Hohe Energiepreise: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Hersteller, ihre gestiegenen Kosten in der Lieferkette weiterzugeben?

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Vertragsrecht | 15. Dezember 2022
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Auf­grund der in den letz­ten Mona­ten uner­war­tet stark ange­stie­ge­nen Ener­gie­prei­se ste­hen Her­stel­ler am Anfang der Wert­schöp­fungs­ket­te in Deutsch­land vor erheb­li­chen Schwie­rig­kei­ten. Ob und gege­be­nen­falls wie die hohen Ener­gie­prei­se ganz oder zumin­dest teil­wei­se in der Lie­fer­ket­te rechts­kon­form „wei­ter­ge­reicht“ wer­den kön­nen, erklärt Dr. Wolf­gang Hein­ze.

Die in den letz­ten Mona­ten stark gestie­ge­nen Ener­gie­kos­ten ver­teu­ern die Pro­duk­ti­ons­kos­ten für Her­stel­ler in Deutsch­land erheb­lich, sodass sich die­se nun die Fra­ge stel­len, ob ihre Pro­duk­te wei­ter­hin zu den ursprüng­lich kal­ku­lier­ten Prei­sen abge­ge­ben wer­den müs­sen oder eine Preis­an­pas­sung ver­langt wer­den kann.

Zwi­schen zwei Fäl­len ist zu unter­schei­den:

Ist ein Her­stel­ler nur kurz­fris­tig lau­fen­de Ver­trä­ge ein­ge­gan­gen, kann er jeweils vor Abschluss eines neu­en Ver­tra­ges neue Prei­se mit sei­nen Kun­den ver­ein­ba­ren und so die erhöh­ten Pro­duk­ti­ons­kos­ten ein­kal­ku­lie­ren.

Bei lang­fris­ti­gen Rah­men-Lie­fer­ver­trä­gen ist zunächst zu prü­fen, ob eine Lie­fer­pflicht zu den ver­ein­bar­ten Prei­sen besteht. Ist das nicht der Fall, kann die Nicht­be­lie­fe­rung auch unter dem Rah­men­ver­trag dem Kun­den ange­kün­digt und im Wei­te­ren von der Neu­ver­hand­lung der Prei­se abhän­gig gemacht wer­den.

Bestehende Preisänderungsrechte in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)

Bei län­ger­fris­ti­gen (Rahmen-)Lieferverträgen, die einer­seits eine Lie­fer­ver­pflich­tung (z.B. auf Abruf), ande­rer­seits aber auch eine Preis­an­pas­sungs­klau­sel ent­hal­ten, ist ent­schei­dend, ob die kon­kre­te Preis­än­de­rungs­klau­sel als Preis­ne­ben­ab­re­de einer AGB-recht­li­chen Kon­trol­le Stand hält. Ist das nicht der Fall, lässt sich der neue Preis nicht wirk­sam durch­set­zen. Bei­de aner­kann­ten Aus­ge­stal­tun­gen einer Preis­än­de­rungs­klau­sel, nament­lich Kos­ten­ele­men­te­klau­seln oder Preis­vor­be­halts­klau­seln, sind an dem Trans­pa­renz­grund­satz und der Ange­mes­sen­heits­kon­trol­le des § 307 BGB zu mes­sen und die nach­fol­gend genann­ten Vor­aus­set­zun­gen wer­den von der Recht­spre­chung restrik­tiv aus­ge­legt:

  • Eine Kos­ten­ele­men­te­klau­sel, die eine auto­ma­ti­sche Preis­er­hö­hung bei Kos­ten­er­hö­hun­gen für den Her­stel­ler vor­sieht, (i) darf den Preis nur in der zum Aus­gleich der kon­kre­ten, nach einem bestimm­ten Fer­ti­gungs­zeit­punkt anfal­len­den, kal­ku­la­to­risch nicht vor­her­seh­ba­ren Kos­ten­stei­ge­rung erfor­der­li­chen Höhe anhe­ben, muss (ii) die Fak­to­ren für die Ermitt­lung der Preis­er­hö­hung trans­pa­rent und nach­voll­zieh­bar dar­stel­len und (iii) etwa­ige Kos­ten­sen­kun­gen eben­falls erfas­sen.
  • Bei einer Preis­vor­be­halts­klau­sel liegt die Ent­schei­dung über die Preis­än­de­rung nur beim Her­stel­ler. Sie genügt aller­dings nur den Anfor­de­run­gen von § 307 BGB, wenn (i) es ein berech­tig­tes Inter­es­se des Her­stel­lers an einer sol­chen Klau­sel gibt und (ii) die Vor­aus­set­zun­gen sowie (iii) der Umfang des höhe­ren Prei­ses für den Kun­den vor­her­seh­bar und damit nach­voll­zieh­bar sind. Blo­ße Hin­wei­se auf „Lis­ten­prei­se“ oder Kos­ten der Vor­lie­fe­ran­ten genü­gen die­sen Anfor­de­run­gen z.B. nicht.

