Die Deutsche Bahn muss bald ihre Fahrgäste gegendert ansprechen, bei Audi sollen alle Beschäftigten gendern, doch so manche Person fühlt sich selbst vom Gendersternchen nicht mitgemeint. Diskriminierungsfreie Kommunikation stellt Unternehmen und Beschäftigte vor Herausforderungen, auch rechtlicher Art. Wer was darf, muss und sollte, erklärt Dr. Petra Ostermaier.
Die gendergerechte Sprache hat inzwischen Einzug in alle Bereiche des Lebens gehalten, natürlich auch in das Arbeitsleben. Die Diskussion um Sinn und Unsinn wird dabei teils sehr emotional geführt (Stichwort „Genderwahnsinn“). Das verwundert nicht unbedingt, da die Sprache auch Ausdruck der Persönlichkeit eines Menschen ist.
Vor wenigen Jahren hielten es viele Arbeitgeber noch für fortschrittlich, in Verträgen, Richtlinien und Betriebsvereinbarungen durch eine Fußnote am Textanfang zu erklären, dass das generische Maskulinum auch die weiblichen Beschäftigten erfasse, oder zu gendern, indem im gesamten Text die männliche und die weibliche Form gleichzeitig verwendet wurden, was Texte fast unlesbar machte und sehr fehleranfällig war. Heute gilt es, auch die diversgeschlechtlichen sowie die ungeschlechtlichen Beschäftigten mit anzusprechen. Versucht wird dies mit mehrgeschlechtlichen Schreibweisen mittels nicht von der amtlichen Rechtschreibung abgedeckten Genderzeichen, mit geschlechtsneutralen Benennungen (z.B. „Reinigungsperson“, „Reinigungskraft“, „Reinigende“) oder mit Umformulierungen (z.B. „reinigend tätig sein“, „alle, die reinigen“ oder Passivumschreibungen), die aber häufig sperrig sind und im Singular auch nicht immer funktionieren.
Arbeitgeber mögen sich insoweit Forderungen aus der Belegschaft gegenübersehen, dass untereinander und mit Dritten gendergerecht kommuniziert wird, oder sich im Hinblick auf die Außendarstellung selbst gehalten sehen, gendergerecht zu kommunizieren. Gleichzeitig sehen sich Unternehmen damit konfrontiert, dass Beschäftigte sich weigern zu gendern und sich durch eine gegenderte Ansprache gar in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sehen. Und so mancher fühlt sich selbst von den Formulierungen, die allgemein gerade als gendergerecht gelten, immer noch nicht angesprochen.
Dürfen, können oder müssen Arbeitgeber gendern und das Gendern von den Beschäftigten verlangen? Und wie formuliert man Stellenausschreibungen richtig?
Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16) ist das dritte Geschlecht im Geburtenregister registrierbar – und somit offiziell anerkannt.
Im privaten Arbeitsrecht gibt es bislang keine ausdrückliche Verpflichtung für Arbeitgeber, eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform hatte das Bundesverfassungsgericht seinerzeit allerdings festgestellt, dass das – übrigens nicht gendergerecht formulierte – Grundgesetz einer staatlichen Regelung der Sprache nicht absolut entgegenstehe, sondern diese nur nach Art und Ausmaß begrenze; dabei müsse die Einheitlichkeit der Sprache erhalten bleiben. So gibt es derzeit für die Privatwirtschaft nur Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung zur geschlechtergerechten Schreibung aus dem Jahr 2021, die zwar eine gendergerechte, sensible Ansprache empfehlen, nicht aber die Verwendung von Gendersternchen, Gendergaps oder des Doppelpunkts im Wortinnern.
Grundsätzlich ist denkbar, dass eine nicht geschlechtergerechte Sprache zu einer Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1, 2 S. 1 des Grundgesetzes oder zu einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 des Grundgesetzes führen kann; unmittelbar würden sich daraus aber keine Ansprüche oder Verpflichtungen ergeben. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz fordert im Arbeitsrecht, dass bei kollektiven Maßnahmen alle Beschäftigten gleich zu behandeln sind, soweit kein sachlicher Grund für eine Differenzierung vorlieg. Nach § 19 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist eine Benachteiligung wegen des Geschlechts unzulässig, gemäß § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden.
Gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) hat der Arbeitgeber aufgrund seines Weisungsrechts die Möglichkeit, neben Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung auch die Ordnung und das Verhalten der Belegschaft im Betrieb zu bestimmen. Daher können Unternehmen grundsätzlich von der Belegschaft verlangen, in der dienstlichen Kommunikation nach außen und nach innen zu gendern.
Soweit das Arbeitsverhalten betroffen ist, geht das auch ohne die Mitbestimmung des Betriebsrats. Besteht aber ein Betriebsrat, so bestimmt er über das Ordnungsverhalten der Beschäftigten im Betrieb mit und damit über die Frage, wie innerbetrieblich kommuniziert werden soll. Das Mitbestimmungsrecht greift insoweit aber nur, wenn der Arbeitgeber Vorgaben machen will – Empfehlungen und Denkanstöße sind mitbestimmungsfrei. Die Kommunikation mit Dritten betrifft dagegen das Arbeitsverhalten; hier kann der Arbeitgeber auch bei Bestehen eines Betriebsrats ohne dessen Mitbestimmung Vorgaben bzgl. des Genderns machen.
Gleichberechtigung, Gleichbehandlung und Diskriminierungsverbot führen umgekehrt aber nicht dazu, dass der Arbeitgeber rechtlich gezwungen werden könnte, gegenüber den Beschäftigten zu gendern. Wer im Betrieb keine gendergerechte Sprache verwendet, benachteiligt Beschäftigte damit noch nicht.
Fühlen sich Beschäftigte, die Diskriminierungsmerkmale nach dem AGG erfüllen, bei Vergünstigungen oder auch leistungsabhängigen Vergütungen ungerecht behandelt, selbst wenn das objektiv nicht der Fall war, könnte das Nicht-Gendern aber unter Umständen in einem Gerichtsverfahren eine Art negativer Indizwirkung entfalten, wenn der oder die klagende Beschäftigte zum Beispiel eine etwaig geringere Vergütung auf eine angebliche Benachteiligung stützt. Selbst wenn hierbei der Arbeitgeber obsiegt, ist er mit dem Zeit- und Kostenaufwand eines Gerichtsverfahrens belastet, das er bei Verwendung gendergerechter Sprache gegebenenfalls hätte vermeiden oder jedenfalls abkürzen können.
Unabhängig hiervon steht es sicherlich jedem Arbeitgeber gut zu Gesicht, zumindest durch eine Fußnote in Gesamtzusagen, Richtlinien und Betriebsvereinbarungen klarzustellen, dass alle Beschäftigten gemeint sind, selbst wenn er das generische Maskulinum verwendet.
Der Arbeitgeber, der alles richtig machen will und deswegen auch gendert, wundert sich dann, wenn es auf der anderen Seite Beschäftigte gibt, die ihm genau das vorwerfen und eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts darin sehen, gegendert angesprochen zu werden.
So hatte in einem Verfahren vor dem Landgericht Ingolstadt (Urt. v. 29.07.2022, Az. 83 O 1394/21), das es in die überregionale Berichterstattung schaffte, ein Mitarbeiter von Volkswagen gegen einen Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache bei der Konzerntochter Audi AG geklagt, der dazu führte, dass die Audi-Kollegen bei der Kommunikation mit ihm den Gender-Gap nutzten. Das Landgericht Ingolstadt sah darin aber weder einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz noch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des klagenden VW-Mitarbeiters, auch wenn die grammatikalischen Regeln durch den Gender-Gap nicht eingehalten werden.
