„Wohnung funktioniert nicht“: Stuttgarter Urteil sendet gefährliches Signal für die Architektenhaftung

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Baurecht | 24. April 2025
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Ein Urteil sorgt für Furo­re in der Bau­bran­che. Das OLG Stutt­gart ent­schied, dass auch ein kur­zer Hin­weis des Archi­tek­ten auf die feh­len­de Funk­tio­na­li­tät rei­chen kann, um einen Bau­herrn über eine Abwei­chung von den all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der Tech­nik auf­zu­klä­ren. Was das für die Auf­klä­rungs­pflicht heißt — und was Archi­tek­ten jetzt tun soll­ten.

 

Mit Urteil vom 17. Dezem­ber 2024 hat das Ober­lan­des­ge­richt Stutt­gart eine weit­rei­chen­de Ent­schei­dung zur Auf­klä­rungs­pflicht von Archi­tek­ten getrof­fen (OLG Stutt­gart, Az. 10 U 38/24). Dabei ging es um die Fra­ge, wie umfang­reich ein Archi­tekt auf eine Abwei­chung von den all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der Tech­nik (a.a.R.d.T.) hin­wei­sen muss. Die Ent­schei­dung sorgt für Dis­kus­sio­nen, da das Gericht die Anfor­de­run­gen an die Auf­klä­rungs­pflicht stark abge­senkt hat. Das könn­te Archi­tek­ten in trü­ge­ri­scher Sicher­heit wie­gen.

 

Der Pla­nungs­man­gel: Geht’s auch ohne Son­nen­schutz?

In dem Fall, über den das OLG zu ent­schei­den hat­te, hat­te ein Bau­trä­ger einen Archi­tek­ten mit der Pla­nung einer Woh­nungs­ei­gen­tums­an­la­ge beauf­tragt. Die ursprüng­li­che Pla­nung sah Son­nen­schutz­maß­nah­men für gro­ße Fens­ter­flä­chen vor.

Der Bau­trä­ger ent­schied aber spä­ter, den Son­nen­schutz nur optio­nal als Son­der­wunsch gegen einen Auf­preis anzu­bie­ten. Der Archi­tekt wies ihn dar­auf hin, dass die Woh­nun­gen ohne die­se Maß­nah­me „nicht funk­tio­nie­ren“. Eine wei­ter­ge­hen­de Auf­klä­rung erfolg­te nicht.

Nach Fer­tig­stel­lung ver­lang­ten Erwer­ber der Dach­ge­schoss­woh­nun­gen Scha­dens­er­satz und Min­de­rung in Höhe von ins­ge­samt rund € 100.000,00 wegen über­mä­ßi­ger Wär­me­ent­wick­lung. Der Bau­trä­ger mach­te dar­auf­hin Regress­an­sprü­che gegen den Archi­tek­ten gel­tend, da die­ser Man­gel sei­ner Ansicht nach auf einen Pla­nungs­man­gel zurück­ge­he.

 

OLG Stutt­gart: „Woh­nung funk­tio­niert nicht“ ist Auf­klä­rung genug

Das Gericht stell­te fest, dass die Woh­nun­gen ohne Son­nen­schutz man­gel­haft sind, da sie nicht den all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der Tech­nik (a.a.R.d.T.) als Min­dest­stan­dard ent­spre­chen, § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Einen Ver­stoß gegen DIN 4108–2 (Wär­me­schutz bei Gebäu­den) bejah­te der OLG-Senat. Den­noch wie­sen die Rich­ter die Kla­ge des Bau­trä­gers gegen den Archi­tek­ten ab.

Sie begrün­de­ten ihre Ent­schei­dung damit, dass Archi­tek­ten grund­sätz­lich ver­pflich­tet sei­en, über Abwei­chun­gen von den a.a.R.d.T. auf­zu­klä­ren. Davon, dass der Bau­herr das Risi­ko ver­trag­lich über­nimmt, kön­ne nur dann aus­ge­gan­gen wer­den, wenn die­ser Bedeu­tung und Trag­wei­te des Risi­kos erkannt hat, das in der Abän­de­rung der Pla­nung liegt. Auf die­ser Basis kön­ne sich der Bau­herr ent­schei­den, ob er das Risi­ko einer Abwei­chung von den a.a.R.d.T. über­neh­men will.

