Streiks sind DAS Mittel der Gewerkschaften, Druck auf Arbeitgeberverbände bzw. Arbeitgeber auszuüben. Allerdings sind nicht nur die beteiligten Tarifvertragsparteien, ihre Mitglieder sowie nicht tarifgebundene Beschäftigte der Mitgliedsunternehmen davon betroffen, sondern die gesamte Bevölkerung. Was auf „drittbetroffene“ Arbeitgeber zukommt, erklärt Dr. Petra Ostermaier.
Der nächste große Streik ist für den 27. März 2023 angekündigt. In ganz Deutschland könnten erneut Zugverkehr, Busse und Bahnen stillstehen. Zum Teil können sogar Flugzeuge auf dem Boden bleiben. Unklar ist noch, ob auch, wie in den vergangenen Wochen, andere Bereiche wie Kindertagesstätten, Krankenhäuser und die Müllabfuhr bestreikt werden. Ein Großteil der Belegschaft in deutschen Betrieben wird ihren Arbeitsplatz voraussichtlich nicht oder zumindest nicht rechtzeitig erreichen oder wegen fehlender Kinderbetreuung ausfallen.
Frage: Trotz aller Ärgernisse gibt es durchaus auch Zuspruch in der Bevölkerung für den Streik. Manch einer wird den Streik sogar persönlich unterstützen wollen. Wenn ein Arbeitnehmer seiner Arbeit fernbleibt, weil er an Streikmaßnahmen teilnehmen will — kann er das ganz ohne Konsequenzen für sein Arbeitsverhältnis tun?
Dr. Ostermaier: Grundsätzlich steht zwar allen Arbeitnehmern ein Streikrecht zu, allerdings muss zunächst ein Streikaufruf einer tariffähigen Gewerkschaft erfolgen. Arbeitnehmer der vom Streikaufruf der Gewerkschaft nicht betroffenen Betriebe oder Branchen können sich dabei dennoch nicht rechtmäßig an dem Streik beteiligen. Für diese würde ein entsprechendes Handeln einen Verstoß gegen die Arbeitspflicht darstellen. Neben einer Gehaltskürzung für die ausgefallene Arbeitszeit könnte dies eine Abmahnung oder im Wiederholungsfall sogar eine Kündigung nach sich ziehen.
Frage: Was ist, wenn ein Arbeitnehmer wegen des Streiks zu spät zur Arbeit kommt? Muss er die Arbeit nachholen?
Dr. Ostermaier: Bei der Arbeitsleistung handelt es sich im Grundsatz um eine Fixschuld, d.h. die Arbeitsleistung kann nur während der festgelegten Arbeitszeit erbracht und nicht nachgeholt werden. Das führt dann dazu, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, keine Nacharbeit zuzulassen und stattdessen die Vergütung für die ausgefallene Arbeitszeit zu kürzen. Heutzutage betrifft das wohl nur noch solche Arbeitsverhältnisse, die von der Art her von Vornherein auf bestimmte Arbeitszeiten beschränkt sind. Beispiele sind die Verkaufsmitarbeiter, die nicht einfach eine halbe Stunde versäumter Arbeitszeit am Abend nachholen können, weil das Geschäft an die Öffnungszeiten gebunden ist, oder etwa Produktionsmitarbeiter im Schichtdienst, der vom nächsten Produktionsmitarbeiter zu dessen Schichtdienst an der Maschine abgelöst wird.
Der Arbeitgeber ist aber grundsätzlich gut beraten, den Arbeitnehmern zumindest die Möglichkeit zu bieten, die Zeit nachzuholen, etwa im Rahmen von Vertretungen — ansonsten besteht die Gefahr, dass eine etwaige Stimmung gegen den Streik schnell umschlägt. Das ist aber natürlich auch nicht überall möglich.
Bei einem Großteil der Beschäftigten ist es aber ohnehin aufgrund flexibler Arbeitszeitsysteme kein Problem, die Arbeit nachzuholen — begeistert wird aber keiner sein, wenn er aufgrund eines Streiks viel Wegezeit braucht und dann noch am Streiktag oder einem anderen Tag länger als es sonst gewesen wäre arbeiten muss.
Das Gesetz kennt zwar auch eine Vergütungspflicht für eine kurzzeitige Verhinderung eines Arbeitnehmers an der Erbringung der Arbeitsleistung; dies betrifft aber nur persönliche Gründe (z.B. erforderlicher Arztbesuch während der Arbeitszeit), nicht aber einen alle Personen gleichermaßen treffendenden Grund wie der Streik des ÖPNV.
Wenn es dem Arbeitnehmer — gerade bei einem angekündigten Streik — möglich ist, Vorsorge zu treffen, z.B. zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Fahrgemeinschaften oder anderweitigen Optionen zur Arbeit zu kommen oder früher loszufahren, wird er dies tun müssen und den dann längeren Arbeitsweg und die zusätzlichen Umstände bei seiner Zeitplanung berücksichtigen müssen.
Frage: Wenn das Zuspätkommen ein Verstoß gegen die Arbeitspflicht ist — kann der Arbeitgeber die verspäteten Arbeitnehmer dann sogar abmahnen?
