Anonym im Netz: Keine Klarnamenpflicht für langjährige Facebook-Nutzer

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IT-Recht | 31. Januar 2022
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User, die schon seit Jahren Mit­glied sind, dür­fen bei Face­book weit­er­hin Nick­names nutzen. Das entsch­ied am Don­ner­stag der BGH. Für wen das gilt, wer von Face­book weit­er­hin ges­per­rt wer­den kön­nte, und was — vielle­icht — die Zukun­ft bringt, erk­lärt Arne Traut­mann.

Oft meint man ja, der Bun­des­gericht­shof (BGH) in Karl­sruhe beschäftigte sich den lieben lan­gen Tag nur mit sehr abstrak­ten und für den Laien kaum ver­ständlichen Rechts­fra­gen. Aber das stimmt nicht: Hier lan­den oft sehr prak­tis­che Fra­gen aus dem All­t­ag, die sehr viele Men­schen unmit­tel­bar betr­e­f­fen. So auch in den Urteilen, die der III. Zivilse­n­at des BGH am 27. Jan­u­ar 2021 (Az. III ZR 3/21 und III ZR 4/21) zur soge­nan­nten Klar­na­menpflicht auf Face­book verkün­dete.

Lei­der ergin­gen die Entschei­dun­gen auf Basis mit­tler­weile geän­dert­er Geset­ze. Doch sie betr­e­f­fen alle Face­book-User, die die Plat­tform schon länger nutzen. Und obwohl der BGH nach altem Recht entsch­ieden hat, kann man der Pressemit­teilung zu seinen Urteilen dur­chaus Hin­weise darauf ent­nehmen, wie die Bun­desrichter die Möglichkeit, in sozialen Net­zw­erken anonym zu bleiben, in Zukun­ft beurteilen wer­den.

Zwischen Katzenvideos und Hassrede: Pseudonyme im Internet

In dem Ver­fahren geht es um zwei Nutzer, die von Face­book ges­per­rt wur­den, weil sie auf dem sozialen Net­zw­erk nicht unter ihrem Klar­na­men auf­trat­en, son­dern ein Pseu­do­nym als Nutzer­na­men ver­wen­de­ten. Das aber ist nach den Nutzungs­be­din­gun­gen von Face­book nicht zuläs­sig. Hat das Unternehmen den Ver­dacht, dass ein ver­wen­de­ter Nutzer­name nicht echt ist, ver­langt Face­book geeignete Nach­weise; und wer­den die nicht beige­bracht, sper­rt die Meta-Tochter das Nutzerkon­to so lange, bis der Nutzer seinen echt­en Namen als Nutzer­na­men ver­wen­det. So geschah es auch den kla­gen­den Nutzern. Sie woll­ten das nicht hin­nehmen und wehrten sich gerichtlich.

Das Inter­net ist nicht nur ein Ort des friedlichen Aus­tauschs von Kul­tur, Katzen­videos und Kochrezepten. Es ist auch ein Ort, an dem Men­schen beschimpft und gestalkt wer­den. Das trifft, lei­der, ger­ade auf soziale Net­zw­erke zu.

Nicht jed­er fühlt sich daher wohl dabei, unter seinem Klar­nah­men online unter­wegs zu sein. Ganz beson­ders trifft das auf vul­ner­a­ble Grup­pen zu: Ein Teenag­er, der online sein Com­ing-out als homo­sex­uell hat, dürfte wenig Wert darauf leg­en, von Klassenkam­er­aden am näch­sten Tag auf dem Schul­hof auf einen entsprechen­den Face­book-Post ange­sprochen zu wer­den.

Ander­er­seits ist ein Pseu­do­nym ger­ade für Trolle auch eine Maske, hin­ter der sie sich ver­steck­en. Wer andere beschimpfen oder belei­di­gen will, der tut das leichter unter Pseu­do­nym als mit offen­em Visi­er, weil er Kon­se­quen­zen kaum fürcht­en muss. Will ein soziales Net­zw­erk die Diskus­sion­skul­tur zumin­d­est halb­wegs im Zaum hal­ten, bietet sich der Klar­na­men­zwang als recht ein­fach­es Mit­tel an. Das ist zweifel­los ein anerken­nenswertes Inter­esse, was auch mehrere Gerichte so sahen.

