Verunglimpfung im Internet | Wo klagen, wenn der gute Ruf gefährdet ist?

IT-Recht | 22. Dezember 2021
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Schlechte Bew­er­tun­gen kön­nen Unternehmen mas­siv schaden. Doch wo kön­nen sie kla­gen, wenn die Inhalte aus dem EU-Aus­land stam­men? Der EuGH urteilte nun: Schadenser­satz für Verunglimp­fun­gen im Inter­net kann über­all eingeklagt wer­den, wo die Äußerun­gen abruf­bar waren. Arne Traut­mann über ein eben­so span­nen­des und richtiges wie ver­wirren­des Urteil.

Verunglimpfende Äußerun­gen im Inter­net kön­nen sehr gefährlich sein. Im Zeital­ter von sozialen Medi­en und Empfehlungs­mar­ket­ing leg­en Kon­sumenten wie auch Geschäftspart­ner viel Wert auf Mei­n­un­gen und Tat­sachen­be­haup­tun­gen im Inter­net. Die Bew­er­tun­gen auf Inter­net­seit­en, Plat­tfor­men und Ver­gle­ich­sportal­en kön­nen über Erfolg und Mis­ser­folg von Pro­duk­ten entschei­den. Influ­encer und ihre Inhalte, pos­i­tive wie neg­a­tive, sind für viele Unternehmen längst wichtiger als klas­sis­che Wer­bung. Falsche oder verunglimpfende Behaup­tun­gen kön­nen einen Ein­griff in den ein­gerichteten und aus­geübten Gewer­be­be­trieb oder eine Ver­let­zung des Unternehmensper­sön­lichkeit­srechts darstellen. Kein Wun­der also, dass mit diesen Fra­gen auch die Gerichte immer wieder beschäftigt sind.

In dem Fall, der dem Europäis­chen Gericht­shof (EuGH) vor­lag, warf ein tschechis­ches Unternehmen, eine Pro­duzentin von Erwach­se­ne­nun­ter­hal­tung, ein­er ungarischen Pri­vat­per­son vor, sich auf Web­seit­en im Inter­net verunglimpfend über das Unternehmen geäußert zu haben. Der ungarische Antrags­geg­n­er ist im sel­ben Sek­tor tätig wie die antrag­stel­lende Film­pro­duzentin. Das tschechis­che Unternehmen rief franzö­sis­che Gerichte an, die den Ungarn verurteilen soll­ten, die verunglimpfend­en Inhalte zu ent­fer­nen, zu berichti­gen und den ent­stande­nen Schaden zu erset­zen — ein EU-weites Kud­del­mud­del.

Wann Gerichte entscheiden dürfen

Gerichte kön­nen und dür­fen nur über Fälle entschei­den, wenn sie für die betr­e­f­fende Rechtssache zuständig sind. Naturgemäß wollen Kläger oder Antrag­steller, diejeni­gen also, die eine Rechtsver­let­zung behaupten, möglichst viele Gerichte zur Auswahl haben, um sich ein für sie angenehmes und möglicher­weise auch als „angreifer­fre­undlich“ bekan­ntes Gericht auszusuchen. Beim ange­blichen Ver­let­zer von Recht­en, dem Beklagten oder Antrags­geg­n­er, liegen die Inter­essen umgekehrt. Die Auswahl des Gerichts kann also über den Aus­gang eines Prozess­es entschei­den.

Lange Zeit ging man jeden­falls im nationalen deutschen Recht in solchen Fällen vom soge­nan­nten fliegen­den Gerichts­stand aus. Fliegend deshalb, weil Gerichte über­all dort zuständig waren, wo eine Äußerung, gedruckt oder eben auch im Inter­net, les- oder abruf­bar war. Also – mehr oder weniger – über­all. Wer klagt, kann sich dann aus­suchen, wo er vorge­hen möchte.

Das ist schon auf nationaler Ebene etwas beden­klich, wenn etwa Unter­las­sungsanträge gegen Pres­sev­eröf­fentlichun­gen immer beim als scharf gel­tenden Landger­ing Ham­burg ein­gere­icht wer­den. Auf EU-Ebene wird es noch unab­se­hbar­er, an welch­es der unzäh­li­gen auf europäis­ch­er Ebene in Frage kom­mender Gerichte sich die ange­blich in ihren Recht­en Ver­let­zte wen­den wird.

Auf EU-Ebene regelt Art. 7 Abs. 2 der Europäis­chen Gerichts­stands- und Voll­streck­ungs-Verord­nung (EuGV­VO, gern auch „Brüs­sel-I-Verord­nung“ genan­nt) die gerichtliche Zuständigkeit. Die Vorschrift erlaubt es, den Antrags­geg­n­er im Fall ein­er uner­laubten Hand­lung vor den Gericht­en des Ortes zu verk­la­gen, „an dem das schädi­gende Ereig­nis einge­treten ist oder einzutreten dro­ht“. Das ist, wohlge­merkt, nicht nur der Handlung‑, son­dern auch der Erfol­gsort, also der Ort, an dem sich das Schadensereig­nis ver­wirk­licht.

Fliegt er oder fliegt er nicht?

Nun klingt das doch sehr nach eben jen­em fliegen­den Gerichts­stand. Ander­er Ansicht: der EuGH. Denn die Richter in Lux­em­burg fra­gen in Ausle­gung der Vorschrift, welch­es Gericht „nah“ am Stre­it­ge­gen­stand ist. Nur dieses Gericht soll zuständig sein, da es am besten in der Lage sei, den Fall zu beurteilen.

