Neuer Trend GAMIFICATION — ist spielerische Personalauswahl erlaubt?

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„Keine Angst, Du sollst nur spielen!“ – spielerische Personalauswahl (GAMIFICATION)

gamification spielerische personalauswahlEin neu­er Trend hat die Per­so­nal­ar­beit erfasst: „Gami­fi­ca­ti­on“. Bewer­ber sol­len ihre Fähig­kei­ten auf spie­le­ri­sche Art und Wei­se in Com­pu­ter­spie­len unter Beweis stel­len. Getes­tet wer­den bei der spie­le­ri­schen Per­so­nal­aus­wahl neben Fach­wis­sen und Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­ten­zen auch psy­chi­sche und sozia­le Fak­to­ren wie Fähig­keit, Kri­sen zu bewäl­ti­gen, Resi­li­enz, Belast­bar­keit und Risi­ko­freu­de. Im Focus sind nicht nur IT-Spe­zia­lis­ten oder Unter­neh­mens­be­ra­ter, son­dern auch Bank­an­ge­stell­te oder Post­bo­ten. Je nach Ziel­grup­pe soll der Teil­neh­mer in die Rol­le eines Spi­ons schlüp­fen, der Tech­no­lo­gie-Codes kna­cken muss (so ein Pro­gramm der Fa. Star­figh­ter für Eli­te­pro­gram­mie­rer), oder er nimmt an einem vir­tu­el­len Rund­gang im Unter­neh­men teil und soll dort in ver­schie­de­nen Abtei­lun­gen Auf­ga­ben erle­di­gen. Ein vir­tu­el­ler Post­bo­te durch­läuft eine typi­sche Aus­bil­dungs­wo­che („Fac­teur Aca­de­my“). Das Spiel „Cos­mic Cadet“, das bei der Aus­wahl von Unter­neh­mens­be­ra­tern und Anwäl­ten hel­fen soll, tes­tet sogar 13 Cha­rak­ter­zü­ge (www.lto.de, 17.01.2017), um den Bewer­ber bes­ser ein­zu­schät­zen und Fehl­be­set­zun­gen einer Stel­le mög­lichst zu ver­hin­dern.

Abge­se­hen davon, dass die­ses neue Tool inno­va­tiv und läs­sig daher­kommt und des­halb gera­de jun­ge Bewer­ber anspre­chen dürf­te (und wohl auch soll), wer­ben Her­stel­ler damit, dass die Spie­ler in einer locke­ren unge­zwun­gen Atmo­sphä­re und in rea­lis­ti­schen Sze­na­ri­en ihre wah­ren Fähig­kei­ten unter Beweis stel­len könn­ten. Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund sach­frem­der per­sön­li­cher Eigen­schaf­ten wer­de durch Gami­fi­ca­ti­on ver­hin­dert, wovon auch die Unter­neh­men pro­fi­tie­ren, denn schließ­lich fin­den sie so den objek­tiv am bes­ten geeig­ne­ten Bewer­ber.

Was sollen Bewerber und erfahrene Personaler von Gamification halten?

Zunächst ein­mal dürf­te allen Bewer­bern klar sein, dass es sich letzt­lich um eine vir­tu­el­le Vari­an­te eines Assess­ments han­delt – und es dar­auf ankommt, ob der Ent­schei­der am Ende den Dau­men hoch hält oder eben nicht. Mit den Schlag­wör­tern „Cos­mic Cadet tipps“ bei Goog­le erhält man 35.800 Ergeb­nis­se! Bewer­ber ver­su­chen sich opti­mal auf den Test vor­zu­be­rei­ten. Von Ent­span­nung ist bei der spie­le­ri­schen Per­so­nal­aus­wahl kei­ne Spur!

Zudem: Das Sam­meln von Daten zu per­sön­li­chen Eigen­schaf­ten erscheint aus arbeits­recht­li­cher Sicht durch­aus pro­ble­ma­tisch: bekann­ter­ma­ßen ist das Aus­wahl­ge­spräch recht­lich stark regu­liert: die Recht­spre­chung macht genaue Vor­ga­ben dar­über, was der Bewer­ber von sich aus offen­ba­ren muss, wel­che Fra­gen der Arbeit­ge­ber stel­len darf und wel­che nicht. Mit einem Com­pu­ter­spiel kann gegen die­se Regu­la­ri­en ver­sto­ßen wer­den. Und dabei ist es dem Spie­ler mög­li­cher­wei­se noch nicht ein­mal bewusst, dass er unrecht­mä­ßig aus­ge­forscht wird. In einem „ech­ten“ Per­so­nal­ge­spräch steht dem Bewer­ber bei einer unzu­läs­si­gen Fra­ge ein „Recht auf Lüge“ zu. „Im Eifer des Gefechts“ eines Spiels steht er unter dem Anreiz, unter Zeit­druck das nächs­te Level zu schaf­fen – und gibt so mög­li­cher­wei­se mehr von sich preis, als er woll­te und auch müss­te.

Auch der Hin­weis auf die angeb­li­che dis­kri­mi­nie­rungs­freie Aus­wahl ver­fängt bei nähe­rem Hin­se­hen gera­de bei Gami­fi­ca­ti­on nicht, zumin­dest nicht per se: zum einen füh­len sich evtl. älte­re Bewer­ber von vor­ne­her­ein abge­schreckt, ein sol­ches Com­pu­ter­spiel zu durch­lau­fen oder sie haben weni­ger Erfah­rung mit Com­pu­ter­spie­len und schnei­den des­halb von vor­ne­her­ein schlech­ter ab – dies könn­te eine Alters­dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len. Und zum ande­ren könn­ten natür­lich auch indi­rekt z.B. geschlechts­spe­zi­fi­sche Ver­hal­tens­wei­sen abge­fragt wer­den. Der Arbeit­ge­ber ent­schei­det, wie er die gewon­ne­nen Daten bewer­tet und inter­pre­tiert. Trans­pa­renz geht anders!

Last but not least: ob die spie­le­ri­sche Per­so­nal­aus­wahl über­haupt geeig­net ist, pra­xis­taug­li­che Ein­schät­zun­gen von Kan­di­da­ten zu lie­fern, erscheint eben­falls zwei­fel­haft. In ande­rem Zusam­men­hang betont die Bran­che regel­mä­ßig, dass das Spiel­ver­hal­ten einer Per­son nichts mit ihren rea­len Ein­stel­lun­gen und Ver­hal­tens­wei­sen zu tun habe: näm­lich dann, wenn es um die Fra­ge eines Ver­bots von beson­ders aggres­si­ven, gewalt­be­ton­ten Spie­len geht. Nun soll genau das Gegen­teil mög­lich sein: mit dem Spiel sol­len Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten erkannt und mess­bar gemacht wer­den.

Auf die ers­ten Gerichts­ver­fah­ren zu Gami­fi­ca­ti­on darf man des­halb gespannt sein – und sicher wird irgend­wann ein Spie­ler, für den das Spiel mit einem „… und raus bist Du!“ ende­te, ein sol­ches anstren­gen!

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