Aufgrund der in den letzten Monaten unerwartet stark angestiegenen Energiepreise stehen Hersteller am Anfang der Wertschöpfungskette in Deutschland vor erheblichen Schwierigkeiten. Ob und gegebenenfalls wie die hohen Energiepreise ganz oder zumindest teilweise in der Lieferkette rechtskonform „weitergereicht“ werden können, erklärt Dr. Wolfgang Heinze.
Die in den letzten Monaten stark gestiegenen Energiekosten verteuern die Produktionskosten für Hersteller in Deutschland erheblich, sodass sich diese nun die Frage stellen, ob ihre Produkte weiterhin zu den ursprünglich kalkulierten Preisen abgegeben werden müssen oder eine Preisanpassung verlangt werden kann.
Zwischen zwei Fällen ist zu unterscheiden:
Ist ein Hersteller nur kurzfristig laufende Verträge eingegangen, kann er jeweils vor Abschluss eines neuen Vertrages neue Preise mit seinen Kunden vereinbaren und so die erhöhten Produktionskosten einkalkulieren.
Bei langfristigen Rahmen-Lieferverträgen ist zunächst zu prüfen, ob eine Lieferpflicht zu den vereinbarten Preisen besteht. Ist das nicht der Fall, kann die Nichtbelieferung auch unter dem Rahmenvertrag dem Kunden angekündigt und im Weiteren von der Neuverhandlung der Preise abhängig gemacht werden.
Bei längerfristigen (Rahmen-)Lieferverträgen, die einerseits eine Lieferverpflichtung (z.B. auf Abruf), andererseits aber auch eine Preisanpassungsklausel enthalten, ist entscheidend, ob die konkrete Preisänderungsklausel als Preisnebenabrede einer AGB-rechtlichen Kontrolle Stand hält. Ist das nicht der Fall, lässt sich der neue Preis nicht wirksam durchsetzen. Beide anerkannten Ausgestaltungen einer Preisänderungsklausel, namentlich Kostenelementeklauseln oder Preisvorbehaltsklauseln, sind an dem Transparenzgrundsatz und der Angemessenheitskontrolle des § 307 BGB zu messen und die nachfolgend genannten Voraussetzungen werden von der Rechtsprechung restriktiv ausgelegt:
Gibt es in einem längerfristigen Rahmenliefervertrag aufgrund der vorgenannten hohen Anforderungen an die Klausel keine wirksame Regelung zur Preisänderung, stellt sich für den Hersteller die Frage, ob er unter Berufung auf das Rechtsinstitut des sog. „Wegfalls/ Störung der Geschäftsgrundlage“ nach § 313 BGB eine Anpassung des Vertrages verlangen kann.
Gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann ein Vertragspartner eine Anpassung des Vertrags verlangen, wenn sich (i) die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert haben und (ii) die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als (iii) dem Hersteller unter Berücksichtigung aller Umstände der konkreten Situation, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Mit dieser Bestimmung wurden bereits Vertragsanpassungen in Folge von behördlichen Schließungsanordnungen aufgrund der Covid19-Pandemie bzw. Lieferengpässen begründet. Der Bundesgerichtshof hat dazu die Voraussetzungen in einem Urteil vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21 (https://law-blog.de/2826/gewerbemieten-im-corona-lockdown/) noch einmal klar herausgestellt und betont: Die Erwartung der Vertragsparteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde, ist Teil der sog. großen Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB.
Soweit sich die Steigerung der Energiekosten auf die Folgen des Ukraine-Kriegs zurückführen lässt, könnte daher eine Störung der großen Geschäftsgrundlage bejaht werden, hat doch der Bundesgerichtshof mit Blick auf die politischen Entscheidungen in der Folge der Covid19-Pandemie diese vergleichbar gewürdigt.