Ein Gesetz garantierte das Recht auf ein Pseudonym im Netz

Für den BGH aber die Recht­slage klar. Face­book unter­liegt nach deutschem Recht als Dien­stean­bi­eter eines Telemedi­ums dem Teleme­di­enge­setz (TMG). Der BGH legte seinen Urteilen die im April 2018 und im Jan­u­ar 2015 gel­tenden Geset­ze zugrunde. Damals hat­ten die bei­den Nutzer den Ver­trag mit Face­book-abgeschlossen, als sie sich bei dem sozialen Netz angemeldet und per Klick mit den AGB des Net­zw­erks ein­ver­standen erk­lärt haben.

Zu dieser Zeit gab es aber ein Recht auf ein Pseu­do­nym in sozialen Net­zw­erken, es stand im Gesetz. § 13 Abs. 6 Teleme­di­enge­setz regelte (bis zum 30. Novem­ber 2021, als die Vorschrift ersat­z­los gestrichen wurde), dass Dien­stean­bi­eter die Nutzung und Bezahlung von Teleme­di­en anonym oder unter Pseu­do­nym ermöglichen müssen, soweit ihnen das tech­nisch möglich und zumut­bar ist.

Für den BGH war die Entschei­dung dieser Alt­fälle somit ein­fach: Wer Face­book vor dem 25. Mai 2018 beige­treten ist, der kann nach Herzenslust ein Pseu­do­nym ver­wen­den. Für den Zeitraum danach ist die Recht­slage weit­er­hin unklar. An diesem Tag trat die europäis­che Daten­schutz­grund­verord­nung (DSGVO) in Kraft. Bis heute ist umstrit­ten, ob diese, obwohl sie dazu keine aus­drück­lichen Regelun­gen trifft, Auswirkun­gen auf die Ver­wen­dung von Pseu­do­ny­men im Inter­net hat.

Klarnamenpflicht gestern und morgen

Kann man den­noch aus dem Karl­sruher Urteil etwas für die Zukun­ft ziehen? Was wird aus dem Recht auf ein Pseu­do­nym, wenn man soziale Net­zw­erke nutzt? Schließlich hätte der Sen­at es sich leicht machen und auf die ein­deutige alte Recht­slage ver­weisen kön­nen – das Recht auf Anonymität stand im deutschen Gesetz, die europäis­che Daten­schutz­grund­verord­nung, die daran eventuell rüt­teln kön­nte, war noch nicht in Kraft.

Doch die Karl­sruher Richter haben sehr viel mehr aus­ge­führt. Näm­lich, dass eine Klar­na­menpflicht die Nutzer wider Treu und Glauben benachteili­gen würde. Nach ein­er Abwä­gung kommt der BGH zu dem Ergeb­nis, dass das Mut­terun­ternehmen Meta zwar wis­sen müsse, wer das Net­zw­erk nutze, wer also sein Kunde ist – das gelte aber nicht für alle anderen Nutzer. Sprich: Bei der Face­book-Anmel­dung muss man zwar angeben, wer man ist. Für den öffentlich angezeigten Nutzer­nah­men reicht aber dann ein Pseu­do­nym.

Diese Abwä­gung und diese Aus­führun­gen wären streng genom­men für die Entschei­dung der konkreten Fälle nicht notwendig gewe­sen – man kann das also als Fin­gerzeit über den konkreten Fall hin­aus, vielle­icht auch über die alte Recht­slage hin­aus lesen.

Die Inter­essen der Nutzer und des Net­zw­erks, die der BGH gegeneinan­der abwägt, sind dieselbe geblieben. Indem der Sen­at hier offen­bar einen Schw­er­punkt in sein­er Begrün­dung set­zt, scheint er dur­chaus zu sig­nal­isieren, dass es auch in Zukun­ft in Deutsch­land ein Recht geben kön­nte, in sozialen Net­zw­erken ein Pseu­do­nym zu nutzen.

Der Autor Recht­san­walt Arne Traut­mann ist bei SNP Schlaw­ien Part­ner­schaft mbB in den Bere­ichen IT-Recht, Medi­en­recht und Gewerblich­er Rechtss­chutz tätig.
https://bg.linkedin.com/in/arne-trautmann-41370543

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