Die Nachricht über einen recht bizarren Rechtsstreit erreichte uns gestern in Form einer Presseerklärung. Es geht um den Fall der Abmahnung des Heise Verlags gegen die Net Billing GmbH wegen – raten Sie! – Rechtsverletzungen in Forenbeiträgen.
Schon die Parteikonstellation ist pikant, da sie in gewisser Weise umgedreht jene des berüchtigten Heise-Forenurteils widerspiegelt. Dort war es die eher schillernde Universal Boards GmbH – Geschäftsführer Herr M. D. – die gegen Heise einschritt, heute ist es der Heise-Verlag, der gegen die Net Billing GmbH antritt – Geschäftsführer auch hier Herr M. D.
Geschehen war, die Parteien geben hier den Sachverhalt recht übereinstimmend an, folgendes: Die Net Billing GmbH betreibt ein Forum, wohl kein ganz kleines. In diesem wurden mehrfach Beiträge des bekannten Heise-Newstickers als Beitrag geposted. Hierin sieht der Verlag – nachvollziehbar – eine Verletzung eigener urheberrechtlicher Positionen. Dabei wurden diese Postings jedenfalls nach Aussage des Verlages in vielen Fällen durch Moderatoren des Forums oder jedenfalls in Kenntnis dieser vorgenommen. Im wie immer gut informierten R‑Archiv kann man die Stellungnahme des Heise Verlages in der Sache in Teilen nachlesen. Dort heißt es:
Im Gegensatz zum offenen Forum des Heise Verlags handelt es sich bei dem Angebot von D. um ein moderiertes Forum. Dementsprechend muss sich M. D. als Anbieter das Verhalten seiner Moderatoren zurechnen lassen, denn diesen sind “Änderungen und Löschungen von Themen und Beiträgen sowie Sperrungen von Usern vorbehalten”.
Bei den von Heise monierten Beiträgen handelt es sich überwiegend um solche, die entweder von den Moderatoren selbst eingestellt oder nachweislich von diesen zur Kenntnis genommen wurden. Daher haftet der Anbieter unmittelbar für solche Beiträge, bei denen ihm eine Kenntnis zuzurechnen ist.
Und da sind wir beim springenden Punkt: es geht natürlich um die Haftung des Forenbetreibers für Beiträge Dritter oder jedenfalls Zurechnung des Wissens Dritter, denn eigenes Wissen des Herrn M.D. um die angegriffenen Rechtsverletzungen konnte der Verlag wohl nicht nachweisen. Gerade auf diesem Gebiet ist Heise selbst ja ein gebranntes Kind, wenn Sie die Geschichte um das Heise-Forenurteil nicht kennen, dann finden Sie hier mehr dazu.
Der bekannte Münchner Rechtsanwalt Gravenreuth, der die Net Billing GmbH offenbar vertritt, wirft dem Heise-Verlag nun in einer Presseerklärung (PDF) denn auch vor, öffentlich Wasser zu predigen, selbst aber Wein zu trinken:
Neuerdings macht sich der Verlag die von ihm zuvor als gesetz- und systemwidrig vertretene Auffassung (aus dem Urteil des LG Hamburg, d.A.) jedoch zu Eigen: Am 17.03.2005 ließ der Heise-Verlag den Betreiber eines der größten deutschsprachigen Internetforen mit über 100.000 angemeldeten Usern und fast 600.000 Beiträgen abmahnen. In diesem Forum seien von Dritten Beiträge aus dem „Heise-Newsticker“ und anderen Verlagspublikationen in voller Länge als Posting übernommen worden. Dies sei nicht mehr durch das urheberrechtliche Zitatrecht gedeckt, sondern verletze das Urheberrecht des Verlages. Dem Forenbetreiber sei dies „unmittelbar“ zuzurechnen, weil Moderatoren und Administratoren sich zu diesen Beiträgen geäußert hätten, also positive Kenntnis hatten, hieß es in der anwaltlichen Abmahnung weiter.
