Pressefreiheit, Maulkörbe und Persönlichkeitsrecht: Das neue Caroline von Hannover-Urteil des BGH

Fotorecht | 8. März 2007
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Für die Bild­berichter­stat­tung der herkömm­lichen und elek­tro­n­is­chen Presse, aber auch für den Gele­gen­heits­fo­tografen, der einem Promi­nen­ten begeg­net und dabei zufäl­lig ein Foto­handy in der Hand hält, ist wichtig zu wis­sen, in welchem Umfang Bild­nisse von bekan­nten Per­so­n­en ange­fer­tigt und veröf­fentlicht wer­den dür­fen. Hier liegen die Presse­frei­heit und das Per­sön­lichkeit­srecht der betrof­fe­nen Bil­dopfer ganz offen­sichtlich im Kon­flikt, eine Lösung tut Not. Wie diese ausse­hen muss hat der Bun­des­gericht­shof in ein­er ganzen Urteilsserie klargestellt. Die Entschei­dun­gen stam­men vom 6.3.2007 und tra­gen die AZ VI ZR 13/06, 14/06, 50/06, 51/06, 52/06, 53/06. Inhaltlich kön­nen die Urteile, soweit sie im Detail bekan­nt sind – auf dem Serv­er des BGH find­et sich einst­weilen nur eine Presseerk­lärung, noch nicht die aus­ge­fer­tigten Doku­mente – nicht über­raschen, obwohl sie die deutsche Recht­sprechung ganz erhe­blich ändern wer­den: genau das ist aber erwartet wor­den.

In der Sache ging es um eine ganze Rei­he von Bild­nis­sen der Car­o­line von Han­nover und deren Ehe­mannes in meist pri­vat­en Sit­u­a­tio­nen, etwa während des Urlaubs auf der Straße bei einem Bum­mel oder im Ses­sel­lift. Einige der Fotografien illus­tri­erten allerd­ings auch das Ver­hal­ten der abge­bilde­ten Per­so­n­en während der schw­eren Erkrankung des damals regieren­den Fürsten von Mona­co. Die Veröf­fentlichung dieser Bild­nisse in diversen ein­schlägi­gen Zeitschriften, die sich vor­rangig der Explo­ration des Lebens der Reichen, Bekan­nten und teils auch Schö­nen wid­men, wollte die Klägerin nicht hin­nehmen. In weit­em Umfang zu Recht.

Zu Erin­nerung: Nach § 22 Kun­stUrhG braucht man zur Ver­bre­itung von Bild­nis­sen, also Fotografien, auf denen die Abge­bilde­ten erkennbar sind, grund­sät­zlich die Ein­willi­gung der Abge­bilde­ten. § 23 Kun­stUrhG macht davon aber ein Aus­nahme, soweit „Bild­nisse aus dem Bere­ich der Zeit­geschichte“ betrof­fen sind. Die Recht­sprechung hat sich nun gefragt, wie denn bitte genau abge­bildete Per­so­n­en „Zeit­geschichte“ sein kön­nen und entwick­elte die jahrzehn­te­lang gültige Lehre von den absoluten und rel­a­tiv­en Per­so­n­en der Zeit­geschichte. Solch eine absolute Per­son der Zeit­geschichte war, wer kraft sein­er poli­tis­chen oder gesellschaftlichen Posi­tion aus der Masse der Mit­men­schen her­aus­ragte und daher im Blick­punkt der Öffentlichkeit stand. Das betraf (jew­eils bekan­nte) Poli­tik­er, Wis­senschaftler, Schaus­piel­er, Kün­stler, Erfind­er, Wirtschafts­führer und Ange­hörige von regieren­den Fürsten­häusern. Über diesen Per­so­n­enkreis durfte mehr oder weniger unab­hängig von einem konkreten Anlass auch im Bild berichtet wer­den.

Im Gegen­satz dazu gab es die Per­so­n­en der rel­a­tiv­en Zeit­geschichte, die näm­lich, die nicht „aus sich her­aus“ für die Öffentlichkeit inter­es­sant waren, son­dern erst durch die Verknüp­fung mit einem zeit­geschichtlichen Ereig­nis in das Inter­esse der Öffentlichkeit rück­ten. Das traf etwa zu auf Ange­hörige von Per­so­n­en der absoluten Zeit­geschichte, auf Beteiligte an Straf­prozessen oder ähn­lich­es. Über diese Per­so­n­en durfte nur im zeit­geschichtlichen Kon­text berichtet wer­den.

Dass diese Unter­schei­dung vielle­icht zu grob ist und ins­beson­dere für die Per­so­n­en der absoluten Zeit­geschichte zu weit geht, sie zu „Frei­wild“ macht, schwante auch den deutschen Gericht­en schon eine Zeit lang. Die Rechte der Promi­nen­ten wur­den ein wenig gestärkt, ins­beson­dere das Recht, sich in die Pri­vatheit zurück­zuziehen. Das aber reichte Car­o­line von Han­nover nicht. Sie wollte auch in der Öffentlichkeit pri­vat sein kön­nen, etwa ein Restau­rant ungestört besuchen, auf der Straße bum­meln oder eben im Ses­sel­lift sitzen. Nicht als Ange­hörige eines Fürsten­haus­es, son­dern eben schlicht als Pri­vat­frau. Genau das woll­ten die deutschen Gerichte ihr aber nicht zubil­li­gen. Erst eine Klage vor dem Europäis­chen Gericht­shof für Men­schen­rechte brachte die Wende, dieser entsch­ied im Sinne der Klägerin, einige Einzel­heit­en kön­nen Sie hier nach­le­sen.

