Kündigung von Schwerbehinderten in der Wartezeit: BAG schafft Rechtssicherheit

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Arbeitsrecht | 28. August 2025
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Die Kün­di­gung schwer­be­hin­der­ter Arbeit­neh­mer ist nur unter Beach­tung beson­de­rer Schutz­vor­schrif­ten erlaubt. Wäh­rend der War­te­zeit muss der Arbeit­ge­ber vor einer Kün­di­gung trotz­dem kein zeit­auf­wän­di­ges Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren durch­füh­ren. Das ist für ihn eine gute Nach­richt, aber kein Frei­brief.

 

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat­te über die Kün­di­gungs­schutz­kla­ge eines schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mers zu urtei­len. Er war als Lei­ter für die Haus- und Betriebs­tech­nik ein­ge­stellt wor­den. Der Arbeit­ge­ber war jedoch unzu­frie­den mit sei­ner fach­li­chen Eig­nung und kün­dig­te noch in der sechs­mo­na­ti­gen Pro­be­zeit.

Der gekün­dig­te Arbeit­neh­mer argu­men­tier­te, die Kün­di­gung sei unwirk­sam. Der Arbeit­ge­ber hät­te zuvor ein Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durch­füh­ren müs­sen, um zu prü­fen, ob der Arbeits­platz für ihn erhal­ten blei­ben kön­ne. Die Kün­di­gung benach­tei­li­ge ihn als Schwer­be­hin­der­ten unzu­läs­sig und sei des­halb unwirk­sam. Das BAG hat sei­ne Kla­ge aber abge­wie­sen.

 

Kün­di­gungs­schutz grund­sätz­lich erst nach sechs Mona­ten

Sowohl das all­ge­mei­ne Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG), als auch der beson­de­re Kün­di­gungs­schutz für Schwer­be­hin­der­te grei­fen erst, wenn das Arbeits­ver­hält­nis län­ger als sechs Mona­te bestan­den hat (soge­nann­te War­te­zeit). In der War­te­zeit ist also eine Kün­di­gung durch den Arbeit­ge­ber grund­sätz­lich ohne beson­de­ren Kün­di­gungs­grund mög­lich.

Den­noch kann auch eine War­te­zeit­kün­di­gung unwirk­sam sein, z.B. weil die Schrift­form nicht ein­ge­hal­ten ist oder weil sie eine unzu­läs­si­ge Dis­kri­mi­nie­rung wegen bestimm­ter Merk­ma­le, bei­spiels­wei­se einer Schwer­be­hin­de­rung, bewirkt. Schon ein blo­ßer Ver­stoß gegen Ver­fah­rens­vor­schrif­ten, die den schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer schüt­zen sol­len, kann ein Indiz für eine unzu­läs­si­ge Dis­kri­mi­nie­rung sein.

 

Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren erst nach der War­te­zeit nötig

Ein Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren ist für schwer­be­hin­der­te Arbeit­neh­mer vor­ge­se­hen, wenn im Arbeits­ver­hält­nis personen‑, ver­hal­tens- oder betriebs­be­ding­te Schwie­rig­kei­ten auf­tre­ten, die den Arbeits­platz gefähr­den kön­nen. Abhil­fe soll im Dia­log geschaf­fen wer­den: Der Arbeit­ge­ber muss dann mög­lichst früh­zei­tig mit Betriebs­rat, Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und Inte­gra­ti­ons­amt alle Mög­lich­kei­ten und poten­ti­el­len Hil­fen erör­tern, die dazu bei­tra­gen kön­nen, den Arbeits­platz für den Schwer­be­hin­der­ten mög­lichst dau­er­haft zu erhal­ten (§ 167 Abs. 1 SGBIX).

Deutsch­lands höchs­te Arbeits­rich­ter muss­ten nun klä­ren, ob dies auch gilt, wenn der Arbeit­neh­mer noch in der War­te­zeit ist. Das BAG hat ent­schie­den, dass der Arbeit­ge­ber wäh­rend der War­te­zeit kein Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren durch­füh­ren muss (BAG, Urt. v. 03.04.2025, Az. 2 AZR 178/2). Das Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren knüp­fe an die Gel­tung des Kün­di­gungs­schutz­ge­set­zes an, ein Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren wird des­halb erst nach Erfül­lung der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit nötig.

Das Urteil des BAG ist für Arbeit­ge­ber eine gute Nach­richt, denn ein Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren ist sehr auf­wän­dig. Bis zu sei­nem Abschluss kann die Pro­be­zeit abge­lau­fen sein.

