Freistellung während der Kündigungsfrist: Arbeitnehmer muss noch keinen anderen Job annehmen

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Arbeitsrecht | 27. März 2025
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Ein vom Arbeit­ge­ber ein­sei­tig frei­ge­stell­ter Arbeit­neh­mer muss wäh­rend sei­ner Kün­di­gungs­frist kei­ne neue Arbeit auf­neh­men. Der Arbeit­neh­mer unter­lässt es in die­ser Zeit in der Regel nicht bös­wil­lig, ander­wei­tig Geld zu ver­die­nen.

Der Arbeit­ge­ber hat­te mit Schrei­ben vom 29. März 2023 das Arbeits­ver­hält­nis mit sei­nem Arbeit­neh­mer, einem Seni­or Con­sul­tant, zum 30. Juni 2023 ordent­lich gekün­digt. Außer­dem stell­te er in dem Kün­di­gungs­schrei­ben unwi­der­ruf­lich unter Fort­zah­lung der ver­trag­li­chen Ver­gü­tung unter Anrech­nung etwa­iger noch bestehen­der sowie ggf. neu ent­ste­hen­der Urlaubs- und Frei­zeit­aus­gleichs­an­sprü­che frei.

In dem Schrei­ben hieß es wei­ter: Ander­wei­ti­ge Ein­künf­te, die Sie im Frei­stel­lungs­zeit­raum nach der Abgel­tung etwa­iger Urlaubs- und Frei­zeit­aus­gleichs­an­sprü­che erzie­len, wer­den gemäß § 615 Satz 2 BGB auf Ihre lau­fen­den Ver­gü­tungs­an­sprü­che ange­rech­net.

Der Arbeit­neh­mer mel­de­te sich Anfang April 2023 bei der Agen­tur für Arbeit arbeits­su­chend, gegen die Kün­di­gung erhob er Kün­di­gungs­schutz­kla­ge. Der Kam­mer­ter­min in dem Ver­fah­ren war auf den 29. Juni 2023 anbe­raumt.

 

43 Job­an­ge­bo­te wäh­rend der Kün­di­gungs­frist

Im Mai 2023 über­sand­te das Unter­neh­men dem Arbeit­neh­mer 22, im Juni wei­te­re 21 Job­an­ge­bo­te. Dabei for­der­te der Arbeit­ge­ber sei­nen Mit­ar­bei­ter auf, sich um eine Anstel­lung auch bezo­gen auf die­se Job­an­ge­bo­te zu bemü­hen. Er ver­wies außer­dem auf § 615 S. 2 BGB und befrei­te den Arbeit­neh­mer auch von sei­nem ver­trag­li­chen und gesetz­li­chen Wett­be­werbs­ver­bot.

Der Arbeit­neh­mer hat sich erst­mals Ende Juni, einen Tag vor dem Kam­mer­ter­min, auf ein Job­an­ge­bot bewor­ben. Ins­ge­samt bewarb er sich auf sie­ben vom Arbeit­ge­ber über­sand­te Stel­len­an­ge­bo­te. Von der Agen­tur für Arbeit erhielt der Mann erst im Juli 2023 Ver­mitt­lungs­an­ge­bo­te.

Das Gehalt für Juni 2023 zahl­te der Arbeit­ge­ber nicht an den Arbeit­neh­mer aus, der dar­auf­hin Anfang Juli auch auf Lohn­fort­zah­lung klag­te.

 

Bös­wil­lig kei­nen ande­ren Job ange­nom­men?

Durch die ein­sei­ti­ge Frei­stel­lung von der Arbeit zeigt der Arbeit­ge­ber, dass er die Arbeits­leis­tung, die der Arbeit­neh­mer ihm grund­sätz­lich schul­det, nun ablehnt. Dadurch gerät er in Annah­me­ver­zug, wenn kei­ne beson­de­ren Umstän­de vor­lie­gen. Der Arbeit­neh­mer muss in der Regel dann sei­ne Arbeit nicht mehr anbie­ten, behält aber sei­nen Ver­gü­tungs­an­spruch.

Nach § 615 Satz 2 BGB muss der Arbeit­neh­mer sich aber den Wert des­sen anrech­nen las­sen, was er erspart, weil er nicht arbei­tet, was er ander­wei­tig ver­dient oder, und dar­um ging es hier, bös­wil­lig nicht ver­dient, obwohl er es könn­te.

