In den beiden vorherigen Teilen ging es darum, wie eine auf einem Foto abgebildete Person ihre Einwilligung diesbezüglich erklären kann und wie – nämlich nur unter recht engen Voraussetzungen – diese Einwilligung zu widerrufen ist. Es wird Zeit sich darum zu kümmern, wann man eine Einwilligung gar nicht braucht, man also den oder die Abgebildeten gar nicht erst fragen muss. Da das Erfordernis einer Einwilligung die Regel ist, muss es sich hier um Ausnahmen handeln. Die regelt § 23 KunstUrhG.
Gleich die erste der Ausnahmen des § 23 ist gleichzeitig die relevanteste, befindet sich aber derzeit stark im Fluss. Der Grundsatz ist: Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte dürfen ohne Einwilligung des Abgebildeten verbreitet und zur Schau gestellt werden. Aber was heißt das?
Wie das Wort „Zeitgeschichte“ schon andeutet: es geht nicht unbedingt um die „große“ Geschichte; nicht nur um das, was noch den kommenden Generationen bleibt. Vielmehr ist der Begriff vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her zu bestimmen. Zu deutsch: was die Leute sehen wollen, das ist im Zweifel Zeitgeschichte. Das gilt auch dann, wenn das Interesse des Publikums schlicht aus einem gewissen Unterhaltungswert des Geschehens herrührt.
Nun geht es uns aber um Menschen, nicht um die Ereignisse als solche. Die deutsche Rechtsprechung hat daher – und das steht so nicht im Gesetzestext – eine zunächst einleuchtende, eigentlich aber bedenkliche und daher in letzter Zeit (völlig zu Recht) angegriffene Unterscheidung von Personen in so genannte absolute und relative Personen der Zeitgeschichte vorgenommen. Weil die Unterscheidung (immer noch) sehr weit verbreitet ist und auch einigen Erkenntniswert hat soll sie kurz dargestellt werden; die Kritik folgt dann auf dem Fuße.
Am Leben — auch dem ganz privaten — von so genannten “absoluten Personen der Zeitgeschichte” sollte, so das bisherige Verständnis, ein nahezu unbeschränktes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit bestehen. In aller Regel sollte dies die Interessen dieser Personen an der Erhaltung ihrer Privatsphäre überwiegen.
Solch eine absolute Person der Zeitgeschichte war, wer kraft seiner politischen oder gesellschaftlichen Position aus der Masse der Mitmenschen herausragte und daher im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Das betraf (jeweils bekannte) Politiker, Wissenschaftler, Schauspieler, Künstler, Erfinder, Wirtschaftsführer und Angehörige von regierenden Fürstenhäusern.
Die Faustregel war die: wenn die Verhältnisse einer Person „an sich“ für die Öffentlichkeit interessant und berichtenswert waren, ohne, dass es der Verknüpfung zu einem bestimmten zeitgeschichtlichen Ereignis oder der Beziehung zu einer „an sich interessanten“ Person bedurfte, dann war diese Person eine solche der absoluten Zeitgeschichte.
Aus der oben gegebenen Faustregel ergibt sich im Umkehrschluss, wer (nur) eine Person der relativen Zeitgeschichte war: nämlich der, der eben nicht „aus sich heraus“ für die Öffentlichkeit interessant war, sondern erst durch die Verknüpfung mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis oder durch seine Beziehung zu einer Person der absoluten Zeitgeschichte in das Interesse der Öffentlichkeit rückte. Das traf etwa zu auf Angehörige von Personen der absoluten Zeitgeschichte, auf Beteiligte an Strafprozessen oder Ähnlichem.
Über diese Personen durfte nicht losgelöst von diesem zeitgeschichtlichen Kontext berichtet werden.
Allerdings hieß das nicht, dass das verwendete Bildmaterial gerade bei Gelegenheit des Ereignisses entstanden sein musste, das die betroffene Person zu einer solchen der Zeitgeschichte machten. Es konnte sich hier auch um Archivmaterial handeln.
Die oben dargestellten Grundsätze wurden in den letzten Jahren schon von der deutschen Rechtsprechung behutsam eingeschränkt. So wurde klar gestellt, dass auch Prominente ein Recht darauf haben, sich in ihre eigenen vier Wände zurückzuziehen und dort auch ungestört zu bleiben. Insbesondere den Kindern von Prominenten wurde besonderer Schutz zugedacht.
Der wenigstens vorläufige Schlusspunkt dieser Entwicklung war wohl das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24.6.2004, AZ 24/06/04, das sog. Caroline-von-Monaco-Urteil. Gegenstand der Entscheidung waren Fotos der Caroline von Monaco, die diese, ihre Kinder und Begleiter zeigten; dies beim Reiten, Einkaufen oder bei Restaurantbesuchen. Bei alltäglichen Dingen eben. Die Bilder entstanden dabei oft in typischen Paparazzi-Situationen; der Gerichtshof bezeichnete dies als „Bedingungen, die einer Dauerbelästigung gleichkommen“.
Die deutschen Gerichte hatten den Beschwerden und Rechtsersuchen der Caroline von Monaco, die eine (weitere) Veröffentlichung der Bilder unterbinden wollte und Schadenersatz forderte, abgelehnt. Sie sei eine Person der absoluten Zeitgeschichte und als solche sei sie nur dann vor den Nachstellungen der Presse geschützt, wenn sie sich in räumlicher Abgeschiedenheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit befände, „in (den) sich die betroffene Person zurückzieht, um dort objektiv erkennbar für sich allein zu sein und in der sie sich im Vertrauen auf die Abgeschiedenheit so verhält, wie sie es in der breiten Öffentlichkeit nicht tun würde“.