Für den Fall des Schadenser­satzes auf­grund verunglimpfend­er Äußerun­gen sollen demgemäß, so der EuGH, die Gerichte jedes Mit­glied­staats zuständig sein, in dessen Hoheits­ge­bi­et diese Äußerun­gen zugänglich sind oder waren. Allerd­ings kön­nen die Kläger dort nur Ersatz des Schadens ver­lan­gen, der in dem Mit­glied­staat des angerufe­nen Gerichts ent­standen sein soll. Denn insoweit sei das betr­e­f­fende Gericht eben „nah dran“, es könne beson­ders sachgerecht Beweise erheben und urteilen (EuGH, Urt. v. 21.12.2021, Az. C‑251/20).

Prak­tisch bedeutet das für den entsch­iede­nen Fall, dass das tschechis­che Unternehmen vor den franzö­sis­chen Gericht­en gegen den Ungarn kla­gen kann. Aber es kann nur die Schä­den ein­kla­gen, die ihm in Frankre­ich ent­standen sind. Und das­selbe kann es auch in Por­tu­gal, Deutsch­land, Schwe­den und jedem anderen EU-Land tun, wenn eben auch dort ein Schaden vor­liegt. Aber erstat­tet wird dann nur der im jew­eili­gen Land ent­standene Schaden.

Aber, und auch darauf weist der EuGH hin, alter­na­tiv kön­nte die Antrag­stel­lerin auch bei den Gericht­en des Ortes kla­gen, an dem der Urhe­ber dieser Inhalte niederge­lassen ist, hier also in Ungarn, oder bei den Gericht­en des Mit­glied­staats, in dem sich der Mit­telpunkt ihrer Inter­essen befind­et. Bei Online-Äußerun­gen sei das der Ort, an dem das geschäftliche Anse­hen am gefes­tigt­sten sei. Und das sei da, wo der wesentliche Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit aus­geübt werde, hier also wohl in Tschechien. Und hier, wo der Rep­u­ta­tionskern des Unternehmens liegt, gibt es den „ganzen“ Schaden­er­satz, nicht nur den jew­eili­gen nationalen Teil.

Nicht ganz überzeugend, aber durchaus praktikabel

Das klingt alles mehr oder weniger nachvol­lziehbar. Und den­noch ist es jeden­falls auf den ersten Blick ein Spa­gat zur weit­eren Recht­sprechung des EuGH. Denn wenn sie erre­ichen will, dass die verunglimpfend­en Äußerun­gen gelöscht und nicht mehr wieder­holt wer­den, kann die Antrag­stel­lerin nur an dem Ort kla­gen, an dem der Urhe­ber ansäs­sig ist oder eben dem Ort des Mit­telpunk­ts ihrer Inter­essen und eben nicht vor son­sti­gen nationalen Gericht­en.

Die Klage der tschechis­chen Film­pro­duzentin haben die franzö­sis­chen Gerichte daher abgewiesen, soweit sie auf Unter­las­sung und Besei­t­i­gung der verunglimpfend­en gerichtet war. Insoweit sahen sie sich nicht als zuständig an. Über den franzö­sis­chen Teil des Schadenser­satzes dage­gen wer­den sie, so der EuGH, entschei­den müssen.

Somit kom­men die Richter in Lux­em­burg zum zunächst befremdlich anmu­ten­den Ergeb­nis, dass, je nach Fall, sehr viel mehr Gerichte für den Schadenser­satz als für die Unter­las­sung zuständig sind.

Das kann man nur unter zwei Gesicht­spunk­ten ver­ste­hen. Deren erster, näm­lich der dog­ma­tis­che Ansatz ist, dass der EuGH den Anspruch auf Unter­las­sung und Besei­t­i­gung als „unteil­bar“ ansieht, den auf Schadenser­satz aber nicht. Und rein prak­tisch führt das zweit­ens zu dem vernün­fti­gen Ergeb­nis, dass nicht ver­schiedene nationale Gerichte jew­eils voneinan­der abwe­ichende Entschei­dun­gen fällen.

Gän­zlich überzeu­gend ist das alles nicht. Die Entschei­dung des EuGH scheint doch sehr am gewün­scht­en Ergeb­nis ori­en­tiert und hat einige Mühe, den Text des Art. 7 Abs. 2 EuGV­VO je nach Gesicht­spunkt ver­schieden auszule­gen. Doch man wird mit dem Urteil leben kön­nen und in der Prax­is sind die Vor­gaben des EuGH hand­hab­bar und dur­chaus vernün­ftig. Ganz abgestürzt ist der fliegende Gerichts­stand mithin nicht, aber seine Fed­ern sind inzwis­chen doch arg ges­tutzt.

Urteil des EuGH in der Rechtssache C‑251/20. Die Pressemit­teilung ist auf Deutsch abruf­bar unter https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021–12/cp210231de.pdf

Der Autor Recht­san­walt Arne Traut­mann ist bei SNP Schlaw­ien Part­ner­schaft mbB in den Bere­ichen IT-Recht, Medi­en­recht und Gewerblich­er Rechtss­chutz tätig.
https://bg.linkedin.com/in/arne-trautmann-41370543

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