Kündigungsvoraussetzung: Das betriebliche Eingliederungsmanagement rechtssicher aufsetzen

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Arbeitsrecht | 6. November 2025
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Die per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung eines Mit­ar­bei­ters ist in der Regel nur wirk­sam, wenn zuvor ein ord­nungs­ge­mä­ßes betrieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment durch­ge­führt wur­de. Um recht­lich auf der siche­ren Sei­te zu sein, müs­sen Arbeit­ge­ber Ablauf und For­ma­li­en des Ver­fah­rens genau beach­ten.

 

Das betrieb­li­che Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment (BEM) ist in § 167 Abs. 2 SGB IX (Sozi­al­ge­setz­buch Neun­tes Buch) gere­gelt. Danach bie­tet der Arbeit­ge­ber Beschäf­tig­ten, die län­ger als sechs Wochen inner­halb eines Jah­res arbeits­un­fä­hig sind, ein BEM an. Gesetz­ge­be­ri­sches Ziel ist es, Mög­lich­kei­ten auf­zu­zei­gen, wie Arbeit­neh­mer ihre Arbeits­un­fä­hig­keit über­win­den und mit wel­chen Leis­tun­gen oder Hil­fen sie einer erneu­ten Arbeits­un­fä­hig­keit vor­beu­gen und ihren Arbeits­platz lang­fris­tig erhal­ten kön­nen.

Die mehr als sechs Wochen Arbeits­un­fä­hig­keit müs­sen dabei nicht ohne Unter­bre­chung auf­tre­ten; es reicht aus, wenn die Sum­me der Arbeits­un­fä­hig­keits­ta­ge inner­halb eines Jah­res – gemeint sind hier die letz­ten 365 Kalen­der­ta­ge – mehr als sechs Wochen beträgt.

Das BEM ist also ent­we­der das Mit­tel für den Arbeit­ge­ber, den Arbeit­neh­mer gezielt wie­der in das Arbeits­um­feld zu inte­grie­ren – oder aber das Mit­tel, die recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für eine wirk­sa­me krank­heits­be­ding­te Kün­di­gung zu schaf­fen.

 

Kei­ne Kün­di­gung ohne ord­nungs­ge­mä­ßes BEM

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) hat das BEM kei­ne „Min­dest­halt­bar­keits­dau­er“ (BAG, Urt. v. 18.11.2021, Az. 2 AZR 138/21): Es ist also ein erneu­tes BEM durch­zu­füh­ren, sobald der Arbeit­neh­mer inner­halb eines Jah­res nach Abschluss der vor­he­ri­gen Maß­nah­me wie­der län­ger als sechs Wochen arbeits­un­fä­hig ist.

Führt der Arbeit­ge­ber kein BEM durch, hat das fürs Ers­te aber kei­ne Kon­se­quen­zen; ins­be­son­de­re haben die Beschäf­tig­ten kei­nen Anspruch auf ein BEM.

Erst wenn der Arbeit­ge­ber einem häu­fig kurz­zeit­er­krank­ten oder lang­zeit­er­krank­ten Beschäf­tig­ten kün­di­gen will, soll­te – oder muss – er ein BEM durch­füh­ren, weil die Kün­di­gung sonst regel­mä­ßig wegen Unver­hält­nis­mä­ßig­keit unwirk­sam ist. Aus­nahms­wei­se ver­zicht­bar ist ein BEM nur bei einer Kün­di­gung wäh­rend der War­te­frist nach dem Kün­di­gungs­schutz­ge­setz oder wenn es objek­tiv nutz­los wäre, wenn also die Maß­nah­men kei­nes­falls zu einer Ver­bes­se­rung füh­ren könn­ten. Die Fäl­le, in denen die Recht­spre­chung davon aus­geht, sind aller­dings dras­tisch, so zum Bei­spiel bei einem Wach­ko­ma oder einer schwe­ren Alko­hol­er­kran­kung des Arbeit­neh­mers (vgl. BAG, Urt. v. 21.11.2018, 7 AZR 394/17, vgl. BAG, Urt. 20.03.2014, Az. 2 AZR 565/12).

Es gibt vie­le Fall­stri­cke auf dem Weg zu einem ord­nungs­ge­mäß durch­ge­führ­tem BEM. Will der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer wie­der in das Arbeits­le­ben inte­grie­ren, haben Feh­ler aber kaum Aus­wir­kun­gen, solan­ge Per­sön­lich­keits­recht und Daten­schutz gewahrt sind.

