Das neue Kaufrecht: Was Unternehmen jetzt beachten müssen

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Vertragsrecht | 31. Januar 2022
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Zum 1. Janu­ar gab es tief­grei­fen­de Ände­run­gen im Kauf­recht: Der Han­del mit digi­ta­len Pro­duk­ten wird gere­gelt, die Gewähr­leis­tungs­rech­te wer­den ver­brau­cher­freund­li­cher. Höchs­te Zeit für Unter­neh­men, die mit digi­ta­len, aber auch mit ana­lo­gen Pro­duk­ten Han­del trei­ben, ihre Pro­zes­se, Ver­trags­mus­ter und AGB anzu­pas­sen, rät Gero Wil­ke.  

Im deut­schen Kauf­recht gel­ten auf­grund zwei­er neu­er Geset­ze zahl­rei­che neue gesetz­li­che Rege­lun­gen, mit denen der Bund euro­päi­sche Richt­li­ni­en umsetzt. Die Reform, die kom­plett im Bür­ger­li­chen Gesetz­buch (BGB) umge­setzt wur­de, gestal­tet das gesam­te Gewähr­leis­tungs­recht ver­brau­cher­freund­li­cher. Fris­ten ent­fal­len, die Nach­er­fül­lung muss für Ver­brau­cher beque­mer wer­den, der Rück­tritt vom Ver­trag wird ein­fa­cher und die Ver­jäh­rungs­fris­ten für Ver­brauchs­gü­ter­käu­fe ver­län­gern sich. Vie­le Unter­neh­men müs­sen ihre Pro­zes­se zur Bestel­lung und zur Nach­er­fül­lung bei Män­geln neu auf­stel­len.

Auch für Unter­neh­men, die nur im B2B-Bereich tätig sind, gibt es grund­le­gen­de Ände­run­gen: Ein Man­gel liegt jetzt schnel­ler vor und durch die Ver­län­ge­rung der Ver­jäh­rungs­fris­ten zu Guns­ten der Ver­brau­cher kön­nen auch Unter­neh­mer Män­gel­an­sprü­chen in der Lie­fer­ket­te län­ger aus­ge­setzt sein.

Die Neue­run­gen pas­sen das Kauf­recht außer­dem an das digi­ta­le Zeit­al­ter an. Für Her­stel­ler und Händ­ler von digi­ta­len Pro­duk­ten und Waren mit digi­ta­len Ele­men­ten kann durch die neue Aktua­li­sie­rungs­pflicht Anpas­sungs­be­darf in der gesam­ten Lie­fer­ket­te ent­ste­hen.

Der neue Mangelbegriff und besondere Waren

Die Ände­rung des Man­gel­be­griffs betrifft alle Waren, die von der übli­chen Beschaf­fen­heit abwei­chen. Hand­lungs­be­darf besteht bei­spiels­wei­se für die Anbie­ter von Test- oder Beta-Soft­ware, aber auch für alle, die auch Gebraucht­ge­gen­stän­de, B‑Ware, Aus­stel­lungs­stü­cke, Män­gel­ex­em­pla­re oder Rück­läu­fer ver­kau­fen.

Rechts­si­cher kann sol­che Gegen­stän­de nur noch ver­kau­fen, wer mit dem Kun­den ver­ein­bart, dass die Waren vom gesetz­li­chen Leit­bild einer man­gel­frei­en Ware abwei­chen dür­fen.

Das liegt dar­an, dass Kauf­ge­gen­stän­de jetzt nur noch man­gel­frei sind, wenn sie sub­jek­tiv und objek­tiv alle Anfor­de­run­gen erfül­len. Es reicht also nicht mehr, wenn eine Sache in dem Zustand ist, der mit dem Käu­fer – sub­jek­tiv – ver­ein­bart wur­de, sich für die von ihm vor­aus­ge­setz­te Ver­wen­dung eig­net und mit dem Zube­hör über­ge­ben wird, das ver­ein­bart wur­de. Viel­mehr gilt jetzt zusätz­lich ein objek­ti­vier­ter Maß­stab: Die Kauf­sa­che muss sich auch für die gewöhn­li­che Ver­wen­dung eig­nen, im übli­chen Maß geeig­net sein und mit dem objek­tiv erwart­ba­ren Zube­hör über­ge­ben wer­den.

