Nazi-Slang in Berliner Verwaltungsformularen? Zum Begriff „Rasse“ im Datenschutz

Datenschutz | 7. Februar 2007
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Das Ber­li­ner Ver­wal­tung­for­mu­lar Nr. I C 228 – „Erklä­rung zum Ein­bür­ge­rungs­an­trag“ sorgt nach jah­re­lan­ger unbe­an­stan­de­ter Ver­wen­dung in der deut­schen und inter­na­tio­na­len Pres­se für eini­ge Furo­re. Das liegt weni­ger am Inhalt als an der For­mu­lie­rung des Papiers. Denn neben vie­len wei­te­ren Anga­ben und Ein­wil­li­gun­gen erklärt der Antrag­stel­ler dort auch sei­ne „Ein­wil­li­gung zur Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten beson­de­rer Kate­go­rien, hier zur ras­si­schen und eth­ni­schen Her­kunft.“ Das kann man, wenn man die Ber­li­ner Regie­rung ärgern will, als Nazi-Voka­bu­lar ver­ste­hen; im drit­ten Reich herrsch­te ja unbe­strit­ten eine sehr erns­te Form von Ras­sen­wahn.

Der Spie­gel jeden­falls hält die For­mu­lie­rung für „anrü­chig“, viel­leicht ja sogar zu Recht. Der (grü­ne) Abge­ord­ne­te Özcan Mut­lu bemerkt zum The­ma:

„Ich will dem Senat kei­nen Ras­sis­mus vor­wer­fen, aber ich fin­de es unglaub­lich, dass offen­bar nie­mand die­se For­mu­lie­run­gen in einem amt­li­chen For­mu­lar bemerkt hat“.

Ich bin der fes­ten Über­zeu­gung, dass die­se For­mu­lie­rung im For­mu­lar ganz absicht­lich steht, und nach der gel­ten­den Geset­zes­la­ge völ­lig zu recht. Denn der Pas­sus nimmt schlicht das Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz ernst. Dort wird defi­niert, was per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten ganz all­ge­mein sind, aber auch, was sog. „beson­de­re Arten per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten sind“. Näm­lich Daten, die ganz beson­ders sen­si­bel sind:

§ 3 Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz — Wei­te­re Begriffs­be­stim­mun­gen
(…)
(9) Beson­de­re Arten per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten sind Anga­ben über die ras­si­sche und eth­ni­sche Her­kunft, poli­ti­sche Mei­nun­gen, reli­giö­se oder phi­lo­so­phi­sche Über­zeu­gun­gen, Gewerk­schafts­zu­ge­hö­rig­keit, Gesund­heit oder Sexu­al­le­ben.

Da taucht also das „ras­sisch“ auf, da kommt es her. Weil die Ver­ar­bei­tung die­ser Daten die Rech­te des Betrof­fe­nen in beson­de­rer Wei­se berührt, muss ihrer Ver­ar­bei­tung auch ganz expli­zit und aus­drück­lich zuge­stimmt wer­den:

§ 4a Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz – Ein­wil­li­gung
(…)
(3) Soweit beson­de­re Arten per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten (§ 3 Abs. 9) erho­ben, ver­ar­bei­tet oder genutzt wer­den, muss sich die Ein­wil­li­gung dar­über hin­aus aus­drück­lich auf die­se Daten bezie­hen.

Die Ver­wal­tung hat also eigent­lich gar kei­ne ande­re Chan­ce, als die gesetz­li­che Bestim­mung expli­zit zu zitie­ren. Ver­mut­lich wird sie zwar ob des öffent­li­chen Drucks den­noch die­se Pra­xis ändern, bewegt sich dann aber auf juris­tisch dün­nem Eis. Jeden­falls wenn sie Daten, die eben nach dem Gesetz als „ras­sisch“ bezeich­net wer­den, ver­ar­bei­ten will oder muss.

Wo aber kommt nun die gesetz­li­che For­mu­lie­rung her?

Das BDSG beruht auf der all­seits bekann­ten „Richt­li­nie 95/46/EG des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 24. Okto­ber 1995 zum Schutz natür­li­cher Per­so­nen bei der Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten und zum frei­en Daten­ver­kehr“. Und in eben jener Richt­li­nie heißt es:

Arti­kel 8 — Ver­ar­bei­tung beson­de­rer Kate­go­rien per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten
(1) Die Mit­glied­staa­ten unter­sa­gen die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten, aus denen die ras­si­sche und eth­ni­sche Her­kunft, poli­ti­sche Mei­nun­gen, reli­giö­se oder phi­lo­so­phi­sche Über­zeu­gun­gen oder die Gewerk­schafts­zu­ge­hö­rig­keit her­vor­ge­hen, sowie von Daten über Gesund­heit oder Sexu­al­le­ben.

Damit will man nie­man­den dis­kri­mi­nie­ren, son­dern im Gegen­teil Rech­te der Betrof­fe­nen schüt­zen, das sagt jeden­falls Erwä­gungs­grund Nr. 33 der Richt­li­nie:

(33) Daten, die auf­grund ihrer Art geeig­net sind, die Grund­frei­hei­ten oder die Pri­vat­sphä­re zu beein­träch­ti­gen, dür­fen nicht ohne aus­drück­li­che Ein­wil­li­gung der betrof­fe­nen Per­son ver­ar­bei­tet wer­den.

Man will also Gutes tun.

Nur falls Sie sich jetzt fra­gen, wie die For­mu­lie­run­gen in den ande­ren Spra­chen der EU klin­gen, wol­len wir Ihnen kurz den eng­li­schen Text der Richt­li­nie nicht vor­ent­hal­ten:

Artic­le 8 — The pro­ces­sing of spe­cial cate­go­ries of data
1. Mem­ber Sta­tes shall pro­hi­bit the pro­ces­sing of per­so­nal data reve­al­ing racial or eth­nic ori­gin, poli­ti­cal opi­ni­ons, reli­gious or phi­lo­so­phi­cal beliefs, trade-uni­on mem­ber­ship, and the pro­ces­sing of data con­cer­ning health or sex life.

Das klingt also auch nicht bes­ser. Wen das stört, der soll sich bit­te bei der EU beschwe­ren. Ver­schul­den der Ber­li­ner jeden­falls ver­mag ich nicht zu erken­nen.

Eine Fuß­no­te noch: Die Bezug­nah­me auf die Ras­se fin­det sich auch im noch recht neu­en AGG, dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz.

Eine zwei­te Fuß­no­te: ganz zu Recht weist der (bal­di­ge) Kol­le­ge Code in unfehlbar.net dar­auf hin, dass sich der Begriff der Ras­se auch in Arti­kel 3 Grund­ge­setz ver­steckt. Wenn die deut­sche Ver­fas­sung nicht mehr zitiert­bar ist, soll­ten wir unser Ver­hält­nis zur sprach­li­chen Poli­ti­cal Cor­rect­ness wohl noch ein­mal über­den­ken.

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