Zum 1. Januar gab es tiefgreifende Änderungen im Kaufrecht: Der Handel mit digitalen Produkten wird geregelt, die Gewährleistungsrechte werden verbraucherfreundlicher. Höchste Zeit für Unternehmen, die mit digitalen, aber auch mit analogen Produkten Handel treiben, ihre Prozesse, Vertragsmuster und AGB anzupassen, rät Gero Wilke.
Im deutschen Kaufrecht gelten aufgrund zweier neuer Gesetze zahlreiche neue gesetzliche Regelungen, mit denen der Bund europäische Richtlinien umsetzt. Die Reform, die komplett im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) umgesetzt wurde, gestaltet das gesamte Gewährleistungsrecht verbraucherfreundlicher. Fristen entfallen, die Nacherfüllung muss für Verbraucher bequemer werden, der Rücktritt vom Vertrag wird einfacher und die Verjährungsfristen für Verbrauchsgüterkäufe verlängern sich. Viele Unternehmen müssen ihre Prozesse zur Bestellung und zur Nacherfüllung bei Mängeln neu aufstellen.
Auch für Unternehmen, die nur im B2B-Bereich tätig sind, gibt es grundlegende Änderungen: Ein Mangel liegt jetzt schneller vor und durch die Verlängerung der Verjährungsfristen zu Gunsten der Verbraucher können auch Unternehmer Mängelansprüchen in der Lieferkette länger ausgesetzt sein.
Die Neuerungen passen das Kaufrecht außerdem an das digitale Zeitalter an. Für Hersteller und Händler von digitalen Produkten und Waren mit digitalen Elementen kann durch die neue Aktualisierungspflicht Anpassungsbedarf in der gesamten Lieferkette entstehen.
Die Änderung des Mangelbegriffs betrifft alle Waren, die von der üblichen Beschaffenheit abweichen. Handlungsbedarf besteht beispielsweise für die Anbieter von Test- oder Beta-Software, aber auch für alle, die auch Gebrauchtgegenstände, B‑Ware, Ausstellungsstücke, Mängelexemplare oder Rückläufer verkaufen.
Rechtssicher kann solche Gegenstände nur noch verkaufen, wer mit dem Kunden vereinbart, dass die Waren vom gesetzlichen Leitbild einer mangelfreien Ware abweichen dürfen.
Das liegt daran, dass Kaufgegenstände jetzt nur noch mangelfrei sind, wenn sie subjektiv und objektiv alle Anforderungen erfüllen. Es reicht also nicht mehr, wenn eine Sache in dem Zustand ist, der mit dem Käufer – subjektiv – vereinbart wurde, sich für die von ihm vorausgesetzte Verwendung eignet und mit dem Zubehör übergeben wird, das vereinbart wurde. Vielmehr gilt jetzt zusätzlich ein objektivierter Maßstab: Die Kaufsache muss sich auch für die gewöhnliche Verwendung eignen, im üblichen Maß geeignet sein und mit dem objektiv erwartbaren Zubehör übergeben werden.
Unternehmen müssen Verbraucher daher vor dem Kauf nachweisbar ausdrücklich und gesondert informieren, wenn die Ware von den objektiven Anforderungen abweicht. Vor allem im elektronischen Rechtsverkehr muss daher so mancher Bestell- und Verkaufsprozess umgestaltet werden, häufig wird es zumindest ein aktiv zu setzendes Häkchens brauchen.
Die Gewährleistungsrechte werden im Gefolge der europäischen Rechtsprechung verbraucherfreundlicher ausgestaltet. So muss, wenn ein Mangel vorliegt, eine Nacherfüllung jetzt „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchzuführen“ sein.
Auch die formellen Voraussetzungen, unter denen Verbraucher ihre Gewährleistungsrechte geltend machen können, wurden spürbar herabgesetzt. Sie müssen dem Verkäufer keine explizite Aufforderung und Frist zur Nacherfüllung mehr setzen, um die Nacherfüllungsfrist in Gang zu setzen. Jetzt müssen Verbraucher den Verkäufer bloß noch darüber informieren, dass der Kaufgegenstand einen Mangel aufweist. Reagiert der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist und schafft Abhilfe, kann der Verbraucher ohne Weiteres vom Vertrag zurücktreten. Anders als bisher muss er auch dazu dem Verkäufer nicht einmal mehr formal eine Frist setzen, bevor er den Rücktritt erklärt.
Das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung wird damit deutlich beschränkt. Gerade beim Verkauf von Neuware, die mit Benutzung stark an Wert verliert, entstehen so neue erhebliche wirtschaftliche Risiken.