Der BGH schließt sich dem nun im Wesentlichen an. Auch absolute Per­so­n­en der Zeit­geschichte haben ein Recht auf Pri­vatheit, wenn sie sich in Sit­u­a­tio­nen befind­en, bei denen kein anerken­nenswertes Inter­esse der Öffentlichkeit an ein­er Berichter­stat­tung beste­ht. In der Presseerk­lärung des BGH heißt es dazu:

Im Rah­men dieser Inter­essen­ab­wä­gung kann unter Berück­sich­ti­gung des Urteils des EGMR vom 24. Juni 2004 für den Infor­ma­tion­sanspruch der Öffentlichkeit auch bei den so genan­nten absoluten Per­so­n­en der Zeit­geschichte der Infor­ma­tion­swert der Berichter­stat­tung nicht außer Betra­cht bleiben. Der erken­nende Sen­at hat schon mehrfach aus­ge­sprochen, dass der Schutz der Per­sön­lichkeit des Betrof­fe­nen umso schw­er­er wiegt, je geringer der Infor­ma­tion­swert für die All­ge­mein­heit ist. Das muss im Grund­satz auch für Per­so­n­en mit hohem Bekan­ntheits­grad gel­ten, so dass es auch hier eine Rolle spielt, ob die Berichter­stat­tung zu ein­er Debat­te mit einem Sachge­halt beiträgt, der über die Befriedi­gung bloßer Neugi­er hin­aus­ge­ht. Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall für den Infor­ma­tion­swert ein­er Berichter­stat­tung der Bekan­ntheits­grad des Betrof­fe­nen von Bedeu­tung sein kann. In jedem Fall ist bei der Beurteilung des Infor­ma­tion­swerts bzw. der Frage, ob es sich um ein zeit­geschichtlich­es Ereig­nis han­delt, ein weites Ver­ständ­nis sowie die Ein­beziehung der zuge­höri­gen Wort­berichter­stat­tung geboten, damit die Presse ihren mei­n­ungs­bilden­den Auf­gaben gerecht wer­den kann, die nach wie vor von größter Bedeu­tung sind.

Das heißt nichts anderes, als dass absolute Per­so­n­en der Zeit­geschichte gar nicht mehr so abso­lut sind. Es bedarf nun­mehr immer, auch bei diesem Per­so­n­enkreis, eines Anknüp­fungspunk­tes zu einem zeit­geschichtlichen Ereig­nis. Bei beson­ders bekan­nten Per­so­n­en sind nur die Anknüp­fungspunk­te „bre­it­er“. In der Sache wird damit – auch wenn der BGH die alte Ter­mi­nolo­gie noch benutzt – die Unter­schei­dung zwis­chen absoluten und rel­a­tiv­en Per­so­n­en der Zeit­geschichte aufgegeben.

Und das, wie ich meine, völ­lig zu Recht. Denn es kann nicht richtig sein, dass eine Abwä­gung zwis­chen den Rechts­gütern der Presse­frei­heit und der Per­sön­lichkeit­srechte von Abge­bilde­ten allein mit dem „Totschla­gar­gu­ment“, der Abge­bildete sei eine absolute Per­son der Zeit­geschichte, gle­ich­sam automa­tisch zugun­sten der Presse­frei­heit aus­ge­ht. Denn diese wird ja nur da gewährt, wo die Öffentlichkeit berechtigt Infor­ma­tion fordert. Und da gibt es ein­fach pri­vate Dinge, die nicht inter­essieren soll­ten. Was Per­so­n­en, die in der Öffentlichkeit ste­hen, in dieser Öffentlichkeit tun, das ist bericht­enswert. Ob diese Per­so­n­en dann auch ein­mal gern Schuhe kaufen, Schi fahren oder auch ein­fach in der Nase bohren, ist Pri­vat­sache und darf es auch sein. Das ist kein Maulko­rb für die Presse und auch keine Zen­sur, son­dern ein Rück­führen der Pressear­beit auf das, was sie leis­ten soll: Infor­ma­tion­sin­ter­esse zu befriedi­gen, nicht Neugi­er.

Nach seinen nun­mehr neu geord­neten Grund­sätzen kam der BGH zu dem Ergeb­nis, dass eine Vielzahl der von der Klage betrof­fe­nen Fotografien nicht hät­ten veröf­fentlicht wer­den dür­fen. Zuläs­sig waren allerd­ings diejeni­gen Fotos, die im Zusam­men­hang mit der Wort­berichter­stat­tung über die Erkrankung des damals regieren­den Fürsten von Mona­co veröf­fentlicht wor­den sind. Bei dieser Erkrankung han­delte es um ein zeit­geschichtlich­es Ereig­nis, über das die Presse bericht­en durfte.

Das zugegeben­er­maßen prob­lema­tis­che an der Entschei­dung ist freilich, dass die Kri­te­rien, wann denn nun berichtet wer­den darf, im Einzel­nen schwieriger zu hand­haben sind. Was genau das Ergeb­nis ein­er richter­lichen Abwä­gung zwis­chen den wider­stre­i­t­en­den Inter­essen sein wird, ist im Vorhinein nicht immer sich­er prog­nos­tizier­bar. Auf medi­en­rechtlich spezial­isierte Anwälte kom­men also gold­ene Zeit­en zu, diverse Unternehmen der yel­low press dürften dage­gen über­prüfen, ob nicht deut­lich mehr Rück­stel­lun­gen für dro­hende Rechtsstre­ite gebildet wer­den soll­ten.

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