„Equal Pay“ ist in aller Munde: Selbstverständlich sollte der Grundsatz herrschen, dass gleiches Gehalt bei gleicher Arbeit bezahlt werden sollte, ungeachtet des Geschlechts oder anderer Merkmale.
Doch hängen die konkreten Gehälter, jedenfalls bei fehlenden Tarifverträgen, von der Arbeitsmarktsituation, dem Interesse des Arbeitgebers, gerade den einen Mitarbeiter „abzuwerben“ oder zu behalten, und dem Verhandlungsgeschick beider Parteien ab. Diese Grundlagen werden nun durch zwei neuere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts erschüttert, mit noch ungewissen Konsequenzen für die Praxis. Dass das hehre Ziel der Gleichbehandlung bei Gehältern einige Tücken birgt, erklärt Dr. Petra Ostermaier
Aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes dürfen Arbeitgeber bei Begünstigungen einzelne Arbeitnehmer nicht aus willkürlichen Gründen schlechter stellen als vergleichbare Arbeitnehmer – willkürliche Begünstigungen einzelner Arbeitnehmer sind dagegen grundsätzlich zulässig.
Sowohl das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) als auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbieten zudem spezifische Benachteiligungen, nämlich die Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten und die Benachteiligung von Beschäftigten aus Gründen der „Rasse“ oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität, wobei eine Ungleichbehandlung bei Vorliegen sachlicher Gründe aber gerechtfertigt sein kann.
Hieraus folgt aber noch nicht der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Denn die Vertragsfreiheit erlaubte es bislang den Arbeitgebern, bei Einstellungen über das Gehalt zu verhandeln – wer schlecht verhandelte, erhielt meist dauerhaft weniger Gehalt als jemand, der gut verhandelt hatte, da z.B. prozentuale Gehaltserhöhungen für alle die ursprünglich bestehende Gehaltsdifferenz nicht hatten schließen können. Allerdings verbietet das Entgelttransparenzgesetz einer Person bei gleichwertiger Arbeit wegen des Geschlechts eines (oder einer) Beschäftigten ein geringeres Entgelt zu zahlen als bei einem (oder einer) Beschäftigten anderen Geschlechts.
Seit jeher wird bemängelt, dass Frauen für die gleiche Tätigkeit zumeist weniger verdienen als Männer, was häufig mit dem schlechteren Verhandlungsgeschick von Frauen begründet wird. Bei Teilzeitkräften ist es so, dass einerseits Aushilfen häufig weniger verdienen als die fest angestellten Beschäftigten, andererseits Teilzeitbeschäftigte aber durchaus häufig einen höheren Stundenlohn haben als Vollzeitbeschäftigte.
Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 18. Januar 2023 (Az. 5 AZR 108/22) einem geringfügig beschäftigten Rettungsassistenten Recht gegeben, der seinen Arbeitgeber auf Nachzahlung des Differenzlohns zum Stundenlohn, den seine „hauptamtlichen“ Kollegen und Kolleginnen bekamen, in Anspruch nahm. Den unterschiedlichen Stundenlohn begründete der Arbeitgeber mit der größeren Planungssicherheit und weniger Planungsaufwand mit „hauptamtlichen“ Beschäftigten sowie ihrer Weisungsgebundenheit hinsichtlich der Arbeitszeit. Diese Gründe hat das BAG in zutreffender Weise nicht anerkannt; abgesehen davon, dass es einen höheren Planungsaufwand nicht erkennen konnte, sah es das Direktionsrecht bzgl. der Lage der Arbeitszeit als sachfremdes Kriterium für die Unterscheidung an, dass ein Rettungsassistent mehr Vergütung bekam als sein gleich qualifizierter Kollege, der die gleiche Tätigkeit ausübte und letztlich gar die erforderliche „Einsatzreserve“ bildete, die der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitszeitgesetz benötigte. Den Aspekt, dass es sich ggf. um frei ausgehandelte Gehälter gehandelt hat, hat das BAG jedenfalls in der Pressemitteilung nicht thematisiert.
