Für viel Aufregung hat ja vor einigen Monaten das Heise-Forenurteil des LG Hamburg gesorgt. Auch das Law-Blog hat sich an Exegese und Kritik der Entscheidung versucht. In der Sache ging es um die Frage, inwieweit ein Forenbetreiber für Beiträge Dritter haftet. Im Heise-Forum hatte ein Forennutzer einen Blockadeaufruf gegen die Server eines schillernden Internet-Dienstleisters geposted. Das LG Hamburg hatte in erster Instanz in Gestalt einer einstweiligen Verfügung entschieden, dass Heise als Störer für diesen – rechtswidrigen — Beitrag hafte.
Der Heise-Verlag ging in Berufung und verlor abermals. Aber mit besserem Torverhältnis.
In der Begründung der Entscheidung räumt das OLG – wenn es auch im Ergebnis im konkreten Fall mit dem LG übereinstimmt – der Meinungsfreiheit einen höheren Stellenwert ein. Das OLG beginnt auf gesichertem Terrain mit der Feststellung:
Da der Antragsgegnerin der Inhalt der Beiträge bei Einstellen in das von Ihr eröffnete Forum nicht bekannt war, kommt sie allerdings weder als Täterin noch Teilnehmerin (…) in Betracht. Ihr Beitrag zu diesen Veröffentlichungen bestehet ausschließlich darin, generell ein Forum die Beiträge Dritter zu Verfügung gestellt zu haben. Wie sich aus § 9 MDStV entnehmen lässt, sind Mediendiensteanbieter im Allgemeinen nicht für fremde Informationen verantwortlich (…) sofern sie von dem rechtswidrigen Beitrag keine Kenntnis haben und sofern sie nach Kenntnis unverzüglich tätig geworden sind, um die Informationen zu entfernen.
Wie der BGH in dem Urteil vom 11.3.2004 in Bezug auf die gleich lautende Bestimmung des § 11 TDG ausgeführt hat, schließt dies allerdings eine weitergehende Versantwortung im Rahmen von Unterlassungsansprüchen nicht aus.
In der Tat hat der BGH so entscheiden, letztlich wohl aufgrund einer bedenklich schlechten Formulierung im Gesetz. Schulbuchartig fährt das OLG fort:
In Betracht kommt jedoch ein Unterlassungsanspruch gegen den Forenbetreiber als Störer.
Die Inanspruchnahme als Störer kommt aber nur in Betracht, sofern der Störer eigene Prüfungspflichten verletzt hat. Und das geht – so übrigens im zitierten Urteil auch der BGH – nicht so schnell, wie manche Landgerichte das in einstweiligen Verfügungen annehmen. Denn:
Dabei ist insbesondere zu beachten, dass das Betreiben eines Internetforums unter dem Schutz der Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit steht, und dass die Existenz eines derartigen Forums bei Überspannung der Überwachungspflichten gefährdet wäre.
Nachfolgend zieht das Gericht eine elegante Parallele zur Live-TV-Berichterstattung und führt hier aus:
Dem gemäß wird nur dann von einer Haftung des Mediums ausgegangen, wenn sich dieses nicht in angemessener Weise von dem Inhalt der Äußerungen distanziert oder diese sogar bewusst provoziert hat.
Aber – so das Gericht weiter – ab und an muss man, Meinungsfreiheit hin oder her, jedenfalls das eigene Forum (gemeint ist aber der jeweilige Thread) überwachen, wenn der Betreiber
(…) entweder durch sein eigenes Verhalten vorhersehbar rechtswidrige Beitrage Dritter provoziert hat, oder wenn ihm bereits mindestens eine Rechtsverletzungshandlung von einigem Gericht im Rahmen des Forums benannt worden ist, und sich damit die Gefahr weiterer Rechtsverletzungshandlungen durch einzelne Nutzer bereits konkretisiert hat.
Und daran hat es Heise vorliegend nach Ansicht des OLG mangeln lassen. Man hat nach den ersten rechtsverletzenden Beiträgen nicht weiter überwacht, obwohl man gewarnt war. Das läßt sich hören.
Bei der Frage des zumutbaren Umfangs der Überwachungspflichten differenziert das OLG – viele wird’s freuen – dann noch zwischen gewerblichen und nichtgewerblichen Betreibern von Foren. Ersteren ist eine Überwachung eher zuzumuten.
Das OLG scheint mir ein recht vernünftiges und nachvollziehbares Haftungskonzept darzulegen. Nachschauen muss der Forenbetreiber, wenn er Äußerungen selbst provoziert oder durch vorangegangene Ereignisse gewarnt ist. Er muss nur da (in dem Unterforum / Thread) nachschauen, wo Rechtsverletzungen zu erwarten sind und er muss als Gewerblicher eher auf der Hut sein als ein Hobby-Forenbetreiber.
Interessanterweise hat das LG Hamburg in seiner Entscheidung in der Sache kaum anderes dargelegt – allerdings in der Tat auf dem Boden eines sehr viel restriktiveren Ansatzes.
Im Ergebnis lässt es sich trefflich streiten, was das neuerliche Urteil für Auswirkungen haben wird. Letztlich haben LG und OLG beide nur einen – wenn auch prominenten – Einzelfall entschieden, wie das Gerichte nun einmal tun (müssen). Die Kriterien sind vom BGH vorgegeben und vernünftig. Wann konkret eine Prüfpflicht verletzt ist, wird auch in Zukunft von Sachverhalt zu Sachverhalt unterschiedlich beurteilt werden.
Weitere Aufreger sind mithin durchaus zu erwarten.
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