Die „vorweggenommene Erbfolge“ — Unbedachte Verfügungen von Todes wegen

© Zerbor/stock.adobe.com
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

In der Pra­xis ist die Ver­wen­dung des Begriffs der „vor­weg­ge­nom­me­nen Erb­fol­ge“ weit ver­brei­tet, auch in nota­ri­el­len Urkun­den.  Die jüngs­te Ent­schei­dung des OLG Bran­den­burg zeigt wie­der ein­mal, dass man gera­de bei der­ar­ti­gen For­mu­lie­run­gen ger­ne mal ins Fett­näpf­chen tritt. Ste­fan Schüt­zen­dü­bel hat die Details. 

Die­ses Urteil betrifft die Aus­wir­kung von Pflicht­teils­an­rech­nungs­be­stim­mun­gen und gegen­ständ­lich beschränk­ten Pflicht­teils­ver­zich­ten im Rah­men leb­zei­ti­ger Über­las­sungs­ver­trä­ge bzw. der „vor­weg­ge­nom­me­nen Erb­fol­ge“.

 

Worum ging es in diesem Fall?

Im Jahr 1993 hat­te die 2001 ver­stor­be­ne Erb­las­se­rin das in ihrem Eigen­tum ste­hen­de Grund­stück unent­gelt­lich auf eines ihrer fünf Kin­der (im Fol­gen­den: Erwer­ber) über­tra­gen. In Zif­fer IX des nota­ri­el­len Über­las­sungs­ver­trags heißt es, die Über­las­sung „erfolgt im Wege der vor­weg­ge­nom­me­nen Erb­fol­ge unter Anrech­nung auf den Pflicht­teil“ des Erwer­bers am künf­ti­gen Nach­lass des Ver­äu­ße­rers. Wei­ter­hin ver­zich­te­ten die Geschwis­ter des Erwer­bers im glei­chen Über­las­sungs­ver­trag gegen­ständ­lich beschränkt auf den Ver­trags­ge­gen­stand auf ihr Pflicht­teils­recht am künf­ti­gen Nach­lass der Erb­las­se­rin.

Nach Able­ben der Erb­las­se­rin bean­trag­te der Erwer­ber einen Erb­schein, der ihn mit sei­nen Geschwis­tern auf­grund gesetz­li­cher Erb­fol­ge als Mit­er­be aus­weist. Die Rechts­pfle­ge­rin des Nach­lass­ge­richts hat die Tat­sa­chen, die zur Ertei­lung des bean­trag­ten Erb­scheins erfor­der­lich sind, für fest­ge­stellt erach­tet und den Erb­schein ent­spre­chend aus­ge­stellt. Dage­gen leg­te eines der Geschwis­ter­kin­der Beschwer­de ein und argu­men­tiert, dass Zif­fer IX des Über­las­sungs­ver­trags eine Ver­fü­gung von Todes wegen dar­stel­le, mit der der Erwer­ber von der gesetz­li­chen Erb­fol­ge aus­ge­schlos­sen wor­den sei.

 

Was wurde entschieden?

Das Ober­lan­des­ge­richt Bran­den­burg kommt nun zu dem Schluss, dass die Beschwer­de begrün­det sei. Der Über­las­sungs­ver­trag ent­hal­te eine Anrech­nungs­be­stim­mung, die sich nicht nur auf den Erb­teil des Erwer­bers, son­dern aus­drück­lich auch auf den Pflicht­teil bezie­he. Dar­aus wur­de abge­lei­tet, dass dem Wil­len der Erb­las­se­rin nach dem Erwer­ber allen­falls der Pflicht­teil ver­blei­ben sol­le, mehr nicht.  Dar­in kön­ne eine Enter­bung gemäß § 1938 BGB gese­hen wer­den. Hier­für spre­che, dass die Geschwis­ter des Erwer­bers im glei­chen Ver­trag gegen­ständ­lich beschränkt auf ihren Pflicht­teil ver­zich­te­ten. Dem Erwer­ber sol­le also der zuge­wen­de­te Gegen­stand ver­blei­ben, ohne hier­für Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­sprü­chen von sei­nen Geschwis­tern aus­ge­setzt zu sein, Dar­über hin­aus sol­le er als gesetz­li­cher Erbe aber nicht am Nach­lass der Erb­las­se­rin par­ti­zi­pie­ren.

 

 Ist es wirklich so einfach?

