Gendergerechte Sprache im Betrieb: Was Arbeitgeber sagen dürfen und Arbeitnehmer hinnehmen müssen

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Arbeitsrecht | 11. November 2022
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Die Deutsche Bahn muss bald ihre Fahrgäste gegen­dert ansprechen, bei Audi sollen alle Beschäftigten gen­dern, doch so manche Per­son fühlt sich selb­st vom Gen­der­sternchen nicht mit­ge­meint. Diskri­m­inierungs­freie Kom­mu­nika­tion stellt Unternehmen und Beschäftigte vor Her­aus­forderun­gen, auch rechtlich­er Art. Wer was darf, muss und sollte, erk­lärt Dr. Petra Oster­maier.

Die gen­derg­erechte Sprache hat inzwis­chen Einzug in alle Bere­iche des Lebens gehal­ten, natür­lich auch in das Arbeit­sleben. Die Diskus­sion um Sinn und Unsinn wird dabei teils sehr emo­tion­al geführt (Stich­wort „Gen­der­wahnsinn“). Das ver­wun­dert nicht unbe­d­ingt, da die Sprache auch Aus­druck der Per­sön­lichkeit eines Men­schen ist.

Vor weni­gen Jahren hiel­ten es viele Arbeit­ge­ber noch für fortschrit­tlich, in Verträ­gen, Richtlin­ien und Betrieb­svere­in­barun­gen durch eine Fußnote am Tex­tan­fang zu erk­lären, dass das gener­ische Maskulinum auch die weib­lichen Beschäftigten erfasse, oder zu gen­dern, indem im gesamten Text die männliche und die weib­liche Form gle­ichzeit­ig ver­wen­det wur­den, was Texte fast unles­bar machte und sehr fehler­an­fäl­lig war. Heute gilt es, auch die divers­geschlechtlichen sowie die ungeschlechtlichen Beschäftigten mit anzus­prechen. Ver­sucht wird dies mit mehrgeschlechtlichen Schreib­weisen mit­tels nicht von der amtlichen Rechtschrei­bung abgedeck­ten Gen­derze­ichen, mit geschlecht­sneu­tralen Benen­nun­gen (z.B. „Reini­gungsper­son“, „Reini­gungskraft“, „Reini­gende“) oder mit Umfor­mulierun­gen (z.B. „reini­gend tätig sein“, „alle, die reini­gen“ oder Pas­sivum­schrei­bun­gen), die aber häu­fig sper­rig sind und im Sin­gu­lar auch nicht immer funk­tion­ieren.

Arbeit­ge­ber mögen sich insoweit Forderun­gen aus der Belegschaft gegenüberse­hen, dass untere­inan­der und mit Drit­ten gen­derg­erecht kom­mu­niziert wird, oder sich im Hin­blick auf die Außen­darstel­lung selb­st gehal­ten sehen, gen­derg­erecht zu kom­mu­nizieren. Gle­ichzeit­ig sehen sich Unternehmen damit kon­fron­tiert, dass Beschäftigte sich weigern zu gen­dern und sich durch eine gegen­derte Ansprache gar in ihrem Per­sön­lichkeit­srecht ver­let­zt sehen. Und so manch­er fühlt sich selb­st von den For­mulierun­gen, die all­ge­mein ger­ade als gen­derg­erecht gel­ten, immer noch nicht ange­sprochen.

Dür­fen, kön­nen oder müssen Arbeit­ge­ber gen­dern und das Gen­dern von den Beschäftigten ver­lan­gen? Und wie for­muliert man Stel­lenauss­chrei­bun­gen richtig?

 

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Seit einem Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts (Urteil vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16) ist das dritte Geschlecht im Geburten­reg­is­ter reg­istrier­bar – und somit offiziell anerkan­nt.

