Mundraub unter Kollegen: Abmahnung oder Kündigung?

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Das ArbG Mannheim hat­te sich kür­zlich mit einem Fall von Mundraub unter Kol­le­gen zu befassen: Ein­er Heil­erziehungspflegerin, die bere­its seit über 30 Jahren im Dienst des Arbeit­ge­bers und zudem kurz vor der Rente stand, wurde vorge­wor­fen, eine Tafel Schoko­lade ein­er Kol­le­gin aufgegessen zu haben! Damit nicht genug, hat sie ange­blich auch noch einen frem­den Jute­beu­tel aus einem Aufen­thalt­sraum genom­men und ein­er Schü­lerin als „Wichtelgeschenk“ über­lassen. Und – hor­ri­bile dic­tu — sie hat­te auch noch ihre pri­vate Wäsche in der inter­nat­seige­nen Waschmas­chine zusam­men mit den Sachen der Schüler gewaschen! Was soll man dazu sagen? Der Träger der Ein­rich­tung jeden­falls hielt eine Fort­set­zung des Arbeitsver­hält­niss­es für unzu­mut­bar. Er sprach keine Abmah­nung aus son­dern kündigte frist­los. Die Arbeit­nehmerin wehrte sich und erhob Kündi­gungss­chutzk­lage.

Im Prozessver­lauf kon­nte der Verbleib der ange­blich entwen­de­ten Tasche nicht aufgek­lärt wer­den. Eben­so wenig kon­nte gek­lärt wer­den, ob der Arbeit­ge­ber die pri­vate Nutzung der Waschmas­chine zumin­d­est geduldet hat­te – ein aus­drück­lich­es Ver­bot kon­nte das Gericht jeden­falls nicht fest­stellen. So blieb der Vor­wurf des uner­laubten Schoko­ladessens. Zwar hat­te die ange­bliche Delin­quentin die Schoko­lade (Wert: 2,50 €) erset­zt. Den­noch ver­ste­ht die Recht­sprechung bei Eigen­tums­de­lik­ten – und seien sie noch so ger­ingfügig — in der Regel keinen Spaß! Berühmt gewor­den ist der sog. Bienen­stich-Fall (BAG, Urteil vom 17. Mai 1984, Az.: 2 AZR 3/83): eine Verkäuferin hat­te einen Bienen­stich aus der Aus­lage genom­men und ver­speist. Das BAG hielt die frist­lose Kündi­gung für gerecht­fer­tigt! Denn auch bei ger­ingfügi­gen finanziellen Schä­den zählt der mit der Tat ver­bun­dene Ver­trauensver­lust. Deshalb kann es auch keinen absoluten Schwellen­wert, bis zu dem eine Eigen­tumsver­let­zung noch vom Arbeit­ge­ber zu dulden wäre, geben. Auf der gle­ichen Lin­ie liegen Urteile des ArbG Lör­rach (Urteil vom 16. Okto­ber 2009, Az.: 4 Ca 248/09), wo sechs Maultaschen mitgenom­men wur­den, oder des LAG Schleswig-Hol­stein (Urteil vom 18. Jan­u­ar 2005, Az.: 2 Sa 413/04), wo es um ein Päckchen Frischkäse ging. Den­noch ist auch eine Eigen­tumsver­let­zung – sei es zu Las­ten des Arbeit­ge­bers oder eines Kol­le­gen — kein „absoluter Kündi­gungs­grund“, der stets eine außeror­dentliche Kündi­gung recht­fer­tigt. Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft wer­den, ob dem Arbeit­ge­ber die Fort­set­zung des Arbeitsver­hält­niss­es zumut­bar ist. Dabei sind die konkreten Umstände des Fall­es zu würdi­gen. Die wider­stre­i­t­en­den Inter­essen von Arbeit­ge­ber und Arbeit­nehmer sind gegeneinan­der abzuwä­gen. Zudem ist der Ver­hält­nis­mäßigkeits­grund­satz zu beacht­en: ggf. muss ein Pflicht­en­ver­stoß erst abgemah­nt wer­den, und erst im Wieder­hol­ungs­fall kann dann gekündigt wer­den. So auch das BAG im eben­so berühmten „Emme­ly-Fall“ (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010, Az.: 2 AZR 541/09): Eine Kassiererin hat­te fremde Pfand­bons (Wert: 0,48 € und 0,82 €) für sich selb­st ein­gelöst. Wed­er die frist­lose noch die vor­sor­glich aus­ge­sproch­ene ordentliche Kündi­gung hat­te vor dem BAG Bestand. Eine Abmah­nung hätte genügt, fan­den die Richter.

Im Schoko­laden-Fall haben die Parteien auf Anrat­en des Gerichts schließlich einen Ver­gle­ich geschlossen, wonach die frist­lose Kündi­gung gegen eine Abmah­nung „aus­ge­tauscht“ wird. Die Heil­erziehungspflegerin kehrte an ihren Arbeit­splatz zurück.

Faz­it: Bei ein­er Eigen­tumsver­let­zung schützt die Ger­ingfügigkeit nicht prinzip­iell vor ein­er frist­losen Kündi­gung. Ander­er­seits ist sie auch kein absoluter Kündi­gungs­grund. Entschei­dend sind stets die Umstände des Einzelfalls.

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Mann bewirbt sich auf Job für „Sekretärin“: Entschädigung wegen Diskriminierung?

Die Sekretärin, der Mechaniker – alte Stereotype in Stellenanzeigen können Unternehmen teuer zu stehen kommen. Sogenannte AGG-Hopper versuchen, Fehler auszunutzen und auf Entschädigung zu klagen. Das klappt nicht immer, doch die Fälle lehren viel darüber, worauf Arbeitgeber achten sollten, wenn sie eine Stelle ausschreiben. In letzter Zeit kommt es vermehrt zu Streitigkeiten aufgrund angeblicher Diskriminierung im Bewerbungsverfahren. Es gibt eine...

Bundesarbeitsgericht bestätigt: Arbeitgeber muss 100% Bonus für verspätete Zielvorgabe zahlen

Bonusziele sollen Mitarbeiter motivieren, die Unternehmensziele zu erreichen. Das setzt aber voraus, dass der Mitarbeiter seine Ziele auch kennt – und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem er sie auch realistischerweise noch erfüllen kann, urteilt nun auch das BAG. Frühe Zielvorgaben sind für Arbeitgeber spätestens ab jetzt ein Muss.   Bereits im Oktober hatten wir über das stets aktuelle Thema...