Wenn der Krieg die Lieferkette stört: Frieden als Geschäftsgrundlage und Höhere-Gewalt-Klauseln

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Einen Krieg in Europa hat­te nie­mand ern­sthaft erwartet. Nun führen der Angriff auf die Ukraine, aber auch die Sank­tio­nen der west­lichen Welt schnell zu erhe­blichen Störun­gen in den Liefer­ket­ten. Wie Unternehmen damit heute umge­hen kön­nen und wie sie ihre Verträge von mor­gen absich­ern soll­ten, erk­lärt Dr. Wolf­gang Heinze.

Es ist schon das zweite Mal in weni­gen Jahren, dass die nor­malen Spiel­regeln nicht mehr gel­ten. Zuerst sorgten das Coro­na-Virus und die Maß­nah­men, die zu sein­er Ver­mei­dung erlassen wur­den, weltweit für Lief­er­eng­pässe. Nun ist geschehen, was noch vor einem Monat fast nie­mand für möglich hielt: Ein Krieg an Europas Gren­zen und die Sank­tio­nen, die die west­liche Welt ihm ent­ge­genset­zt, haben mas­sive Auswirkun­gen auch auf die Wirtschaft. Die Fab­rik in der Ukraine, die noch vor weni­gen Wochen eine Charge Vor­pro­duk­te hergestellt und geliefert hat, kann nun zer­bombt sein.

Es real­isiert sich ein Risiko, das keine der Ver­tragsparteien bedacht hat­te, und das auch keine von ihnen geset­zt oder zu ver­ant­worten hat. Um die Inter­essen bei­der Ver­tragsparteien in Aus­gle­ich zu brin­gen, enthal­ten gute Verträge für einen solchen Fall eine sog. Force-Majeure-Klausel („Höhere-Gewalt-Klausel“).

Wenn es keine solche Regelung gibt, bietet das Gesetz Lösun­gen an. Sie sind allerd­ings mit erhe­blichen Unsicher­heit­en behaftet; ob man sich als Ver­tragspartei wirk­lich recht­mäßig ver­hält, wird oft erst viel später durch ein Gericht entsch­ieden.

Das Gesetz: Wann die Leistung unmöglich ist

Bei unüber­wind­baren Nach­schubprob­le­men oder Störun­gen des eige­nen Her­stel­lung­sprozess­es, die nicht in seinen Ver­ant­wor­tungs­bere­ich fall­en, kann sich ein Liefer­ant auf die sog. Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 Bürg­er­lich­es Geset­zbuch (BGB) berufen. Damit würde er von sein­er primären Lieferpflicht frei, müsste also nicht liefern, was er eigentlich ver­traglich schuldet. Er ver­liert aber im Gegen­zug auch seinen eige­nen Zahlungsanspruch gegen seinen Kun­den, § 326 Abs. 1 BGB.

Die Beru­fung auf eine solche Unmöglichkeit der Leis­tung ist aber häu­fig, selb­st wenn ihre Voraus­set­zun­gen vor­liegen, nicht die gün­stig­ste Lösung für einen Liefer­an­ten. Zum kom­plet­ten Aus­fall sein­er Ein­nah­men kann näm­lich noch eine Schadenser­satzhaf­tung hinzukom­men, etwa für Betrieb­saus­fallschä­den, die sein Kunde wegen der verzögerten oder kom­plett aus­ge­fal­l­enen Liefer­ung erlei­det.

Die Voraus­set­zun­gen ein­er Beru­fung auf Unmöglichkeit sind zudem hoch. Grund­sät­zlich trägt schließlich der Liefer­ant das Beschaf­fungsrisiko für seine Vor­pro­duk­te, so dass auf sein­er Seite eine sehr „hohe“ Opfer­gren­ze anzunehmen ist. Ob ein Krieg abwe­ichend von dieser Risikoverteilung aus­nahm­sweise eine Unmöglichkeit der Liefer­ung begrün­det, hängt davon ab, ob der Liefer­ant alter­na­tive Bezugsquellen hätte. Nur wenn es diese gar nicht gibt, wäre die Leis­tung wirk­lich unmöglich.

Kön­nte der Liefer­ant hinge­gen, was in aller Regel möglich ist, zum Beispiel die Teile, die er benötigt, ander­weit­ig beziehen, liegt keine Unmöglichkeit im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB vor – auch dann nicht, wenn die Ersatzbeschaf­fung für ihn mit einem erhe­blichen Mehraufwand ver­bun­den oder sehr viel teur­er wäre. Er kön­nte die Leis­tung nur dann ver­weigern, wenn sein Mehraufwand in einem krassen Missver­hält­nis zum Leis­tungsin­ter­esse des Kun­den stünde – eine Frage, die am Ende ver­mut­lich ein Gericht beurteilen müsste.