Anpassung ohne vertragliche Regelung

Gibt es in einem län­ger­fris­ti­gen Rah­men­lie­fer­ver­trag auf­grund der vor­ge­nann­ten hohen Anfor­de­run­gen an die Klau­sel kei­ne wirk­sa­me Rege­lung zur Preis­än­de­rung, stellt sich für den Her­stel­ler die Fra­ge, ob er unter Beru­fung auf das Rechts­in­sti­tut des sog. „Wegfalls/ Stö­rung der Geschäfts­grund­la­ge“ nach § 313 BGB eine Anpas­sung des Ver­tra­ges ver­lan­gen kann.

Gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann ein Ver­trags­part­ner eine Anpas­sung des Ver­trags ver­lan­gen, wenn sich (i) die Umstän­de, die zur Grund­la­ge des Ver­trags gewor­den sind, nach Ver­trags­ab­schluss schwer­wie­gend ver­än­dert haben und (ii) die Par­tei­en den Ver­trag nicht oder mit ande­rem Inhalt abge­schlos­sen hät­ten, wenn sie die­se Ver­än­de­rung vor­aus­ge­se­hen hät­ten. Dabei kann eine Anpas­sung nur inso­weit ver­langt wer­den, als (iii) dem Her­stel­ler unter Berück­sich­ti­gung aller Umstän­de der kon­kre­ten Situa­ti­on, ins­be­son­de­re der ver­trag­li­chen oder gesetz­li­chen Risi­ko­ver­tei­lung, das Fest­hal­ten am unver­än­der­ten Ver­trag nicht zuge­mu­tet wer­den kann.

Mit die­ser Bestim­mung wur­den bereits Ver­trags­an­pas­sun­gen in Fol­ge von behörd­li­chen Schlie­ßungs­an­ord­nun­gen auf­grund der Covi­d19-Pan­de­mie bzw. Lie­fer­eng­päs­sen begrün­det. Der Bun­des­ge­richts­hof hat dazu die Vor­aus­set­zun­gen in einem Urteil vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21 (https://law-blog.de/2826/gewerbemieten-im-corona-lockdown/) noch ein­mal klar her­aus­ge­stellt und betont: Die Erwar­tung der Ver­trags­par­tei­en, dass sich die grund­le­gen­den poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Rah­men­be­din­gun­gen eines Ver­trags nicht durch Revo­lu­ti­on, Krieg, Ver­trei­bung, Hyper­in­fla­ti­on oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozi­al­exis­tenz nicht erschüt­tert wer­de, ist Teil der sog. gro­ßen Geschäfts­grund­la­ge im Sin­ne des § 313 BGB.

Soweit sich die Stei­ge­rung der Ener­gie­kos­ten auf die Fol­gen des Ukrai­ne-Kriegs zurück­füh­ren lässt, könn­te daher eine Stö­rung der gro­ßen Geschäfts­grund­la­ge bejaht wer­den, hat doch der Bun­des­ge­richts­hof mit Blick auf die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen in der Fol­ge der Covi­d19-Pan­de­mie die­se ver­gleich­bar gewür­digt.

Grundsatz – Maßgeblichkeit der vertraglichen Risikoverteilung

Allein das Vor­lie­gen einer Stö­rung der Geschäfts­grund­la­ge genügt für ein berech­tig­tes Ände­rungs­ver­lan­gen des Her­stel­lers indes­sen nicht. Hin­zu­tre­ten muss viel­mehr, dass kei­ner der Umstän­de nach dem (aus­zu­le­gen­den) Ver­trag in den Risi­ko­be­reich einer der Par­tei­en fällt. So hat der Bun­des­ge­richts­hof für den Fall der behörd­li­chen Schlie­ßungs­an­ord­nung im Urteil vom 12.01.2022 gera­de aner­kannt, dass das Ver­wen­dungs­ri­si­ko für die Räu­me nicht allei­ne beim Mie­ter liegt.

Ob die gestie­ge­nen Ener­gie­kos­ten bei der Her­stel­lung eines Pro­duk­tes jedoch eben­falls so ein­zu­ord­nen sind, ist zwei­fel­haft: Für die Her­stel­lungs- und Kos­ten der Vor­pro­duk­te trägt der Her­stel­ler das allei­ni­ge Beschaf­fungs­ri­si­ko, da nur er hier­auf Ein­fluss neh­men kann.

