Mega-Streik am 27. März 2023: Was gibt es jetzt für nicht unmittelbar betroffene Arbeitgeber zu beachten?

© karepa/stock.adobe.com
BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Streiks sind DAS Mit­tel der Gew­erkschaften, Druck auf Arbeit­ge­berver­bände bzw. Arbeit­ge­ber auszuüben. Allerd­ings sind nicht nur die beteiligten Tar­ifver­tragsparteien, ihre Mit­glieder sowie nicht tar­ifge­bun­dene Beschäftigte der Mit­glied­sun­ternehmen davon betrof­fen, son­dern die gesamte Bevölkerung. Was auf „drit­t­be­trof­fene“ Arbeit­ge­ber zukommt, erk­lärt Dr. Petra Oster­maier. 

Der näch­ste große Streik ist für den 27. März 2023 angekündigt. In ganz Deutsch­land kön­nten erneut Zugverkehr, Busse und Bah­nen still­ste­hen. Zum Teil kön­nen sog­ar Flugzeuge auf dem Boden bleiben. Unklar ist noch, ob auch, wie in den ver­gan­genen Wochen, andere Bere­iche wie Kindertagesstät­ten, Kranken­häuser und die Mül­lab­fuhr bestreikt wer­den. Ein Großteil der Belegschaft in deutschen Betrieben wird ihren Arbeit­splatz voraus­sichtlich nicht oder zumin­d­est nicht rechtzeit­ig erre­ichen oder wegen fehlen­der Kinder­be­treu­ung aus­fall­en.

 

Frage: Trotz aller Ärg­ernisse gibt es dur­chaus auch Zus­pruch in der Bevölkerung für den Streik. Manch ein­er wird den Streik sog­ar per­sön­lich unter­stützen wollen. Wenn ein Arbeit­nehmer sein­er Arbeit fern­bleibt, weil er an Streik­maß­nah­men teil­nehmen will — kann er das ganz ohne Kon­se­quen­zen für sein Arbeitsver­hält­nis tun?

Dr. Oster­maier: Grund­sät­zlich ste­ht zwar allen Arbeit­nehmern ein Streikrecht zu, allerd­ings muss zunächst ein Streikaufruf ein­er tar­if­fähi­gen Gew­erkschaft erfol­gen. Arbeit­nehmer der vom Streikaufruf der Gew­erkschaft nicht betrof­fe­nen Betriebe oder Branchen kön­nen sich dabei den­noch nicht recht­mäßig an dem Streik beteili­gen. Für diese würde ein entsprechen­des Han­deln einen Ver­stoß gegen die Arbeit­spflicht darstellen. Neben ein­er Gehalt­skürzung für die aus­ge­fal­l­ene Arbeit­szeit kön­nte dies eine Abmah­nung oder im Wieder­hol­ungs­fall sog­ar eine Kündi­gung nach sich ziehen.

 

Frage: Was ist, wenn ein Arbeit­nehmer wegen des Streiks zu spät zur Arbeit kommt? Muss er die Arbeit nach­holen?

Dr. Oster­maier: Bei der Arbeit­sleis­tung han­delt es sich im Grund­satz um eine Fixschuld, d.h. die Arbeit­sleis­tung kann nur während der fest­gelegten Arbeit­szeit erbracht und nicht nachge­holt wer­den. Das führt dann dazu, dass der Arbeit­ge­ber berechtigt ist, keine Nachar­beit zuzu­lassen und stattdessen die Vergü­tung für die aus­ge­fal­l­ene Arbeit­szeit zu kürzen. Heutzu­tage bet­rifft das wohl nur noch solche Arbeitsver­hält­nisse, die von der Art her von Vorn­here­in auf bes­timmte Arbeit­szeit­en beschränkt sind. Beispiele sind die Verkauf­s­mi­tar­beit­er, die nicht ein­fach eine halbe Stunde ver­säumter Arbeit­szeit am Abend nach­holen kön­nen, weil das Geschäft an die Öff­nungszeit­en gebun­den ist, oder etwa Pro­duk­tion­s­mi­tar­beit­er im Schicht­di­enst, der vom näch­sten Pro­duk­tion­s­mi­tar­beit­er zu dessen Schicht­di­enst an der Mas­chine abgelöst wird.

Der Arbeit­ge­ber ist aber grund­sät­zlich gut berat­en, den Arbeit­nehmern zumin­d­est die Möglichkeit zu bieten, die Zeit nachzu­holen, etwa im Rah­men von Vertre­tun­gen — anson­sten beste­ht die Gefahr, dass eine etwaige Stim­mung gegen den Streik schnell umschlägt. Das ist aber natür­lich auch nicht über­all möglich.

