User, die schon seit Jahren Mitglied sind, dürfen bei Facebook weiterhin Nicknames nutzen. Das entschied am Donnerstag der BGH. Für wen das gilt, wer von Facebook weiterhin gesperrt werden könnte, und was — vielleicht — die Zukunft bringt, erklärt Arne Trautmann.
Oft meint man ja, der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe beschäftigte sich den lieben langen Tag nur mit sehr abstrakten und für den Laien kaum verständlichen Rechtsfragen. Aber das stimmt nicht: Hier landen oft sehr praktische Fragen aus dem Alltag, die sehr viele Menschen unmittelbar betreffen. So auch in den Urteilen, die der III. Zivilsenat des BGH am 27. Januar 2021 (Az. III ZR 3/21 und III ZR 4/21) zur sogenannten Klarnamenpflicht auf Facebook verkündete.
Leider ergingen die Entscheidungen auf Basis mittlerweile geänderter Gesetze. Doch sie betreffen alle Facebook-User, die die Plattform schon länger nutzen. Und obwohl der BGH nach altem Recht entschieden hat, kann man der Pressemitteilung zu seinen Urteilen durchaus Hinweise darauf entnehmen, wie die Bundesrichter die Möglichkeit, in sozialen Netzwerken anonym zu bleiben, in Zukunft beurteilen werden.
In dem Verfahren geht es um zwei Nutzer, die von Facebook gesperrt wurden, weil sie auf dem sozialen Netzwerk nicht unter ihrem Klarnamen auftraten, sondern ein Pseudonym als Nutzernamen verwendeten. Das aber ist nach den Nutzungsbedingungen von Facebook nicht zulässig. Hat das Unternehmen den Verdacht, dass ein verwendeter Nutzername nicht echt ist, verlangt Facebook geeignete Nachweise; und werden die nicht beigebracht, sperrt die Meta-Tochter das Nutzerkonto so lange, bis der Nutzer seinen echten Namen als Nutzernamen verwendet. So geschah es auch den klagenden Nutzern. Sie wollten das nicht hinnehmen und wehrten sich gerichtlich.
Das Internet ist nicht nur ein Ort des friedlichen Austauschs von Kultur, Katzenvideos und Kochrezepten. Es ist auch ein Ort, an dem Menschen beschimpft und gestalkt werden. Das trifft, leider, gerade auf soziale Netzwerke zu.
Nicht jeder fühlt sich daher wohl dabei, unter seinem Klarnahmen online unterwegs zu sein. Ganz besonders trifft das auf vulnerable Gruppen zu: Ein Teenager, der online sein Coming-out als homosexuell hat, dürfte wenig Wert darauf legen, von Klassenkameraden am nächsten Tag auf dem Schulhof auf einen entsprechenden Facebook-Post angesprochen zu werden.
Andererseits ist ein Pseudonym gerade für Trolle auch eine Maske, hinter der sie sich verstecken. Wer andere beschimpfen oder beleidigen will, der tut das leichter unter Pseudonym als mit offenem Visier, weil er Konsequenzen kaum fürchten muss. Will ein soziales Netzwerk die Diskussionskultur zumindest halbwegs im Zaum halten, bietet sich der Klarnamenzwang als recht einfaches Mittel an. Das ist zweifellos ein anerkennenswertes Interesse, was auch mehrere Gerichte so sahen.
Für den BGH aber die Rechtslage klar. Facebook unterliegt nach deutschem Recht als Diensteanbieter eines Telemediums dem Telemediengesetz (TMG). Der BGH legte seinen Urteilen die im April 2018 und im Januar 2015 geltenden Gesetze zugrunde. Damals hatten die beiden Nutzer den Vertrag mit Facebook-abgeschlossen, als sie sich bei dem sozialen Netz angemeldet und per Klick mit den AGB des Netzwerks einverstanden erklärt haben.
Zu dieser Zeit gab es aber ein Recht auf ein Pseudonym in sozialen Netzwerken, es stand im Gesetz. § 13 Abs. 6 Telemediengesetz regelte (bis zum 30. November 2021, als die Vorschrift ersatzlos gestrichen wurde), dass Diensteanbieter die Nutzung und Bezahlung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym ermöglichen müssen, soweit ihnen das technisch möglich und zumutbar ist.
Für den BGH war die Entscheidung dieser Altfälle somit einfach: Wer Facebook vor dem 25. Mai 2018 beigetreten ist, der kann nach Herzenslust ein Pseudonym verwenden. Für den Zeitraum danach ist die Rechtslage weiterhin unklar. An diesem Tag trat die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft. Bis heute ist umstritten, ob diese, obwohl sie dazu keine ausdrücklichen Regelungen trifft, Auswirkungen auf die Verwendung von Pseudonymen im Internet hat.
Kann man dennoch aus dem Karlsruher Urteil etwas für die Zukunft ziehen? Was wird aus dem Recht auf ein Pseudonym, wenn man soziale Netzwerke nutzt? Schließlich hätte der Senat es sich leicht machen und auf die eindeutige alte Rechtslage verweisen können – das Recht auf Anonymität stand im deutschen Gesetz, die europäische Datenschutzgrundverordnung, die daran eventuell rütteln könnte, war noch nicht in Kraft.
Doch die Karlsruher Richter haben sehr viel mehr ausgeführt. Nämlich, dass eine Klarnamenpflicht die Nutzer wider Treu und Glauben benachteiligen würde. Nach einer Abwägung kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass das Mutterunternehmen Meta zwar wissen müsse, wer das Netzwerk nutze, wer also sein Kunde ist – das gelte aber nicht für alle anderen Nutzer. Sprich: Bei der Facebook-Anmeldung muss man zwar angeben, wer man ist. Für den öffentlich angezeigten Nutzernahmen reicht aber dann ein Pseudonym.
Diese Abwägung und diese Ausführungen wären streng genommen für die Entscheidung der konkreten Fälle nicht notwendig gewesen – man kann das also als Fingerzeit über den konkreten Fall hinaus, vielleicht auch über die alte Rechtslage hinaus lesen.
Die Interessen der Nutzer und des Netzwerks, die der BGH gegeneinander abwägt, sind dieselbe geblieben. Indem der Senat hier offenbar einen Schwerpunkt in seiner Begründung setzt, scheint er durchaus zu signalisieren, dass es auch in Zukunft in Deutschland ein Recht geben könnte, in sozialen Netzwerken ein Pseudonym zu nutzen.
Der Autor Rechtsanwalt Arne Trautmann ist bei SNP Schlawien Partnerschaft mbB in den Bereichen IT-Recht, Medienrecht und Gewerblicher Rechtsschutz tätig.
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