Negativ getestet nach Rückkehr aus Corona-Risikogebiet: Arbeitgeber müssen Lohn zahlen

© studio v-zwoelf/stock.adobe.com
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Ein Arbeit­nehmer, der aus einem Risiko­ge­bi­et zurück­gekom­men, aber neg­a­tiv getestet war und geset­zlich nicht in Quar­an­täne musste, durfte auch arbeit­en, entsch­ied das Bun­de­sar­beits­gericht. Lässt der Arbeit­ge­ber das nicht zu, muss er trotz­dem Lohn zahlen.

Das Bun­de­sar­beits­gericht (BAG) hat dem Angestell­ten eines Berlin­er Unternehmens Recht gegeben, der im August 2020 wegen des Todes seines Brud­ers in die Türkei gereist war. Damals war die Türkei vom Robert-Koch-Insti­tut als Risiko­ge­bi­et eingestuft, die gel­tende SARS-CoV-2-Eindäm­mungs­maß­nah­men­verord­nung des Lan­des Berlin sah nach der Ein­reise aus einem Risiko­ge­bi­et grund­sät­zlich eine Quar­an­tänepflicht von 14 Tagen vor. Ausgenom­men waren aber Per­so­n­en, die ein ärztlich­es Attest neb­st aktuellem neg­a­tivem PCR-Testergeb­nis vor­legen kon­nten und keine Coro­na-Symp­tome aufwiesen.

Im Betrieb der beklagten Lebens­mit­tel­händ­lerin herrschte ein stren­geres Hygien­ekonzept. Arbeit­nehmer, die aus einem Risiko­ge­bi­et zurück­kehrten, mussten für 14 Tage in Quar­an­täne und durften den Betrieb nicht betreten, einen Ent­geltanspruch gab es nicht. Der Leit­er der Nachtreini­gung des Betriebs legte nach Rück­kehr aus der Türkei ein Symp­tom­frei­heit bestäti­gen­des Attest sowie zwei neg­a­tive PCR-Tests vor (ein­er vor Abreise in der Türkei, ein­er nach Ein­reise in Deutsch­land). Doch der Zutritt zum Betrieb wurde ihm für 14 Tage ver­weigert, die Lebens­mit­tel­händ­lerin zahlte keine Vergü­tung.

Am Mitarbeiter lag es nicht: Arbeitgeberin im Annahmeverzug

Zu Unrecht, befand nun der 10. Sen­at des BAG. Wie schon die Instanzgerichte zuvor sind die Erfurter Richter der Ansicht, die Arbeit­ge­berin sei zur Zahlung des Arbeit­slohns für die 14 Tage verpflichtet. Die Lebens­mit­tel­händ­lerin sei mit der Arbeit­sleis­tung, die der Mitar­beit­er ange­boten habe, im Annah­mev­erzug gewe­sen, so die Erfurter Richter (BAG, Urt. v. 10.08.2022, Az. 5 AZR 154/22).

Das Unternehmen selb­st habe die Ursache dafür geset­zt, dass der kla­gende Leit­er der Nachtreini­gung seine Leis­tung nicht habe erbrin­gen kön­nen. Es wäre der Lebens­mit­tel­händ­lerin auch zumut­bar gewe­sen, seine Arbeit­sleis­tung anzunehmen. Die Weisung, 14 Tage ohne Arbeit­sent­gelt den Betrieb nicht zu betreten, erachtet das BAG als unbil­lig und damit nach § 106 Gewer­be­ord­nung unwirk­sam. Das Unternehmen hätte, so der Sen­at, dem Mitar­beit­er zumin­d­est die Möglichkeit ein­räu­men müssen, durch einen weit­eren PCR-Test eine Infek­tion weit­ge­hend auszuschließen. Auch so wäre die Gesund­heit der anderen Arbeit­nehmer geschützt und ein ord­nungs­gemäßer Betrieb­sablauf gesichert gewe­sen, meinen die Bun­desrichter.

