Über die Freuden der Vertragshoheit

Vertragsrecht | 14. November 2005
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Wenn ein größer­er Ver­trag ver­han­delt wird – etwa ein Pro­jek­tver­trag, ein Unternehmen­skauf oder ein größer­er Lizen­zver­trag – dann stellt sich häu­fig die Frage, wer nach dem Festzur­ren der wichtig­sten Punk­te den ini­tialen Entwurf vor­legt.

Ein frühes Investment…

Üblicher­weise drückt man sich gern darum. Der Entwurf kostet Zeit und vor allem Geld, in aller Regel sog­ar recht viel von bei­dem. Da scheint es ein­fach­er, auf einen Vorschlag der Gegen­seite zu warten, um an der dann Kri­tik anzubrin­gen und sie im eige­nen Sinn „zurechtzu­biegen“. Das scheint bequem.

Und ist höchst fahrläs­sig. Die Ver­tragshoheit ist das wertvoll­ste Gut, das es in so ein­er Sit­u­a­tion zu erobern gibt. Sie gibt den entschei­den­den Vorteil.

Wer den Ver­trag entwirft, dem ste­ht es offen­sichtlich frei, seine Vorstel­lun­gen zu ver­wirk­lichen. Das heißt nicht unbe­d­ingt, dass der Ver­trag unfair oder ein­seit­ig sein muss. Aber natür­lich kann man an entschei­den­den Punk­ten Weichen stellen. Selb­st wenn man einen aus­ge­wo­ge­nen Ver­tragsen­twurf vor­legen möchte ist es doch ein­fach und ver­lock­end, die eigene Posi­tion sehr klar zu ver­ankern – die ken­nt man wenig­stens.

…sichert taktische Vorteile…

Das Gegenüber, der Empfänger des nun­mehr in die Welt geset­zten Entwur­fes, ist in ein­er psy­chol­o­gisch schwieri­gen Lage. Der Text näm­lich ste­ht erst ein­mal. Jed­er Änderungswun­sch kommt einem „Abver­han­deln“ gle­ich, und das muss in aller Regel mit Zugeständ­nis­sen an ander­er Stelle kom­pen­siert wer­den.

Anders gesagt: wer den Ver­trag schreibt hat es in der Hand, Zugeständ­nisse allein dafür zu fordern, dass ein Doku­ment geän­dert wird.

…und strategische Positionen

Abseits von einem kleinen Kom­pro­miss hier oder da hat es die Partei mit der Ver­tragshoheit aber vor allem in der Hand, ein Gedankenge­bäude zu erricht­en, eine Philoso­phie im Ver­trag niederzule­gen; Regeln zu definieren, die so aufeinan­der auf­bauen, dass – wenn auch hier und da eine Zahl geän­dert wird – doch das grund­sät­zliche Sys­tem erhal­ten bleibt. Die ver­traglichen Abläufe kön­nen in die eige­nen Struk­turen eingepasst wer­den, naht­los an intern etablierte Prozesse anknüpfen. Diese ver­tragliche Grun­daus­rich­tung umzuw­er­fen geht meist nicht, ohne den Text gle­ich neu zu ver­fassen. Ger­ade diese Mühe macht man sich in aller Regel aber nicht, wenn ein halb­wegs funk­tionaler Entwurf bere­its auf dem Tisch liegt.

Selb­st nach den teuer erkauften Änderun­gen der Gegen­seite bleibt meist ein Text beste­hen, der in sein­er Essenz doch die Vorstel­lun­gen der Partei darstellt, die ihn ver­fasst hat. Der Ver­trag trägt ihre Hand­schrift, fol­gt ihrem Sys­tem, ihren Vorstel­lun­gen; ist ihr geistiges Kind.

Fazit

Wer den Vorteil der Ver­tragshoheit frei­willig aus der Hand gibt, der wird somit gle­ich dop­pelt bestraft. Er find­et ein Doku­ment vor, das den eige­nen grund­sät­zlichen Vorstel­lun­gen schon nicht vol­lends entspricht und bei dem für jede Detailän­derung Zugeständ­nisse an ander­er Stelle gewährt wer­den müssen. Sowohl die strate­gis­che als auch die tak­tis­che Sit­u­a­tion ist somit höchst unbe­friedi­gend.

Die Vorteile der Ver­tragshoheit wiegen damit den Aufwand an Geld und Zeit mehrfach auf. Wer gut berat­en ist, der fügt sich daher nicht nur die Rolle dessen, der den Ver­trag­s­text ver­fasst, er sucht sie aktiv.

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