Die Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer ist nur unter Beachtung besonderer Schutzvorschriften erlaubt. Während der Wartezeit muss der Arbeitgeber vor einer Kündigung trotzdem kein zeitaufwändiges Präventionsverfahren durchführen. Das ist für ihn eine gute Nachricht, aber kein Freibrief.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über die Kündigungsschutzklage eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu urteilen. Er war als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik eingestellt worden. Der Arbeitgeber war jedoch unzufrieden mit seiner fachlichen Eignung und kündigte noch in der sechsmonatigen Probezeit.
Der gekündigte Arbeitnehmer argumentierte, die Kündigung sei unwirksam. Der Arbeitgeber hätte zuvor ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchführen müssen, um zu prüfen, ob der Arbeitsplatz für ihn erhalten bleiben könne. Die Kündigung benachteilige ihn als Schwerbehinderten unzulässig und sei deshalb unwirksam. Das BAG hat seine Klage aber abgewiesen.
Kündigungsschutz grundsätzlich erst nach sechs Monaten
Sowohl das allgemeine Kündigungsschutzgesetz (KSchG), als auch der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte greifen erst, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat (sogenannte Wartezeit). In der Wartezeit ist also eine Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich ohne besonderen Kündigungsgrund möglich.
Dennoch kann auch eine Wartezeitkündigung unwirksam sein, z.B. weil die Schriftform nicht eingehalten ist oder weil sie eine unzulässige Diskriminierung wegen bestimmter Merkmale, beispielsweise einer Schwerbehinderung, bewirkt. Schon ein bloßer Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, die den schwerbehinderten Arbeitnehmer schützen sollen, kann ein Indiz für eine unzulässige Diskriminierung sein.
Präventionsverfahren erst nach der Wartezeit nötig
Ein Präventionsverfahren ist für schwerbehinderte Arbeitnehmer vorgesehen, wenn im Arbeitsverhältnis personen‑, verhaltens- oder betriebsbedingte Schwierigkeiten auftreten, die den Arbeitsplatz gefährden können. Abhilfe soll im Dialog geschaffen werden: Der Arbeitgeber muss dann möglichst frühzeitig mit Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt alle Möglichkeiten und potentiellen Hilfen erörtern, die dazu beitragen können, den Arbeitsplatz für den Schwerbehinderten möglichst dauerhaft zu erhalten (§ 167 Abs. 1 SGBIX).
Deutschlands höchste Arbeitsrichter mussten nun klären, ob dies auch gilt, wenn der Arbeitnehmer noch in der Wartezeit ist. Das BAG hat entschieden, dass der Arbeitgeber während der Wartezeit kein Präventionsverfahren durchführen muss (BAG, Urt. v. 03.04.2025, Az. 2 AZR 178/2). Das Präventionsverfahren knüpfe an die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes an, ein Präventionsverfahren wird deshalb erst nach Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nötig.
Das Urteil des BAG ist für Arbeitgeber eine gute Nachricht, denn ein Präventionsverfahren ist sehr aufwändig. Bis zu seinem Abschluss kann die Probezeit abgelaufen sein.
Trotzdem: Erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch in der Wartezeit
Doch die Einschränkung folgt auf dem Fuße: Wenn das KSchG anwendbar ist – also außerhalb von Kleinbetrieben und nach Ablauf der Wartezeit -, wird eine Kündigung stets auch auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft. In diesem Zusammenhang kann relevant werden, ob der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare getan hat, um die Kündigung zu vermeiden. Hier kommt das Präventionsverfahren dann wieder ins Spiel, genauer die Frage, ob dieses den Arbeitsplatz hätte erhalten können. Hat der Arbeitgeber kein Präventionsverfahren durchgeführt, wird er schwer nachweisen können, dass es ohnehin nutzlos gewesen wäre.
Obwohl das BAG klargestellt hat, dass ein Präventionsverfahren formell keine Voraussetzung für eine wirksame Kündigung ist, haben die Erfurter Arbeitsrichter ebenfalls ausdrücklich darauf hingewiesen, dass den Arbeitgeber auch während der Wartezeit erhöhte Fürsorgepflichten gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer treffen. So hat dieser beispielsweise Anspruch auf Einrichtung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes und auf eine Beschäftigung, bei der er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll entfalten kann.
Die Grenze ist da erreicht, wo die notwendigen Vorkehrungen unverhältnismäßig oder dem Arbeitgeber nicht zumutbar sind. Der ist insbesondere nicht verpflichtet, extra für den schwerbehinderten Arbeitnehmer einen vorher nicht existierenden Arbeitsplatz zu schaffen.
Verweigert der Arbeitgeber aber zumutbare Maßnahmen und zieht es vor, dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zu kündigen, verstößt die Kündigung gegen das sogenannte Maßregelverbot, § 612a BGB, und ist deshalb unwirksam.
Praxistipp: Vorsicht bei Begründung einer Wartezeitkündigung
Und schließlich: Dass in der Probezeit kein besonderer Kündigungsgrund erforderlich ist, bedeutet nicht, dass jegliche Motivation für die Probezeitkündigung rechtlich unverfänglich wäre. Besteht ein Zusammenhang zwischen Kündigung und Behinderung, kann die Kündigung wegen Diskriminierung unwirksam sein, sogar eine Entschädigung und/oder Schadensersatz können fällig werden.
Dies gilt auch im Kleinbetrieb mit in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmern (in Ausnahmefällen zehn oder weniger Arbeitnehmern bei langjährig Beschäftigten). Auch hier entfällt nach dem Urteil aus Erfurt zwar die Verpflichtung zur Durchführung eines Präventionsverfahrens. Bei so wenigen Mitarbeitern findet schon das Kündigungsschutzgesetz generell keine Anwendung. Kündigungen werden also nicht grundsätzlich auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft. Eine Kündigung kann dennoch wegen unzulässiger Diskriminierung oder Verstoß gegen das Maßregelverbot unwirksam sein.
Ob für große oder kleine Unternehmen: Das Urteil des BAG ist trotzdem kein Freibrief für Kündigungen in der Probezeit gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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