Das war dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenig. Wohl völlig zu recht. Er meint, dass auch „Prominente“, selbst wenn sie unter den deutschen Begriff der „Person der absoluten Zeitgeschichte“ fallen, ein Recht auf ein Privatleben haben. Und dafür reicht die „Rückzugsmöglichkeit ins Private“, hinter Hecken und Mauern, in die eigenen vier Wände nicht aus. Privat muss man auch in der Öffentlichkeit sein können, wenn man – wie Normalsterbliche auch – Einkaufen geht, privat im Restaurant sitzt oder einfach nur durch den Park läuft. Wenn also Fotos über die Ablichtung privater Situationen hinaus schlicht keinen Informationswert haben, dann sind sie unzulässig. Egal, wer da abgebildet ist.
Der Gerichtshof führt hier aus:
76. Wie zuvor dargelegt, ist der Gerichtshof der Meinung, dass bei der Gewichtung des Schutzes der Privatsphäre und der Freiheit der Meinungsäußerung als bestimmender Faktor der Beitrag zu gelten hat, den die veröffentlichten Fotos und Artikel zur Debatte mit Allgemeininteresse erbringen. In der vorliegenden Sache ist aber festzustellen, dass ein solcher Beitrag fehlt, weil die Beschwerdeführerin keine offiziellen Funktionen erfüllt und die streitgegenständlichen Fotos und Artikel sich ausschließlich auf Einzelheiten aus ihrem Privatleben beziehen.
77. Außerdem hat die Öffentlichkeit dem Gerichtshof zufolge kein legitimes Interesse daran zu erfahren, wo die Beschwerdeführerin sich aufhält und wie sie sich allgemein in ihrem Privatleben verhält, selbst wenn sie sich an Orte begibt, die nicht immer als abgeschieden bezeichnet werden können, auch wenn sie eine bekannte Persönlichkeit ist. Und selbst wenn ein solches Interesse der Öffentlichkeit bestünde, ebenso wie ein kommerzielles Interesse der Zeitschriften an der Veröffentlichung von Fotos und Artikeln, so haben diese Interessen nach Auffassung des Gerichtshofs im vorliegenden Fall hinter dem Recht der Beschwerdeführerin auf wirksamen Schutz ihres Privatlebens zurückzutreten.
78. Schließlich sind nach Ansicht des Gerichtshofs die Kriterien der innerstaatlichen Gerichte nicht ausreichend, um einen wirksamen Schutz des Privatlebens der Beschwerdeführerin zu gewährleisten, wobei die Letztgenannte unter den gegebenen Umständen eine „berechtigte Hoffnung“ auf Schutz ihres Privatlebens hätte haben müssen.
Der letzte Absatz ist übrigens eine ziemlich deutliche Ohrfeige.
Nun kann man sich lange darüber streiten, wie dieses Urteil die feinsinnige deutsche Unterteilung in Personen der absoluten und der relativen Zeitgeschichte beeinflusst; hierzu ist auch viel geschrieben worden. Ich meine (mit vielen anderen), dass es Zeit ist, die Unterscheidung aufzugeben. Wenn auch „Personen der absoluten Zeitgeschichte“ ein Recht auf Privatleben haben, wenn über sie nur dann im Bild berichtet werden darf, wenn die Fotos einen Informationswert über eben das Privatleben hinaus haben, dann wird die Unterscheidung zwischen relativen und absoluten Personen der Zeitgeschichte schlicht sinnlos.
In beiden Fällen bedarf es jetzt einer Beziehung dieser Person zu einem Ereignis oder ein Tätigwerden der Person in einer offiziellen Funktion. Zwar sind bei „besonders bekannten“ Personen diese Anknüpfungspunkte breiter, aber das ist ein gradueller, kein substantieller Unterschied.
Wie unausgegoren die Position der deutschen Rechtsprechung war zeigte sich insbesondere an der „Kinder-Problematik“. Wie oben kurz erwähnt schützten die deutschen Gerichte durchaus die Privatsphäre von Kindern von Personen der absoluten Zeitgeschichte. Dies, indem sie den Kindern kurzerhand den Status als „Personen der relativen Zeitgeschichte“ absprachen. Genau das waren sie aber eigentlich: sie verkehrten mit Personen der absoluten Zeitgeschichte. Diese dogmatischen Handstände deuten eigentlich schon früh an, dass das gesamte System einen fundamentalen Webfehler aufwies. Die Position des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist da schlüssiger: Kinder genießen Schutz, weil es eben selten vorkommt, dass sie außerhalb ihres Privatlebens tätig werden: sie haben meist noch keine öffentliche Funktion. Also ist ihre Ablichtung in aller Regel unzulässig.
Wenn nach dem oben Gesagten die Abbildung von Personen auch ohne deren Zustimmung zulässig ist, dann kann das natürlich nicht unbegrenzt gelten. Vielmehr sind die Bilder in gewissem Maße zweckgebunden. Da die Möglichkeit der Abbildung dieser Personen einer Abwägung des Informationsinteresses der Allgemeinheit gegen das Recht auf Privatsphäre der betroffenen Person entspringt, kann das resultierende Bild auch nur zu Informationszwecken verwendet werden. Die Nutzung etwa für Werbezwecke wäre dagegen unzulässig.
Bitte lesen Sie auch die Teile 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 , 9 und 10 der Serie. Im nächsten Teil wird es dann um die weiteren Ausnahmen vom Erfordernis der Einwilligung des Abgebildeten gehen.
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