Fotorecht Spezial Teil 11: Fotos ohne Einwilligung; Personen der Zeitgeschichte

Fotorecht | 12. Dezember 2005
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In den bei­den vorheri­gen Teilen ging es darum, wie eine auf einem Foto abge­bildete Per­son ihre Ein­willi­gung dies­bezüglich erk­lären kann und wie – näm­lich nur unter recht engen Voraus­set­zun­gen – diese Ein­willi­gung zu wider­rufen ist. Es wird Zeit sich darum zu küm­mern, wann man eine Ein­willi­gung gar nicht braucht, man also den oder die Abge­bilde­ten gar nicht erst fra­gen muss. Da das Erforder­nis ein­er Ein­willi­gung die Regel ist, muss es sich hier um Aus­nah­men han­deln. Die regelt § 23 Kun­stUrhG.

Zeitgeschichte

Gle­ich die erste der Aus­nah­men des § 23 ist gle­ichzeit­ig die rel­e­van­teste, befind­et sich aber derzeit stark im Fluss. Der Grund­satz ist: Bild­nisse aus dem Bere­ich der Zeit­geschichte dür­fen ohne Ein­willi­gung des Abge­bilde­ten ver­bre­it­et und zur Schau gestellt wer­den. Aber was heißt das?

Wie das Wort „Zeit­geschichte“ schon andeutet: es geht nicht unbe­d­ingt um die „große“ Geschichte; nicht nur um das, was noch den kom­menden Gen­er­a­tio­nen bleibt. Vielmehr ist der Begriff vom Infor­ma­tion­sin­ter­esse der Öffentlichkeit her zu bes­tim­men. Zu deutsch: was die Leute sehen wollen, das ist im Zweifel Zeit­geschichte. Das gilt auch dann, wenn das Inter­esse des Pub­likums schlicht aus einem gewis­sen Unter­hal­tungswert des Geschehens her­rührt.

Nun geht es uns aber um Men­schen, nicht um die Ereignisse als solche. Die deutsche Recht­sprechung hat daher – und das ste­ht so nicht im Geset­zes­text – eine zunächst ein­leuch­t­ende, eigentlich aber beden­kliche und daher in let­zter Zeit (völ­lig zu Recht) ange­grif­f­ene Unter­schei­dung von Per­so­n­en in so genan­nte absolute und rel­a­tive Per­so­n­en der Zeit­geschichte vorgenom­men. Weil die Unter­schei­dung (immer noch) sehr weit ver­bre­it­et ist und auch eini­gen Erken­nt­niswert hat soll sie kurz dargestellt wer­den; die Kri­tik fol­gt dann auf dem Fuße.

Absolute Personen der Zeitgeschichte

Am Leben — auch dem ganz pri­vat­en — von so genan­nten “absoluten Per­so­n­en der Zeit­geschichte” sollte, so das bish­erige Ver­ständ­nis, ein nahezu unbeschränk­tes Infor­ma­tions­bedürf­nis der Öffentlichkeit beste­hen. In aller Regel sollte dies die Inter­essen dieser Per­so­n­en an der Erhal­tung ihrer Pri­vat­sphäre über­wiegen.

Solch eine absolute Per­son der Zeit­geschichte war, wer kraft sein­er poli­tis­chen oder gesellschaftlichen Posi­tion aus der Masse der Mit­men­schen her­aus­ragte und daher im Blick­punkt der Öffentlichkeit stand. Das betraf (jew­eils bekan­nte) Poli­tik­er, Wis­senschaftler, Schaus­piel­er, Kün­stler, Erfind­er, Wirtschafts­führer und Ange­hörige von regieren­den Fürsten­häusern.

Die Faus­tregel war die: wenn die Ver­hält­nisse ein­er Per­son „an sich“ für die Öffentlichkeit inter­es­sant und bericht­enswert waren, ohne, dass es der Verknüp­fung zu einem bes­timmten zeit­geschichtlichen Ereig­nis oder der Beziehung zu ein­er „an sich inter­es­san­ten“ Per­son bedurfte, dann war diese Per­son eine solche der absoluten Zeit­geschichte.

Bsp: Ein aus vie­len Kino- und TV-Fil­men bekan­nter Schaus­piel­er ist eine Per­son der absoluten Zeit­geschichte. Über ihn kon­nte prak­tisch unbe­gren­zt auch im Bild berichtet wer­den. Das galt nicht nur dann, wenn ein neuer Film mit ihm in der Haup­trol­le Pre­miere hat­te; inter­es­sant war etwa auch, welche Restau­rants er besuchte.

Relative Personen der Zeitgeschichte

Aus der oben gegebe­nen Faus­tregel ergibt sich im Umkehrschluss, wer (nur) eine Per­son der rel­a­tiv­en Zeit­geschichte war: näm­lich der, der eben nicht „aus sich her­aus“ für die Öffentlichkeit inter­es­sant war, son­dern erst durch die Verknüp­fung mit einem zeit­geschichtlichen Ereig­nis oder durch seine Beziehung zu ein­er Per­son der absoluten Zeit­geschichte in das Inter­esse der Öffentlichkeit rück­te. Das traf etwa zu auf Ange­hörige von Per­so­n­en der absoluten Zeit­geschichte, auf Beteiligte an Straf­prozessen oder Ähn­lichem.