Ein sol­ches bös­wil­li­ges Unter­las­sen eines ander­wei­ti­gen Ver­diens­tes liegt vor, wenn dem Arbeit­neh­mer ein Vor­wurf dar­aus gemacht wer­den kann, dass er wäh­rend des Annah­me­ver­zugs trotz Kennt­nis aller objek­ti­ven Umstän­de vor­sätz­lich untä­tig bleibt, also eine ihm zumut­ba­re ander­wei­ti­ge Arbeit nicht auf­nimmt oder die Auf­nah­me der Arbeit bewusst ver­hin­dert. Dabei kommt es auf die Umstän­de des Ein­zel­falls an.

 

Das Urteil: Untä­tig­keit wäh­rend Kün­di­gungs­frist nicht auto­ma­tisch treu­wid­rig

Das Arbeits­ge­richt Vil­lin­gen-Schwen­nin­gen hat­te die Kla­ge des Arbeit­neh­mers auf Lohn­fort­zah­lung für Juni noch abge­wie­sen. In der Beru­fung sah das Lan­des­ar­beits­ge­richt Baden-Würt­tem­berg das schon anders, es konn­te kein bös­wil­li­ges Unter­las­sen eines ander­wei­ti­gen Ver­diens­tes erken­nen. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat die­se Ent­schei­dung des LAG Baden-Würt­tem­berg bestä­tigt (Urt. v. 12. Febru­ar 2025, Az. 5 AZR 127/24). Das höchs­te deut­sche Arbeits­ge­richt ent­schied, dass sich der Arbeit­neh­mer kei­nen fik­ti­ven Ver­dienst anrech­nen las­sen muss, obwohl er kei­nen ande­ren Job ange­nom­men hat.

Ein sol­cher Nach­teil einer fik­ti­ven Anrech­nung eines nicht erziel­ten ander­wei­ti­gen Ver­diens­tes wäre  nur dann gerecht­fer­tigt, so das BAG, wenn der Arbeit­neh­mer mit sei­ner Untä­tig­keit gegen Treu und Glau­ben (§ 242 BGB) ver­sto­ßen hät­te. Weil § 615 Satz 2 BGB eine Bil­lig­keits­re­ge­lung ent­hal­te, kön­ne der Umfang der Oblie­gen­heit des Arbeit­neh­mers zu einem ander­wei­ti­gen Erwerb nicht los­ge­löst von den Pflich­ten des Arbeit­ge­bers beur­teilt wer­den.

Hier habe der Arbeit­ge­ber im Pro­zess nicht dar­ge­legt, dass es ihm unzu­mut­bar gewe­sen wäre, den Arbeit­neh­mer bis zum Ende der Kün­di­gungs­frist wei­ter zu beschäf­ti­gen. Das BAG ging des­halb davon aus, dass der Arbeit­neh­mer sei­ner­seits im Gegen­zug vor Ablauf der Kün­di­gungs­frist auch kein ande­res Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis hät­te ein­ge­hen müs­sen, um einen Ver­dienst zu erzie­len und so sei­nen Arbeit­ge­ber finan­zi­ell zu ent­las­ten.

 

Was das für Arbeit­ge­ber heißt

Das BAG hat nur über den Fall ent­schie­den, der ihm vor­lag. Zur Fra­ge, wann Arbeit­neh­mer sich ander­wei­tig unter­las­se­nen Ver­dienst anrech­nen las­sen müs­sen, nach­dem ihre  Kün­di­gungs­frist abge­lau­fen ist, ergibt sich kei­ne Ände­rung der Recht­spre­chung.

Arbeit­ge­ber soll­ten aber bei einer ein­sei­tig aus­ge­spro­che­nen Kün­di­gung künf­tig gut abwä­gen, ob eine unwi­der­ruf­li­che Frei­stel­lung erfor­der­lich ist. Wäh­rend der noch lau­fen­den Kün­di­gungs­frist dürf­te in die­ser Kon­stel­la­ti­on näm­lich nun in der Regel kei­ne Anrech­nung eines nicht erziel­ten ander­wei­ti­gen Ver­diens­tes mehr mög­lich sein.

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