Der BGH und die Google-Bildersuche — Pragmatik vs. geschriebenes Recht

Urheberrecht | 29. April 2010
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Ein ganz aus­ge­spro­chen inter­es­san­tes Urteil hat der BGH heu­te (29. April 2010, AZ I ZR 69/08) in Sachen der Goog­le-Bil­der­su­che gefällt.

Die durch­sucht Inter­net­sei­ten nach Bil­dern, macht aus denen klei­ne Vor­schau­bil­der (Thumb­nails) und spei­chert die auf den Goog­le-Ser­vern. Sucht man nun nach Bil­dern, stellt Goog­le aus die­sen Thumb­nails sei­ne Tref­fer­lis­ten zusam­men und lie­fert die — Lis­te samt Vor­schau­bil­dern — an die Suchen­den aus. Dabei wird nicht unter­schie­den, ob die indi­zier­ten Bil­der urhe­ber­recht­lich geschützt sind oder nicht.

Durch die­ses Vor­ge­hen fühl­te sich die Klä­ge­rin, eine Künst­le­rin, in ihren Rech­ten ver­letzt. Sie hat­te digi­ta­le Bil­der online gestellt, und Ihre Bil­der jeden­falls waren urhe­ber­recht­lich geschützt. Im Vor­ge­hen Goo­gles sah sie eine uner­laub­te öffent­li­che Zugäng­lich­ma­chung ihrer Wer­ke und mach­te daher Unter­las­sungs­an­sprü­che gel­tend.

Dem moch­te der BGH nicht fol­gen:

Goog­le [kann] nicht wegen Urhe­ber­rechts­ver­let­zung in Anspruch genom­men wer­den (…), wenn urhe­ber­recht­lich geschütz­te Wer­ke in Vor­schau­bil­dern ihrer Such­ma­schi­ne wie­der­ge­ge­ben wer­den.

Ver­mut­lich über­rascht Sie das nicht, wenn Sie mit dem Inter­net groß gewor­den sind und wis­sen, was PHP, SEO und CSS (und natür­lich die robots.txt) ist. Denn dann hal­ten Sie es für gott­ge­ge­ben, dass Such­ma­schi­nen — gewis­ser­ma­ßen ein Stück Soft­ware-Infra­struk­tur, ohne die das Netz ja nicht benutz­bar wäre — eben Daten indi­zie­ren, auch Bil­der. Und wer das nicht will, der kann das den Such­ma­schi­nen mit­tei­len, dazu gibt es ja die robots.txt — gewis­ser­ma­ßen den Tür­ste­her vor der Inter­net­sei­te, der Bots nicht her­ein­lässt. Tech­nisch ist das eine Art Opt-out aus dem Indi­zie­rungs­lauf. Ganz ein­fach.

Ver­mut­lich sind Sie ande­rer­seits vom BGH-Urteil durch­aus über­rascht, wenn Sie irgend­wann in Ihrem Leben ein­mal Recht stu­diert haben. Vor allem Urhe­ber­recht. Denn dort ist es ja Usus, dass man gefragt wer­den muss, wenn jemand anders urhe­ber­recht­lich geschütz­te Wer­ke ver­viel­fäl­ti­gen oder ver­brei­ten oder öffent­lich zugäng­lich machen möch­te — und das ist ja irgend­wie das, was Goo­gles Bil­der­su­che tut. Daher haben sich die Gerich­te in ver­gleich­ba­ren Ent­schei­dun­gen in der letz­ten Zeit auch immer mit mut­maß­li­chen oder tat­säch­li­chen oder fin­gier­ten Ein­wil­li­gun­gen in die Indi­zie­rung her­um­ge­schla­gen: wer etwas ins Inter­net stellt, der erklärt jeden­falls kon­klu­dent, dass es auch gefun­den wer­den soll. Das ist völ­lig aus der Luft gegrif­fen und natür­lich nur ein juris­ti­scher Trick, ein Hilfs-Kon­strukt.

Davon will der BGH aber expli­zit nichts wis­sen:

In Über­ein­stim­mung mit den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­ge­richts ist der Bun­des­ge­richts­hof davon aus­ge­gan­gen, dass die Klä­ge­rin zwar nicht durch eine aus­drück­li­che oder still­schwei­gen­de rechts­ge­schäft­li­che Erklä­rung Goog­le ein Recht zur Nut­zung ihrer Wer­ke als Vor­schau­bil­der im Rah­men der Bil­der­su­che ein­ge­räumt hat. Der in der Wie­der­ga­be in Vor­schau­bil­dern lie­gen­de Ein­griff in das Recht der Klä­ge­rin, ihre Wer­ke öffent­lich zugäng­lich zu machen (§ 19a UrhG), ist jedoch gleich­wohl nicht rechts­wid­rig, weil die Beklag­te dem Ver­hal­ten der Klä­ge­rin (auch ohne rechts­ge­schäft­li­che Erklä­rung) ent­neh­men durf­te, die­se sei mit der Anzei­ge ihrer Wer­ke im Rah­men der Bil­der­su­che der Such­ma­schi­ne ein­ver­stan­den. Denn die Klä­ge­rin hat den Inhalt ihrer Inter­net­sei­te für den Zugriff durch Such­ma­schi­nen zugäng­lich gemacht, ohne von tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten Gebrauch zu machen, um die Abbil­dun­gen ihrer Wer­ke von der Suche und der Anzei­ge durch Bil­der­such­ma­schi­nen in Form von Vor­schau­bil­dern aus­zu­neh­men.

