In der Praxis ist die Verwendung des Begriffs der „vorweggenommenen Erbfolge“ weit verbreitet, auch in notariellen Urkunden. Die jüngste Entscheidung des OLG Brandenburg zeigt wieder einmal, dass man gerade bei derartigen Formulierungen gerne mal ins Fettnäpfchen tritt. Stefan Schützendübel hat die Details.
Dieses Urteil betrifft die Auswirkung von Pflichtteilsanrechnungsbestimmungen und gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichten im Rahmen lebzeitiger Überlassungsverträge bzw. der „vorweggenommenen Erbfolge“.
Im Jahr 1993 hatte die 2001 verstorbene Erblasserin das in ihrem Eigentum stehende Grundstück unentgeltlich auf eines ihrer fünf Kinder (im Folgenden: Erwerber) übertragen. In Ziffer IX des notariellen Überlassungsvertrags heißt es, die Überlassung „erfolgt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Anrechnung auf den Pflichtteil“ des Erwerbers am künftigen Nachlass des Veräußerers. Weiterhin verzichteten die Geschwister des Erwerbers im gleichen Überlassungsvertrag gegenständlich beschränkt auf den Vertragsgegenstand auf ihr Pflichtteilsrecht am künftigen Nachlass der Erblasserin.
Nach Ableben der Erblasserin beantragte der Erwerber einen Erbschein, der ihn mit seinen Geschwistern aufgrund gesetzlicher Erbfolge als Miterbe ausweist. Die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts hat die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlich sind, für festgestellt erachtet und den Erbschein entsprechend ausgestellt. Dagegen legte eines der Geschwisterkinder Beschwerde ein und argumentiert, dass Ziffer IX des Überlassungsvertrags eine Verfügung von Todes wegen darstelle, mit der der Erwerber von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen worden sei.
Das Oberlandesgericht Brandenburg kommt nun zu dem Schluss, dass die Beschwerde begründet sei. Der Überlassungsvertrag enthalte eine Anrechnungsbestimmung, die sich nicht nur auf den Erbteil des Erwerbers, sondern ausdrücklich auch auf den Pflichtteil beziehe. Daraus wurde abgeleitet, dass dem Willen der Erblasserin nach dem Erwerber allenfalls der Pflichtteil verbleiben solle, mehr nicht. Darin könne eine Enterbung gemäß § 1938 BGB gesehen werden. Hierfür spreche, dass die Geschwister des Erwerbers im gleichen Vertrag gegenständlich beschränkt auf ihren Pflichtteil verzichteten. Dem Erwerber solle also der zugewendete Gegenstand verbleiben, ohne hierfür Pflichtteilsergänzungsansprüchen von seinen Geschwistern ausgesetzt zu sein, Darüber hinaus solle er als gesetzlicher Erbe aber nicht am Nachlass der Erblasserin partizipieren.
Die Entscheidung des OLG Brandenburg ist kritisch zu betrachten. Pflichtteilsanrechnungsbestimmungen und gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzichte sind in der Gestaltungspraxis völlig üblich. Regelmäßig gehen die Vertragsschließenden hierbei nicht davon aus, eine Enterbung vorzunehmen. Es darf auch bezweifelt werden, dass Vertragsparteien eines Überlassungsvertrags bei einem bloß gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzicht bezogen auf den Zuwendungsgegenstand eine umfassende Regelung der Erbschaft des jeweiligen Erwerbers treffen möchten.
Die Entscheidung zeigt jedoch auch, dass Überlassungsverträge mit dem Begriff “vorweggenommene Erbfolge” sehr sorgfältig formuliert werden sollten, um ungewünschte Rechtsfolgen zu vermeiden. Der Begriff “vorweggenommene Erbfolge” ist bereits vom BGH als auslegungsbedürftig eingestuft worden. Wenn eine Zuwendung “im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich” erfolgt, muss ermittelt werden, ob der Erblasser eine Ausgleichung, eine Anrechnung auf den Pflichtteil oder eine kumulative Ausgleichung und Anrechnung anordnen wollte. Der Begriff der “vorweggenommenen Erbfolge” sollte demnach in Übergabeverträgen nicht verwendet werden, ohne die Rechtswirkungen dieser Formulierung eindeutig und unmissverständlich zu bestimmen.
Zwar handelt es sich bei der Entscheidung des OLG Brandenburg um eine bloß vereinzelte Entscheidung. Jeder vergleichbare Fall muss ebenso für sich selbst betrachtet werden. Um in der Gestaltungspraxis aber den sichersten Weg zu gehen, lässt sich unter Berücksichtigung der Entscheidung des OLG Brandenburg festhalten:
Stefan Schützendübel ist Fachanwalt für Erbrecht und für Steuerrecht. Sein Tätigkeitsbereich liegt einerseits in der gestaltenden Beratung, wobei er die Schnittstellen zwischen dem Erb- und Steuerrecht abdeckt, andererseits in der außergerichtlichen Konfliktberatung sowie in der Prozessführung. Daneben umfasst seine Expertise auch das Gesellschaftsrecht, insbesondere an der Schnittstelle zum Erbrecht.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Steuerrecht
Fachanwalt für Erbrecht