Dr. Ostermaier: Nun ja, man muss hier sicherlich unterscheiden. Nachdem der Streik bekannt ist, ist es durchaus Sache der Beschäftigten, sich auf den Streik einzustellen und Vorsorge zu treffen, wie man – und das pünktlich – in die Arbeit kommen kann. Das sog. Wegerisiko, also das Risiko, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, trägt nämlich allein der Arbeitnehmer;
Der Arbeitgeber darf von seinen Beschäftigten verlangen, dass sie einen längeren Arbeitsweg und die zusätzlichen Umstände bei ihrer Zeitplanung realistisch einkalkulieren und alternative Beförderungsmittel nutzen. Wenn man üblicherweise innerorts wenige Stationen mit dem Bus fährt, kann man die Strecke auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen und damit pünktlich sein. Wenn man trotz dieser Möglichkeit unpünktlich ist, kann das als verschuldet gelten und theoretisch eine Abmahnung rechtfertigen — faktisch wird das aber wohl kaum ein Arbeitgeber tun.
Kommen Beschäftigte von weiter her, können sie nicht unbedingt eine pünktliche Ankunft durch zumutbare Maßnahmen sicherstellen; nicht jeder verfügt über ein Auto – und irgendwo muss dieses auch abgestellt werden können. Eine Abmahnung wäre im Hinblick auf das objektive Vorliegen einer Arbeitspflichtverletzung möglich, für eine spätere Kündigung im Wiederholungsfall hätte sie aber keine Bedeutung, weil es dann am Verschulden fehlen dürfte.
Frage: Und was sind die Konsequenzen, wenn ein Arbeitnehmer gar nicht zur Arbeit kommen kann?
Dr. Ostermaier: Im Prinzip gilt das Gleiche wie bei einer Verspätung, d.h. der Arbeitnehmer bekommt für den Tag keine Vergütung — oder muss einen Tag Urlaub nehmen. Etwas „Gutes“ hatte Corona aber: Die Arbeitgeber haben sich auf Homeoffice-Tätigkeit ihrer Beschäftigten eingestellt und sind technisch hierfür gerüstet. In vielen Fällen dürfte es daher möglich sein, die Mitarbeiter, die — mit angemessenem Aufwand — gar nicht kommen können, an dem Streiktag im Homeoffice arbeiten zu lassen. Außerhalb der ohnehin im Betrieb geltenden Regeln besteht da zwar kein Anspruch drauf, aber es ist immer noch besser, als dass die Arbeit gar nicht erledigt wird. Daher sollten Arbeitgeber und Beschäftigte vorab absprechen, wie man mit der Situation umgehen will. Natürlich hilft das nicht den vielen Produktionsmitarbeitern, Beschäftigten im Einzelhandel etc., die bei dem Hype um das Homeoffice und mobile Arbeit von der Politik übersehen zu werden scheinen.
Frage: Stellt sich die Situation anders dar, wenn die KiTa wegen Streiks geschlossen ist und zumindest ein Elternteil das Kind betreuen muss und deswegen nicht zur Arbeit kommen kann?
Dr. Ostermaier: Nein, auch da gibt es keinen Vergütungsanspruch, anders als dies z.B. bei einer kurzzeitigen Erkrankung eines Kindes möglich sein kann. Der Arbeitgeber — oder der Arbeitnehmer — kann aber auch hier anbieten, die Arbeit nachzuholen, Urlaub zu nehmen oder im Homeoffice zu arbeiten.
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Natürlich ist es für Arbeitgeber wichtig, ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten zu kennen. Sinnvoll ist es aber, gemeinsam mit den Beschäftigten eine Lösung für die Auswirkungen des Streiks zu finden und sich nicht als Druckmittel in einem fremden Streik benutzen zu lassen. Wie solche Themen gemeinsam gelöst werden können, haben wir während Corona gelernt — vor Corona war Vieles undenkbar, was heute üblich ist, auch wenn Beschäftigte mit Bürotätigkeiten hier klar im Vorteil sind. Ein wertschätzender Umgang abseits von rechtlichen Möglichkeiten ist sicher immer die bessere Vorgehensweise und spiegelt sich dann auch in der Zufriedenheit der Mitarbeiter wieder.
Dr. Petra Ostermaier ist schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig. Sie berät und betreut neben multinationalen Konzernen auch mittelständische und kleinere Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Hierbei vertritt sie Arbeitgeber nicht nur vor Gericht, sondern begleitet diese auch bei Verhandlungen mit Gewerkschaften, Betriebsräten und in Einigungsstellen. Daneben unterstützt Petra Ostermaier Vorstände, Geschäftsführer und leitende Angestellte bei ihren Vertragsverhandlungen mit Unternehmen. www.linkedin.com/in/dr-petra-ostermaier
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
In den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers eingeworfene Kündigungsschreiben gelten als zugestellt, sobald mit der Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen ist – unabhängig davon, wann der Briefkasten tatsächlich geleert oder die Post gelesen wird. Was bedeutet das für Arbeitgeber? Der Zeitpunkt der Zustellung einer Kündigung ist aus mehreren Gründen wichtig. Wann die Kündigung zugegangen ist, ist sowohl...
Aus den USA kommt ein Trend auch nach Deutschland: Beschäftigte wollen mehr Urlaubstage – und sind bereit, sie von anderen Beschäftigten zu kaufen. Unternehmen, die sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren wollen, sind geneigt, solchen Wünschen nachzugeben. Doch der Trend bringt auch Herausforderungen mit sich. Vorab ist festzuhalten, dass der gesetzliche Mindesturlaub - das sind bei einer Fünf-Tage-Woche 20 Tage -...