Unter­neh­men müs­sen Ver­brau­cher daher vor dem Kauf nach­weis­bar aus­drück­lich und geson­dert infor­mie­ren, wenn die Ware von den objek­ti­ven Anfor­de­run­gen abweicht. Vor allem im elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr muss daher so man­cher Bestell- und Ver­kaufs­pro­zess umge­stal­tet wer­den, häu­fig wird es zumin­dest ein aktiv zu set­zen­des Häk­chens brau­chen.

Checkliste für Anbieter von Waren mit besonderer Beschaffenheit:

  • Waren­sor­ti­ment: Wer­den Waren ver­kauft, deren Beschaf­fen­heit nicht den objek­ti­ven Anfor­de­run­gen ent­spricht?
  • Waren­prä­sen­ta­ti­on und Wer­bung: Ent­spricht die Ver­kaufs­wa­re den bei der Waren­prä­sen­ta­ti­on und Wer­bung her­aus­ge­stell­ten Merk­ma­len?
  • Bestell- bzw. Ver­kaufs­pro­zess: Stel­len die der­zei­ti­gen Pro­zes­se sicher, dass indi­vi­du­ell mit dem Kun­den getrof­fe­ne, abwei­chen­de Ver­ein­ba­run­gen rechts­si­cher doku­men­tiert wer­den?

Keine Fristen, schneller Rücktritt: Das neue Gewährleistungsrecht

Die Gewähr­leis­tungs­rech­te wer­den im Gefol­ge der euro­päi­schen Recht­spre­chung ver­brau­cher­freund­li­cher aus­ge­stal­tet. So muss, wenn ein Man­gel vor­liegt, eine Nach­er­fül­lung jetzt „ohne erheb­li­che Unan­nehm­lich­kei­ten für den Ver­brau­cher durch­zu­füh­ren“ sein.

Auch die for­mel­len Vor­aus­set­zun­gen, unter denen Ver­brau­cher ihre Gewähr­leis­tungs­rech­te gel­tend machen kön­nen, wur­den spür­bar her­ab­ge­setzt. Sie müs­sen dem Ver­käu­fer kei­ne expli­zi­te Auf­for­de­rung und Frist zur Nach­er­fül­lung mehr set­zen, um die Nach­er­fül­lungs­frist in Gang zu set­zen. Jetzt müs­sen Ver­brau­cher den Ver­käu­fer bloß noch dar­über infor­mie­ren, dass der Kauf­ge­gen­stand einen Man­gel auf­weist. Reagiert der Ver­käu­fer nicht inner­halb einer ange­mes­se­nen Frist und schafft Abhil­fe, kann der Ver­brau­cher ohne Wei­te­res vom Ver­trag zurück­tre­ten. Anders als bis­her muss er auch dazu dem Ver­käu­fer nicht ein­mal mehr for­mal eine Frist set­zen, bevor er den Rück­tritt erklärt.

Das Recht des Ver­käu­fers zur zwei­ten Andie­nung wird damit deut­lich beschränkt. Gera­de beim Ver­kauf von Neu­wa­re, die mit Benut­zung stark an Wert ver­liert, ent­ste­hen so neue erheb­li­che wirt­schaft­li­che Risi­ken.

Checkliste für Unternehmer:

  • Beschwer­de­ma­nage­ment: Wird auf Beschwer­den von Ver­brau­chern zügig genug reagiert, um vor­schnel­le Rück­tritts­er­klä­run­gen mög­lichst aus­zu­schlie­ßen?
  • Nach­er­fül­lungs­ma­nage­ment: Kön­nen Män­gel nach einer Rüge durch den Kun­den zügig besei­tigt wer­den, so dass kei­ne Belas­tung für den Kun­den ent­steht?

