BAG-Urteil zu Pflichtpraktika | Kein Mindestlohn im Vorpraktikum

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Arbeitsrecht | 20. Januar 2022
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Wer ein Prak­ti­kum als Vor­aus­set­zung zur Zulas­sung zu einem Stu­di­um ableis­ten muss, hat kei­nen Anspruch auf Zah­lung des Min­dest­lohns, urteil­te das BAG. War­um das auch gilt, wenn das Stu­di­um an einer pri­va­ten, aber staat­lich aner­kann­ten Hoch­schu­le statt­fin­den wird, erläu­tert Richard Rum­mel.

Praktikant:innen gel­ten nach § 22 Abs. 1 S. 1 Min­dest­lohn­ge­setz (MiLoG) durch­aus als Arbeitnehmer:innen. Sie haben daher grund­sätz­lich auch Anspruch dar­auf, mit dem Min­dest­lohn ver­gü­tet zu wer­den, wenn sie tat­säch­li­che Arbeits­leis­tun­gen erbrin­gen. Dies gilt aber nicht, wenn sie Pflicht­prak­ti­ka absol­vie­ren müs­sen, wie sie in § 22 Abs. 1 Nr. 1–4 MiLoG auf­ge­lis­tet sind.

Die Vor­schrift nimmt in Nr. 1 Praktikant:innen aus­drück­lich vom per­sön­li­chen Anwen­dungs­be­reich des MiLoG aus, die das Prak­ti­kum obli­ga­to­risch ableis­ten müs­sen „auf­grund einer schul­recht­li­chen Bestim­mung, einer Aus­bil­dungs­ord­nung, einer hoch­schul­recht­li­chen Bestim­mung oder im Rah­men einer Aus­bil­dung an einer gesetz­lich gere­gel­ten Berufs­aka­de­mie“.

Auch ein Vorpraktikum ist ein Pflichtpraktikum

Die Klä­ge­rin in dem nun vom BAG ent­schie­de­nen Fall ver­lang­te von dem beklag­ten Kran­ken­haus den­noch nach­träg­lich den Min­dest­lohn für täg­lich 7,45 Stun­den Arbeit, die sie von Mai bis Novem­ber 2019 als Prak­ti­kan­tin in dem Kran­ken­haus geleis­tet hat­te. Die jun­ge Frau woll­te an einer pri­va­ten, aber staat­lich aner­kann­ten Uni­ver­si­tät Human­me­di­zin stu­die­ren. Die Stu­di­en­ord­nung der Uni­ver­si­tät sah als Zulas­sungs­vor­aus­set­zung ein sechs­mo­na­ti­ges Prak­ti­kum im Kran­ken­pfle­ge­dienst vor. Die Begrün­dung der ange­hen­den Medi­zin­stu­den­tin für das nach­träg­li­che Ver­lan­gen des Min­dest­lohns: Sog. Vor­prak­ti­ka vor Auf­nah­me eines Stu­di­ums sei­en in der Aus­nah­me­re­gel des § 22 Abs. 1 Nr. 1 MiLoG nicht benannt.

Nach­dem sie bereits in den Vor­in­stan­zen kei­nen Erfolg hat­te, unter­lag sie am 19. Janu­ar 2022 auch vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG). Die Erfur­ter Rich­ter ent­schie­den, dass auch Vorpraktikant:innen vom per­sön­li­chen Gel­tungs­be­reich des Min­dest­lohn­ge­set­zes (MiLoG) aus­ge­nom­men sind, wenn sie ein Vor­prak­ti­kum absol­vie­ren, das Vor­aus­set­zung für die Auf­nah­me eines Stu­di­ums an einer pri­va­ten Hoch­schu­le ist, die aber staat­lich aner­kannt ist (BAG, Urt. v. 19.01.2022, Az. 5 AZR 217/21).

Unter die Aus­nah­me­re­gel des § 22 Abs. 1 Nr 1 MiLoG  fie­len nach der Geset­zes­be­grün­dung nicht nur Prak­ti­ka, die wäh­rend einer Aus­bil­dung oder eines Stu­di­ums ver­pflich­tend abzu­leis­ten sind. Aus der Geset­zes­be­grün­dung erge­be sich viel­mehr ein­deu­tig, dass auch sol­che Prak­ti­ka von der Vor­schrift erfasst sein soll­ten, die Stu­di­en­ord­nun­gen vor­schrei­ben, damit man das Stu­di­um über­haupt auf­neh­men kann.

Auch eine private, staatlich anerkannte Hochschule will nicht den Mindestlohn aushebeln

Das gel­te, so der 5. Senat, auch für pri­va­te Hoch­schu­len, wenn sie staat­lich aner­kannt sind. Deren Stu­di­en­ord­nun­gen sei­en dann wie öffent­lich-recht­li­che Rege­lun­gen anzu­se­hen, so dass gewähr­leis­tet sei, dass mit dem Prak­ti­kums­er­for­der­nis nicht der gesetz­li­che Anspruch auf Min­dest­lohn umgan­gen wer­den soll.

Praktikant:innen soll­ten sich daher vor Auf­nah­me eines Stu­di­ums genau über die Stu­di­en­ord­nun­gen infor­mie­ren und klä­ren, ob sie es mit einer staat­li­chen oder zumin­dest staat­lich aner­kann­ten Uni­ver­si­tät zu tun haben. Dann kön­nen sie für ver­pflich­tend abzu­leis­ten­de Vor­prak­ti­ka kei­ne Ver­gü­tung for­dern, egal, wie vie­le Stun­den sie täg­lich arbei­ten müs­sen. Für Unter­neh­men und Betrie­be, die Praktikant:innen im Rah­men von vor­ge­schrie­be­nen Vor­prak­ti­ka beschäf­ti­gen, bedeu­tet das Urteil des BAG ein Stück Rechts­si­cher­heit und ‑klar­heit.

Richard Rum­mel berät und ver­tritt mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men — vom Ein­zel­kauf­mann bis zur Akti­en­ge­sell­schaft — im Gesell­schafts­recht, ins­be­son­de­re bei Unter­neh­mens­käu­fen und Umstruk­tu­rie­run­gen. Er berät bei der Grün­dung von allen Arten von (Tochter-)Gesellschaften und der Schaf­fung von Gesell­schafts­struk­tu­ren bis hin zur Umset­zung von Unter­neh­mens­stra­te­gien.

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