Über diese Per­so­n­en durfte nicht los­gelöst von diesem zeit­geschichtlichen Kon­text berichtet wer­den.

Bsp: Über einen an einem spek­takulären Mord­fall beteiligten Staat­san­walt durfte zwar im Zusam­men­hang mit eben diesem Fall berichtet wer­den; eine Foto­strecke mit Bildern aus seinem Pri­vatleben wäre aber unzuläs­sig gewe­sen.

Allerd­ings hieß das nicht, dass das ver­wen­dete Bild­ma­te­r­i­al ger­ade bei Gele­gen­heit des Ereigniss­es ent­standen sein musste, das die betrof­fene Per­son zu ein­er solchen der Zeit­geschichte macht­en. Es kon­nte sich hier auch um Archiv­ma­te­r­i­al han­deln.

Kritik und neuere Entwicklungen

Die oben dargestell­ten Grund­sätze wur­den in den let­zten Jahren schon von der deutschen Recht­sprechung behut­sam eingeschränkt. So wurde klar gestellt, dass auch Promi­nente ein Recht darauf haben, sich in ihre eige­nen vier Wände zurück­zuziehen und dort auch ungestört zu bleiben. Ins­beson­dere den Kindern von Promi­nen­ten wurde beson­der­er Schutz zugedacht.

Der wenig­stens vor­läu­fige Schlusspunkt dieser Entwick­lung war wohl das Urteil des Europäis­chen Gericht­shofs für Men­schen­rechte vom 24.6.2004, AZ 24/06/04, das sog. Car­o­line-von-Mona­co-Urteil. Gegen­stand der Entschei­dung waren Fotos der Car­o­line von Mona­co, die diese, ihre Kinder und Begleit­er zeigten; dies beim Reit­en, Einkaufen oder bei Restau­rantbe­suchen. Bei alltäglichen Din­gen eben. Die Bilder ent­standen dabei oft in typ­is­chen Paparazzi-Sit­u­a­tio­nen; der Gericht­shof beze­ich­nete dies als „Bedin­gun­gen, die ein­er Dauer­beläs­ti­gung gle­ichkom­men“.

Die deutschen Gerichte hat­ten den Beschw­er­den und Recht­ser­suchen der Car­o­line von Mona­co, die eine (weit­ere) Veröf­fentlichung der Bilder unterbinden wollte und Schaden­er­satz forderte, abgelehnt. Sie sei eine Per­son der absoluten Zeit­geschichte und als solche sei sie nur dann vor den Nach­stel­lun­gen der Presse geschützt, wenn sie sich in räum­lich­er Abgeschieden­heit unter Auss­chluss der Öffentlichkeit befände, „in (den) sich die betrof­fene Per­son zurückzieht, um dort objek­tiv erkennbar für sich allein zu sein und in der sie sich im Ver­trauen auf die Abgeschieden­heit so ver­hält, wie sie es in der bre­it­en Öffentlichkeit nicht tun würde“.

Das war dem Europäis­chen Gericht­shof für Men­schen­rechte zu wenig. Wohl völ­lig zu recht. Er meint, dass auch „Promi­nente“, selb­st wenn sie unter den deutschen Begriff der „Per­son der absoluten Zeit­geschichte“ fall­en, ein Recht auf ein Pri­vatleben haben. Und dafür reicht die „Rück­zugsmöglichkeit ins Pri­vate“, hin­ter Heck­en und Mauern, in die eige­nen vier Wände nicht aus. Pri­vat muss man auch in der Öffentlichkeit sein kön­nen, wenn man – wie Nor­mal­sterbliche auch – Einkaufen geht, pri­vat im Restau­rant sitzt oder ein­fach nur durch den Park läuft. Wenn also Fotos über die Ablich­tung pri­vater Sit­u­a­tio­nen hin­aus schlicht keinen Infor­ma­tion­swert haben, dann sind sie unzuläs­sig. Egal, wer da abge­bildet ist.

Der Gericht­shof führt hier aus:

76. Wie zuvor dargelegt, ist der Gericht­shof der Mei­n­ung, dass bei der Gewich­tung des Schutzes der Pri­vat­sphäre und der Frei­heit der Mei­n­ungsäußerung als bes­tim­mender Fak­tor der Beitrag zu gel­ten hat, den die veröf­fentlicht­en Fotos und Artikel zur Debat­te mit All­ge­mein­in­ter­esse erbrin­gen. In der vor­liegen­den Sache ist aber festzustellen, dass ein solch­er Beitrag fehlt, weil die Beschw­erde­führerin keine offiziellen Funk­tio­nen erfüllt und die stre­it­ge­gen­ständlichen Fotos und Artikel sich auss­chließlich auf Einzel­heit­en aus ihrem Pri­vatleben beziehen.