 

Trotz­dem: Erhöh­te Für­sor­ge­pflicht des Arbeit­ge­bers auch in der War­te­zeit

Doch die Ein­schrän­kung folgt auf dem Fuße: Wenn das KSchG anwend­bar ist – also außer­halb von Klein­be­trie­ben und nach Ablauf der War­te­zeit -, wird eine Kün­di­gung stets auch auf ihre Ver­hält­nis­mä­ßig­keit über­prüft. In die­sem Zusam­men­hang kann rele­vant wer­den, ob der Arbeit­ge­ber alles ihm Zumut­ba­re getan hat, um die Kün­di­gung zu ver­mei­den. Hier kommt das Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren dann wie­der ins Spiel, genau­er die Fra­ge, ob die­ses den Arbeits­platz hät­te erhal­ten kön­nen. Hat der Arbeit­ge­ber kein Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren durch­ge­führt, wird er schwer nach­wei­sen kön­nen, dass es ohne­hin nutz­los gewe­sen wäre.

Obwohl das BAG klar­ge­stellt hat, dass ein Prä­ven­ti­ons­ver­fah­ren for­mell kei­ne Vor­aus­set­zung für eine wirk­sa­me Kün­di­gung ist, haben die Erfur­ter Arbeits­rich­ter eben­falls aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass den Arbeit­ge­ber auch wäh­rend der War­te­zeit erhöh­te Für­sor­ge­pflich­ten gegen­über dem schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer tref­fen. So hat die­ser bei­spiels­wei­se Anspruch auf Ein­rich­tung eines lei­dens­ge­rech­ten Arbeits­plat­zes und auf eine Beschäf­ti­gung, bei der er sei­ne Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se mög­lichst voll ent­fal­ten kann.

Die Gren­ze ist da erreicht, wo die not­wen­di­gen Vor­keh­run­gen unver­hält­nis­mä­ßig oder dem Arbeit­ge­ber nicht zumut­bar sind. Der ist ins­be­son­de­re nicht ver­pflich­tet, extra für den schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer einen vor­her nicht exis­tie­ren­den Arbeits­platz zu schaf­fen.

Ver­wei­gert der Arbeit­ge­ber aber zumut­ba­re Maß­nah­men und zieht es vor, dem schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer zu kün­di­gen, ver­stößt die Kün­di­gung gegen das soge­nann­te Maß­re­gel­ver­bot, § 612a BGB, und ist des­halb unwirk­sam.

 

Pra­xis­tipp: Vor­sicht bei Begrün­dung einer War­te­zeit­kün­di­gung

Und schließ­lich: Dass in der Pro­be­zeit kein beson­de­rer Kün­di­gungs­grund erfor­der­lich ist, bedeu­tet nicht, dass jeg­li­che Moti­va­ti­on für die Pro­be­zeit­kün­di­gung recht­lich unver­fäng­lich wäre. Besteht ein Zusam­men­hang zwi­schen Kün­di­gung und Behin­de­rung, kann die Kün­di­gung wegen Dis­kri­mi­nie­rung unwirk­sam sein, sogar eine Ent­schä­di­gung und/oder Scha­dens­er­satz kön­nen fäl­lig wer­den.

Dies gilt auch im Klein­be­trieb  mit in der Regel fünf oder weni­ger Arbeit­neh­mern (in Aus­nah­me­fäl­len zehn oder weni­ger Arbeit­neh­mern bei lang­jäh­rig Beschäf­tig­ten). Auch hier ent­fällt nach dem Urteil aus Erfurt zwar die Ver­pflich­tung zur Durch­füh­rung eines Prä­ven­ti­ons­ver­fah­rens. Bei so weni­gen Mit­ar­bei­tern fin­det schon das Kün­di­gungs­schutz­ge­setz gene­rell kei­ne Anwen­dung. Kün­di­gun­gen wer­den also nicht grund­sätz­lich auf ihre Ver­hält­nis­mä­ßig­keit hin über­prüft. Eine Kün­di­gung kann den­noch wegen unzu­läs­si­ger Dis­kri­mi­nie­rung oder Ver­stoß gegen das Maß­re­gel­ver­bot unwirk­sam sein.

Ob für gro­ße oder klei­ne Unter­neh­men: Das Urteil des BAG ist trotz­dem kein Frei­brief für Kün­di­gun­gen in der Pro­be­zeit gegen­über schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mern.

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