Haben Sie schon jemals darüber nachgedacht, was sich hinter dem Begriff „dezentralisierte autonome Organisation“ (DAO) verbirgt und welchen Einfluss die DAO im Alltag hat? Arne Trautmann berichtet aus der Fachwelt.
Die drei wichtigsten Erfindungen der Menschheit sind meiner Meinung nach Feuer, Geld und die Organisation. Letztere ist die Koordinierung der Aktivitäten einer Gruppe von Menschen auf ein gemeinsames Ziel.
Keine Erfindungen ist je fertig, Fortschritt und Weiterentwicklung sind unaufhaltsam: Feuer beherrschen wir heute so gut, dass wir damit Satelliten ins All schießen können. Geld wird man sich bald als digitales Zentralbankgeld (CBDC) vorstellen. Und wenn es um Organisationen geht, ist die DAO das neue heiße Ding.
Um herauszufinden, was eine DAO ist, könnte man einfach nachschauen, wofür die Abkürzung steht: Decentralized Autonomous Organization, also dezentralisierte autonome Organisation.
Leider ist jedes einzelne Wort in diesem Namen falsch, irreführend oder zumindest maßlos übertrieben. Jedenfalls für die aktuell existierende Generation von DAOs (DAO 1.0). Man sollte den Namen eher als Ideal sehen, das angestrebt und vielleicht eines Tages Wirklichkeit werden wird.
Schauen wir uns die einzelnen Komponenten einmal an:
Organisation
Eine DAO ist, oder kann zumindest, wie das “O” behauptet, eine Form der Organisation sein. Das juristische Denken geht nun seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausende, dahin: Etwas existiert nur dann, wenn man ihm ein Etikett aufdrücken kann. DAOs als solche sind, zumindest in jeder vernünftigen Rechtsordnung, keine Sache an sich, sondern vielmehr eine Form oder ein Teil einer „auch real“ bestehenden Organisationsform. Dabei kann es sich um eine Personengesellschaft, einen Verein, eine GmbH oder eine beliebige andere Struktur handeln.
Mindestens ein US-Bundesstaat (Wyoming, natürlich) hat DAOs als Rechtsform „per se“ anerkannt. Schaut man genauer hin, handelt es sich jedoch nur um eine LLC (gewissermaßen eine GmbH nach dem Recht von Wyoming) mit dem Namenszusatz “DAO”: Das ist natürlich Augenwischerei.
Dezentralisation
Was das „D“ betrifft, ist eine DAO insofern dezentralisiert, als es keine zentrale Verwaltung oder Geschäftsführung gibt, sondern die Entscheidungsfindung und der Großteil der Umsetzung der Entscheidungen durch die Stakeholder erfolgt. Man kann sie mit den Aktionären einer Aktiengesellschaft vergleichen, wo eine ähnliche Struktur zu finden ist. Der Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass in einer DAO viel mehr Aufgaben des Managements auf alle Stakeholder verteilt werden können, während in einer traditionelleren Gesellschaft ein zentralisiertes Management die meisten alltäglichen Entscheidungen top-down treffen kann.
Autonomie
Das Wort „autonom“ in der Abkürzung ist am irreführendsten: Die DAO tut nichts autonom; und, was am wichtigsten ist: sie besitzt sich nicht selbst, auch wenn das immer wieder behauptet wird. Im Gegenteil: Sie bietet einen wunderbaren Mechanismus für das Treffen und Ausführen von Entscheidungen, die von den Teilnehmern getroffen werden. Die Entscheidungen werden online getroffen, oft unter Verwendung von Token, und fälschungssicher auf einer Blockchain (eine verteilte Datenbank) oder einem ähnlichen Ledger gespeichert (technisch gesehen muss eine DAO “nur” Code ausführen, es geht auch ohne Blockchain und Token).