Bei einem Großteil der Beschäftigten ist es aber ohne­hin auf­grund flex­i­bler Arbeit­szeit­sys­teme kein Prob­lem, die Arbeit nachzu­holen — begeis­tert wird aber kein­er sein, wenn er auf­grund eines Streiks viel Wegezeit braucht und dann noch am Streik­tag oder einem anderen Tag länger als es son­st gewe­sen wäre arbeit­en muss.

Das Gesetz ken­nt zwar auch eine Vergü­tungspflicht für eine kurzzeit­ige Ver­hin­derung eines Arbeit­nehmers an der Erbringung der Arbeit­sleis­tung; dies bet­rifft aber nur per­sön­liche Gründe (z.B. erforder­lich­er Arztbe­such während der Arbeit­szeit), nicht aber einen alle Per­so­n­en gle­icher­maßen tre­f­fend­en­den Grund wie der Streik des ÖPNV.

Wenn es dem Arbeit­nehmer — ger­ade bei einem angekündigten Streik — möglich ist, Vor­sorge zu tre­f­fen, z.B. zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Fahrge­mein­schaften oder ander­weit­i­gen Optio­nen zur Arbeit zu kom­men oder früher losz­u­fahren, wird er dies tun müssen und den dann län­geren Arbeitsweg und die zusät­zlichen Umstände bei sein­er Zeit­pla­nung berück­sichti­gen müssen.

 

Frage: Wenn das Zus­pätkom­men ein Ver­stoß gegen die Arbeit­spflicht ist — kann der Arbeit­ge­ber die ver­späteten Arbeit­nehmer dann sog­ar abmah­nen?

Dr. Oster­maier: Nun ja, man muss hier sicher­lich unter­schei­den. Nach­dem der Streik bekan­nt ist, ist es dur­chaus Sache der Beschäftigten, sich auf den Streik einzustellen und Vor­sorge zu tre­f­fen, wie man – und das pünk­tlich – in die Arbeit kom­men kann. Das sog. Wegerisiko, also das Risiko, rechtzeit­ig zur Arbeit zu kom­men, trägt näm­lich allein der Arbeit­nehmer;

Der Arbeit­ge­ber darf von seinen Beschäftigten ver­lan­gen, dass sie einen län­geren Arbeitsweg und die zusät­zlichen Umstände bei ihrer Zeit­pla­nung real­is­tisch einkalkulieren und alter­na­tive Beförderungsmit­tel nutzen.  Wenn man üblicher­weise innerorts wenige Sta­tio­nen mit dem Bus fährt, kann man die Strecke auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück­le­gen und damit pünk­tlich sein. Wenn man trotz dieser Möglichkeit unpünk­tlich ist, kann das als ver­schuldet gel­ten und the­o­retisch eine Abmah­nung recht­fer­ti­gen — fak­tisch wird das aber wohl kaum ein Arbeit­ge­ber tun.

Kom­men Beschäftigte von weit­er her, kön­nen sie nicht unbe­d­ingt eine pünk­tliche Ankun­ft durch zumut­bare Maß­nah­men sich­er­stellen; nicht jed­er ver­fügt über ein Auto – und irgend­wo muss dieses auch abgestellt wer­den kön­nen. Eine Abmah­nung wäre im Hin­blick auf das objek­tive Vor­liegen ein­er Arbeit­spflichtver­let­zung möglich, für eine spätere Kündi­gung im Wieder­hol­ungs­fall hätte sie aber keine Bedeu­tung, weil es dann am Ver­schulden fehlen dürfte.

 

Frage: Und was sind die Kon­se­quen­zen, wenn ein Arbeit­nehmer gar nicht zur Arbeit kom­men kann?

