Ein durchaus bemerkenswertes Urteil zur Frage der Haftung für Foren hat uns das einschlägig bekannte Landgericht Hamburg beschert, wie der Kollege Dr. Bahr berichtet. So, wie die Entscheidung wohl gelesen werden muss, dürfte sie — so die denn Bestand hat — dem Thema Forenhaftung ganz neuen Auftrieb geben.
In der Sache geht es um eine Klage eines Forenbetreibers, der vom Gericht Feststellung begehrt, dass er nicht verpflichtet ist, die Verbreitung bestimmter Äußerungen über einen kommerziellen Unfallrettungs-Service zu unterlassen. Dabei geht es um Äußerungen in Form von Foren-Postings Dritter, eben der Nutzer des Forums, nicht um Aussagen, die von ihm selbst stammen.
Das Gericht ordnet einiger dieser Äußerungen als zulässige Meinungsäußerungen ein und beanstandet diese nicht. Eine Tatsachenbehauptung (das Unternehmen sei bereits verklagt worden) stellte sich aber im Prozess als unwahr oder jedenfalls nicht erweislich wahr heraus. Daraus folgert das Gericht:
Unbegründet ist die Klage dagegen, soweit die Beklagte einen Anspruch darauf geltend gemacht hat, dass der Kläger es unterlassen möge zu verbreiten “… im Internet hab ich grad gelesen das die Firma auch schon wegen einigen dingen verklagt wurde (betrug etc.) …”.
Dies wird auf zwei ganz bemerkenswerte Argumente gestützt.
Zum einen wendet es die Figur der Störerhaftung in einem selbst für Hamburger Verhältnisse exzessiven Maß an. Störer kann bekanntermaßen zunächst jeder sein, der zur Verwirklichung einer rechtswidrigen Tat kausal beigetragen hat. Dazu reicht es, dass er das Internetforum betreibt, in dem da ein Äußerungsdelikt begangen wurde. Damit das Ganze nun aber nicht ausartet (auch die Eltern des Täters wären sonst Störer, denn ohne Zeugung gäbe es den Täter gar nicht) wird regelmäßig weiterhin gefordert, dass Prüfpflichten verletzt werden. Erst wenn das der Fall ist kommt die Störerhaftung zum Tragen. Diesen Punkt aber überspringt das Landgericht nonchalant:
Der Kläger muss sich die Verbreitung dieser Äußerung auch zurechnen lassen, denn sie ist über ein von ihm unterhaltenes Internetforum verbreitet worden.
Der Kläger ist hinsichtlich der Verbreitung dieser Äußerung Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB, denn Störer ist jede Person, von der eine Störung von Rechten des Betroffenen ausgeht. Für die Störereigenschaft reicht — wie sich auch aus den Normen der §§ 186 StGB oder 824 BGB ergibt — das bloße Verbreiten einer unzulässigen Äußerung aus; dass der Verbreiter selbst hinter den rechtswidrigen Inhalten steht oder sie gar verfasst hat, ist danach nicht erforderlich.
Desweiteren stellt das Gericht — ohne erkennbare Not übrigens, denn Störer kann man auch bezüglich fremder Inhalte sein — fest, dass es sich bei den Inhalten, die im Forum eingestellt werden, für den Forenbetreiber um eigene Inhalte handelt:
Auf etwaige Haftungsprivilegierungen kann sich der Kläger aufgrund der Bestimmung des — hier noch einschlägigen — § 6 Abs. 1 MDStV nicht berufen, denn es handelt sich bei der angegriffenen Äußerung um eine eigene Information, die er zum Abruf bereithält. Eigene Informationen im Sinne dieser Vorschrift sind nicht „eigene Behauptungen” im Sinne der für Widerruf oder Richtigstellung entwickelten Grundsätze, sondern Informationen, für deren Verbreitung der Betreiber einer Internetseite seinen eigenen Internetauftritt zur Verfügung stellt, mag auch nicht er selbst, sondern eine dritte Person die konkrete Information eingestellt haben.
Das ist nicht nur eine mutige Behauptung, es öffnet über die Rechtsprechung des BGH zur Unterlassenshaftung hinaus wohl den Weg auch zu Klagen auf Schadensersatz gegen Forenbetreiber, denn bei eigenen Inhalten greifen ja auch diesbezüglich keinerlei Privilegierungen durch TMG / RStV.
Wie sich das mit der Rechtsprechung (PDF) des BGH im Rolex-Fall oder auch des Hanseatischen OLG etwa im Fall Heise verträgt, bleibt mir jedenfalls ein Rätsel. Dort gingen die Gerichte davon aus, dass es sich bei Foreneinträgen bzw. Ebay-Auktionen — das ist ja vergleichbar — zunächst um fremde Inhalte handelt. Auch den Prüfplichten der Störer widmeten sich die Gerichte, unsere damalige Kritik war nur, dass deren Verletzung teilweise vorschnell bejaht wurden.
Die Entscheidung wörtlich genommen wäre man hier wieder einmal an dem Punkt, das Internet doch besser abzuschalten.
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