Die Erwartung von Frieden: Der Wegfall der großen Geschäftsgrundlage

Zweck­mäßiger und inter­es­sen­gerechter kann der sog. Weg­fall der Geschäfts­grund­lage sein (§ 313 BGB). Das Insti­tut bietet die Möglichkeit, den Ver­trag anzu­passen und not­falls auch zu kündi­gen.  Auch diese Regelung ist nur anwend­bar, wenn die Störung der Ver­trags­beziehung nicht in den Risikobere­ich ein­er der Ver­tragsparteien fällt, doch verknüpft sie mit der Störung deut­lich weniger weit reichende Rechts­fol­gen. Sie räumt dem Grund­satz der Bestand­skraft des Ver­trags mehr Gewicht ein und lässt eine Rück­ab­wick­lung erst zu, wenn er nicht angepasst wer­den kann.

Schon mit Blick auf die Coro­na-Pan­demie wurde im Zweifel der Ver­tragsan­pas­sung gemäß § 313 BGB gegenüber der Unmöglichkeit und den Leis­tungsver­weigerungsrecht­en gemäß § 275 BGB der Vorzug gegeben. Das gilt erst recht für Leis­tungsstörun­gen auf­grund eines Kriegs. Es gibt bere­its höch­strichter­liche Recht­sprechung zur sog. „großen Geschäfts­grund­lage“: Der Bun­des­gericht­shof ver­ste­ht darunter die Erwartung bei­der Ver­tragsparteien, dass sich die grundle­gen­den poli­tis­chen, wirtschaftlichen und sozialen Rah­menbe­din­gun­gen eines Ver­trags nicht ändern und die Sozialex­is­tenz nicht erschüt­tert werde. Wird diese Erwartung durch einen Krieg zer­stört, rech­net die Recht­sprechung das Risiko von Kriegss­chä­den kein­er der Parteien zu, son­dern teilt den Schaden unter ihnen als „Gefahrge­mein­schaft“ auf: Es gilt nicht mehr, dass man sich an Verträge zu hal­ten hat, son­dern der Ver­trag kann nachträglich angepasst wer­den.

Kein Raum für eine solche Anpas­sung bleibt nur dann, wenn es stark auf den Liefer­t­er­min ankommt und eine spätere Liefer­ung sinn­los wäre. Ein solch­es Fixgeschäft kann aus­nahm­sweise zu ein­er  dauern­den Unmöglichkeit führen. Für alle anderen Fälle, in denen eine spätere Leis­tung noch für die andere Ver­trags­seite von Inter­esse ist, bleibt es bei der Anwend­barkeit von § 313 BGB.

Ob ein Gericht aber auf die Störung ein­er Geschäfts­grund­lage im Sinne von § 313 BGB erken­nt und wie die Ver­tragsan­pas­sung dann am Ende aussieht, ist wiederum unsich­er. Vor allem bei größeren und langfristi­gen Ver­trags­beziehun­gen ist daher die Auf­nahme ein­er Force-Majeure-Klausel in den Ver­trag sin­nvoll.

Die Force-Majeure-Klausel im Vertrag

Da eine solche Höhere-Gewalt-Klausel voraus­set­zt, dass die höhere Gewalt beim Ver­tragss­chluss nach men­schlich­er Ein­sicht und Erfahrung unvorherse­hbar war, lässt sie sich nun für bere­its einge­tretene Fälle höher­er Gewalt nicht mehr vere­in­baren. Die Coro­na-Pan­demie ist schon da, der Angriff­skrieg auf die Ukraine eben­so.

Für zukün­ftige, vor allem langfristige Geschäfts­beziehun­gen aber ist die Auf­nahme ein­er solchen Klausel drin­gend zu empfehlen. Die For­mulierung ori­en­tiert sich in der Regel an den All­ge­meinen Deutschen Spedi­teurbe­din­gun­gen (ADSp): Zif­fer 12.2 des Empfehlungswerks der Ver­bände der ver­laden­den Wirtschaft und der Spedi­tio­nen lautet: „Leis­tung­shin­dernisse, die nicht dem Risikobere­ich ein­er Ver­tragspartei zuzurech­nen sind, befreien die Ver­tragsparteien für die Dauer der Störung und den Umfang ihrer Wirkung von den Leis­tungspflicht­en. Als solche Leis­tung­shin­dernisse gel­ten höhere Gewalt, Unruhen, kriegerische oder ter­ror­is­tis­che Akte, Streiks und Aussper­run­gen, Block­ade von Beförderungswe­gen sowie son­stige unvorherse­hbare, unab­wend­bare und schw­er­wiegende Ereignisse.“