Strenger als das Gesetz: Nur im Homeoffice und mit Lohnfortzahlung

Ein wenig ver­wun­der­lich ist es schon, dass der Fall es bis vor das höch­ste deutsche Arbeits­gericht gebracht hat; die Entschei­dung ist in kein­er Weise über­raschend. Wenn die geset­zlichen Regelun­gen, die auf Grund­lage der vor­liegen­den wis­senschaftlichen Erken­nt­nisse erlassen wur­den, keine Quar­an­tänepflicht vorschrieben, kann ein Arbeit­ge­ber nicht ein­seit­ig den Beschäftigten eine Quar­an­tänepflicht aufer­legen und ihnen zudem auch noch das Gehalt voren­thal­ten.

Es mag sein, dass bes­timmte betriebliche Bedürfnisse ein stren­geres als das geset­zlich geforderte Hygien­ekonzept erforder­lich machen. Dann kann es u.U. gerecht­fer­tigt sein, Beschäftigte aus dem Betrieb für eine gewisse Zeit „auszus­per­ren“. Dann muss der Arbeit­ge­ber aber entwed­er – soweit im Beruf möglich – Home­of­fice anbi­eten oder, wenn das nicht geht, schlichtweg Lohn zahlen, ohne dass dafür  Arbeit geleis­tet wer­den muss.

Die Entschei­dung, ein stren­geres Hygien­ekonzept zu ver­fol­gen, liegt schließlich in der Ver­ant­wor­tungs- und Risikosphäre des Arbeit­ge­bers; dann muss er aber auch ihre  wirtschaftlichen Kon­se­quen­zen tra­gen. Die Beschäftigten jeden­falls müssen sich nicht in ihrer Reise­frei­heit durch betriebliche Belange ein­schränken und sich keinen Lohn­ver­lust gefall­en lassen, wenn sie die geset­zlichen Erfordernisse ein­hal­ten.

 

Dr. Petra Oster­maier ist Part­ner bei SNP Schlaw­ien Part­ner­schaft mbB und schw­er­punk­t­mäßig im Arbeit­srecht tätig. Sie berät und betreut neben multi­na­tionalen Konz­er­nen auch mit­tel­ständis­che und kleinere Unternehmen in allen Fra­gen des indi­vidu­ellen und kollek­tiv­en Arbeit­srechts. Hier­bei ver­tritt sie Arbeit­ge­ber nicht nur vor Gericht, son­dern begleit­et diese auch bei Ver­hand­lun­gen mit Gew­erkschaften, Betrieb­sräten und in Eini­gungsstellen. Daneben unter­stützt Petra Oster­maier Vorstände, Geschäfts­führer und lei­t­ende Angestellte bei ihren Ver­tragsver­hand­lun­gen mit Unternehmen. Ihre Tätigkeit umfasst außer­dem die Beratung von Unternehmen im Daten­schutz sowie im Bere­ich des öffentlichen Rechts, vor­wiegend im öffentlichen Bau­recht und Kom­mu­nal­ab­gaben­recht.
https://de.linkedin.com/in/dr-petra-ostermaier-90069021

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Kündigung pünktlich zustellen: Neues zur Beweislast vom BAG

In den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers eingeworfene Kündigungsschreiben gelten als zugestellt, sobald mit der Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen ist – unabhängig davon, wann der Briefkasten tatsächlich geleert oder die Post gelesen wird. Was bedeutet das für Arbeitgeber?   Der Zeitpunkt der Zustellung einer Kündigung ist aus mehreren Gründen wichtig. Wann die Kündigung zugegangen ist, ist sowohl...

Handel mit Urlaubstagen: Darf‘s ein bisschen mehr sein?

Aus den USA kommt ein Trend auch nach Deutschland: Beschäftigte wollen mehr Urlaubstage – und sind bereit, sie von anderen Beschäftigten zu kaufen. Unternehmen, die sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren wollen, sind geneigt, solchen Wünschen nachzugeben. Doch der Trend bringt auch Herausforderungen mit sich. Vorab ist festzuhalten, dass der gesetzliche Mindesturlaub - das sind bei einer Fünf-Tage-Woche 20 Tage -...