Ein vom Arbeitgeber einseitig freigestellter Arbeitnehmer muss während seiner Kündigungsfrist keine neue Arbeit aufnehmen. Der Arbeitnehmer unterlässt es in dieser Zeit in der Regel nicht böswillig, anderweitig Geld zu verdienen.
Der Arbeitgeber hatte mit Schreiben vom 29. März 2023 das Arbeitsverhältnis mit seinem Arbeitnehmer, einem Senior Consultant, zum 30. Juni 2023 ordentlich gekündigt. Außerdem stellte er in dem Kündigungsschreiben unwiderruflich unter Fortzahlung der vertraglichen Vergütung unter Anrechnung etwaiger noch bestehender sowie ggf. neu entstehender Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche frei.
In dem Schreiben hieß es weiter: Anderweitige Einkünfte, die Sie im Freistellungszeitraum nach der Abgeltung etwaiger Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche erzielen, werden gemäß § 615 Satz 2 BGB auf Ihre laufenden Vergütungsansprüche angerechnet.“
Der Arbeitnehmer meldete sich Anfang April 2023 bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend, gegen die Kündigung erhob er Kündigungsschutzklage. Der Kammertermin in dem Verfahren war auf den 29. Juni 2023 anberaumt.
43 Jobangebote während der Kündigungsfrist
Im Mai 2023 übersandte das Unternehmen dem Arbeitnehmer 22, im Juni weitere 21 Jobangebote. Dabei forderte der Arbeitgeber seinen Mitarbeiter auf, sich um eine Anstellung auch bezogen auf diese Jobangebote zu bemühen. Er verwies außerdem auf § 615 S. 2 BGB und befreite den Arbeitnehmer auch von seinem vertraglichen und gesetzlichen Wettbewerbsverbot.
Der Arbeitnehmer hat sich erstmals Ende Juni, einen Tag vor dem Kammertermin, auf ein Jobangebot beworben. Insgesamt bewarb er sich auf sieben vom Arbeitgeber übersandte Stellenangebote. Von der Agentur für Arbeit erhielt der Mann erst im Juli 2023 Vermittlungsangebote.
Das Gehalt für Juni 2023 zahlte der Arbeitgeber nicht an den Arbeitnehmer aus, der daraufhin Anfang Juli auch auf Lohnfortzahlung klagte.
Böswillig keinen anderen Job angenommen?
Durch die einseitige Freistellung von der Arbeit zeigt der Arbeitgeber, dass er die Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer ihm grundsätzlich schuldet, nun ablehnt. Dadurch gerät er in Annahmeverzug, wenn keine besonderen Umstände vorliegen. Der Arbeitnehmer muss in der Regel dann seine Arbeit nicht mehr anbieten, behält aber seinen Vergütungsanspruch.
Nach § 615 Satz 2 BGB muss der Arbeitnehmer sich aber den Wert dessen anrechnen lassen, was er erspart, weil er nicht arbeitet, was er anderweitig verdient oder, und darum ging es hier, böswillig nicht verdient, obwohl er es könnte.
Ein solches böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt, also eine ihm zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.
Das Urteil: Untätigkeit während Kündigungsfrist nicht automatisch treuwidrig
Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen hatte die Klage des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung für Juni noch abgewiesen. In der Berufung sah das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg das schon anders, es konnte kein böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes erkennen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Entscheidung des LAG Baden-Württemberg bestätigt (Urt. v. 12. Februar 2025, Az. 5 AZR 127/24). Das höchste deutsche Arbeitsgericht entschied, dass sich der Arbeitnehmer keinen fiktiven Verdienst anrechnen lassen muss, obwohl er keinen anderen Job angenommen hat.
Ein solcher Nachteil einer fiktiven Anrechnung eines nicht erzielten anderweitigen Verdienstes wäre nur dann gerechtfertigt, so das BAG, wenn der Arbeitnehmer mit seiner Untätigkeit gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen hätte. Weil § 615 Satz 2 BGB eine Billigkeitsregelung enthalte, könne der Umfang der Obliegenheit des Arbeitnehmers zu einem anderweitigen Erwerb nicht losgelöst von den Pflichten des Arbeitgebers beurteilt werden.
Hier habe der Arbeitgeber im Prozess nicht dargelegt, dass es ihm unzumutbar gewesen wäre, den Arbeitnehmer bis zum Ende der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Das BAG ging deshalb davon aus, dass der Arbeitnehmer seinerseits im Gegenzug vor Ablauf der Kündigungsfrist auch kein anderes Beschäftigungsverhältnis hätte eingehen müssen, um einen Verdienst zu erzielen und so seinen Arbeitgeber finanziell zu entlasten.
Was das für Arbeitgeber heißt
Das BAG hat nur über den Fall entschieden, der ihm vorlag. Zur Frage, wann Arbeitnehmer sich anderweitig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müssen, nachdem ihre Kündigungsfrist abgelaufen ist, ergibt sich keine Änderung der Rechtsprechung.
Arbeitgeber sollten aber bei einer einseitig ausgesprochenen Kündigung künftig gut abwägen, ob eine unwiderrufliche Freistellung erforderlich ist. Während der noch laufenden Kündigungsfrist dürfte in dieser Konstellation nämlich nun in der Regel keine Anrechnung eines nicht erzielten anderweitigen Verdienstes mehr möglich sein.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht