Wenn Sie Lotto spielen haben Sie sich vielleicht schon einmal gefragt, warum man bisher seinen Lottoschein nur in einer „offiziellen“ Annahmestelle abgeben konnte. Und nicht an der Tankstelle, im Supermarkt oder beim Blumenladen um die Ecke. Das lag im Wesentlichen daran, dass die Lottogesellschaften – zusammengefasst im Deutschen Lotto- und Totoblock – schlicht keine Tippscheine annahmen, die nicht von den offiziellen Annahmestellen vermittelt wurden.
Die Lottospieler im Bundeskartellamt waren es leid, immer so weit laufen zu müssen und geboten den Lottogesellschaften schlicht, das künftig zu ändern. Alles andere sei ein Verstoß gegen das Kartellrecht. Damit steht es Privaten frei, eigene Lotto-Annahmestellen aufbauen. Ein paar andere spannende Sachen wurden gleich mitentschieden.
Wenig verwunderlich sieht man dies seitens des Lotto- und Totoblocks wenig entspannt. Die FTD etwa kann über Stellungnahmen aus den Lotto-Gesellschaften berichten, die in der Entscheidung des Kartellamts einen Verstoß gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum Monopol auf Sportwetten sehen:
Die Richter hätten “ausdrücklich betont, dass ein staatlicher Anbieter vor allem das Ziel der Spielsuchtprävention verfolgen muss”, erklärte der Geschäftsführer der federführenden Gesellschaft Lotto Brandenburg, Horst Mentrup.
Das ist natürlich ein klarer Fall von – zumindest – (a) selektiver Wahrnehmung und (b) Selbstverleugnung.
Zunächst stellte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28.3.2006, auch hier schon kurz besprochen, zu privaten Sportwetten fest, dass diese – und auch Toto, Lotto etc. – zu den eher harmlosen Glücksspielen zählen:
Allerdings haben unterschiedliche Glücksspielformen ein unterschiedliches Suchtpotenzial. Bei weitem die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten spielen nach derzeitigem Erkenntnisstand an Automaten, die nach der Gewerbeordnung betrieben werden dürfen. An zweiter Stelle in der Statistik folgen Casino-Spiele. Alle anderen Glücksspielformen tragen gegenwärtig deutlich weniger zu problematischem und pathologischem Spielverhalten bei.
Dennoch billigte das Gericht – deutlich missbehaglich übrigens aber mit Verweis auf den Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers – im Grunde das Ziel der Suchtbekämpfung. Aber das rechtfertigt ein Monopol nur dann, wenn dieses sowohl in der zugrunde liegenden gesetzlichen Ausgestaltung als auch in der Durchführung an dem Ziel der Suchtbekämpfung tatsächlich orientiert ist:
Den an entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Bürgern ist der — strafbewehrte — Ausschluss gewerblicher Wettangebote durch private Wettunternehmen nur dann zumutbar, wenn das bestehende Wettmonopol auch in seiner konkreten Ausgestaltung der Vermeidung und Abwehr von Spielsucht und problematischem Spielverhalten dient.
Und daran fehlte es nach den klaren Feststellungen des Gerichts im Fall von Oddset:
Eine Ausrichtung am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und problematischem Spielverhalten ist allein durch ein staatliches Wettmonopol noch nicht gesichert. Ein Monopol kann auch fiskalischen Interessen des Staates dienen und damit in ein Spannungsverhältnis zu der Zielsetzung geraten, die Wettleidenschaft zu begrenzen und die Wettsucht zu bekämpfen.
Vor allem aber ist der Vertrieb von ODDSET nicht aktiv an einer Bekämpfung von Spielsucht und problematischem Spielverhalten ausgerichtet. Das tatsächliche Erscheinungsbild entspricht vielmehr dem der wirtschaftlich effektiven Vermarktung einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung.
Ist das im Fall von Lotto anders? Nun, ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal einer Lotto-Werbung begegnet sind. Bei mir ist es erst ein paar Minuten her: die Spots laufen ständig auf den U‑Bahn Infoscreens. Ziemlich aufdringlich. Geworben wird dort damit, dass man Millionen gewinnen kann. Sogar im Urlaub per Dauertipp. Oder mit System. Nur wer mitspielt kann gewinnen.
Glauben Sie, dass diese Form der Werbung am Ziel der Suchtbekämpfung orientiert ist? Offen gestanden und bei allen Respekt vor den Aussagen, die viele staatliche und halbstaatliche Stellen aus dem gegebenen Anlass der Kartellamtsentscheidung und vor der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht im Sportwettenfall getätigt haben: es gehört ein gerüttelt Maß an Abgebrühtheit dazu, diese Behauptung aufzustellen, ohne rot zu werden. Suchprävention spielt im Denken der Lottogesellschaften schlicht keine erkennbare Rolle. Die Berufung auf das Urteil des Verfassungsgerichts ist daher — zumindest — scheinheilig.
Wo kommt nun die Selbstverleumdung in Spiel?
Die Aussagen aus dem Lotto-Totoblock lassen sich ja nur so verstehen, dass die Zulassung von Privaten zum Vertrieb von Lottoprodukten diese Glücksspiele irgendwie begehrenswerter machen würde. Private sind offenbar einfach unzuverlässiger, heizen in der Gier nach schnödem Mammon den Vertrieb an, statt die Glücksspielsüchtigen zurückzuhalten und von den Schaltern der Annahmestellen zu vertreiben.
Das mag man so sehen. Man muss sich dann aber fragen lassen, wieso die staatlichen Klassenlotterien ihre Lose – begleitet von ausgesprochen aggressiver Werbung bis hin zu illegalen Cold-Calls – dann selbst von privaten Lotterieeinnehmern vertreiben lassen.
Aus meiner Sicht bleibt: Die Argumentation des Lotto-Totoblocks ist nicht konsistent und missversteht die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wenn man die Argumentation des Gerichts nämlich ernst nimmt, dann stehen noch weitere staatliche Monopole vor dem baldigen Aus. Zeit wär’s.
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