Längere Verjährung, auch für Unternehmen

Bis­her konn­ten Käu­fer, ob nun Ver­brau­cher oder Unter­neh­men, nor­ma­ler­wei­se nur bin­nen zwei Jah­ren nach Erhalt der Kauf­sa­che Gewähr­leis­tungs- bzw. Män­gel­an­sprü­che gel­tend machen (§ 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB). Auch das ändert die Kauf­rechts­re­form: Zeigt sich ein Man­gel wäh­rend der Ver­jäh­rungs­frist von zwei Jah­ren, hat der Ver­brau­cher stets vier Mona­te Zeit, um den Man­gel gel­tend zu machen; auch dann, wenn der Man­gel erst kurz vor Ablauf der Ver­jäh­rungs­frist auf­tritt, die­se also nach altem Recht abge­lau­fen wäre. Dies kann auch in der Lie­fer­ket­te dazu füh­ren, dass der Her­stel­ler oder Lie­fe­ran­ten des Ver­käu­fers deut­lich län­ger in Anspruch genom­men wer­den kön­nen. Außer­dem wur­de die für Her­stel­ler und Lie­fe­ran­ten gera­de bei län­ge­ren Lie­fer­ket­ten güns­ti­ge Rege­lung zur maxi­ma­len Hem­mung der Ver­jäh­rung von 5 Jah­ren (§ 445b Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) gestri­chen.

Aus­wir­kun­gen hat die­se Ände­rung vor allem auf die in vie­len AGB ent­hal­te­nen Rege­lun­gen zur Ver­jäh­rung. Denn auch hier darf gegen­über Ver­brau­chern nur durch eine doku­men­tier­te aus­drück­li­che und geson­der­te Ver­ein­ba­rung von den gesetz­li­chen Ver­jäh­rungs­re­geln abge­wi­chen wer­den. Wenn Unter­neh­men ihre AGB zur Ver­jäh­rung nicht ent­spre­chend anpas­sen, dro­hen – neben unwirk­sa­men AGB – schlimms­ten­falls Abmah­nun­gen durch Mit­be­wer­ber oder Ver­brau­cher­schutz­ver­bän­de.

Das Kaufrecht wird digital

Die augen­fäl­ligs­ten Neue­run­gen betref­fen Her­stel­ler und Händ­ler digi­ta­ler Pro­duk­te oder soge­nann­ter Waren mit digi­ta­len Inhal­ten.

in die­sem Sin­ne sind alle digi­ta­len Inhal­te und Dienst­leis­tun­gen; also digi­tal bereit­ge­stell­te Com­pu­ter­spie­le und her­un­ter­lad­ba­re E‑Books eben­so wie gestream­te Fil­me oder Musik. Die für sie neu ein­ge­führ­ten Regeln der §§ 327 ff. Bür­ger­li­ches Gesetz­buch (BGB) gel­ten unab­hän­gig davon, wel­cher Ver­trags­typ bezüg­lich des digi­ta­len Pro­dukts zwi­schen dem Unter­neh­mer und dem Ver­brau­cher ver­ein­bart wur­de. Die Vor­schrif­ten ent­hal­ten unter ande­rem zahl­rei­che Pflich­ten für den Bereit­stel­ler digi­ta­ler Pro­duk­te, ins­be­son­de­re wie die Bereit­stel­lung erfol­gen muss und dass Aktua­li­sie­run­gen bereit­zu­stel­len sind. Außer­dem gibt es eine Art eige­nes „Gewähr­leis­tungs­recht“, das die Rech­te der Ver­brau­cher bei Män­geln regelt.

Unter Waren mit digi­ta­len Inhal­ten ver­steht das Gesetz hin­ge­gen Waren, die digi­ta­le Pro­duk­te ent­hal­ten oder mit die­sen ver­bun­den sind. Klas­si­sche Bei­spie­le sind Smart­phones, Smart TVs, Robo­ter, Tablets oder Smar­tHome-Gerä­te. Für sie ent­hal­ten §§ 475b ff. BGB neue, spe­zi­fisch kauf­recht­li­che Rege­lun­gen ins­be­son­de­re zur Fra­ge, wann Waren mit digi­ta­len Inhal­ten man­gel­haft sind; auch hier spielt nun­mehr die Bereit­stel­lung von Aktua­li­sie­run­gen eine erheb­li­che Rol­le für die Fra­ge des Man­gels.

Auch die­se Ände­run­gen haben jeweils erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die AGB von Unter­neh­men, die digi­ta­le Pro­duk­te bereit­stel­len. Auch hier kön­nen – neben unwirk­sa­men AGB – Abmah­nun­gen dro­hen.