Das Arbeitsgericht Elmshorn und im Rahmen der Berufung das LAG Schleswig-Holstein wiederum hatten es mit einem Verfahren zu tun, in dem eine in einem Stellenbesetzungsverfahren abgelehnte zweigeschlechtlich geborene Person meinte, dass – ausgerechnet – das Gender-Sternchen in der Stellenausschreibung nur Männer und Frauen umfasse, im Übrigen aber nicht geschlechtsneutral wäre, und daraus folgerte, benachteiligt worden zu sein. Die Gerichte bescheinigten dem Arbeitgeber aber, dass in der Verwendung des Gender-Sternchens keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liege.
Rechtsprechung, die Beschäftigten das Recht zubilligen würde, nicht gegendert angesprochen zu werden, gibt es hingegen bisher, soweit ersichtlich, nicht.
Die Verwendung eines Geschlechts in der externen, aber auch der internen Stellenausschreibung wird als Indiz für eine Benachteiligung angesehen.
Obwohl es genug AGG-Hopper gibt, die auf derart formulierte Stellenanzeigen nur warten, um eine Entschädigung geltend zu machen, sieht man immer noch Stellenausschreibungen, die nur ein Geschlecht nennen.
Durchgesetzt hat sich die Verwendung einer neutralen Berufsbezeichnung oder geschlechtsneutralen Benennung, was aber bei vielen Berufen nicht funktioniert (z.B. Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, Ingenieur/Ingenieurin – „Anwaltsperson“ oder „Ingenieursperson“ oder „rechtsanwaltlich beratende Person“ wären merkwürdige Formulierungen). Gerne wird daher die männliche oder die weibliche Form gewählt und „(m/w/d)“ hinzugesetzt – oder, wie jetzt gesehen, der Zusatz „(Mensch)“.
Es gibt übrigens Studien, nach denen sich auf eine Stellenausschreibung „Sachbearbeiter (m/w/d)“ mehr Männer bewerben, auf eine Anzeige „Sachbearbeiterin (m/w/d)“ aber mehr Frauen, insbesondere wenn im Anforderungsprofil „typisch“ männliche oder „typisch“ weibliche Eigenschaften aufgeführt werden. Das Ergebnis, wer sich vor allem bewirbt, soll auch durch die Bilder beeinflusst werden – offenbar werden Frauen ermutigt, sich auf technische Stellen zu bewerben, wenn die entsprechende Stellenanzeige ein Foto einer Frau bei der Arbeit zeigt. Aber man denke an die auch heute noch zu findenden Bilder in Stellenanzeigen vor allem für Assistenzen, auf denen eine Frau zum („natürlich“ männlichen) Vorgesetzten aufschaut; auf solche Anzeigen bewerben sich nach der Studie mehr Frauen.
Unterschwellig scheinen Unternehmen mittels Anforderungsprofil und Bebilderung ihre „Bewerbungsausbeute“ nach einem etwaigen Wunschgeschlecht beeinflussen zu können. Von klischeehaften Stellenanzeigen dürften sich heute aber immer weniger Menschen angesprochen fühlen, so dass das Bild eines männlichen Vorgesetzten mit einer weiblichen „Untergebenen“ ausgedient haben sollte. Während es bei verschiedenen Ethnien gelingt, diese in einem Foto darzustellen, kann man zwar Männer und Frauen klischeefrei abbilden, aber divers- und ungeschlechtliche Menschen können mangels Abbildbarkeit nicht bildlich einbezogen werden. Solange das Unternehmen das „(m/w/d)“ im Ausschreibungstext hat, ist die Bildauswahl rechtlich aber nicht als Benachteiligung anzusehen.
Dr. Petra Ostermaier ist schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig. Sie berät und betreut neben multinationalen Konzernen auch mittelständische und kleinere Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Hierbei vertritt sie Arbeitgeber nicht nur vor Gericht, sondern begleitet diese auch bei Verhandlungen mit Gewerkschaften, Betriebsräten und in Einigungsstellen. Daneben unterstützt Petra Ostermaier Vorstände, Geschäftsführer und leitende Angestellte bei ihren Vertragsverhandlungen mit Unternehmen. https://de.linkedin.com/in/dr-petra-ostermaier-90069021
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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