Auf den Punkt gebracht hat es das BAG dann aber in seinem Urteil vom 16. Februar 2023 (Az. 8 AZR 4450/21): In diesem entschied es laut der Presseerklärung – die Urteilsgründe sind noch nicht veröffentlicht – entgegen den Vorinstanzen, dass eine Frau Anspruch auf die gleiche Vergütung wie ein Mann (und eine Entschädigung) habe, wenn sie gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichte. Ein Arbeitgeber hatte zunächst einen Mann und wenige Monate spätere eine Frau im Außendienst eingestellt. Beiden hatte der Arbeitgeber ein Anfangsgehalt von € 3.500,00 angeboten; nur der Mann verhandelte nach und erhielt in der Folge ein höheres Anfangsgehalt; nicht bekannt ist allerdings, ob es im Unternehmen weitere männliche Außendienstbeschäftigte gab, die ebenfalls „nur“ € 3.500,00 erhielten. Dass der Arbeitgeber das höhere Gehalt damit begründete, dass der Mann die Stelle einer ausgeschiedenen, höher bezahlten Mitarbeiterin nachbesetzt hatte, ließ das BAG nachvollziehbar nicht als rechtfertigenden Grund genügen, wobei die Zahlung eines höheren Gehalts an die Vorgängerin durchaus als Indiz hätte gewertet können, dass der Arbeitgeber Frauen nicht schlechter bezahlen will als Männer. Das BAG sieht aber auch das Verhandlungsgeschick des Mannes nicht als Argument an, einer nachfolgenden Bewerberin nicht auch das Gehalt anzubieten, das der Mann ausgehandelt hatte, sondern nur das gleiche Gehalt anzubieten, wie es der Arbeitgeber dem Mann zuvor angeboten hatte. Insoweit sah das BAG die gesetzliche Vermutung einer Diskriminierung als nicht widerlegt an.
Mit seiner Entscheidung schränkt das BAG den Grundsatz der Vertragsfreiheit bei Gehaltsverhandlungen ein, jedenfalls im Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Damit eröffnet das BAG aber eine Spirale, die über die Schließung des „Gender Pay Gaps“ hinausgeht und am Ziel vorbeigeht:
Wäre die Frau ein Mann gewesen und hätte der Mann wie die Frau nicht verhandelt, wäre das niedrigere Gehalt Ergebnis der Verhandlungsfreiheit und nicht zu beanstanden gewesen. Hätte der Arbeitgeber nach der Frau einen weiteren Mann eingestellt, ihm ebenso das dem ersten Mann ursprünglich angebotene Gehalt angeboten und der Mann nicht verhandelt, könnte dieser Mann sich dann ebenso auf eine Diskriminierung wegen des Geschlechts berufen, weil die Frau vor ihm schließlich infolge der Diskriminierungsvermutung ein höheres Gehalt bekommen hatte.
Fraglich ist z.B. auch, ob sich die Entscheidung auch auf solche Fälle auswirkt, in denen ein langjähriger Beschäftigter aufgrund jährlicher allgemeiner Gehaltserhöhungen ein Gehalt erreicht hat, das weit über dem Marktüblichen liegt – und einer neu eingestellten Mitarbeiterin nur das marktübliche Gehalt bezahlt wird. Je nach Arbeitsmarktlage sind Beschäftigte auch nur gegen hohes Gehalt zu rekrutieren; ändert sich die Arbeitsmarktlage, so wäre es kaum nachzuvollziehen, warum Arbeitgeber hierauf nicht reagieren dürfen sollten, wären die hohen Gehälter doch der Marktlage und nicht einem Geschlecht geschuldet. Hier bleibt zu hoffen, dass darin kein Indiz für eine Diskriminierung gesehen wird.
Dass das Urteil auch über das Gebot zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinausgeht und auch alle anderen Arbeitsvertragsbedingungen erfasst, steht zu befürchten, auch wenn die Urteilsgründe noch nicht bekannt sind. Ebenso wird abzuwarten sein, ob eine Gehaltserhöhung für einen Mann Indiz für die Diskriminierung der Frauen ist, auch wenn alle anderen Männer ebenfalls keine Gehaltserhöhung bekommen haben.
Arbeitgeber werden sich jedenfalls künftig sehr genau überlegen müssen, ob und warum sie den Forderungen einzelner Bewerber bzw. Beschäftigter nachgeben dürfen, müssen sie doch fürchten, es bestimmten Gruppen oder gar allen anderen dann auch zahlen zu müssen.
Dr. Petra Ostermaier ist schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig. Sie berät und betreut neben multinationalen Konzernen auch mittelständische und kleinere Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Hierbei vertritt sie Arbeitgeber nicht nur vor Gericht, sondern begleitet diese auch bei Verhandlungen mit Gewerkschaften, Betriebsräten und in Einigungsstellen. Daneben unterstützt Petra Ostermaier Vorstände, Geschäftsführer und leitende Angestellte bei ihren Vertragsverhandlungen mit Unternehmen. https://de.linkedin.com/in/dr-petra-ostermaier-90069021
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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