Pressefreiheit vs. Persönlichkeitsrecht: volle Namensnennung bei Berichten zulässig?

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Mit der Fra­ge, ob bei einer Bericht­erstat­tung im öffent­li­chen Inter­es­se der vol­le Name eines Betrof­fe­nen genannt wer­den darf, beschäf­tigt sich der BGH in sei­nem Urteil (PDF) vom 21.11.2006, AZ. VI ZR 259/05. Der Inhalt des Urteils ist dabei kei­nes­wegs über­ra­schend. Er kon­kre­ti­siert und bestä­tigt aber in dan­kens­wer­ter Wei­se die zu die­ser Fra­ge in der Recht­spre­chung immer schon ver­tre­ten­den Grund­sät­ze. Span­nend ist die Ange­le­gen­heit vor allen Din­gen des­we­gen, weil es — in der Blogo­sphä­re ist dies bekannt — in letz­ter Zeit gera­de in zu die­sem Punkt eini­ge Strei­tig­kei­ten und Abmah­nun­gen gege­ben hat.

Im kon­kre­ten vom Gericht ent­schie­de­nen Fall ging es um den Geschäfts­füh­rer drei­er Kli­ni­ken in Bran­den­burg mit mehr als 900 Ange­stell­ten. Nach ganz erheb­li­chen Vor­wür­fen gegen die Per­son des Geschäfts­füh­rers — es ging um Belei­di­gun­gen, mas­si­ve Bedro­hun­gen, Lügen, Ver­leum­dung und Dif­fa­mie­run­gen — wur­de er abbe­ru­fen und beur­laubt. Ver­ständ­li­cher­wei­se zog die Ange­le­gen­heit in ganz erheb­li­chem Aus­maß das Inter­es­se der loka­len, aber auch regio­na­len und über­re­gio­na­len Pres­se auf sich. Ins­be­son­de­re brach­te eine Nach­rich­ten­agen­tur eine Pres­se­mel­dung unter vol­ler Nen­nung des Namens des ehe­ma­li­gen Geschäfts­füh­rers her­aus. Das miss­fiel die­sem und er klag­te gegen die Ver­öf­fent­li­chung und Ver­brei­tung die­ser Mel­dung.

Zu unrecht, wie der BGH nun ent­ge­gen der Vor­in­stanz fest­stell­te.

Der Klä­ger berief sich im vor­lie­gen­den Fall auf sein all­ge­mei­nes Per­sön­lich­keits­recht. Ansatz­punkt im Zivil­recht ist § 823 I, II BGB, das Recht selbst ergibt sich aber vor allem Art. 1 I und 2 I GG. Die­ses all­ge­mei­ne Per­sön­lich­keits­recht beinhal­tet auch das Recht, anonym zu blei­ben und nicht gleich­sam in die „Öffent­lich­keit gezerrt zu wer­den“. Bes­ser bekannt ist die­ser Aspekt des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts viel­leicht als das „Recht, in Ruhe gelas­sen zu wer­den“, wie es sehr bild­lich etwa das ame­ri­ka­ni­sche Rechts­sys­tem kennt: „The right to be let alo­ne“.

Natür­lich kann die­ses Recht nicht unbe­schränkt und unbe­se­hen gewährt wer­den, sonst wäre eine Bericht­erstat­tung über die täg­li­chen Vor­gän­ge der Pres­se prak­tisch ver­wehrt. Es muss daher eine Abwä­gung der ein­an­der wider­strei­ten­den Inter­es­sen — hier das Per­sön­lich­keits­rechts des Betrof­fe­nen und des Berichts­er­stat­tungs­in­ter­es­ses der Pres­se und All­ge­mein­heit — getrof­fen wer­den. Dies ist umso not­wen­di­ger, weil der Begriff des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts im § 823 I, II BGB sehr weit ist, unend­lich vie­le Hand­lun­gen und Ver­hal­tens­wei­sen in den Bereich die­ses Rechts ein­grei­fen. Die Tat­sa­che eines sol­chen Ein­griffs allein impli­ziert damit noch nicht eine Ver­let­zung des Rechts.

Im vor­lie­gen­den Fall stellt der BGH fest, dass es sich bei dem ange­grif­fen Ver­hal­tens­wei­sen um Bericht­erstat­tung über die beruf­li­che Tätig­keit des Klä­gers han­delt. Er ist damit in sei­ner sog. „Sozi­al­sphä­re“ betrof­fen, ganz im Gegen­satz zur Pri­vat- oder gar Intim­sphä­re. Wei­ter führt das Gericht aus:

Äuße­run­gen zu der Sozi­al­sphä­re des­je­ni­gen, über den berich­tet wird, dür­fen nur im Fal­le schwer­wie­gen­der Aus­wir­kun­gen auf das Per­sön­lich­keits­recht mit nega­ti­ven Sank­tio­nen ver­knüpft wer­den, so etwa dann, wenn eine Stig­ma­ti­sie­rung, sozia­le Aus­gren­zung oder Pran­ger­wir­kung zu besor­gen sind. Tritt der Ein­zel­ne als ein in der Gemein­schaft leben­der Bür­ger in Kom­mu­ni­ka­ti­on mit ande­ren, wirkt er durch sein Ver­hal­ten auf ande­re ein und berührt er dadurch die per­sön­li­che Sphä­re von Mit­men­schen oder Belan­ge des Gemein­schafts­le­bens, dann ergibt sich auf­grund des Sozi­al­be­zu­ges nach stän­di­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts eine Ein­schrän­kung des Bestim­mungs­rechts des­je­ni­gen, über den berich­tet wird

Der erken­nen­de Senat hat für eine Bericht­erstat­tung über die beruf­li­che Sphä­re des Betrof­fe­nen klar­ge­stellt, dass der Ein­zel­ne sich in die­sem Bereich von vorn­her­ein auf die Beob­ach­tung sei­nes Ver­hal­tens durch eine brei­te­re Öffent­lich­keit wegen der Wir­kun­gen, die sei­ne Tätig­keit hier für ande­re hat, ein­stel­len muss. Wer sich im Wirt­schafts­le­ben betä­tigt, setzt sich in erheb­li­chem Umfang der Kri­tik an sei­nen Leis­tun­gen aus. Zu einer sol­chen Kri­tik gehört auch die Namens­nen­nung. Die Öffent­lich­keit hat in sol­chen Fäl­len ein legi­ti­mes Inter­es­se dar­an zu erfah­ren, um wen es geht und die Pres­se könn­te durch eine anony­mi­sier­te Bericht­erstat­tung ihre mei­nungs­bil­den­den Auf­ga­ben nicht erfül­len.

Nach den wei­te­ren Aus­füh­run­gen des Gerichts, denen voll inhalt­lich zuzu­stim­men ist, besteht gera­de an Wirt­schafts­vor­gän­gen und Wirt­schafts­füh­rern in her­aus­ra­gen­der Stel­lung ein erheb­li­ches Infor­ma­ti­ons­in­ter­es­se der Öffent­lich­keit. Wer eine sol­che her­aus­ra­gen­de Posi­ti­on wie der Klä­ger inne­hat, der muss es hin­neh­men, dass die Pres­se über ihn berich­tet. Wir hat­ten das flap­si­ger for­mu­liert an ande­rer Stel­le bereits ein­mal zusam­men­ge­fasst: Wer die Nase aus dem Fens­ter steckt, der muss auch den Wind ver­tra­gen kön­nen.

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