Ein Urteil sorgt für Furore in der Baubranche. Das OLG Stuttgart entschied, dass auch ein kurzer Hinweis des Architekten auf die fehlende Funktionalität reichen kann, um einen Bauherrn über eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik aufzuklären. Was das für die Aufklärungspflicht heißt — und was Architekten jetzt tun sollten.
Mit Urteil vom 17. Dezember 2024 hat das Oberlandesgericht Stuttgart eine weitreichende Entscheidung zur Aufklärungspflicht von Architekten getroffen (OLG Stuttgart, Az. 10 U 38/24). Dabei ging es um die Frage, wie umfangreich ein Architekt auf eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) hinweisen muss. Die Entscheidung sorgt für Diskussionen, da das Gericht die Anforderungen an die Aufklärungspflicht stark abgesenkt hat. Das könnte Architekten in trügerischer Sicherheit wiegen.
Der Planungsmangel: Geht’s auch ohne Sonnenschutz?
In dem Fall, über den das OLG zu entscheiden hatte, hatte ein Bauträger einen Architekten mit der Planung einer Wohnungseigentumsanlage beauftragt. Die ursprüngliche Planung sah Sonnenschutzmaßnahmen für große Fensterflächen vor.
Der Bauträger entschied aber später, den Sonnenschutz nur optional als Sonderwunsch gegen einen Aufpreis anzubieten. Der Architekt wies ihn darauf hin, dass die Wohnungen ohne diese Maßnahme „nicht funktionieren“. Eine weitergehende Aufklärung erfolgte nicht.
Nach Fertigstellung verlangten Erwerber der Dachgeschosswohnungen Schadensersatz und Minderung in Höhe von insgesamt rund € 100.000,00 wegen übermäßiger Wärmeentwicklung. Der Bauträger machte daraufhin Regressansprüche gegen den Architekten geltend, da dieser Mangel seiner Ansicht nach auf einen Planungsmangel zurückgehe.
OLG Stuttgart: „Wohnung funktioniert nicht“ ist Aufklärung genug
Das Gericht stellte fest, dass die Wohnungen ohne Sonnenschutz mangelhaft sind, da sie nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) als Mindeststandard entsprechen, § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Einen Verstoß gegen DIN 4108–2 (Wärmeschutz bei Gebäuden) bejahte der OLG-Senat. Dennoch wiesen die Richter die Klage des Bauträgers gegen den Architekten ab.
Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass Architekten grundsätzlich verpflichtet seien, über Abweichungen von den a.a.R.d.T. aufzuklären. Davon, dass der Bauherr das Risiko vertraglich übernimmt, könne nur dann ausgegangen werden, wenn dieser Bedeutung und Tragweite des Risikos erkannt hat, das in der Abänderung der Planung liegt. Auf dieser Basis könne sich der Bauherr entscheiden, ob er das Risiko einer Abweichung von den a.a.R.d.T. übernehmen will.
Dieser Aufklärungspflicht sei der Architekt in diesem Fall aber ausreichend nachgekommen, fanden die OLG-Richter. Der Hinweis „Wohnung funktioniert nicht“ genügt nach Auffassung des Gerichts, um den Bauträger auf die Folgen und Risiken der Norm-Abweichung aufmerksam zu machen. Eine detaillierte Belehrung über die Abweichung von der einschlägigen DIN-Norm bzw. den a.a.R.d.T. und deren Folgen hielt das Gericht nicht für zwingend erforderlich.
Gefährliche Signalwirkung
Das Urteil setzt die Hürde für eine wirksame Risikoübertragung auf den Bauherrn sehr niedrig. Für die Planungspraxis wirft es erhebliche Fragen auf.
Die Entscheidung des OLG Stuttgart hat eine gefährliche Signalwirkung und birgt das Risiko, dass Architekten sich auf unzureichende Hinweise verlassen. Die Entscheidung könnte den Eindruck vermitteln, dass ein kurzer mündlicher Hinweis auf die fehlende Funktionalität eines Bauwerks ausreicht, um der Aufklärungspflicht über eine Abweichung von den a.a.R.d.T. ausreichend nachzukommen.
Allerdings besteht das Risiko, dass sich ein Bauherr später im Streitfall darauf beruft, die Tragweite der Abweichung nicht erkannt zu haben. Bisherige höchstrichterliche Urteile verlangten stets eine umfassende und detaillierte Erläuterung von Abweichungen und ihren möglichen Konsequenzen. Die Entscheidung des OLG Stuttgart setzt nun möglicherweise einen neuen Maßstab, der die Anforderungen an die Aufklärungspflicht auf ein Mindestmaß reduziert.
Handlungsempfehlungen für Architekten
Doch eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer — bisher ist das Urteil aus Stuttgart das einzige, das einen so niedrigen Maßstab an die Sorgfaltspflichten für Architekten anlegt. Und auch wenn die Fachkunde des Bauherrn die Aufklärungspflicht unter Umständen reduzieren kann, sollten Architekten weiterhin auf eine ausführliche Dokumentation und umfassende Aufklärung setzen, um sich vor möglichen Haftungsrisiken zu schützen.
Trotz des Urteils des OLG Stuttgart sollten sie weiterhin größten Wert auf eine umfassende und nachvollziehbare Aufklärung legen. Dazu gehört insbesondere, dass jede Abweichung von den a.a.R.d.T. schriftlich dokumentiert und vom Bauherrn ausdrücklich bestätigt wird. Neben der funktionalen Problembeschreibung sollten Architekten dabei konkret benennen, welche DIN-Normen betroffen sind und welche Konsequenzen sich aus einer Abweichung ergeben können. Um spätere Regressansprüche zu vermeiden, ist es ratsam, sich eine ausdrückliche schriftliche Zustimmung des Bauherrn zur Abweichung einzuholen.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Wer eine Altbauwohnung kauft, erwartet oft besonderen Charme und allenfalls kleinere altersbedingte Schwächen. Doch welche Rechte haben Käufer, wenn die Immobilie feucht ist? Der BGH urteilt, dass auch ein Altbau sich zum Wohnen eignen muss - selbst bei bekannten Feuchtigkeitsschäden im Souterrain und einem Haftungsausschluss im Vertrag. So schön die Vorstellung von aufwändig verlegtem Fischgrätparkett, Kastenfenstern und hohen Decken mit...