Verkäufer schulden jetzt Software-Aktualisierungen

Für Digi­ta­le Pro­duk­te und Waren mit digi­ta­len Inhal­ten führt der Gesetz­ge­ber in § 327 f BGB und § 475b BGB erst­mals eine ech­te Aktua­li­sie­rungs­pflicht ein. Sie soll sicher­stel­len, dass die Waren zumin­dest wäh­rend der übli­chen Nut­zungs- und Ver­wen­dungs­dau­er funk­tio­nie­ren und sicher sind. Nur wenn auch die ver­ein­bar­ten und erwart­ba­ren Aktua­li­sie­run­gen bereit­ge­stellt wer­den, geht das Gesetz von einer man­gel­frei­en digi­ta­len Ware aus.

Die Aktua­li­sie­rungs­pflicht trifft den Ver­käu­fer der Ware. Sie gilt so lan­ge, wie Ver­brau­cher ver­nünf­ti­ger­wei­se mit Aktua­li­sie­run­gen rech­nen dür­fen. Beim Ver­kauf an Unter­neh­men kann man das ver­trag­lich anders regeln; das muss aber aus­drück­lich gesche­hen und soll­te doku­men­tiert wer­den.

Checkliste für Hersteller und Händler von digitalen Produkten und Waren mit digitalen Inhalten:

  • Lie­fer­ket­ten­ma­nage­ment: Wer ist inner­halb der Lie­fer­ket­te für Aktua­li­sie­run­gen und/oder die Infor­ma­ti­on von End­kun­den zustän­dig? Bestehen hier­über und über mög­li­che Regress­for­de­run­gen mit dem Lie­fe­ran­ten bzw. Abneh­mer kla­re ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen?
  • Doku­men­ta­ti­on: Ist hin­rei­chend doku­men­tiert, wer für die Erfül­lung von Aktua­li­sie­rungs­pflich­ten zustän­dig ist?
  • Ver­trags­ge­stal­tung: Ver­spre­chen die der­zeit genutz­ten Ver­trags­for­mu­la­re und ggf. Bestell­pro­zes­se nur Aktua­li­sie­rungs­leis­tun­gen, die auch tat­säch­lich erbracht wer­den kön­nen?

Die zum 1. Janu­ar 2022 in Kraft getre­te­nen Geset­zes­än­de­run­gen sind für Unter­neh­men jeder Grö­ße und in ganz ver­schie­de­nen Bran­chen sehr wich­tig. Das Gesetz zur Rege­lung des Ver­kaufs von Sachen mit digi­ta­len Ele­men­ten und ande­rer Aspek­te des Kauf­ver­trags und das Gesetz zur Umset­zung der Richt­li­nie über bestimm­te ver­trags­recht­li­che Aspek­te der Bereit­stel­lung digi­ta­ler Inhal­te und digi­ta­ler Dienst­leis­tun­gen wir­ken sich auf die Ver­trä­ge mit Kun­den aus und kön­nen Anpas­sun­gen in der gan­zen Lie­fer­ket­te nötig machen. Wer die eige­nen Pro­zes­se und Doku­men­te nicht schnell anpasst, muss neben Ärger mit Kun­den auch Abmah­nun­gen der Kon­kur­renz befürch­ten.

Gero Wil­ke ist spe­zia­li­siert auf die Bera­tung und Pro­zess­füh­rung in den Berei­chen Geis­ti­ges Eigen­tum und IT-Recht. Er berät und ver­tritt Unter­neh­men aller Grö­ßen, vor­nehm­lich mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men. Die Schwer­punk­te sei­ner Tätig­keit lie­gen im Mar­ken­recht, Wett­be­werbs­recht, Urhe­ber- bzw. Medi­en­recht sowie im Soft­ware­ver­trags­recht, Inter­net- und eCom­mer­ce-Recht. Einen wei­te­ren Schwer­punkt bil­det die Bera­tung im Bereich Daten­schutz und DSGVO. Gero Wil­ke ist zer­ti­fi­zier­ter exter­ner Daten­schutz­be­auf­trag­ter. https://de.linkedin.com/in/gerowilke 

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