Ob die Recht­spre­chung in den auf­grund des Ukrai­ne-Kriegs gestie­ge­nen Ener­gie­kos­ten somit einen Fall erkennt, der eine abwei­chen­de Risi­ko­zu­wei­sung, mit­hin eine sol­che an bei­de Par­tei­en eines Lie­fer­ver­trags erlaubt, hängt von meh­re­ren Para­me­tern ab. Auf Basis der vor­ste­hend genann­ten Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs wird im Fall der Ener­gie­kos­ten ins­be­son­de­re auf die kon­kre­te Höhe der Stei­ge­run­gen, den den Par­tei­en bekann­ten Anteil der Ener­gie­kos­ten am Preis, die Dau­er der Ener­gie­kos­ten­er­hö­hung und etwa­ige gesetz­ge­be­ri­sche Aus­gleichs­maß­nah­men zuguns­ten einer der Par­tei­en abzu­stel­len sein.

Unzumutbarkeit der Beibehaltung der ursprünglichen Preise

Sind die Vor­aus­set­zun­gen des § 313 BGB dage­gen im Ein­zel­fall als erfüllt anzu­se­hen, mit­hin eine vom typi­schen Fall abwei­chen­de Risi­ko­ver­tei­lung gebo­ten sein, dürf­te – ver­gleich­bar zur Pan­de­mie-Situa­ti­on – ange­nom­men wer­den kön­nen, dass red­li­che Ver­trags­par­tei­en für die­sen Fall das mit den Ener­gie­kos­ten ver­bun­de­ne wirt­schaft­li­che Risi­ko nicht ein­sei­tig zulas­ten des Her­stel­lers gere­gelt, son­dern in dem Ver­trag für die­sen Fall die Mög­lich­keit zur Preis­an­pas­sung vor­ge­se­hen hät­ten.

Erst dann rückt die Fra­ge in den Mit­tel­punkt, in wel­chem Maße der Preis ange­passt wer­den kann. Maß­geb­lich ist hier, in wel­chem Ver­hält­nis dem Her­stel­ler ein unver­än­der­tes Fest­hal­ten am bis­he­ri­gen Preis nicht mehr zumut­bar ist.

Eine 1:1‑Weitergabe der gestie­ge­nen Kos­ten ist damit fast aus­ge­schlos­sen, sind bei der Abwä­gung doch einer­seits – erneut – die grund­sätz­li­che Risi­ko­ver­tei­lung, ande­rer­seits die tat­säch­lich beim Her­stel­ler ein­tre­ten­den Nach­tei­le, die z.B. durch Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen oder gesetz­ge­be­ri­sche Maß­nah­men zumin­dest zum Teil abge­mil­dert wer­den kön­nen, und eben die Inter­es­sen des Kun­den zu berück­sich­ti­gen.

Der Her­stel­ler muss in die­sem Fal­le dar­le­gen und bewei­sen, wel­che Nach­tei­le ihm kon­kret aus der Kos­ten­stei­ge­rung ent­stan­den sind, die ihm eine Bei­be­hal­tung des bis­he­ri­gen Prei­ses für die Zukunft – zumin­dest die Dau­er der gestie­ge­nen Kos­ten – unzu­mut­bar macht und wel­che zumut­ba­ren Anstren­gun­gen er unter­nom­men hat, um die­se Kos­ten­stei­ge­run­gen abzu­mil­dern. Die­se hohen pro­zes­sua­len Anfor­de­run­gen der Recht­spre­chung bedin­gen in der Pra­xis, dass der Her­stel­ler sei­ne Kos­ten­kal­ku­la­ti­on gegen­über dem Kun­den voll­stän­dig offen­le­gen muss. Dass dies mit Blick auf die zukünf­ti­ge Ver­hand­lun­gen nicht im Inter­es­se des Her­stel­lers ist – abge­se­hen von etwa­igen kar­tell­recht­li­chen Ein­schrän­kun­gen – drängt sich auf und dürf­te dazu füh­ren, dass sich nur in weni­gen Fäl­len die gestie­ge­nen Ener­gie­kos­ten in höhe­rem Maße durch­set­zen las­sen und der Her­stel­ler bei den Ver­hand­lun­gen deut­li­che Abschlä­ge wird akzep­tie­ren müs­sen.

 

Der Autor Rechts­an­walt Dr. Wolf­gang Hein­ze ist Part­ner bei SNP Schla­wi­en Rechts­an­wäl­te. Der Fach­an­walt für Han­dels- und Gesell­schafts­recht sowie für Ver­ga­be­recht berät schwer­punkt­mä­ßig mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men sowie Toch­ter­ge­sell­schaf­ten und Nie­der­las­sun­gen deut­scher und aus­län­di­scher Kon­zer­ne in allen Fra­gen des Han­dels- und Gesell­schafts­rechts. https://de.linkedin.com/in/wolfgang-heinze-a935a324

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