Heise Abmahnung – Wissenszurechnung und Nebelkerzen

Urheberrecht | 29. März 2006
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Die Nach­richt über einen recht bizar­ren Rechts­streit erreich­te uns ges­tern in Form einer Pres­se­er­klä­rung. Es geht um den Fall der Abmah­nung des Hei­se Ver­lags gegen die Net Bil­ling GmbH wegen – raten Sie! – Rechts­ver­let­zun­gen in Foren­bei­trä­gen.

Schon die Par­tei­kon­stel­la­ti­on ist pikant, da sie in gewis­ser Wei­se umge­dreht jene des berüch­tig­ten Hei­se-Foren­ur­teils wider­spie­gelt. Dort war es die eher schil­lern­de Uni­ver­sal Boards GmbH – Geschäfts­füh­rer Herr M. D. – die gegen Hei­se ein­schritt, heu­te ist es der Hei­se-Ver­lag, der gegen die Net Bil­ling GmbH antritt – Geschäfts­füh­rer auch hier Herr M. D.

Gesche­hen war, die Par­tei­en geben hier den Sach­ver­halt recht über­ein­stim­mend an, fol­gen­des: Die Net Bil­ling GmbH betreibt ein Forum, wohl kein ganz klei­nes. In die­sem wur­den mehr­fach Bei­trä­ge des bekann­ten Hei­se-News­ti­ckers als Bei­trag gepos­ted. Hier­in sieht der Ver­lag – nach­voll­zieh­bar – eine Ver­let­zung eige­ner urhe­ber­recht­li­cher Posi­tio­nen. Dabei wur­den die­se Pos­tings jeden­falls nach Aus­sa­ge des Ver­la­ges in vie­len Fäl­len durch Mode­ra­to­ren des Forums oder jeden­falls in Kennt­nis die­ser vor­ge­nom­men. Im wie immer gut infor­mier­ten R‑Archiv kann man die Stel­lung­nah­me des Hei­se Ver­la­ges in der Sache in Tei­len nach­le­sen. Dort heißt es:

Im Gegen­satz zum offe­nen Forum des Hei­se Ver­lags han­delt es sich bei dem Ange­bot von D. um ein mode­rier­tes Forum. Dem­entspre­chend muss sich M. D. als Anbie­ter das Ver­hal­ten sei­ner Mode­ra­to­ren zurech­nen las­sen, denn die­sen sind “Ände­run­gen und Löschun­gen von The­men und Bei­trä­gen sowie Sper­run­gen von Usern vor­be­hal­ten”.

Bei den von Hei­se monier­ten Bei­trä­gen han­delt es sich über­wie­gend um sol­che, die ent­we­der von den Mode­ra­to­ren selbst ein­ge­stellt oder nach­weis­lich von die­sen zur Kennt­nis genom­men wur­den. Daher haf­tet der Anbie­ter unmit­tel­bar für sol­che Bei­trä­ge, bei denen ihm eine Kennt­nis zuzu­rech­nen ist.

Und da sind wir beim sprin­gen­den Punkt: es geht natür­lich um die Haf­tung des Foren­be­trei­bers für Bei­trä­ge Drit­ter oder jeden­falls Zurech­nung des Wis­sens Drit­ter, denn eige­nes Wis­sen des Herrn M.D. um die ange­grif­fe­nen Rechts­ver­let­zun­gen konn­te der Ver­lag wohl nicht nach­wei­sen. Gera­de auf die­sem Gebiet ist Hei­se selbst ja ein gebrann­tes Kind, wenn Sie die Geschich­te um das Hei­se-Foren­ur­teil nicht ken­nen, dann fin­den Sie hier mehr dazu.

Der bekann­te Münch­ner Rechts­an­walt Gra­ven­reuth, der die Net Bil­ling GmbH offen­bar ver­tritt, wirft dem Hei­se-Ver­lag nun in einer Pres­se­er­klä­rung (PDF) denn auch vor, öffent­lich Was­ser zu pre­di­gen, selbst aber Wein zu trin­ken:

Neu­er­dings macht sich der Ver­lag die von ihm zuvor als gesetz- und sys­tem­wid­rig ver­tre­te­ne Auf­fas­sung (aus dem Urteil des LG Ham­burg, d.A.) jedoch zu Eigen: Am 17.03.2005 ließ der Hei­se-Ver­lag den Betrei­ber eines der größ­ten deutsch­spra­chi­gen Inter­net­fo­ren mit über 100.000 ange­mel­de­ten Usern und fast 600.000 Bei­trä­gen abmah­nen. In die­sem Forum sei­en von Drit­ten Bei­trä­ge aus dem „Hei­se-News­ti­cker“ und ande­ren Ver­lags­pu­bli­ka­tio­nen in vol­ler Län­ge als Pos­ting über­nom­men wor­den. Dies sei nicht mehr durch das urhe­ber­recht­li­che Zitat­recht gedeckt, son­dern ver­let­ze das Urhe­ber­recht des Ver­la­ges. Dem Foren­be­trei­ber sei dies „unmit­tel­bar“ zuzu­rech­nen, weil Mode­ra­to­ren und Admi­nis­tra­to­ren sich zu die­sen Bei­trä­gen geäu­ßert hät­ten, also posi­ti­ve Kennt­nis hat­ten, hieß es in der anwalt­li­chen Abmah­nung wei­ter.

