Seit Mitte September 2022 gilt eine neue Vorschrift für Arbeitnehmer, die im Urlaub in Quarantäne müssen. Was die neue Rechtslage für Arbeitgeber bedeutet und warum sie trotzdem nicht in vorauseilendem Gehorsam Urlaubstage seit 2020 nachgewähren müssen, erklärt Dr. Petra Ostermaier.
Noch im August 2022 hat das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob Arbeitnehmern, die im Urlaub in Quarantäne müssen, die Urlaubstage wieder gutgeschrieben werden müssen, dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Mitte September 2022 aber ist der deutsche Gesetzgeber den europäischen Richtern zuvorgekommen. Was regelt die neue Vorschrift des § 59 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG)?
Dr. Petra Ostermaier:
Die neue Vorschrift regelt, dass eine behördlich angeordnete Absonderung — damit sind Quarantäne und Isolation gemeint — oder eine aus einer Rechtsverordnung folgende Absonderungspflicht nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden darf. Wie bei Arbeitsunfähigkeit muss der Arbeitgeber also die Anzahl der Absonderungstage nachgewähren, soweit es sich um Arbeitstage handelte.
Für welche Fälle gilt das? Nur für eine aus Vorsicht angeordnete Corona-Quarantäne oder auch für den Fall einer – eigenen – Corona-Erkrankung?
Ostermaier: Die eigene Corona-Erkrankung ist von der neuen Regelung zwar auch umfasst, doch ändert sich die bisherige Rechtslage dadurch nicht. Bei einer eigenen Corona-Erkrankung werden Arbeitnehmer ohnehin arbeitsunfähig krankgeschrieben und erhalten Entgeltfortzahlung, die Krankheitstage dürfen schon nach § 9 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet werden.
Umstritten war bislang nur, ob ein Arbeitnehmer, der nicht selbst erkrankt war, bei einer Quarantäne-Anordnung im Hinblick auf den Urlaub genauso zu behandeln sein sollte wie ein erkrankter Arbeitnehmer.
Das wurde durch die neue Vorschrift jetzt geregelt. Der Anspruch auf Nachgewährung von Urlaub gilt also sowohl für Arbeitnehmer, die selbst erkrankt sind, als auch für Mitarbeiter, bei denen Symptome eine bestimmte übertragbare Krankheit vermuten lassen. Auch Arbeitnehmer, von denen anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen haben, also z.B. bestimmte Kontaktpersonen, sowie solche, die Krankheitserreger ausscheiden, haben also einen Anspruch auf Urlaubsnachgewährung.
Muss ein Mitarbeiter, der nachträglich Urlaubstage beantragt, eine Anordnung vom Gesundheitsamt vorlegen, das ihn angewiesen hat, sich während seines Urlaubs in Quarantäne zu begeben?
Ostermaier: Im Hinblick auf die Entschädigung bei einer Absonderung wird regelmäßig ein Nachweis gefordert. Das ist entweder die Absonderungsbescheinigung der Behörde, die die Absonderung angeordnet hat, oder, wenn die Behörden solche Bescheinigungen nicht mehr ausstellen oder die Absonderung auf einer Rechtsverordnung beruht, der personenbezogene Testnachweis, der die Absonderungspflicht begründet.
Bei einer Absonderung, die vor dem 17. September 2022 begann, sind die in Absonderung verbrachten Urlaubstage ab dem 17. September 2022 bei entsprechendem Nachweis nachzugewähren. Für die Zeit der Absonderung haben die Arbeitnehmer einen Entschädigungsanspruch, sofern kein vorrangiger Entgeltfortzahlungsanspruch besteht.
Im Übrigen gilt, recht simpel: Wenn ein Arbeitnehmer sich ab dem 17. September 2022 im Urlaub absondern muss, kann er die deswegen nicht nutzbaren Urlaubstage nachverlangen. Dem Arbeitgeber bleibt wenig Spielraum: Wenn ein nicht erkrankter Arbeitnehmer seine Absonderungspflicht unverzüglich meldet und nachweist, muss er die betroffenen Urlaubstage wieder dem Urlaubskonto gutschreiben, die Entschädigung auszahlen und kann den Antrag auf Erstattung stellen. Kranken Arbeitnehmern sind die Urlaubstage wie bisher gutzuschreiben und ist Entgeltfortzahlung zu leisten.