Im pri­vat­en Arbeit­srecht gibt es bis­lang keine aus­drück­liche Verpflich­tung für Arbeit­ge­ber, eine geschlechterg­erechte Sprache zu ver­wen­den. Im Zusam­men­hang mit der Rechtschreibre­form hat­te das Bun­desver­fas­sungs­gericht sein­erzeit allerd­ings fest­gestellt, dass das – übri­gens nicht gen­derg­erecht for­mulierte – Grundge­setz ein­er staatlichen Regelung der Sprache nicht abso­lut ent­ge­gen­ste­he, son­dern diese nur nach Art und Aus­maß begren­ze; dabei müsse die Ein­heitlichkeit der Sprache erhal­ten bleiben. So gibt es derzeit für die Pri­vatwirtschaft nur Empfehlun­gen des Rats für deutsche Rechtschrei­bung zur geschlechterg­erecht­en Schrei­bung aus dem Jahr 2021, die zwar eine gen­derg­erechte, sen­si­ble Ansprache empfehlen, nicht aber die Ver­wen­dung von Gen­der­sternchen, Gen­der­gaps oder des Dop­pelpunk­ts im Wortin­nern.

Grund­sät­zlich ist denkbar, dass eine nicht geschlechterg­erechte Sprache zu ein­er Ungle­ich­be­hand­lung nach Art. 3 Abs. 1, 2 S. 1 des Grundge­set­zes oder zu ein­er Benachteili­gung wegen des Geschlechts nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 des Grundge­set­zes führen kann; unmit­tel­bar wür­den sich daraus aber keine Ansprüche oder Verpflich­tun­gen ergeben. Der all­ge­meine Gle­ich­be­hand­lungs­grund­satz fordert im Arbeit­srecht, dass bei kollek­tiv­en Maß­nah­men alle Beschäftigten gle­ich zu behan­deln sind, soweit kein sach­lich­er Grund für eine Dif­feren­zierung vor­lieg. Nach § 19 Abs. 1 des All­ge­meinen Gle­ich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) ist eine Benachteili­gung wegen des Geschlechts unzuläs­sig, gemäß § 11 AGG darf ein Arbeit­splatz nicht unter Ver­stoß gegen das Benachteili­gungsver­bot aus § 7 Abs. 1 AGG aus­geschrieben wer­den.

 

Dürfen Arbeitgeber eine gendergerechte Sprache vorschreiben?

Gemäß § 106 Gewer­be­ord­nung (GewO) hat der Arbeit­ge­ber auf­grund seines Weisungsrechts die Möglichkeit, neben Inhalt, Ort und Zeit der Arbeit­sleis­tung auch die Ord­nung und das Ver­hal­ten der Belegschaft im Betrieb zu bes­tim­men. Daher kön­nen Unternehmen grund­sät­zlich von der Belegschaft ver­lan­gen, in der dien­stlichen Kom­mu­nika­tion nach außen und nach innen zu gen­dern.

Soweit das Arbeitsver­hal­ten betrof­fen ist, geht das auch ohne die Mitbes­tim­mung des Betrieb­srats. Beste­ht aber ein Betrieb­srat, so bes­timmt er über das Ord­nungsver­hal­ten der Beschäftigten im Betrieb mit und damit über die Frage, wie inner­be­trieblich kom­mu­niziert wer­den soll. Das Mitbes­tim­mungsrecht greift insoweit aber nur, wenn der Arbeit­ge­ber Vor­gaben machen will – Empfehlun­gen und Denkanstöße sind mitbes­tim­mungs­frei. Die Kom­mu­nika­tion mit Drit­ten bet­rifft dage­gen das Arbeitsver­hal­ten; hier kann der Arbeit­ge­ber auch bei Beste­hen eines Betrieb­srats ohne dessen Mitbes­tim­mung Vor­gaben bzgl. des Gen­derns machen.

 

Müssen Arbeitgeber die Beschäftigten gendergerecht ansprechen?

Gle­ich­berech­ti­gung, Gle­ich­be­hand­lung und Diskri­m­inierungsver­bot führen umgekehrt aber nicht dazu, dass der Arbeit­ge­ber rechtlich gezwun­gen wer­den kön­nte, gegenüber den Beschäftigten zu gen­dern. Wer im Betrieb keine gen­derg­erechte Sprache ver­wen­det, benachteiligt Beschäftigte damit noch nicht.

Fühlen sich Beschäftigte, die Diskri­m­inierungsmerk­male nach dem AGG erfüllen, bei Vergün­s­ti­gun­gen oder auch leis­tungsab­hängi­gen Vergü­tun­gen ungerecht behan­delt, selb­st wenn das objek­tiv nicht der Fall war, kön­nte das Nicht-Gen­dern aber unter Umstän­den in einem Gerichtsver­fahren eine Art neg­a­tiv­er Indizwirkung ent­fal­ten, wenn der oder die kla­gende Beschäftigte zum Beispiel eine etwaig gerin­gere Vergü­tung auf eine ange­bliche Benachteili­gung stützt. Selb­st wenn hier­bei der Arbeit­ge­ber obsiegt, ist er mit dem Zeit- und Koste­naufwand eines Gerichtsver­fahrens belastet, das er bei Ver­wen­dung gen­derg­erechter Sprache gegebe­nen­falls hätte ver­mei­den oder jeden­falls abkürzen kön­nen.

Unab­hängig hier­von ste­ht es sicher­lich jedem Arbeit­ge­ber gut zu Gesicht, zumin­d­est durch eine Fußnote in Gesamtzusagen, Richtlin­ien und Betrieb­svere­in­barun­gen klarzustellen, dass alle Beschäftigten gemeint sind, selb­st wenn er das gener­ische Maskulinum ver­wen­det.

 

Können Beschäftigte verlangen, nicht gegendert angesprochen werden?

Der Arbeit­ge­ber, der alles richtig machen will und deswe­gen auch gen­dert, wun­dert sich dann, wenn es auf der anderen Seite Beschäftigte gibt, die ihm genau das vor­w­er­fen und eine Ver­let­zung ihres Per­sön­lichkeit­srechts darin sehen, gegen­dert ange­sprochen zu wer­den.

So hat­te in einem Ver­fahren vor dem Landgericht Ingol­stadt (Urt. v. 29.07.2022, Az. 83 O 1394/21), das es in die über­re­gionale Berichter­stat­tung schaffte, ein Mitar­beit­er von Volk­swa­gen gegen einen Leit­faden für geschlechterg­erechte Sprache bei der Konz­ern­tochter Audi AG geklagt, der dazu führte, dass die Audi-Kol­le­gen bei der Kom­mu­nika­tion mit ihm den Gen­der-Gap nutzten. Das Landgericht Ingol­stadt sah darin aber wed­er einen Ver­stoß gegen das All­ge­meine Gle­ich­stel­lungs­ge­setz noch eine Ver­let­zung des all­ge­meinen Per­sön­lichkeit­srechts des kla­gen­den VW-Mitar­beit­ers, auch wenn die gram­matikalis­chen Regeln durch den Gen­der-Gap nicht einge­hal­ten wer­den.

Das Arbeits­gericht Elmshorn und im Rah­men der Beru­fung das LAG Schleswig-Hol­stein wiederum hat­ten es mit einem Ver­fahren zu tun, in dem eine in einem Stel­lenbe­set­zungsver­fahren abgelehnte zweigeschlechtlich geborene Per­son meinte, dass – aus­gerech­net – das Gen­der-Sternchen in der Stel­lenauss­chrei­bung nur Män­ner und Frauen umfasse, im Übri­gen aber nicht geschlecht­sneu­tral wäre, und daraus fol­gerte, benachteiligt wor­den zu sein. Die Gerichte bescheinigten dem Arbeit­ge­ber aber, dass in der Ver­wen­dung des Gen­der-Sternchens keine Diskri­m­inierung auf­grund des Geschlechts liege.

Recht­sprechung, die Beschäftigten das Recht zubil­li­gen würde, nicht gegen­dert ange­sprochen zu wer­den, gibt es hinge­gen bish­er, soweit ersichtlich, nicht.

 

Wie sollten Stellenausschreibungen formuliert werden?

Die Ver­wen­dung eines Geschlechts in der exter­nen, aber auch der inter­nen Stel­lenauss­chrei­bung wird als Indiz für eine Benachteili­gung ange­se­hen.

Obwohl es genug AGG-Hop­per gibt, die auf der­art for­mulierte Stel­lenanzeigen nur warten, um eine Entschädi­gung gel­tend zu machen, sieht man immer noch Stel­lenauss­chrei­bun­gen, die nur ein Geschlecht nen­nen.

Durchge­set­zt hat sich die Ver­wen­dung ein­er neu­tralen Berufs­beze­ich­nung oder geschlecht­sneu­tralen Benen­nung, was aber bei vie­len Berufen nicht funk­tion­iert (z.B. Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, Ingenieur/Ingenieurin – „Anwaltsper­son“ oder „Inge­nieursper­son“ oder „recht­san­waltlich bera­tende Per­son“ wären merk­würdi­ge For­mulierun­gen). Gerne wird daher die männliche oder die weib­liche Form gewählt und „(m/w/d)“ hinzuge­set­zt – oder, wie jet­zt gese­hen, der Zusatz „(Men­sch)“.

Es gibt übri­gens Stu­di­en, nach denen sich auf eine Stel­lenauss­chrei­bung „Sach­bear­beit­er (m/w/d)“ mehr Män­ner bewer­ben, auf eine Anzeige „Sach­bear­bei­t­erin (m/w/d)“ aber mehr Frauen, ins­beson­dere wenn im Anforderung­spro­fil „typ­isch“ männliche oder „typ­isch“ weib­liche Eigen­schaften aufge­führt wer­den. Das Ergeb­nis, wer sich vor allem bewirbt, soll auch durch die Bilder bee­in­flusst wer­den – offen­bar wer­den Frauen ermutigt, sich auf tech­nis­che Stellen zu bewer­ben, wenn die entsprechende Stel­lenanzeige ein Foto ein­er Frau bei der Arbeit zeigt. Aber man denke an die auch heute noch zu find­en­den Bilder in Stel­lenanzeigen vor allem für Assis­ten­zen, auf denen eine Frau zum („natür­lich“ männlichen) Vorge­set­zten auf­schaut; auf solche Anzeigen bewer­ben sich nach der Studie mehr Frauen.

Unter­schwellig scheinen Unternehmen mit­tels Anforderung­spro­fil und Bebilderung ihre „Bewer­bungsaus­beute“ nach einem etwaigen Wun­schgeschlecht bee­in­flussen zu kön­nen. Von klis­chee­haften Stel­lenanzeigen dürften sich heute aber immer weniger Men­schen ange­sprochen fühlen, so dass das Bild eines männlichen Vorge­set­zten mit ein­er weib­lichen „Untergebe­nen“ aus­ge­di­ent haben sollte. Während es bei ver­schiede­nen Eth­nien gelingt, diese in einem Foto darzustellen, kann man zwar Män­ner und Frauen klis­cheefrei abbilden, aber divers- und ungeschlechtliche Men­schen kön­nen man­gels Abbild­barkeit nicht bildlich ein­be­zo­gen wer­den. Solange das Unternehmen das „(m/w/d)“ im Auss­chrei­bung­s­text hat, ist die Bil­dauswahl rechtlich aber nicht als Benachteili­gung anzuse­hen.


Dr. Petra Oster­maier ist schw­er­punk­t­mäßig im Arbeit­srecht tätig. Sie berät und betreut neben multi­na­tionalen Konz­er­nen auch mit­tel­ständis­che und kleinere Unternehmen in allen Fra­gen des indi­vidu­ellen und kollek­tiv­en Arbeit­srechts. Hier­bei ver­tritt sie Arbeit­ge­ber nicht nur vor Gericht, son­dern begleit­et diese auch bei Ver­hand­lun­gen mit Gew­erkschaften, Betrieb­sräten und in Eini­gungsstellen. Daneben unter­stützt Petra Oster­maier Vorstände, Geschäfts­führer und lei­t­ende Angestellte bei ihren Ver­tragsver­hand­lun­gen mit Unternehmen. https://de.linkedin.com/in/dr-petra-ostermaier-90069021

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