Neben­bei wird aus der Ecke der Abge­mahn­ten noch ein wenig juris­ti­sches und vor allem jour­na­lis­ti­sches Geplän­kel betrie­ben. Im Wesent­li­chen wird ange­führt, der Ver­lag hät­te selbst abmah­nen müs­sen und sich nicht frem­der Anwäl­te bedie­nen dür­fen, er hät­te fer­ner nicht gezielt nach Rechts­ver­let­zun­gen suchen dür­fen. Die­se Argu­men­te sind nach hie­si­ger Ein­schät­zung juris­tisch frei­lich weni­ger stich­hal­tig, es han­delt sich weder um Mas­sen­ab­mah­nun­gen noch gibt es einen mir bekann­ten Rechts­satz, dass nicht aktiv nach Recht­ver­let­zun­gen gesucht wer­den dür­fen (bit­te, wie auch!). Die ver­link­te Sei­te dürf­te daher eher der Schaf­fung einer media­len Öffent­lich­keit als der ernst­haf­ten juris­ti­schen Dis­kus­si­on die­nen.

Das gilt übri­gens auch für das Vor­brin­gen, der Hei­se-Ver­lag mache sich die­sel­be Argu­men­ta­ti­on zu Eigen, die er gegen sich selbst nicht gel­ten las­sen wol­le. Das näm­lich ist, jeden­falls nach mei­ner vor­läu­fi­gen Ein­schät­zung, schlicht nicht der Fall. Die­se Dis­kus­si­on ver­engt betrifft die Fra­ge, ob dem Foren­be­trei­ber die Kennt­nis sei­ner Mode­ra­to­ren als eige­ne Kennt­nis zuzu­rech­nen ist. Mei­nes Erach­tens ist das unver­meid­lich und hat nichts mit dem Hei­se-Foren­ur­teil zu tun: dort ging es nicht um Wis­sen­zu­rech­nung, son­dern um Ver­ant­wort­lich­keit trotz Unwis­sen.

Also zur Wis­sens­zu­rech­nung. Mein ers­ter (vor­ab: fal­scher aber lehr­rei­cher) Gedan­ke die, ggf. ana­lo­ge, Anwen­dung des § 166 I BGB, der über die Wis­sens­zu­rech­nung spricht, wenn auch ein wenig ver­klau­su­liert:

§ 166 BGB — Wil­lens­män­gel; Wis­sens­zu­rech­nung
(1) Soweit die recht­li­chen Fol­gen einer Wil­lens­er­klä­rung durch Wil­lens­män­gel oder durch die Kennt­nis oder das Ken­nen­müs­sen gewis­ser Umstän­de beein­flusst wer­den, kommt nicht die Per­son des Ver­tre­te­nen, son­dern die des Ver­tre­ters in Betracht. (…)

Ein Blick in den Palandt zeigt, dass § 166 I ana­log auch auf den Fall der Wis­sens­ver­tre­ter ange­wandt wird, also sol­cher Per­so­nen, die – ohne Ver­tre­tungs­macht – eigen­ver­ant­wort­lich für den Geschäfts­herrn han­deln. Das klingt nach dem Foren­be­trei­ber.

Der Haken dabei: § 166 I BGB behan­delt allein Wil­lens­er­klä­run­gen. Und die haben wir hier nicht. Also sind wir noch nicht am Ziel.

Es han­delt sich hier viel­mehr um eine Fra­ge der all­ge­mei­nen Wis­sens­zu­rech­nung inner­halb juris­ti­scher Per­so­nen. Denn das soll­ten wir uns doch fra­gen: wenn ein Foren­be­trei­ber nicht bei Kennt­nis der Foren­mo­de­ra­to­ren haf­tet, wann dann? Vor allem wenn der Betrei­ber eine juris­ti­sche Per­son ist, eine GmbH? Die hat selbst kei­ne Augen und Ohren, „weiß“ also nie um eine Rechts­ver­let­zung. Kann sie bes­ser gestellt sein als ein Foren­be­trei­ber in Gestalt einer natür­li­chen Per­son?

Nein. Auch die juris­ti­sche Per­son muss dafür sor­gen, dass Wis­sen, das in der Orga­ni­sa­ti­on (im wei­tern Sinn) vor­han­den ist, auch “nach oben” gelei­tet wird. Prof. Dr. Ulrich Sie­ber schreibt hier­zu zusam­men­fas­send mit wei­ter­füh­ren­den Lite­ra­tur­an­ga­ben:

Maß­geb­li­cher Gesichts­punkt für die Wis­sens­zu­rech­nung sind heu­te viel­mehr die Pflich­ten juris­ti­scher Per­so­nen für eine ord­nungs­ge­mä­ße Wei­ter­lei­tung und Abfra­ge von Wis­sen. Einer juris­ti­schen Per­son oder Gesamt­hand­sge­mein­schaft wer­den des­we­gen nicht nur die­je­ni­gen Kennt­nis­se zuge­rech­net, wel­che die kon­kret für sie han­deln­de Per­son besitzt. Zuzu­rech­nen sind viel­mehr auch die Kennt­nis­se ande­rer Per­so­nen inner­halb die­ser Orga­ni­sa­ti­on, wenn die Kennt­nis­se bei einem ord­nungs­ge­mä­ßen Geschäfts­be­trieb für die kon­kret han­deln­de Per­son ver­füg­bar gemacht wor­den wären.

Nun Hand auf Herz: wenn ich ein Forum betrei­be und dafür Mode­ra­to­ren enga­gie­re: hal­ten Sie es für „dem ord­nungs­ge­mä­ßen Geschäfts­be­trieb ent­spre­chend“, sich deren Wis­sen zurech­nen zu las­sen oder mei­nen Sie, man dür­fe sich hin­ter dem Rücken der Mode­ra­to­ren ver­ste­cken? Ent­schei­den Sie!

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