Was galt vor dem Inkrafttreten der neuen Vorschrift? Wie sollten Unternehmen mit Arbeitnehmern umgehen, die für Quarantänefälle vor dem 17. September Urlaub nachgewährt haben möchten?
Ostermaier: Der Gesetzgeber hat mit § 59 Abs. 1 IfSG bezüglich der Urlaubsanrechnung weder abgeschlossene noch gegenwärtige nicht abgeschlossene Sachverhalte geregelt, sondern nur zukünftige.
Vor dem 17. September 2022 gilt daher die alte Rechtslage. Diese ist — auch wenn es im Gesetzgebungsverfahren hieß, dass die Neuregelung für Nicht-Erkrankte nur eine Klarstellung wäre — bezüglich der Urlaubsanrechnung umstritten und Gegenstand der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof. Das Bundesarbeitsgericht und die meisten Landesarbeitsgerichte lehnen eine entsprechende Anwendung des § 9 EFZG ab, so dass Absonderungstage während eines Urlaubs als Urlaubstage gelten würden, soweit die Absonderung nicht auf einer eigenen Erkrankung beruht. Die Betroffenen erhielten danach für die in Quarantäne verbrachten Urlaubstage nur Urlaubsentgelt; nach neuer Rechtslage erhalten sie für die Quarantänetage eine Entschädigung und können ihren Urlaub später nehmen.
Sollten Arbeitgeber auf Grundlage dieser unklaren alten Rechtslage und in Anbetracht der nun getroffenen Regelung darauf pochen, Urlaub für Quarantänetage vor dem 17. September 2022 nicht nachzugewähren?
Ostermaier: Nun ja, auch wenn es im Gesetzgebungsverfahren unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1978 hieß, die Neuregelung wäre nur eine Klarstellung, sieht die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung das offenbar mehrheitlich anders — deswegen hat das Bundesarbeitsgericht die Frage auch dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.
Der Gesetzgeber kann durch Begründungen zur neuen Regelung im Gesetzgebungsverfahren die frühere Rechtslage nicht „klarstellend“ korrigieren; was früher galt, entscheiden die Gerichte und nicht der Gesetzgeber. Es besteht daher derzeit kein Grund für die ohnehin gebeutelten Arbeitgeber, vor einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts im vorauseilenden Gehorsam Urlaubstage – und das gar seit 2020 – nachzugewähren, zumal nicht einmal klar ist, ob die Arbeitgeber für die Quarantänetage während des Urlaubs eine Erstattung erhalten.
Aber selbst wenn dem so sein sollte und die Arbeitgeber finanziell keinen Nachteil hätten, bleibt doch das eigentliche Problem für die Unternehmen der durch die Absonderungen ohnehin überall entstehende Personalmangel, der schon jetzt dazu führt, dass Unternehmen mit ihren Diensten und Leistungen in Verzug geraten. Bis der Europäische Gerichtshof entscheidet, halte ich es für absolut vertretbar, sich als Arbeitgeber auf den Standpunkt zu stellen, dass Urlaubstage, die Arbeitnehmer vor dem 17. September 2022 in Absonderung verbringen mussten, nicht nachgewährt werden müssen.
Dr. Petra Ostermaier ist Partner bei SNP Schlawien Partnerschaft mbB und schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig. Sie berät und betreut neben multinationalen Konzernen auch mittelständische und kleinere Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Hierbei vertritt sie Arbeitgeber nicht nur vor Gericht, sondern begleitet diese auch bei Verhandlungen mit Gewerkschaften, Betriebsräten und in Einigungsstellen. Daneben unterstützt Petra Ostermaier Vorstände, Geschäftsführer und leitende Angestellte bei ihren Vertragsverhandlungen mit Unternehmen. Ihre Tätigkeit umfasst außerdem die Beratung von Unternehmen im Datenschutz sowie im Bereich des öffentlichen Rechts, vorwiegend im öffentlichen Baurecht und Kommunalabgabenrecht.
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Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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