Was das “A” wirklich meint, ist, dass theoretisch keine Umsetzung getroffener Entscheidungen erforderlich ist. Das liegt daran, dass bei einer DAO die Prozesse in selbstausführenden Smart Contracts, also Computerprogrammen, die selbstständig bestimmte Aktionen vornehmen, wenn definierter Ereignisse eintreten, implementiert sein sollten. In gewisser Weise „ist“ die Entscheidung bereits die Ausführung oder stößt sie zumindest unmittelbar an.
Eine gängige Definition einer DAO ist „eine Organisation, die nach Regeln geführt wird, die in ausführbaren Code vorliegen“ (Chohan, The Decentralized Autonomous Organization and Governance Issues, 2017, 2022). In Anbetracht der oben diskutierten Punkte würde ich vorschlagen, dies subtil anzupassen: Eine DAO ist eine Organisation, deren Entscheidungsfindungs- und Ausführungsprozess durch Regeln erfolgt, die in ausführbaren Code vorliegen.
Ist eine DAO also nur eine Facebook-Gruppe mit einer Abstimmungsfunktion, die auf der Blockchain läuft? Oder ist sie ein Ding, das sich nicht nur selbst verwaltet, sondern auch selbst besitzt? Die Wahrheit liegt, wie immer, in der Mitte.
Die beste Art, sich die aktuell existierende Generation von DAOs (DAO 1.0) vorzustellen, ist wahrscheinlich, sie als eine digitale Art der Entscheidungsfindung mit (teilweise) automatisierter Ausführung zu sehen. Dies alles geschieht im Rahmen einer eher konventionellen Organisationsstruktur. Eine DAO ist, salopp gesagt, kein Ding an sich, sondern ein Werkzeug: Eine digitale Erweiterung eines Vereins, einer Partnerschaft oder einer anderen Form der Organisation.
Das mag zunächst nicht nach viel klingen, ist es aber. Hierfür gibt es zwei Gründe:
Der erste Grund ist, dass die digitale Natur und die Umsetzung in Software die Entscheidungsfindung in einer DAO theoretisch schneller, einfacher und damit granularer und flüssiger machen, als dies in herkömmlichen Strukturen der Fall ist. Die sollte eine breitere Beteiligung an dem Prozess ermöglichen. Theoretisch könnte man das natürlich auch mit einer digitalen Aktionärsversammlung in einer traditionellen Gesellschaft erreichen. Aber in einer DAO sollte es der Standard sein.
Das bringt uns zum zweiten Grund: DAOs haben eine Kultur der Beteiligung. Die Stakeholder fühlen sich ermächtigt, Vorschläge einzubringen, da sie die Hoffnung haben dürfen, dass diese Vorschläge auch gehört werden. Wenn einmal versucht hat, einen Tagesordnungspunkt im Rahmen der Hauptversammlung einer AG einzubringen, dann wissen Sie: Das ist viel Wert. Das Ziel ist, eine demokratischere Organisation zu schaffen.
Ich persönlich glaube, dass die DAO die derzeit spannendste Idee im Bereich Crypto und Smart Contracts ist. Es spricht natürlich nichts dagegen, alternative Geldsysteme zu schaffen. Aber alle bisherigen Versuche, sie zu implementieren, scheinen zu Effizienzverlusten zu führen (die Blockchain ist ein schreckliches Werkzeug für Transaktionen) oder Diebstahl und Betrug zu fördern. Die dezentrale Speicherung und Übertragung von Daten ist wunderbar, aber derzeit scheinen gängige Cloud-Systeme wie Azure und AWS schlicht praktischer zu sein.
DAOs hingegen erledigen Dinge und bewegen Ressourcen. Die derzeit existierenden DAOs 1.0 sind in vielerlei Hinsicht Experimente und Testfälle, aus denen, so hoffe ich, eine tatsächlich nützliche DAO 2.0 hervorgehen wird.
Der Autor Rechtsanwalt Arne Trautmann ist bei SNP Schlawien Partnerschaft mbB in den Bereichen IT-Recht, Medienrecht und Gewerblicher Rechtsschutz tätig. https://bg.linkedin.com/in/arne-trautmann-41370543
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