Anders sieht es aus, wenn er das BEM nut­zen möch­te, um eine Kün­di­gung vor­zu­be­rei­ten: Bereits ein nicht ord­nungs­ge­mä­ßes Ein­la­dungs­schrei­ben reicht aus, damit die Gerich­te das BEM – und damit die Kün­di­gung – als feh­ler­haft ein­stu­fen.

 

Erst­kon­takt und Ein­la­dung

Wenn der Arbeit­ge­ber Hand­lungs­be­darf fest­stellt, soll­te er einen Erst­kon­takt mit dem betrof­fe­nen Arbeit­neh­mer her­stel­len und am bes­ten einen Ter­min für ein ers­tes Infor­ma­ti­ons­ge­spräch ver­ein­ba­ren, in dem der Arbeit­neh­mer über Zie­le, Betei­lig­te und Ablauf des BEM infor­miert und über den Daten­schutz auf­ge­klärt wird. Dies kann aller­dings auch schrift­lich erfol­gen.

Im Infor­ma­ti­ons­ge­spräch oder im Ein­la­dungs­schrei­ben muss das Ziel des BEM erläu­tert wer­den: Die Wie­der­her­stel­lung und dann auch der Erhalt der Arbeits­kraft sowie die Siche­rung des Arbeits­plat­zes; ein ein­fa­cher Ver­weis auf § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX reicht nicht aus. Aus dem Ein­la­dungs­schrei­ben muss sich zudem erge­ben, dass das Ver­fah­ren ergeb­nis­of­fen ist und auch der Arbeit­neh­mer aktiv eige­ne Vor­schlä­ge ein­brin­gen kann, um gemein­sam pas­sen­de Lösun­gen zu fin­den.

Zudem soll­ten die am BEM-Ver­fah­ren betei­lig­ten Per­so­nen genannt wer­den; deren Aus­wahl soll­te sorg­fäl­tig erfol­gen, denn sie kann ent­schei­dend dafür sein, ob ein Arbeit­neh­mer das Ange­bot annimmt oder ablehnt. Zusätz­lich ist es wich­tig, den Arbeit­neh­mer dar­über zu infor­mie­ren, dass bei Bedarf wei­te­re Stel­len wie ört­li­che Reha­bi­li­ta­ti­ons­trä­ger oder das Inte­gra­ti­ons­amt in das Ver­fah­ren ein­ge­bun­den wer­den kön­nen. Dar­über hin­aus muss klar­ge­stellt wer­den, dass der Arbeit­neh­mer jeder­zeit das Recht hat, eine Ver­trau­ens­per­son hin­zu­zu­zie­hen. Hin­zu­wei­sen ist dar­auf, dass der Arbeit­neh­mer sei­ne Zustim­mung zum BEM auch unter der Bedin­gung ertei­len kann, dass der Betriebs­rat und die ggf. hin­zu­zu­zie­hen­de Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung nicht ein­be­zo­gen wer­den.

Wei­ter ist der Ablauf eines BEM dar­zu­stel­len: Der indi­vi­du­el­le Fall wird bespro­chen, die indi­vi­du­el­le Arbeits­platz­si­tua­ti­on gemein­sam ana­ly­siert, dann wer­den kon­kre­te Maß­nah­men ent­wi­ckelt und ver­ein­bart und danach umge­setzt.

Fer­ner muss der Arbeit­ge­ber dar­auf hin­wei­sen, dass die Durch­füh­rung des BEM frei­wil­lig ist und nur mit der jeder­zeit wider­ruf­li­chen Zustim­mung des Mit­ar­bei­ters erfolgt, der Arbeit­neh­mer also „Herr des Ver­fah­rens“ ist.