77. Außer­dem hat die Öffentlichkeit dem Gericht­shof zufolge kein legit­imes Inter­esse daran zu erfahren, wo die Beschw­erde­führerin sich aufhält und wie sie sich all­ge­mein in ihrem Pri­vatleben ver­hält, selb­st wenn sie sich an Orte beg­ibt, die nicht immer als abgeschieden beze­ich­net wer­den kön­nen, auch wenn sie eine bekan­nte Per­sön­lichkeit ist. Und selb­st wenn ein solch­es Inter­esse der Öffentlichkeit bestünde, eben­so wie ein kom­merzielles Inter­esse der Zeitschriften an der Veröf­fentlichung von Fotos und Artikeln, so haben diese Inter­essen nach Auf­fas­sung des Gericht­shofs im vor­liegen­den Fall hin­ter dem Recht der Beschw­erde­führerin auf wirk­samen Schutz ihres Pri­vatlebens zurück­zutreten.

78. Schließlich sind nach Ansicht des Gericht­shofs die Kri­te­rien der inner­staatlichen Gerichte nicht aus­re­ichend, um einen wirk­samen Schutz des Pri­vatlebens der Beschw­erde­führerin zu gewährleis­ten, wobei die Let­zt­ge­nan­nte unter den gegebe­nen Umstän­den eine „berechtigte Hoff­nung“ auf Schutz ihres Pri­vatlebens hätte haben müssen.

Der let­zte Absatz ist übri­gens eine ziem­lich deut­liche Ohrfeige.

Nun kann man sich lange darüber stre­it­en, wie dieses Urteil die feinsin­nige deutsche Unterteilung in Per­so­n­en der absoluten und der rel­a­tiv­en Zeit­geschichte bee­in­flusst; hierzu ist auch viel geschrieben wor­den. Ich meine (mit vie­len anderen), dass es Zeit ist, die Unter­schei­dung aufzugeben. Wenn auch „Per­so­n­en der absoluten Zeit­geschichte“ ein Recht auf Pri­vatleben haben, wenn über sie nur dann im Bild berichtet wer­den darf, wenn die Fotos einen Infor­ma­tion­swert über eben das Pri­vatleben hin­aus haben, dann wird die Unter­schei­dung zwis­chen rel­a­tiv­en und absoluten Per­so­n­en der Zeit­geschichte schlicht sinn­los.

In bei­den Fällen bedarf es jet­zt ein­er Beziehung dieser Per­son zu einem Ereig­nis oder ein Tätig­w­er­den der Per­son in ein­er offiziellen Funk­tion. Zwar sind bei „beson­ders bekan­nten“ Per­so­n­en diese Anknüp­fungspunk­te bre­it­er, aber das ist ein gradu­eller, kein sub­stantieller Unter­schied.

Wie unaus­ge­goren die Posi­tion der deutschen Recht­sprechung war zeigte sich ins­beson­dere an der „Kinder-Prob­lematik“. Wie oben kurz erwäh­nt schützten die deutschen Gerichte dur­chaus die Pri­vat­sphäre von Kindern von Per­so­n­en der absoluten Zeit­geschichte. Dies, indem sie den Kindern kurz­er­hand den Sta­tus als „Per­so­n­en der rel­a­tiv­en Zeit­geschichte“ absprachen. Genau das waren sie aber eigentlich: sie verkehrten mit Per­so­n­en der absoluten Zeit­geschichte. Diese dog­ma­tis­chen Hand­stände deuten eigentlich schon früh an, dass das gesamte Sys­tem einen fun­da­men­tal­en Webfehler aufwies. Die Posi­tion des Europäis­chen Gericht­shofs für Men­schen­rechte ist da schlüs­siger: Kinder genießen Schutz, weil es eben sel­ten vorkommt, dass sie außer­halb ihres Pri­vatlebens tätig wer­den: sie haben meist noch keine öffentliche Funk­tion. Also ist ihre Ablich­tung in aller Regel unzuläs­sig.

Grenzen der Abbildungsfreiheit

Wenn nach dem oben Gesagten die Abbil­dung von Per­so­n­en auch ohne deren Zus­tim­mung zuläs­sig ist, dann kann das natür­lich nicht unbe­gren­zt gel­ten. Vielmehr sind die Bilder in gewis­sem Maße zweck­ge­bun­den. Da die Möglichkeit der Abbil­dung dieser Per­so­n­en ein­er Abwä­gung des Infor­ma­tion­sin­ter­ess­es der All­ge­mein­heit gegen das Recht auf Pri­vat­sphäre der betrof­fe­nen Per­son entspringt, kann das resul­tierende Bild auch nur zu Infor­ma­tion­szweck­en ver­wen­det wer­den. Die Nutzung etwa für Wer­bezwecke wäre dage­gen unzuläs­sig.

Bitte lesen Sie auch die Teile 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 , 9 und 10 der Serie. Im näch­sten Teil wird es dann um die weit­eren Aus­nah­men vom Erforder­nis der Ein­willi­gung des Abge­bilde­ten gehen.

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