Die Fiktion der Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB setzt nicht voraus, dass das Werk abnahmereif ist. Vielmehr kann sie auch eintreten, wenn noch wesentliche Mängel an der Werkleistung bestehen. Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg erinnert daran, was Bauherren unbedingt beachten sollten, wenn der Unternehmer die Abnahme verlangt.
Die Abnahme der Werkleistung ist für die Vertragsparteien eines Werkvertrags sehr wichtig. Mit ihr gehen bedeutsame Rechtsfolgen einher. Vor allem Auftraggeber sollten sich die Voraussetzungen des Anspruchs des Werkunternehmers auf Abnahme, aber auch das Institut der Abnahmefiktion klar machen.
Mit der Abnahme erklärt der Auftraggeber grundsätzlich, dass er das Werk als vertragsgemäß anerkennt. Als Folge der Abnahme erlischt deshalb zunächst sein Anspruch auf Herstellung der vertraglich geschuldeten Leistung. Allerdings stehen ihm nun Gewährleistungsansprüche zu, sofern und soweit die Leistung doch nicht vertragsgemäß, sondern mangelbehaftet ist.
Darüber hinaus geht mit der Abnahme die sog. Gefahrtragung auf den Auftraggeber über. Wird das Werk nach diesem Zeitpunkt beschädigt, ist die Beschädigung also nicht mehr dem Auftragnehmer zuzurechnen. Prozessual ist zu beachten, dass sich die Beweislast umkehrt: Jetzt muss der Auftraggeber beweisen, dass Mängel, die er behauptet, auch tatsächlich vorliegen.
Schließlich ist die Abnahme Voraussetzung für die Fälligkeit des Werklohnanspruchs des Auftragnehmers. Auch die Verjährungsfristen für die Gewährleistungsansprüche fangen mit ihr an zu laufen. Der Auftragnehmer wird daher in aller Regel ein erhebliches Interesse an einer frühzeitigen Abnahme haben. Für den Auftraggeber kann hingegen Vorsicht geboten sein.
Die Abnahme – und ihre Fiktion
Natürlich kann der Auftraggeber die Abnahme der Leistung auf freiwilliger Basis grundsätzlich immer erklären. Allerdings sollte und wird er das in aller Regel erst nach Eintritt der sog. Abnahmereife tun. Abnahmereife liegt vor, wenn das Werk vollständig und ohne wesentliche Mängel erstellt wurde. Ist das nicht der Fall, gibt es grundsätzlich auch keine Pflicht, die Abnahme zu erklären.
Doch Obacht: Nach § 640 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gilt ein Werk auch dann als abgenommen – mit allen genannten Folgen -, wenn der Auftragnehmer dem Auftraggeber nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und dieser die Abnahme nicht verweigert und auf mindestens einen Mangel verweist. Wer also auf ein Abnahmeverlangen nicht oder nicht richtig reagiert, läuft Gefahr, dass die sog. Abnahmefiktion eintritt, obwohl noch gar keine Abnahmereife vorlag.
Mängel hindern Abnahmefiktion nicht
Zur Frage, wann von einer „Fertigstellung“ in diesem Sinne (also im Sinne des § 640 Abs. 2 BGB) auszugehen ist, hat das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg mit Urteil vom 21. November 2024 (Az. 10 U 131/23) folgendes klargestellt:
• Der Begriff der Fertigstellung gemäß § 640 Abs. 2 BGB (Abnahmefiktion) setzt kein abnahmereifes Werk voraus. Ein Anspruch des Werkunternehmers auf Abnahme ist hier gerade nicht erforderlich.
• Das Werk muss lediglich vollständig hergestellt sein.
• Mängel der Werkleistung hindern eine Abnahmefiktion auch dann nicht, wenn diese wesentlich, also erheblich sind.