Allein das Vorliegen einer Störung der Geschäftsgrundlage genügt für ein berechtigtes Änderungsverlangen des Herstellers indessen nicht. Hinzutreten muss vielmehr, dass keiner der Umstände nach dem (auszulegenden) Vertrag in den Risikobereich einer der Parteien fällt. So hat der Bundesgerichtshof für den Fall der behördlichen Schließungsanordnung im Urteil vom 12.01.2022 gerade anerkannt, dass das Verwendungsrisiko für die Räume nicht alleine beim Mieter liegt.
Ob die gestiegenen Energiekosten bei der Herstellung eines Produktes jedoch ebenfalls so einzuordnen sind, ist zweifelhaft: Für die Herstellungs- und Kosten der Vorprodukte trägt der Hersteller das alleinige Beschaffungsrisiko, da nur er hierauf Einfluss nehmen kann.
Ob die Rechtsprechung in den aufgrund des Ukraine-Kriegs gestiegenen Energiekosten somit einen Fall erkennt, der eine abweichende Risikozuweisung, mithin eine solche an beide Parteien eines Liefervertrags erlaubt, hängt von mehreren Parametern ab. Auf Basis der vorstehend genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird im Fall der Energiekosten insbesondere auf die konkrete Höhe der Steigerungen, den den Parteien bekannten Anteil der Energiekosten am Preis, die Dauer der Energiekostenerhöhung und etwaige gesetzgeberische Ausgleichsmaßnahmen zugunsten einer der Parteien abzustellen sein.
Sind die Voraussetzungen des § 313 BGB dagegen im Einzelfall als erfüllt anzusehen, mithin eine vom typischen Fall abweichende Risikoverteilung geboten sein, dürfte – vergleichbar zur Pandemie-Situation – angenommen werden können, dass redliche Vertragsparteien für diesen Fall das mit den Energiekosten verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zulasten des Herstellers geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall die Möglichkeit zur Preisanpassung vorgesehen hätten.
Erst dann rückt die Frage in den Mittelpunkt, in welchem Maße der Preis angepasst werden kann. Maßgeblich ist hier, in welchem Verhältnis dem Hersteller ein unverändertes Festhalten am bisherigen Preis nicht mehr zumutbar ist.
Eine 1:1‑Weitergabe der gestiegenen Kosten ist damit fast ausgeschlossen, sind bei der Abwägung doch einerseits – erneut – die grundsätzliche Risikoverteilung, andererseits die tatsächlich beim Hersteller eintretenden Nachteile, die z.B. durch Versicherungsleistungen oder gesetzgeberische Maßnahmen zumindest zum Teil abgemildert werden können, und eben die Interessen des Kunden zu berücksichtigen.
Der Hersteller muss in diesem Falle darlegen und beweisen, welche Nachteile ihm konkret aus der Kostensteigerung entstanden sind, die ihm eine Beibehaltung des bisherigen Preises für die Zukunft – zumindest die Dauer der gestiegenen Kosten – unzumutbar macht und welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um diese Kostensteigerungen abzumildern. Diese hohen prozessualen Anforderungen der Rechtsprechung bedingen in der Praxis, dass der Hersteller seine Kostenkalkulation gegenüber dem Kunden vollständig offenlegen muss. Dass dies mit Blick auf die zukünftige Verhandlungen nicht im Interesse des Herstellers ist – abgesehen von etwaigen kartellrechtlichen Einschränkungen – drängt sich auf und dürfte dazu führen, dass sich nur in wenigen Fällen die gestiegenen Energiekosten in höherem Maße durchsetzen lassen und der Hersteller bei den Verhandlungen deutliche Abschläge wird akzeptieren müssen.
Der Autor Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Heinze ist Partner bei SNP Schlawien Rechtsanwälte. Der Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie für Vergaberecht berät schwerpunktmäßig mittelständische Unternehmen sowie Tochtergesellschaften und Niederlassungen deutscher und ausländischer Konzerne in allen Fragen des Handels- und Gesellschaftsrechts. https://de.linkedin.com/in/wolfgang-heinze-a935a324
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Vergaberecht
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