ein durch Funk gesen­de­tes Werk han­delt,
4. zum sons­ti­gen eige­nen Gebrauch,

a) wenn es sich um klei­ne Tei­le eines erschie­ne­nen Wer­kes oder um ein­zel­ne Bei­trä­ge han­delt, die in Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten erschie­nen sind,
b) wenn es sich um ein seit min­des­tens zwei Jah­ren ver­grif­fe­nes Werk han­delt.

Dies gilt im Fall des Sat­zes 1 Nr. 2 nur, wenn zusätz­lich

1. die Ver­viel­fäl­ti­gung auf Papier oder einem ähn­li­chen Trä­ger mit­tels belie­bi­ger pho­to­me­cha­ni­scher Ver­fah­ren oder ande­rer Ver­fah­ren mit ähn­li­cher Wir­kung vor­ge­nom­men wird oder
2. eine aus­schließ­lich ana­lo­ge Nut­zung statt­fin­det oder
3. das Archiv kei­nen unmit­tel­bar oder mit­tel­bar wirt­schaft­li­chen oder Erwerbs­zweck ver­folgt.
Dies gilt in den Fäl­len des Sat­zes 1 Nr. 3 und 4 nur, wenn zusätz­lich eine der Vor­aus­set­zun­gen des Sat­zes 2 Nr. 1 oder 2 vor­liegt.

(3) Zuläs­sig ist, Ver­viel­fäl­ti­gungs­stü­cke von klei­nen Tei­len eines Wer­kes, von Wer­ken von gerin­gem Umfang oder von ein­zel­nen Bei­trä­gen, die in Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten erschie­nen oder öffent­lich zugäng­lich gemacht wor­den sind, zum eige­nen Gebrauch

1. im Schul­un­ter­richt, in nicht­ge­werb­li­chen Ein­rich­tun­gen der Aus- und Wei­ter­bil­dung sowie in Ein­rich­tun­gen der Berufs­bil­dung in der für eine Schul­klas­se erfor­der­li­chen Anzahl oder
2. für staat­li­che Prü­fun­gen und Prü­fun­gen in Schu­len, Hoch­schu­len, in nicht­ge­werb­li­chen Ein­rich­tun­gen der Aus- und Wei­ter­bil­dung sowie in der Berufs­bil­dung in der erfor­der­li­chen Anzahl

her­zu­stel­len oder her­stel­len zu las­sen, wenn und soweit die Ver­viel­fäl­ti­gung zu die­sem Zweck gebo­ten ist. (…)

Falls Sie das Gefühl haben, dass das reich­lich kom­pli­ziert gewor­den ist und kein Mensch mehr ver­steht, was eigent­lich gemeint, was erlaubt und was ver­bo­ten ist: Sie haben Recht. Die Rege­lung ist kom­pli­ziert, kasu­is­tisch, unver­ständ­lich und vor allem unnö­tig.

Die Schran­ke der Pri­vat­ko­pie ist unter ande­rem ein­ge­führt wor­den, weil man den pri­va­ten Bereich der Men­schen vor den neu­gie­ri­gen Bli­cken Drit­ter schüt­zen woll­te. Dort soll­ten, wenn Ton­bän­der (gab’s 1965 als das UrhR ent­stand) klna­des­tin bei Ker­zen­schein kopiert wer­den, weder der Staat mit Straf­bar­keit (nur zur Klar­stel­lung: die Umge­hung von tech­ni­schen Maß­nah­men für rein pri­va­te Zwe­cke ist auch heu­te nicht straf­bar, § 108b UrhG) noch die Musik­in­dus­trie mit Unter­las­sungs­an­sprü­chen lau­ern. Dafür such­te man eine klar und ver­ständ­li­che Rege­lung und fand die­se auch. Es ist Zeit, zu die­sem Zustand zurück­zu­keh­ren. Die Schweiz macht vor, dass das auch in Kul­tur­län­dern mög­lich ist.

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