Eine Force-Majeure-Klausel, die die neue Real­ität berück­sichtigt, legt eine Rechts­folge zwis­chen den Parteien fest, die für mehr Rechtssicher­heit und Verbindlichkeit sorgt als die nachträgliche Klärung über § 313 BGB. Die Parteien kön­nen die Ver­tragsauflö­sung auch an weit­ere Anforderun­gen und Stufen binden oder ergänzende Regelun­gen zu Sorgfalt­spflicht­en in diesen Fällen vere­in­baren.

Zwar muss auch eine Force-Majeure-Klausel aus­gelegt wer­den, wenn die beispiel­hafte Aufzäh­lung von Ereignis­sen höher­er Gewalt ger­ade den Fall höher­er Gewalt, der dann ein­tritt, nicht aus­drück­lich enthält. Für die Kon­stel­la­tion eines Krieges aber kön­nen die Parteien klare Vor­gaben tre­f­fen.

Vor­sicht ist allerd­ings geboten bei der Auf­nahme von Force-Majeure-Klauseln in All­ge­meine Geschäfts­be­din­gun­gen, d.h. ein­seit­ige Ver­tragswerke. Grund­sät­zlich ist eine Force-Majeure-Klausel in AGB zuläs­sig und zu empfehlen. Wird über die Klausel — was der Regelfall ist — nicht indi­vidu­ell ver­han­delt, darf jedoch auch im B2B-Bere­ich die Klausel nicht unver­hält­nis­mäßig sein und Grundgedanken der geset­zlichen Risikoverteilung zwis­chen den Parteien wider­sprechen. Daher darf die beispiel­hafte Aufzäh­lung in der Klausel nicht allzu umfan­gre­ich wer­den und nur solche Fälle enthal­ten, die tat­säch­lich nicht in der Risikosphäre ein­er der Parteien liegen. All­ge­meine Liefer‑, Beschaf­fungs- oder Finanzierungsrisiken des AGB-Ver­wen­ders kön­nen und soll­ten daher nicht in Force-Majeure-Klauseln aufgenom­men wer­den. Kriegerische oder ter­ror­is­tis­che Vor­fälle eben­so wie Pan­demien dage­gen lei­der (wieder) schon.

  • Tipp: Eine Musterk­lausel kön­nte z.B. so ausse­hen:

„Schw­er­wiegende Ereignisse, wie ins­beson­dere höhere Gewalt, Unruhen, kriegerische oder ter­ror­is­tis­che Auseinan­der­set­zun­gen, behördliche Betrieb­ss­chließun­gen auf­grund ein­er Pan­demie oder Arbeit­skämpfe, die unvorherse­hbare Fol­gen für die Leis­tungs­durch­führung nach sich ziehen, befreien die Ver­tragsparteien für die Dauer der Störung und im Umfang ihrer Wirkung von ihren Leis­tungspflicht­en, selb­st wenn sie sich in Verzug befind­en soll­ten. Eine automa­tis­che Ver­tragsauflö­sung ist damit nicht ver­bun­den. Die Ver­tragsparteien sind verpflichtet, einan­der über ein solch­es Hin­der­nis unverzüglich zu benachrichti­gen und ihre Verpflich­tun­gen den verän­derten Ver­hält­nis­sen nach Treu und Glauben anzu­passen, ins­beson­dere die Liefer- oder Leistungsfristen/ ‑ter­mine um den Zeitraum der Behin­derung zzgl. ein­er angemesse­nen Anlauf­frist zu ver­längern oder zu ver­schieben.“

 

Der Autor Recht­san­walt Dr. Wolf­gang Heinze ist Part­ner bei SNP Schlaw­ien Recht­san­wälte. Der Fachan­walt für Han­dels- und Gesellschaft­srecht sowie für Ver­gaberecht berät schw­er­punk­t­mäßig mit­tel­ständis­che Unternehmen sowie Tochterge­sellschaften und Nieder­las­sun­gen deutsch­er und aus­ländis­ch­er Konz­erne in allen Fra­gen des Han­dels- und Gesellschaft­srechts. https://de.linkedin.com/in/wolfgang-heinze-a935a324

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