Von der unerträglichen Leichtigkeit der Vertragsänderung bei IT-Projekten

IT-Recht | 8. Dezember 2004
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Als Anwalt hat man zugegeben­er­maßen einen ver­stellen Blick auf IT-Pro­jek­te, denn natür­lich lan­den ger­ade die auf dem Schreibtisch, bei denen irgend etwas schief gegan­gen ist. Von daher mag der Ein­druck trü­gen, dass alle Pro­jek­te prob­lema­tisch sind. Vielle­icht wird sog­ar eine große Anzahl unspek­takulär, still und zur Zufrieden­heit aller Beteiligten abgewick­elt.

Aber irgend­wie bezwei­fle ich das.

Nun lebe ich natür­lich von dem beschriebe­nen Scheit­ern, den­noch wun­dert es mich, dass es immer wieder diesel­ben Punk­te sind, mit denen da mein Leben­sun­ter­halt gesichert wird. Ein­er der beliebtesten Fehlerquellen ist, dass die Parteien eines IT-Pro­jek­tes sich stre­it­en, weil sie irgend­wann schlicht nicht (mehr) wis­sen, was sie eigentlich ver­traglich vere­in­bart haben.

Ent­ge­gen der landläu­fi­gen Mei­n­ung ist es näm­lich nicht so, dass Verträge ein Stück Papi­er sind, das (nur) vom Hausjuris­ten oder Anwalt gut geschrieben sein muss, dann funk­tion­iert das schon. Sel­ten näm­lich scheit­ert ein IT-Pro­jekt an der man­gel­haften Abfas­sung der Sal­va­torischen Klausel (Sie wis­sen schon: „Soll­ten eine oder mehrere Bes­tim­mungen dieses Ver­trages nichtig oder undurch­führbar sein…“). Meist ist den Partein nach Wochen, Monat­en und Jahren gar nicht mehr klar, was in der Sache vere­in­bart war. Eine Partei ist dann der Ansicht, dass eine bes­timmte Arbeit geschuldet war, die andere nicht. Oder ein­er meint, eine bes­timmte Arbeit sei Män­gel­gewährleis­tung und müsse umson­st durchge­führt wer­den, der andere geht von ein­er Auf­tragser­weiterung aus, die zu bezahlen ist. Irgend­wann ist jede Partei der Mei­n­ung, von der anderen Seite vorsät­zlich geschnit­ten zu wer­den, man begin­nt, Zahlun­gen oder Leis­tun­gen zurück­zuhal­ten, der Ton wird schär­fer, die Kom­mu­nika­tion wird nur noch über Dritte (eben etwa Anwälte) geführt – was die Sache meist erst recht eskaliert. Jed­er beruft sich dann auf seine Sicht des Ver­trages, jed­er fühlt sich im Recht. Aber ist er das auch?

Und was ist (inzwis­chen) eigentlich der Ver­trag? Was ist vere­in­bart?

Natür­lich ist damals bei Ver­tragss­chluss (eben vor Wochen, Monat­en, Jahren) schon an der Leis­tungs­beschrei­bung, am Pro­jek­t­plan ges­part wor­den, man hat eben ein­fach mal anfan­gen. Geschlud­ert hat man an der Vor­bere­itung, an der Leis­tungs­beschrei­bung, an Mile­stone-Plä­nen, am Pflicht­en- und Las­ten­heft. Schon die Aus­gangslage ist also zweifel­haft.

Aber – und hier ist die Crux – ein Ver­trag für ein kom­plex­es Pro­jekt ist sel­ten sta­tisch, er lebt. Ändert sich das Pro­jekt, ändert sich auch das Vere­in­barte.

Später hat es daher – man stößt bei jedem Pro­jekt ja auf uner­wartetes und unge­plantes – unzäh­lige Meet­ings (ohne Pro­tokoll), Faxe, Emails (auf allen möglichen Ebe­nen vom „ein­fachen“ Mitar­beit­er bis zum Geschäfts­führer), Brief­in­gs und Unterre­dun­gen informeller Art gegeben. Jed­er hat mal mit­gere­det, oft mit dem PM, oft ohne.

Jed­er einzelne dieser Punk­te kann den ursprünglichen Ver­trag geän­dert und ins­beson­dere erweit­ert haben. Da kön­nen Par­al­lelverträge geschlossen wor­den oder die ursprüngliche (schon insuf­fiziente) Leis­tungs­beschrei­bung ins Gegen­teil verkehrt wor­den sein.