Dr. Oster­maier: Im Prinzip gilt das Gle­iche wie bei ein­er Ver­spä­tung, d.h. der Arbeit­nehmer bekommt für den Tag keine Vergü­tung — oder muss einen Tag Urlaub nehmen. Etwas „Gutes“ hat­te Coro­na aber: Die Arbeit­ge­ber haben sich auf Home­of­fice-Tätigkeit ihrer Beschäftigten eingestellt und sind tech­nisch hier­für gerüstet. In vie­len Fällen dürfte es daher möglich sein, die Mitar­beit­er, die — mit angemessen­em Aufwand — gar nicht kom­men kön­nen, an dem Streik­tag im Home­of­fice arbeit­en zu lassen. Außer­halb der ohne­hin im Betrieb gel­tenden Regeln beste­ht da zwar kein Anspruch drauf, aber es ist immer noch bess­er, als dass die Arbeit gar nicht erledigt wird. Daher soll­ten Arbeit­ge­ber und Beschäftigte vor­ab absprechen, wie man mit der Sit­u­a­tion umge­hen will. Natür­lich hil­ft das nicht den vie­len Pro­duk­tion­s­mi­tar­beit­ern, Beschäftigten im Einzel­han­del etc., die bei dem Hype um das Home­of­fice und mobile Arbeit von der Poli­tik überse­hen zu wer­den scheinen.

 

Frage: Stellt sich die Sit­u­a­tion anders dar, wenn die KiTa wegen Streiks geschlossen ist und zumin­d­est ein Eltern­teil das Kind betreuen muss und deswe­gen nicht zur Arbeit kom­men kann?

Dr. Oster­maier: Nein, auch da gibt es keinen Vergü­tungsanspruch, anders als dies z.B. bei ein­er kurzzeit­i­gen Erkrankung eines Kindes möglich sein kann. Der Arbeit­ge­ber — oder der Arbeit­nehmer — kann aber auch hier anbi­eten, die Arbeit nachzu­holen, Urlaub zu nehmen oder im Home­of­fice zu arbeit­en.

 

Zusam­menge­fasst lässt sich also sagen: Natür­lich ist es für Arbeit­ge­ber wichtig, ihre Rechte und Hand­lungsmöglichkeit­en zu ken­nen. Sin­nvoll ist es aber, gemein­sam mit den Beschäftigten eine Lösung für die Auswirkun­gen des Streiks zu find­en und sich nicht als Druck­mit­tel in einem frem­den Streik benutzen zu lassen. Wie solche The­men gemein­sam gelöst wer­den kön­nen, haben wir während Coro­na gel­ernt — vor Coro­na war Vieles undenkbar, was heute üblich ist, auch wenn Beschäftigte mit Bürotätigkeit­en hier klar im Vorteil sind. Ein wertschätzen­der Umgang abseits von rechtlichen Möglichkeit­en ist sich­er immer die bessere Vorge­hensweise und spiegelt sich dann auch in der Zufrieden­heit der Mitar­beit­er wieder.

 

Dr. Petra Oster­maier ist schw­er­punk­t­mäßig im Arbeit­srecht tätig. Sie berät und betreut neben multi­na­tionalen Konz­er­nen auch mit­tel­ständis­che und kleinere Unternehmen in allen Fra­gen des indi­vidu­ellen und kollek­tiv­en Arbeit­srechts. Hier­bei ver­tritt sie Arbeit­ge­ber nicht nur vor Gericht, son­dern begleit­et diese auch bei Ver­hand­lun­gen mit Gew­erkschaften, Betrieb­sräten und in Eini­gungsstellen. Daneben unter­stützt Petra Oster­maier Vorstände, Geschäfts­führer und lei­t­ende Angestellte bei ihren Ver­tragsver­hand­lun­gen mit Unternehmen. www.linkedin.com/in/dr-petra-ostermaier

BEITRAG TEILEN
LinkedInXINGXFacebookEmailPrint

Über den autor

Aktuelles

Weitere Beiträge des Autors

Kündigung pünktlich zustellen: Neues zur Beweislast vom BAG

In den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers eingeworfene Kündigungsschreiben gelten als zugestellt, sobald mit der Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen ist – unabhängig davon, wann der Briefkasten tatsächlich geleert oder die Post gelesen wird. Was bedeutet das für Arbeitgeber?   Der Zeitpunkt der Zustellung einer Kündigung ist aus mehreren Gründen wichtig. Wann die Kündigung zugegangen ist, ist sowohl...

Handel mit Urlaubstagen: Darf‘s ein bisschen mehr sein?

Aus den USA kommt ein Trend auch nach Deutschland: Beschäftigte wollen mehr Urlaubstage – und sind bereit, sie von anderen Beschäftigten zu kaufen. Unternehmen, die sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren wollen, sind geneigt, solchen Wünschen nachzugeben. Doch der Trend bringt auch Herausforderungen mit sich. Vorab ist festzuhalten, dass der gesetzliche Mindesturlaub - das sind bei einer Fünf-Tage-Woche 20 Tage -...