Bisher konnten Käufer, ob nun Verbraucher oder Unternehmen, normalerweise nur binnen zwei Jahren nach Erhalt der Kaufsache Gewährleistungs- bzw. Mängelansprüche geltend machen (§ 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB). Auch das ändert die Kaufrechtsreform: Zeigt sich ein Mangel während der Verjährungsfrist von zwei Jahren, hat der Verbraucher stets vier Monate Zeit, um den Mangel geltend zu machen; auch dann, wenn der Mangel erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist auftritt, diese also nach altem Recht abgelaufen wäre. Dies kann auch in der Lieferkette dazu führen, dass der Hersteller oder Lieferanten des Verkäufers deutlich länger in Anspruch genommen werden können. Außerdem wurde die für Hersteller und Lieferanten gerade bei längeren Lieferketten günstige Regelung zur maximalen Hemmung der Verjährung von 5 Jahren (§ 445b Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) gestrichen.
Auswirkungen hat diese Änderung vor allem auf die in vielen AGB enthaltenen Regelungen zur Verjährung. Denn auch hier darf gegenüber Verbrauchern nur durch eine dokumentierte ausdrückliche und gesonderte Vereinbarung von den gesetzlichen Verjährungsregeln abgewichen werden. Wenn Unternehmen ihre AGB zur Verjährung nicht entsprechend anpassen, drohen – neben unwirksamen AGB – schlimmstenfalls Abmahnungen durch Mitbewerber oder Verbraucherschutzverbände.
Die augenfälligsten Neuerungen betreffen Hersteller und Händler digitaler Produkte oder sogenannter Waren mit digitalen Inhalten.
in diesem Sinne sind alle digitalen Inhalte und Dienstleistungen; also digital bereitgestellte Computerspiele und herunterladbare E‑Books ebenso wie gestreamte Filme oder Musik. Die für sie neu eingeführten Regeln der §§ 327 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gelten unabhängig davon, welcher Vertragstyp bezüglich des digitalen Produkts zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher vereinbart wurde. Die Vorschriften enthalten unter anderem zahlreiche Pflichten für den Bereitsteller digitaler Produkte, insbesondere wie die Bereitstellung erfolgen muss und dass Aktualisierungen bereitzustellen sind. Außerdem gibt es eine Art eigenes „Gewährleistungsrecht“, das die Rechte der Verbraucher bei Mängeln regelt.
Unter Waren mit digitalen Inhalten versteht das Gesetz hingegen Waren, die digitale Produkte enthalten oder mit diesen verbunden sind. Klassische Beispiele sind Smartphones, Smart TVs, Roboter, Tablets oder SmartHome-Geräte. Für sie enthalten §§ 475b ff. BGB neue, spezifisch kaufrechtliche Regelungen insbesondere zur Frage, wann Waren mit digitalen Inhalten mangelhaft sind; auch hier spielt nunmehr die Bereitstellung von Aktualisierungen eine erhebliche Rolle für die Frage des Mangels.
Auch diese Änderungen haben jeweils erhebliche Auswirkungen auf die AGB von Unternehmen, die digitale Produkte bereitstellen. Auch hier können – neben unwirksamen AGB – Abmahnungen drohen.
Für Digitale Produkte und Waren mit digitalen Inhalten führt der Gesetzgeber in § 327 f BGB und § 475b BGB erstmals eine echte Aktualisierungspflicht ein. Sie soll sicherstellen, dass die Waren zumindest während der üblichen Nutzungs- und Verwendungsdauer funktionieren und sicher sind. Nur wenn auch die vereinbarten und erwartbaren Aktualisierungen bereitgestellt werden, geht das Gesetz von einer mangelfreien digitalen Ware aus.
Die Aktualisierungspflicht trifft den Verkäufer der Ware. Sie gilt so lange, wie Verbraucher vernünftigerweise mit Aktualisierungen rechnen dürfen. Beim Verkauf an Unternehmen kann man das vertraglich anders regeln; das muss aber ausdrücklich geschehen und sollte dokumentiert werden.
Die zum 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen sind für Unternehmen jeder Größe und in ganz verschiedenen Branchen sehr wichtig. Das Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags und das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen wirken sich auf die Verträge mit Kunden aus und können Anpassungen in der ganzen Lieferkette nötig machen. Wer die eigenen Prozesse und Dokumente nicht schnell anpasst, muss neben Ärger mit Kunden auch Abmahnungen der Konkurrenz befürchten.
Gero Wilke ist spezialisiert auf die Beratung und Prozessführung in den Bereichen Geistiges Eigentum und IT-Recht. Er berät und vertritt Unternehmen aller Größen, vornehmlich mittelständische Unternehmen. Die Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen im Markenrecht, Wettbewerbsrecht, Urheber- bzw. Medienrecht sowie im Softwarevertragsrecht, Internet- und eCommerce-Recht. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Beratung im Bereich Datenschutz und DSGVO. Gero Wilke ist zertifizierter externer Datenschutzbeauftragter. https://de.linkedin.com/in/gerowilke
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