Die Ent­schei­dung des OLG Bran­den­burg ist kri­tisch zu betrach­ten. Pflicht­teils­an­rech­nungs­be­stim­mun­gen und gegen­ständ­lich beschränk­te Pflicht­teils­ver­zich­te sind in der Gestal­tungs­pra­xis völ­lig üblich. Regel­mä­ßig gehen die Ver­trags­schlie­ßen­den hier­bei nicht davon aus, eine Enter­bung vor­zu­neh­men. Es darf auch bezwei­felt wer­den, dass Ver­trags­par­tei­en eines Über­las­sungs­ver­trags bei einem bloß gegen­ständ­lich beschränk­ten Pflicht­teils­ver­zicht bezo­gen auf den Zuwen­dungs­ge­gen­stand eine umfas­sen­de Rege­lung der Erb­schaft des jewei­li­gen Erwer­bers tref­fen möch­ten.

Die Ent­schei­dung zeigt jedoch auch, dass Über­las­sungs­ver­trä­ge mit dem Begriff “vor­weg­ge­nom­me­ne Erb­fol­ge” sehr sorg­fäl­tig for­mu­liert wer­den soll­ten, um unge­wünsch­te Rechts­fol­gen zu ver­mei­den. Der Begriff “vor­weg­ge­nom­me­ne Erb­fol­ge” ist bereits vom BGH als aus­le­gungs­be­dürf­tig ein­ge­stuft wor­den. Wenn eine Zuwen­dung “im Wege vor­weg­ge­nom­me­ner Erb­fol­ge unent­gelt­lich” erfolgt, muss ermit­telt wer­den, ob der Erb­las­ser eine Aus­glei­chung, eine Anrech­nung auf den Pflicht­teil oder eine kumu­la­ti­ve Aus­glei­chung und Anrech­nung anord­nen woll­te. Der Begriff der “vor­weg­ge­nom­me­nen Erb­fol­ge” soll­te dem­nach in Über­ga­be­ver­trä­gen nicht ver­wen­det wer­den, ohne die Rechts­wir­kun­gen die­ser For­mu­lie­rung ein­deu­tig und unmiss­ver­ständ­lich zu bestim­men.

 

Unser Fazit

Zwar han­delt es sich bei der Ent­schei­dung des OLG Bran­den­burg um eine bloß ver­ein­zel­te Ent­schei­dung. Jeder ver­gleich­ba­re Fall muss eben­so für sich selbst betrach­tet wer­den. Um in der Gestal­tungs­pra­xis aber den sichers­ten Weg zu gehen, lässt sich unter Berück­sich­ti­gung der Ent­schei­dung des OLG Bran­den­burg fest­hal­ten:

  1. Es soll­te ver­mie­den wer­den, die unent­gelt­li­che Zuwen­dung als “vor­weg­ge­nom­me­ne Erb­fol­ge” zu dekla­rie­ren, da die­ser Begriff aus­le­gungs­be­dürf­tig ist. Statt­des­sen soll­ten die Rechts­wir­kun­gen ein­deu­tig und unmiss­ver­ständ­lich bestimmt wer­den.
  2. Es ist zu beach­ten, dass auch Bestim­mun­gen zur Anrech­nung auf den Pflicht­teil des Erwer­bers und gegen­ständ­lich beschränk­te Ver­zich­te als still­schwei­gen­de Enter­bung gese­hen wer­den könn­ten. Vor­sorg­lich soll­te klar­ge­stellt wer­den, dass der jewei­li­ge Über­las­sungs­ver­trag kei­ne Ver­fü­gung von Todes wegen, ins­be­son­de­re kei­ne Enter­bung im Sin­ne des § 1938 BGB ent­hält. Alter­na­tiv könn­te die Pflicht­teils­an­rech­nungs­be­stim­mung in der Wei­se gefasst wer­den, dass die Anrech­nung auf einen etwa­igen Pflicht­teil erfolgt.


Ste­fan Schüt­zen­dü­bel ist Fach­an­walt für Erbrecht und für Steu­er­recht. Sein Tätig­keits­be­reich liegt einer­seits in der gestal­ten­den Bera­tung, wobei er die Schnitt­stel­len zwi­schen dem Erb- und Steu­er­recht abdeckt, ande­rer­seits in der außer­ge­richt­li­chen Kon­flikt­be­ra­tung sowie in der Pro­zess­füh­rung. Dane­ben umfasst sei­ne Exper­ti­se auch das Gesell­schafts­recht, ins­be­son­de­re an der Schnitt­stel­le zum Erbrecht.

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor