Arbeitgeber müssen Arbeitszeit kontrollieren und systematisch erfassen: Ist dies wirklich das Ende der Vertrauensarbeitszeit?

© eyeofpaul/stock.adobe.com
Arbeitsrecht | 21. September 2022
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Unter­neh­men sind zur Arbeits­zeit­er­fas­sung ver­pflich­tet, dies fol­ge aus dem Arbeits­schutz­ge­setz, hat das BAG am 13.09.2022 ent­schie­den. Der Arbeit­ge­ber muss danach „für eine geeig­ne­te Orga­ni­sa­ti­on sor­gen und die erfor­der­li­chen Mit­tel bereit­stel­len“, um die Sicher­heit und den Gesund­heits­schutz sei­ner Beschäf­tig­ten zu ver­bes­sern. Bedeu­tet die­se Ent­schei­dung das Ende der auch von Arbeit­neh­mern im Home­of­fice oder im Ver­trieb geschätz­ten Fle­xi­bi­li­tät?

Aus der Ver­trau­ens­gleit­zeit wird wie­der Gleit­zeit. Nach die­sem Urteil muss der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer nun ver­pflich­ten, die frei gewähl­ten Arbeits­zei­ten zu doku­men­tie­ren und dies zumin­dest stich­punkt­ar­tig kon­trol­lie­ren, damit gesetz­lich vor­ge­schrie­be­ne Pau­sen- und Höchst­ar­beits­zei­ten ein­ge­hal­ten wer­den. Da dies gel­ten­des Recht ist, gibt es kei­ne Über­gangs­fris­ten. Bis­lang wur­den Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten nur für Über­stun­den, gering­fü­gig Beschäf­tig­te und Min­dest­lohn­emp­fän­ger, Sonn- und Fei­er­tags­ar­beit und Lenk­zei­ten für Berufs­kraft­fah­rer ange­nom­men.

Wie das aus­zu­ge­stal­ten sei, ist der gest­ri­gen BAG-Pres­se­met­tei­lung und ver­mut­lich auch den spä­te­ren Urteils­grün­den nicht zu ent­neh­men. Jede Form der Doku­men­ta­ti­on von digi­tal bis zum Papier erscheint zuläs­sig. Die Betei­lig­ten strit­ten eigent­lich über die Fra­ge, ob ein Betriebs­rat die Ein­füh­rung eines Zeit­er­fas­sungs­sys­tems erzwin­gen kön­ne. Das hat das BAG ver­neint unter Hin­weis auf die bestehen­de Rege­lung.

Was bedeutet das für den Überstundenprozess?

Für den Über­stun­den­pro­zess sei eine Ver­let­zung der Auf­zeich­nungs­pflicht bedeu­tungs­los; es ver­blei­be bei den all­ge­mei­nen Regeln, weil die Auf­zeich­nung eine Fra­ge des Arbeits­schut­zes sei. Auf die sog. „Stech­uhr-Ent­schei­dung“ des EuGH käme es nicht an. Einer dar­über­hin­aus­ge­hen­den Ent­schei­dung des Arbeits­ge­richts Emden, jede Ver­let­zung der Auf­zeich­nungs­pflicht füh­re zu einer Beweis­last­um­kehr, sei nicht zu fol­gen. Der Arbeit­neh­mer muss also wei­ter dar­le­gen, dass er ange­ord­ne­te Über­stun­den erbracht hat. So hat­te ein Mit­glied des hier ent­schei­den­den 1 Senats vor der Bun­des­ta­rif­kom­mis­si­on des DRK ange­deu­tet, ohne die eigent­li­che Kat­ze aus dem Sack zu las­sen.

Der Über­stun­den­pro­zess wird sich nun im Wesent­li­chen auf die Anord­nung und die Erfor­der­lich­keit von Über­stun­den kon­zen­trie­ren. Eine Lizenz zum Geld dru­cken will das BAG der Arbeit­neh­mer­sei­te wohl nicht zu bil­li­gen.

Das Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­ri­um teil­te mit, eine Ände­rung des Arbeits­zeit­ge­set­zes zu pla­nen, um „fle­xi­ble Arbeits­zeit­mo­del­le“ wei­ter zu ermög­li­chen. Ansons­ten duckt es sich wei­ter­hin weg: Details zur Aus­ge­stal­tung oder zum Zeit­plan des Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens ste­hen noch nicht fest und blei­ben abzu­war­ten.

Chris­ti­an Lent­föhr berät vor­nehm­lich mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men sowie deren Gesell­schaf­ter und Geschäfts­füh­rer. Als Vor­stands­mit­glied eines gemein­nüt­zi­gen Ver­ban­des kennt er auch die unter­neh­me­ri­sche Sicht der Din­ge und bringt die­se in Bera­tungs­ge­sprä­che und Ver­hand­lun­gen mit ein. Im Arbeits­recht berät er Arbeit­ge­ber, Füh­rungs­kräf­te und Organ­mit­glie­der, ins­be­son­de­re in allen Fra­gen des Indi­vi­du­al­ar­beits­rechts und des Dienst­rechts für Geschäfts­füh­rer. https://de.linkedin.com/in/christian-lentföhr-4274345

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Sozialversicherung: Haftungsfalle für GmbH-Geschäftsführer und Steuerberater

Werden Ihre GmbH-Geschäftsführer nicht als abhängig Beschäftigte eingestuft? Schon ein kleiner Fehler kann hohe Nachzahlungen bedeuten. Jetzt die Kapital- und Stimmrechtsverhältnisse präzise prüfen und Gesellschaftsvertrag sowie Unternehmertestament anpassen!   Teurer Streitpunkt in GmbH-Sozialversicherungsprüfungen ist regelmäßig die Sozialversicherungspflicht von geschäftsführenden Gesellschaftern. Für Unternehmen ist es essenziell, die Kapital- und Stimmrechtsverhältnisse ihrer Geschäftsführer präzise zu prüfen, um mögliche sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen korrekt einzuschätzen...

Recht in Russlands Krieg gegen die Ukraine: Kiews bewaffnete Zivilisten

Der russische Angriff auf die Ukraine ist klar völkerrechtswidrig. Westliche Staaten könnten der Ukraine sogar militärisch beistehen. Doch der Krieg ist längst da. Welche Regeln jetzt in der Ukraine gelten, wer dort überhaupt kämpfen darf und welche Risiken die bewaffneten Zivilisten eingehen, die Kiew verteidigen wollen, erklärt Christian Lentföhr. Die UN-Vollversammlung hat den russischen Angriff auf die Ukraine „auf das...