Wie der Begriff der Fertigstellung im Sinne von § 640 Abs. 2 BGB im Detail zu definieren ist, hat das OLG nicht entschieden. Einig ist man sich allerdings, dass der Begriff isoliert zu betrachten ist und die im sonstigen Werkrecht im Zusammenhang mit der Fertigstellung herangezogenen Definitionen hier nicht verwendet werden können.
Stellt man, wie das Gericht es zur Negativabgrenzung tut, auf die Gesetzesbegründung ab, ist das Werk fertiggestellt, „wenn die im Vertrag genannten Leistungen abgearbeitet beziehungsweise erbracht sind – unabhängig davon, ob Mängel vorliegen oder nicht“. Mit der Frage, was dies im Detail zu bedeuten hat, werden sich die Gerichte allerdings noch auseinandersetzen müssen.
Vorsorglich den Mangel auch noch einmal anzeigen
Ergänzend hat das Oberlandesgericht Brandenburg zur Frage Stellung genommen, ob der Auftraggeber auch dann eine Mangelanzeige machen muss, um die Abnahmefiktion zu verhindern, wenn die Mängel dem Auftragnehmer bereits vor seinem Abnahmeverlangen angezeigt worden sind. Das OLG hält das auch in diesem Fall für nötig, da es dem Auftraggeber zuzumuten sei, erneut einen konkreten Mangel zu benennen. Diese Ansicht trägt auch die Gesetzesbegründung. Dort heißt es: „Diese Rechtsfolge ist unter Abwägung der Interessen der beiden Vertragspartner gerechtfertigt, da sie vom Besteller jederzeit durch die Angabe von Mängeln verhindert werden kann. Durch diese Vorschrift werden die Parteien angehalten, sich im Falle der Abnahmeverweigerung über die Gründe dafür auszutauschen und der Unternehmer hat zeitnah die Möglichkeit, tatsächlich bestehende Mängel zu beseitigen.“
Auch wenn Rechtsprechung und Literatur sich zu der Frage noch nicht einig sind, sollten Auftraggeber sicherheitshalber einen Mangel noch einmal anzeigen, auch wenn dieser dem Unternehmer schon bekannt ist. Zwar gibt es Experten, die eine erneute Anzeige der Mängel nicht für nötig halten, da es rechtsmissbräuchlich wäre, wenn der Auftragnehmer sich auf die Abnahmefiktion berufen würde, obwohl er von Mängeln weiß. Doch die Gegenmeinung kann sich auf den Wortlaut von § 640 Abs. 2 BGB berufen. Die Vorschrift erklärt eine Mangelbenennung für zwingend.
Auf jedes Abnahmeverlangen reagieren!
Die Abnahmefiktion und ihre Folgen zu kennen, ist für die Vertragsparteien, vor allem aber für den Auftraggeber, von entscheidender Bedeutung.
Wer meint, dass man auf ein offensichtlich unberechtigtes Abnahmeverlangen nicht reagieren müsse, läuft Gefahr, dass die Abnahmefiktion dennoch eintritt – vorausgesetzt, das Werk ist bereits im Sinne von § 640 Abs. 2 BGB „fertiggestellt“.
Eine Ausnahme macht das Gesetz, wenn der Auftraggeber ein Verbraucher ist wie beim Bau eines Eigenheims. Verbrauchern gegenüber tritt die Abnahmefiktion nur dann ein, wenn sie zuvor ordnungsgemäß und formgerecht auf die Rechtsfolgen des § 640 Abs. 2 S. 1 BGB hingewiesen worden sind.
Ob nun Unternehmer oder Verbraucher: Auftraggeber von Bau- und anderen Werkvorhaben sollten vorsorglich auf jedes Abnahmeverlangen – egal ob offensichtlich unberechtigt oder nicht – reagieren und, wenn vorhanden, mindestens einen Mangel – notfalls auch zum wiederholten Male – benennen. So können sie die unterwünschte Rechtsfolge der Abnahmefiktion vermeiden.
Rechtsanwalt
Dipl. Rechtspfleger (FH)
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