Nebenbei wird aus der Ecke der Abgemahnten noch ein wenig juristisches und vor allem journalistisches Geplänkel betrieben. Im Wesentlichen wird angeführt, der Verlag hätte selbst abmahnen müssen und sich nicht fremder Anwälte bedienen dürfen, er hätte ferner nicht gezielt nach Rechtsverletzungen suchen dürfen. Diese Argumente sind nach hiesiger Einschätzung juristisch freilich weniger stichhaltig, es handelt sich weder um Massenabmahnungen noch gibt es einen mir bekannten Rechtssatz, dass nicht aktiv nach Rechtverletzungen gesucht werden dürfen (bitte, wie auch!). Die verlinkte Seite dürfte daher eher der Schaffung einer medialen Öffentlichkeit als der ernsthaften juristischen Diskussion dienen.
Das gilt übrigens auch für das Vorbringen, der Heise-Verlag mache sich dieselbe Argumentation zu Eigen, die er gegen sich selbst nicht gelten lassen wolle. Das nämlich ist, jedenfalls nach meiner vorläufigen Einschätzung, schlicht nicht der Fall. Diese Diskussion verengt betrifft die Frage, ob dem Forenbetreiber die Kenntnis seiner Moderatoren als eigene Kenntnis zuzurechnen ist. Meines Erachtens ist das unvermeidlich und hat nichts mit dem Heise-Forenurteil zu tun: dort ging es nicht um Wissenzurechnung, sondern um Verantwortlichkeit trotz Unwissen.
Also zur Wissenszurechnung. Mein erster (vorab: falscher aber lehrreicher) Gedanke die, ggf. analoge, Anwendung des § 166 I BGB, der über die Wissenszurechnung spricht, wenn auch ein wenig verklausuliert:
§ 166 BGB — Willensmängel; Wissenszurechnung
(1) Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht. (…)
Ein Blick in den Palandt zeigt, dass § 166 I analog auch auf den Fall der Wissensvertreter angewandt wird, also solcher Personen, die – ohne Vertretungsmacht – eigenverantwortlich für den Geschäftsherrn handeln. Das klingt nach dem Forenbetreiber.
Der Haken dabei: § 166 I BGB behandelt allein Willenserklärungen. Und die haben wir hier nicht. Also sind wir noch nicht am Ziel.
Es handelt sich hier vielmehr um eine Frage der allgemeinen Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen. Denn das sollten wir uns doch fragen: wenn ein Forenbetreiber nicht bei Kenntnis der Forenmoderatoren haftet, wann dann? Vor allem wenn der Betreiber eine juristische Person ist, eine GmbH? Die hat selbst keine Augen und Ohren, „weiß“ also nie um eine Rechtsverletzung. Kann sie besser gestellt sein als ein Forenbetreiber in Gestalt einer natürlichen Person?
Nein. Auch die juristische Person muss dafür sorgen, dass Wissen, das in der Organisation (im weitern Sinn) vorhanden ist, auch “nach oben” geleitet wird. Prof. Dr. Ulrich Sieber schreibt hierzu zusammenfassend mit weiterführenden Literaturangaben:
Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Wissenszurechnung sind heute vielmehr die Pflichten juristischer Personen für eine ordnungsgemäße Weiterleitung und Abfrage von Wissen. Einer juristischen Person oder Gesamthandsgemeinschaft werden deswegen nicht nur diejenigen Kenntnisse zugerechnet, welche die konkret für sie handelnde Person besitzt. Zuzurechnen sind vielmehr auch die Kenntnisse anderer Personen innerhalb dieser Organisation, wenn die Kenntnisse bei einem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb für die konkret handelnde Person verfügbar gemacht worden wären.
Nun Hand auf Herz: wenn ich ein Forum betreibe und dafür Moderatoren engagiere: halten Sie es für „dem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb entsprechend“, sich deren Wissen zurechnen zu lassen oder meinen Sie, man dürfe sich hinter dem Rücken der Moderatoren verstecken? Entscheiden Sie!
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