Heise-Forenurteil reloaded

Medienrecht | 29. August 2006
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Für viel Aufre­gung hat ja vor eini­gen Monat­en das Heise-Forenurteil des LG Ham­burg gesorgt. Auch das Law-Blog hat sich an Exegese und Kri­tik der Entschei­dung ver­sucht. In der Sache ging es um die Frage, inwieweit ein Foren­be­treiber für Beiträge Drit­ter haftet. Im Heise-Forum hat­te ein Foren­nutzer einen Block­adeaufruf gegen die Serv­er eines schillern­den Inter­net-Dien­stleis­ters gepost­ed. Das LG Ham­burg hat­te in erster Instanz in Gestalt ein­er einst­weili­gen Ver­fü­gung entsch­ieden, dass Heise als Stör­er für diesen – rechtswidri­gen — Beitrag hafte.

Der Heise-Ver­lag ging in Beru­fung und ver­lor aber­mals. Aber mit besserem Torver­hält­nis.

Die Entscheidung

In der Begrün­dung der Entschei­dung räumt das OLG – wenn es auch im Ergeb­nis im konkreten Fall mit dem LG übere­in­stimmt – der Mei­n­ungs­frei­heit einen höheren Stel­len­wert ein. Das OLG begin­nt auf gesichertem Ter­rain mit der Fest­stel­lung:

Da der Antrags­geg­ner­in der Inhalt der Beiträge bei Ein­stellen in das von Ihr eröffnete Forum nicht bekan­nt war, kommt sie allerd­ings wed­er als Täterin noch Teil­nehmerin (…) in Betra­cht. Ihr Beitrag zu diesen Veröf­fentlichun­gen beste­het auss­chließlich darin, generell ein Forum die Beiträge Drit­ter zu Ver­fü­gung gestellt zu haben. Wie sich aus § 9 MDStV ent­nehmen lässt, sind Medi­en­di­en­stean­bi­eter im All­ge­meinen nicht für fremde Infor­ma­tio­nen ver­ant­wortlich (…) sofern sie von dem rechtswidri­gen Beitrag keine Ken­nt­nis haben und sofern sie nach Ken­nt­nis unverzüglich tätig gewor­den sind, um die Infor­ma­tio­nen zu ent­fer­nen.
Wie der BGH in dem Urteil vom 11.3.2004 in Bezug auf die gle­ich lau­t­ende Bes­tim­mung des § 11 TDG aus­ge­führt hat, schließt dies allerd­ings eine weit­erge­hende Ver­sant­wor­tung im Rah­men von Unter­las­sungsansprüchen nicht aus.

In der Tat hat der BGH so entschei­den, let­ztlich wohl auf­grund ein­er beden­klich schlecht­en For­mulierung im Gesetz. Schul­buchar­tig fährt das OLG fort:

In Betra­cht kommt jedoch ein Unter­las­sungsanspruch gegen den Foren­be­treiber als Stör­er.

Die Inanspruch­nahme als Stör­er kommt aber nur in Betra­cht, sofern der Stör­er eigene Prü­fungspflicht­en ver­let­zt hat. Und das geht – so übri­gens im zitierten Urteil auch der BGH – nicht so schnell, wie manche Landgerichte das in einst­weili­gen Ver­fü­gun­gen annehmen. Denn:

Dabei ist ins­beson­dere zu beacht­en, dass das Betreiben eines Inter­net­fo­rums unter dem Schutz der Presse- und Mei­n­ungsäußerungs­frei­heit ste­ht, und dass die Exis­tenz eines der­ar­ti­gen Forums bei Überspan­nung der Überwachungspflicht­en gefährdet wäre.

Nach­fol­gend zieht das Gericht eine ele­gante Par­al­lele zur Live-TV-Berichter­stat­tung und führt hier aus:

Dem gemäß wird nur dann von ein­er Haf­tung des Medi­ums aus­ge­gan­gen, wenn sich dieses nicht in angemessen­er Weise von dem Inhalt der Äußerun­gen dis­tanziert oder diese sog­ar bewusst provoziert hat.

Aber – so das Gericht weit­er – ab und an muss man, Mei­n­ungs­frei­heit hin oder her, jeden­falls das eigene Forum (gemeint ist aber der jew­eilige Thread) überwachen, wenn der Betreiber

(…) entwed­er durch sein eigenes Ver­hal­ten vorherse­hbar rechtswidrige Beitrage Drit­ter provoziert hat, oder wenn ihm bere­its min­destens eine Rechtsver­let­zung­shand­lung von einigem Gericht im Rah­men des Forums benan­nt wor­den ist, und sich damit die Gefahr weit­er­er Rechtsver­let­zung­shand­lun­gen durch einzelne Nutzer bere­its konkretisiert hat.

Und daran hat es Heise vor­liegend nach Ansicht des OLG man­geln lassen. Man hat nach den ersten rechtsver­let­zen­den Beiträ­gen nicht weit­er überwacht, obwohl man gewarnt war. Das läßt sich hören.

Bei der Frage des zumut­baren Umfangs der Überwachungspflicht­en dif­feren­ziert das OLG – viele wird’s freuen – dann noch zwis­chen gewerblichen und nicht­gewerblichen Betreibern von Foren. Ersteren ist eine Überwachung eher zuzu­muten.

Fazit

Das OLG scheint mir ein recht vernün­ftiges und nachvol­lziehbares Haf­tungskonzept darzule­gen. Nach­schauen muss der Foren­be­treiber, wenn er Äußerun­gen selb­st provoziert oder durch vor­ange­gan­gene Ereignisse gewarnt ist. Er muss nur da (in dem Unter­fo­rum / Thread) nach­schauen, wo Rechtsver­let­zun­gen zu erwarten sind und er muss als Gewerblich­er eher auf der Hut sein als ein Hob­by-Foren­be­treiber.

Inter­es­san­ter­weise hat das LG Ham­burg in sein­er Entschei­dung in der Sache kaum anderes dargelegt – allerd­ings in der Tat auf dem Boden eines sehr viel restrik­tiv­eren Ansatzes.

Im Ergeb­nis lässt es sich tre­f­flich stre­it­en, was das neuer­liche Urteil für Auswirkun­gen haben wird. Let­ztlich haben LG und OLG bei­de nur einen – wenn auch promi­nen­ten – Einzelfall entsch­ieden, wie das Gerichte nun ein­mal tun (müssen). Die Kri­te­rien sind vom BGH vorgegeben und vernün­ftig. Wann konkret eine Prüf­pflicht ver­let­zt ist, wird auch in Zukun­ft von Sachver­halt zu Sachver­halt unter­schiedlich beurteilt wer­den.

Weit­ere Aufreger sind mithin dur­chaus zu erwarten.

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Wettbewerbsrecht 16. Februar 2023

BGH zu Affiliate-Marketing: Alles ist schrecklich, aber Amazon haftet trotzdem nicht für seine Partner

Amazon muss nicht für seine Affiliate-Partner haften, entschied der Bundesgerichtshof. Rechtlich ist das Urteil kaum zu beanstanden, aber trotzdem hinterlässt es einen bitteren Nachgeschmack. Eine Einschätzung von Arne Trautmann.  (mehr …)

Crypto 20. Januar 2023

DAO: Die codierte Organisation

Haben Sie schon jemals darüber nachgedacht, was sich hinter dem Begriff „dezentralisierte autonome Organisation“ (DAO) verbirgt und welchen Einfluss die DAO im Alltag hat? Arne Trautmann berichtet aus der Fachwelt.  (mehr …)