Bevor der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts die an ihn gerichtete Divergenzanfrage des 6. Senats beantwortet, hat er zunächst den Gerichtshof der Europäischen Union zur Beantwortung entscheidungserheblicher Vorfragen ersucht. Der 2. Senat hat daraufhin reagiert und in Ergänzung der Fragen des 6. Senats nachgelegt.
Was ist bisher geschehen?
Im konkreten Fall streiten die Parteien über die Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine ordentliche Kündigung, die der Arbeitgeber im Dezember 2020 zum 31. März 2021 erklärt hat. Eine nach § 17 Abs. 1 KschG erforderliche Massenentlassungsanzeige hatte er nicht erstattet. Auch wurde diese während der Kündigungsfrist nicht nachgeholt. Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts, der für die Entscheidung dieses Verfahrens zuständig ist, möchte die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers abweisen. Er möchte zukünftig die Rechtsansicht vertreten, dass das Fehlen oder die Fehlerhaftigkeit einer nach nationalem Recht oder Unionsrecht erforderlichen Massenentlassungsanzeige nicht zur Unwirksamkeit einer erklärten Kündigung führt. Aufgrund der Meinungsverschiedenheit mit dem 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts, welcher bisher angenommen hat, dass eine ohne notwendige vorherigen Massenentlassungsanzeige erklärte Kündigung unwirksam ist, musste der 6. Senat dem 2. Senat die Divergenzanfrage stellen, ob er an seine bisherige Rechtsprechung noch festhalten will.
Reaktion des 2. Senats im Anfrageverfahren
Mit Beschluss vom 1. Februar 2024 – 2 AS 22/23 (A) hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts das Anfrageverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union um Beantwortung bestimmter Fragen zur Auslegung des Unionsrechts ersucht. Grund dafür ist, dass der 2. Senat die Divergenzanfrage, dass das Fehlen oder die Fehlerhaftigkeit einer Massenentlassungsanzeige keinen Einfluss auf die Beendigung des gekündigten Arbeitsverhältnisses hat, nicht mit Unionsrecht vereinbar sieht. Für den 2. Senat ist entscheidend, ob der Arbeitgeber von einer nach Unionsrecht erforderlichen Massenentlassungsanzeige ganz abgesehen hat oder eine solche (wenn auch fehlerhaft) erstattet hat. Denn hat der Arbeitgeber von einer Massenentlassungsanzeige ganz abgesehen, möchte der 2. Senat die Auffassung vertreten, dass die Rechtswirkungen der ausgesprochenen Kündigung erst dann Wirkung entfaltet, wenn der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit nachholt und der Bundesagentur für Arbeit eine notwendige Vorbereitungszeit zur Verfügung steht. Nach nationalen Recht ist dieser Zeitraum von einem Monat in § 18 Abs. 1,2 KschG bestimmt (sog. Entlassungssperre). Die Unionsrechtliche Parallelvorschrift hierzu findet sich in Art. 4 MERL.
Der 2. Senat versteht diese Vorschrift anders als der 6. Senat. Er geht davon aus, dass das gekündigte Arbeitsverhältnis im Rahmen einer anzeigepflichtigen Massenentlassung vor Ablauf der Entlassungssperre nicht beendet sein kann. Sofern nach dieser unionsrechtlichen Vorschrift nicht die Möglichkeit bestünde, eine unterbliebene Massenentlassungsanzeige nachzuholen, käme dies der Unwirksamkeit der Kündigung gleich, sodass der 2. Senat die Divergenzanfrage des 6. Senats damit beantworten müsste, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält.
Da die § 17,18 KschG von den nationalen Gerichten unionrechtskonform auszulegen sind, ist es für den 2. Senat unumgänglich den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren zu ersuchen, um die Antwort zu erhalten, wie die Unionsvorschrift auszulegen ist.
Die ergänzende Vorlage des 6. Senats
Auf den Vorlagebeschluss des 2. Senats ( 2 AS 22/23 (A)) hat der 6. Senat nun mit Beschluss vom 23. Mai 2024 – 6 AZR 151/22 (A) reagiert und den EuGH um die Auslegung des Unionsrechts u.a. dazu ersucht, ob der Zweck der Massenentlassungsanzeige erfüllt ist, wenn die Agentur für Arbeit eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet und sich damit als ausreichend informiert betrachtet.
Er sieht sein Vorlageverfahren für erforderlich, da das nationale Recht keine ausdrückliche Sanktion vorsieht, wenn ein Arbeitgeber keine oder eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige erstattet hat.
Unabhängig davon hegt der 6. Senat auch Zweifel an der Vorlagefähigkeit des 2. Senats, da dieser seiner Meinung nach, die Voraussetzungen für die Vorlage an den EuGH in dieser Sache nicht erfüllt. Einigkeit besteht jedoch darin, dass der 2. Senat die Divergenzanfrage des 6. Senats nicht beantworten kann ohne dass der EuGH die Auslegung des Unionsrechts beantwortet. Aus diesem Grund sah sich der 6. Senat gehalten, die ergänzende Vorlage dem EuGH zu stellen.
Es bleibt nun abzuwarten, wie der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen beider Senate entscheiden wird und welche Konsequenzen sich hieraus für die Entscheidung der Divergenzanfrage ergeben. Ob es zu einer Rechtsprechungsänderung im Rahmen des Massenentlassungsverfahrens kommt, bleibt weiterhin offen.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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