Die­ser Auf­klä­rungs­pflicht sei der Archi­tekt in die­sem Fall aber aus­rei­chend nach­ge­kom­men, fan­den die OLG-Rich­ter. Der Hin­weis „Woh­nung funk­tio­niert nicht“ genügt nach Auf­fas­sung des Gerichts, um den Bau­trä­ger auf die Fol­gen und Risi­ken der Norm-Abwei­chung auf­merk­sam zu machen. Eine detail­lier­te Beleh­rung über die Abwei­chung von der ein­schlä­gi­gen DIN-Norm bzw. den a.a.R.d.T. und deren Fol­gen hielt das Gericht nicht für zwin­gend erfor­der­lich.

 

Gefähr­li­che Signal­wir­kung

Das Urteil setzt die Hür­de für eine wirk­sa­me Risi­ko­über­tra­gung auf den Bau­herrn sehr nied­rig. Für die Pla­nungs­pra­xis wirft es erheb­li­che Fra­gen auf.

Die Ent­schei­dung des OLG Stutt­gart hat eine gefähr­li­che Signal­wir­kung und birgt das Risi­ko, dass Archi­tek­ten sich auf unzu­rei­chen­de Hin­wei­se ver­las­sen. Die Ent­schei­dung könn­te den Ein­druck ver­mit­teln, dass ein kur­zer münd­li­cher Hin­weis auf die feh­len­de Funk­tio­na­li­tät eines Bau­werks aus­reicht, um der Auf­klä­rungs­pflicht über eine Abwei­chung von den a.a.R.d.T. aus­rei­chend nach­zu­kom­men.

Aller­dings besteht das Risi­ko, dass sich ein Bau­herr spä­ter im Streit­fall dar­auf beruft, die Trag­wei­te der Abwei­chung nicht erkannt zu haben. Bis­he­ri­ge höchst­rich­ter­li­che Urtei­le ver­lang­ten stets eine umfas­sen­de und detail­lier­te Erläu­te­rung von Abwei­chun­gen und ihren mög­li­chen Kon­se­quen­zen. Die Ent­schei­dung des OLG Stutt­gart setzt nun mög­li­cher­wei­se einen neu­en Maß­stab, der die Anfor­de­run­gen an die Auf­klä­rungs­pflicht auf ein Min­dest­maß redu­ziert.

 

Hand­lungs­emp­feh­lun­gen für Archi­tek­ten

Doch eine Schwal­be macht bekannt­lich noch kei­nen Som­mer — bis­her ist das Urteil aus Stutt­gart das ein­zi­ge, das einen so nied­ri­gen Maß­stab an die Sorg­falts­pflich­ten für Archi­tek­ten anlegt. Und auch wenn die Fach­kun­de des Bau­herrn die Auf­klä­rungs­pflicht unter Umstän­den redu­zie­ren kann, soll­ten Archi­tek­ten wei­ter­hin auf eine aus­führ­li­che Doku­men­ta­ti­on und umfas­sen­de Auf­klä­rung set­zen, um sich vor mög­li­chen Haf­tungs­ri­si­ken zu schüt­zen.

Trotz des Urteils des OLG Stutt­gart soll­ten sie wei­ter­hin größ­ten Wert auf eine umfas­sen­de und nach­voll­zieh­ba­re Auf­klä­rung legen. Dazu gehört ins­be­son­de­re, dass jede Abwei­chung von den a.a.R.d.T. schrift­lich doku­men­tiert und vom Bau­herrn aus­drück­lich bestä­tigt wird. Neben der funk­tio­na­len Pro­blem­be­schrei­bung soll­ten Archi­tek­ten dabei kon­kret benen­nen, wel­che DIN-Nor­men betrof­fen sind und wel­che Kon­se­quen­zen sich aus einer Abwei­chung erge­ben kön­nen. Um spä­te­re Regress­an­sprü­che zu ver­mei­den, ist es rat­sam, sich eine aus­drück­li­che schrift­li­che Zustim­mung des Bau­herrn zur Abwei­chung ein­zu­ho­len.

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