Also kei­ne rechts­ge­schäft­li­che Erklä­rung aber den­noch Ein­ver­ständ­nis. Sind Sie ver­wirrt? Ich bin es jeden­falls. Viel­leicht wird ja die Lek­tü­re des Urteils, sobald es ver­füg­bar ist, Klar­heit über den recht­li­che Mecha­nis­mus brin­gen. Einst­wei­len gibt er mir Rät­sel auf.

Im Ergeb­nis ist natür­lich der Ansatz, jeden Inha­ber einer Inter­net­sei­te vor­her zu fra­gen, völ­lig unprak­ti­ka­bel. Es funk­tio­niert ein­fach nicht. Schon gar nicht dann, wenn die Maschi­nen das Web im Dau­er­lauf scan­nen, in ent­fern­te Win­kel vor­sto­ßen, auch Obsku­res sicht­bar machen und das in Echt­zeit. Genau das ist es aber, was wir von den Such­ma­schi­nen ver­lan­gen und ver­lan­gen dür­fen: ohne die­se Fähig­keit funk­tio­niert unser gan­zes Infor­ma­ti­ons-Öko­sys­tem nicht mehr. Über den Punkt, das Inter­net ohne Maschi­nen — und zwar gute! — sinn­voll benut­zen zu kön­nen, sind wir schon ein Jahr­zehnt hin­aus.

Gleich­zei­tig ist es nur eine ganz klei­ne Mühe, die Indi­zie­rung ggf. abzu­wäh­len wenn man das nicht möch­te. Und ja: Wis­sen um die Funk­ti­ons­wei­se des Inter­nets kann man und muss man und soll­te man bei den dort ver­tre­te­nen Inhal­te­an­bie­tern vor­aus­set­zen dür­fen, so wie man im Stra­ßen­ver­kehr ja auch Kennt­nis der dor­ti­gen Abläu­fe erwar­ten darf. Das sagt der BGH ja auch recht deut­lich.

Damit darf man wohl fest­stel­len: das Urteil ist “in der Sache” — so ganz nach Bauch­ge­fühl und gesun­dem Men­schen­ver­stand — schon fast schmerz­haft rich­tig. Natür­lich muss eine Such­ma­schi­ne Sei­ten indi­zie­ren und damit erst auf­find­bar machen dür­fen.

Das Urteil ist “rein” recht­lich aber durch­aus zwei­fel­haft. Denn es ver­biegt nicht nur ein wenig das Urhe­ber­recht, indem man hier eine Erklä­rung fin­giert oder dort eine Schran­ken­be­stim­mung wei­ter aus­legt als gewöhn­lich — also die übli­chen Kunst­grif­fe anwen­det. Viel­mehr sta­tu­iert der BGH hier mal eben so ein völ­lig neu­es urhe­ber­recht­li­ches Para­dig­ma: wer Inhal­te hat, der muss sie halt schüt­zen, und wenn er das nicht tut, dann darf er auch nichts dage­gen haben, wenn jemand anders die Inhal­te ver­wen­det. Opt-out statt Opt-in also.

Dazu lässt sich natür­lich sagen, dass das Para­dig­ma des Urhe­ber­rechts eben auf eine Men­schen­ge­sell­schaft passt, aber nicht auf eine Maschi­nen­ge­sell­schaft. Stimmt. Aber dann wäre es “an sich” Sache des Gesetz­ge­bers, die­ses Para­dig­ma anzu­pas­sen. Der ist zwar gera­de mit der Ver­tei­di­gung des Vater­lan­des am Hin­du­kusch und des Euros in der Ägä­is beschäf­tigt, aber das begrün­det nun kei­ne Not­wehr­si­tua­ti­on für Rich­ter. Ande­rer­seits: was soll der BGH denn machen, wenn er das Inter­net nicht abschal­ten will?

So gese­hen kann man, wenn man möch­te, in der Ent­schei­dung eine Weg­mar­ke sehen. Denn hier wird Rechts­fin­dung zwar nicht im luft­lee­ren Raum, aber doch — ganz unge­wohnt — fast in Echt­zeit betrie­ben.

Ist das nun eine Ein­zel­fall­ent­schei­dung? Viel­leicht mit dem Gedan­ken, dass Infra­struk­tur nun ein­mal anders behan­delt wer­den muss als Hinz und Kunz. Der “ande­re”, der nicht­ver­tei­dig­tes geis­ti­ges Eigen­tum benut­zen darf, wird also gera­de nicht Hinz und Kunz sein dür­fen, son­dern wird bestimm­te — wie auch immer zu bestim­men­de — Kri­te­ri­en erfül­len müs­sen.

Wel­che Kri­te­ri­en das sind? Was genau Infra­struk­tur ist und wie man das defi­niert? War­ten Sie doch ein­fach auf die nächs­te Ent­schei­dung oder schrei­ben Sie Ihren Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten an, er möge sich um die Sache küm­mern. Sein Job wär’s jeden­falls.

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