Auch das muss aber nicht sein – wer will schon nachvol­lziehen, ob da jede Emails von ein­er vertre­tungs­berechtigten Per­son geschrieben wurde, oder ob durch die vie­len Pro­jek­t­meet­ings vielle­icht eine Anscheins- oder Dul­dungsvoll­macht ent­standen ist? Ohne Voll­macht aber kein neuer Ver­tragss­chluss bzw. keine Ver­tragsän­derung.

Wer kann nach Jahren noch nachvol­lziehen, ob eine bes­timmte Absprache eine Änderung oder nur eine Konkretisierung ein­er (ursprünglich schon schlecht gefassten) Leis­tungs­beschrei­bung war? Wer kann noch wis­sen, ob eine bes­timmte informelle Unterre­dung nur ein „vielle­icht soll­ten wir mal X und Y ver­suchen“ war oder doch schon ein „und ab nun ver­suchen wir X und Y“? Was genau war damals gemeint? Wer will vor allem die Kette nachvol­lziehen, in der ein bes­timmter Punkt der zu erbrin­gen­den Leis­tung ver­formt wurde von den ursprünglichen Vorstel­lun­gen der Parteien in der Leis­tungs­beschrei­bung über viele Emails, Mem­o­ran­den und Besprechun­gen von unter­schiedlichen Leuten mit unter­schiedlichen Ter­mi­nolo­gien und Erfahrung­shor­i­zon­ten?

Diese Vorgänge lassen sich meist selb­st von den Beteiligten nicht mehr kom­plett rekon­stru­ieren. Umso weniger darf man dann eine sachgerechte Beurteilung von Insti­tu­tio­nen wie Anwäl­ten, Gericht­en und exter­nen Sachver­ständi­gen erwartet. Hier lässt man sich auf ein Glücksspiel ein. Anders – und ein wenig philosophis­ch­er – aus­ge­drückt: es gibt einen Punkt, an dem es nicht mehr die Wahrheit über den Ver­trag und das, was darin vere­in­bart war gibt, son­dern ganz viele Wahrheit­en.

Die Ver­mei­dung von Prob­le­men muss daher im Vor­feld anset­zen, schon bei Ver­tragsver­hand­lung und Ver­tragss­chluss. Es geht nicht anders, auch wenn es lästig erscheint:

  • Die Parteien müssen gemein­sam Kri­te­rien entwick­eln, wann eine ver­trags­gemäße Leis­tung vor­liegt, Las­ten- und Pflicht­en­hefte, Leis­tungs­beschrei­bun­gen, Mile­stone-Pläne o.Ä. erstellen; das ist let­ztlich wichtiger als ein aus­ge­feil­ter juris­tis­ch­er Text­teil des Ver­trages.
  • Es muss klar getren­nt wer­den zwis­chen Auf­tragser­weiterun­gen (die es in jedem IT-Pro­jekt gibt) und Män­gelbe­sei­t­i­gung (etwas, das beauf­tragt wurde, geht nicht). Erstaunlicher­weise geschieht ger­ade das nie.
  • Ver­tragsän­derun­gen soll­ten nur schriftlich oder schriftlich bestätigt erfol­gen kön­nen, schon der Nach­weis­barkeit hal­ber.
  • Die Parteien müssen sich auf eine klare, vornehm­lich durch ein schriftlich­es Pro­tokoll begleit­ete Abnah­me­proze­dur eini­gen, die dann auch tat­säch­lich einge­hal­ten wird. Was abgenom­men wurde gilt (wenn nicht ver­steck­te Män­gel vor­liegen) dann als Erfül­lung des Ver­trages, d.h. wenn hier weit­ere Wün­sche kom­men, stellen diese klar eine weit­ere Beauf­tra­gung dar.
  • Ger­ade für den Fall von Prob­le­men muss der Ver­trag Lösun­gen vorse­hen, die nicht eskalieren, son­dern de-eskalieren. Zurück­be­hal­tungsrechte etwa auss­chließen und stattdessen Zahlun­gen an Treuhän­der vorse­hen, wenn (ver­meintlich, das ist ja immer ger­ade stre­it­ig) eine Partei Pflicht­en ver­let­zt.
  • Zulet­zt muss – abseits des rechtlichen – die Kom­mu­nika­tion zwis­chen den Parteien immer offen bleiben. Ziehen sich die Beteiligten zurück, wech­seln Ansprech­part­ner zu oft, bricht der Kom­mu­nika­tions­fluss ab, läutet das oft die End­phase des Pro­jek­ts ein.
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