 

Ach­tung Daten­schutz

Von zen­tra­ler Bedeu­tung für die Annah­me des Ange­bots eines BEM ist der Daten­schutz. Im Ein­la­dungs­schrei­ben genügt ein Hin­weis zur Daten­er­he­bung und ‑ver­wen­dung, dass aus­schließ­lich die zur Durch­füh­rung eines ziel­füh­ren­den BEM erfor­der­li­chen Daten erfasst wer­den (LAG Rhein­land-Pfalz, Urt. v. 26.10.2017 — 4 Sa 18/17). Die aus­führ­li­chen daten­schutz­recht­li­chen Aspek­te soll­te der Arbeit­ge­ber in einer sepa­ra­ten Anla­ge zur Ein­la­dung bereit­stel­len. Sie soll­te detail­liert auf­füh­ren, wel­che Daten im Sin­ne von Art. 9 der Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung (DS-GVO) im Rah­men des BEM erfasst wer­den, dass aus­schließ­lich not­wen­di­ge Daten erho­ben wer­den und wel­cher Kate­go­rie die­se ange­hö­ren. Zweck und Umfang der Daten­ver­ar­bei­tung, Zugriffs­rech­te, geson­der­te Spei­che­rung sowie die recht­li­che Grund­la­ge müs­sen trans­pa­rent genannt wer­den. Zudem ist der Arbeit­neh­mer über sein Recht auf Aus­kunft sowie auf Löschung der Daten zu infor­mie­ren.

Der Arbeit­ge­ber soll­te dar­auf ach­ten, dass die Ant­wort des Arbeit­neh­mers zur bes­se­ren Doku­men­ta­ti­on schrift­lich erfolgt. Emp­feh­lens­wert ist, dem Ein­la­dungs­schrei­ben ein vom Arbeit­ge­ber ent­wor­fe­nes Ant­wort­schrei­ben bei­zu­le­gen, das der Arbeit­neh­mer nur noch aus­zu­fül­len braucht.

Lehnt der Arbeit­neh­mer das BEM ab, ist das Ver­fah­ren been­det – und für den Arbeit­ge­ber, wenn das sein Ziel ist, der Weg zur Kün­di­gung frei.

 

Das BEM-Ver­fah­ren rich­tig umset­zen

Nimmt der Arbeit­neh­mer das BEM an, ist das eigent­li­che BEM-Ver­fah­ren durch­zu­füh­ren. Als kon­kre­te Maß­nah­men kön­nen zum Bei­spiel die stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung, Arbeits­ver­su­che, Belas­tungs­er­pro­bun­gen, eine ergo­no­mi­sche Ver­bes­se­rung oder tech­ni­sche Umrüs­tung des Arbeits­plat­zes, die Umset­zung, eine beruf­li­che Qua­li­fi­zie­rung oder auch Maß­nah­men des Gesund­heits­schut­zes wie die Ver­mitt­lung von Bera­tungs- und Betreu­ungs­an­ge­bo­ten ver­ein­bart wer­den.

Die ver­ein­bar­ten Maß­nah­men sind dann auch durch­zu­füh­ren – wür­de der Arbeit­ge­ber das nicht tun, wäre eine den­noch aus­ge­spro­che­ne per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung unwirk­sam. Anders sieht es aus, wenn der Arbeit­neh­mer die Maß­nah­men abbricht.

Nach Abschluss der Maß­nah­men wird deren Wirk­sam­keit bewer­tet. Waren sie wirk­sam, ist das best­mög­li­che Ergeb­nis des BEM erreicht, d.h. der Mit­ar­bei­ter ist gesund­heit­lich wie­der in der Lage, im Betrieb zu arbei­ten – waren die Maß­nah­men nicht erfolg­reich, führt dies häu­fig zu einer per­so­nen­be­ding­ten Kün­di­gung.

Zu beach­ten ist, dass die für das BEM erho­be­nen Daten unbe­dingt getrennt von der Per­so­nal­ak­te zu ver­wah­ren sind.

 

Pra­xis­tipp:

Arbeit­ge­ber soll­ten ein BEM sorg­fäl­tig vor­be­rei­ten und pla­nen. Wer eine per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung wegen häu­fi­ger Kurz­erkran­kun­gen oder einer Lang­zeit­er­kran­kung in Erwä­gung zieht, soll­te die­se mög­lichst zeit­nah nach Abschluss des BEM-Ver­fah­rens aus­spre­chen. Erkrankt der Mit­ar­bei­ter nach Abschluss des BEM näm­lich erneut für mehr als 42 Kalen­der­ta­ge, so wäre ein erneu­tes BEM durch­zu­füh­ren. Denn recht­lich wirk­sam ist sie nur nach einem ord­nungs­ge­mä­ßen BEM.

 

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