Quarantäne im Urlaub: Seit dem 17. September müssen Arbeitgeber Urlaubstage nachgewähren – vorher aber nicht

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Arbeitsrecht | 1. November 2022
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Seit Mit­te Sep­tem­ber 2022 gilt eine neue Vor­schrift für Arbeit­neh­mer, die im Urlaub in Qua­ran­tä­ne müs­sen. Was die neue Rechts­la­ge für Arbeit­ge­ber bedeu­tet und war­um sie trotz­dem nicht in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam Urlaubs­ta­ge seit 2020 nach­ge­wäh­ren müs­sen, erklärt Dr. Petra Oster­mai­er.

Noch im August 2022 hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt die Fra­ge, ob Arbeit­neh­mern, die im Urlaub in Qua­ran­tä­ne müs­sen, die Urlaubs­ta­ge wie­der gut­ge­schrie­ben wer­den müs­sen, dem Euro­päi­schen Gerichts­hof vor­ge­legt. Mit­te Sep­tem­ber 2022 aber ist der deut­sche Gesetz­ge­ber den euro­päi­schen Rich­tern zuvor­ge­kom­men. Was regelt die neue Vor­schrift des § 59 Abs. 1 Infek­ti­ons­schutz­ge­setz (IfSG)?

Dr. Petra Oster­mai­er:

Die neue Vor­schrift regelt, dass eine behörd­lich ange­ord­ne­te Abson­de­rung — damit sind Qua­ran­tä­ne und Iso­la­ti­on gemeint — oder eine aus einer Rechts­ver­ord­nung fol­gen­de Abson­de­rungs­pflicht nicht auf den Jah­res­ur­laub ange­rech­net wer­den darf. Wie bei Arbeits­un­fä­hig­keit muss der Arbeit­ge­ber also die Anzahl der Abson­de­rungs­ta­ge nach­ge­wäh­ren, soweit es sich um Arbeits­ta­ge han­del­te.

„Wie bei Krankheit: Bei Quarantäne im Urlaub gibt es jetzt Urlaubstage zurück“

Für wel­che Fäl­le gilt das? Nur für eine aus Vor­sicht ange­ord­ne­te Coro­na-Qua­ran­tä­ne oder auch für den Fall einer – eige­nen – Coro­na-Erkran­kung?

Oster­mai­er: Die eige­ne Coro­na-Erkran­kung ist von der neu­en Rege­lung zwar auch umfasst, doch ändert sich die bis­he­ri­ge Rechts­la­ge dadurch nicht. Bei einer eige­nen Coro­na-Erkran­kung wer­den Arbeit­neh­mer ohne­hin arbeits­un­fä­hig krank­ge­schrie­ben und erhal­ten Ent­gelt­fort­zah­lung, die Krank­heits­ta­ge dür­fen schon nach § 9 des Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­set­zes (EFZG) nicht auf den Urlaubs­an­spruch ange­rech­net wer­den.

Umstrit­ten war bis­lang nur, ob ein Arbeit­neh­mer, der nicht selbst erkrankt war, bei einer Qua­ran­tä­ne-Anord­nung im Hin­blick auf den Urlaub genau­so zu behan­deln sein soll­te wie ein erkrank­ter Arbeit­neh­mer.

Das wur­de durch die neue Vor­schrift jetzt gere­gelt. Der Anspruch auf Nach­ge­wäh­rung von Urlaub gilt also sowohl für Arbeit­neh­mer, die selbst erkrankt sind, als auch für Mit­ar­bei­ter, bei denen Sym­pto­me eine bestimm­te über­trag­ba­re Krank­heit ver­mu­ten las­sen. Auch Arbeit­neh­mer, von denen anzu­neh­men ist, dass sie Krank­heits­er­re­ger auf­ge­nom­men haben, also z.B. bestimm­te Kon­takt­per­so­nen, sowie sol­che, die Krank­heits­er­re­ger aus­schei­den, haben also einen Anspruch auf Urlaubs­nach­ge­wäh­rung.

Muss ein Mit­ar­bei­ter, der nach­träg­lich Urlaubs­ta­ge bean­tragt, eine Anord­nung vom Gesund­heits­amt vor­le­gen, das ihn ange­wie­sen hat, sich wäh­rend sei­nes Urlaubs in Qua­ran­tä­ne zu bege­ben?

Oster­mai­er: Im Hin­blick auf die Ent­schä­di­gung bei einer Abson­de­rung wird regel­mä­ßig ein Nach­weis gefor­dert. Das ist ent­we­der die Abson­de­rungs­be­schei­ni­gung der Behör­de, die die Abson­de­rung ange­ord­net hat, oder, wenn die Behör­den sol­che Beschei­ni­gun­gen nicht mehr aus­stel­len oder die Abson­de­rung auf einer Rechts­ver­ord­nung beruht, der per­so­nen­be­zo­ge­ne Test­nach­weis, der die Abson­de­rungs­pflicht begrün­det.

„Alle Urlaubstage in Absonderung ab dem 17. September 2022 sind nachzugewähren“

Bei einer Abson­de­rung, die vor dem 17. Sep­tem­ber 2022 begann, sind die in Abson­de­rung ver­brach­ten Urlaubs­ta­ge ab dem 17. Sep­tem­ber 2022 bei ent­spre­chen­dem Nach­weis nach­zu­ge­wäh­ren. Für die Zeit der Abson­de­rung haben die Arbeit­neh­mer einen Ent­schä­di­gungs­an­spruch, sofern kein vor­ran­gi­ger Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch besteht.

Im Übri­gen gilt, recht sim­pel: Wenn ein Arbeit­neh­mer sich ab dem 17. Sep­tem­ber 2022 im Urlaub abson­dern muss, kann er die des­we­gen nicht nutz­ba­ren Urlaubs­ta­ge nach­ver­lan­gen. Dem Arbeit­ge­ber bleibt wenig Spiel­raum: Wenn ein nicht erkrank­ter Arbeit­neh­mer sei­ne Abson­de­rungs­pflicht unver­züg­lich mel­det und nach­weist, muss er die betrof­fe­nen Urlaubs­ta­ge wie­der dem Urlaubs­kon­to gut­schrei­ben, die Ent­schä­di­gung aus­zah­len und kann den Antrag auf Erstat­tung stel­len. Kran­ken Arbeit­neh­mern sind die Urlaubs­ta­ge wie bis­her gut­zu­schrei­ben und ist Ent­gelt­fort­zah­lung zu leis­ten.

Was galt vor dem Inkraft­tre­ten der neu­en Vor­schrift? Wie soll­ten Unter­neh­men mit Arbeit­neh­mern umge­hen, die für Qua­ran­tä­ne­fäl­le vor dem 17. Sep­tem­ber Urlaub nach­ge­währt haben möch­ten?

Oster­mai­er: Der Gesetz­ge­ber hat mit § 59 Abs. 1 IfSG bezüg­lich der Urlaub­s­an­rech­nung weder abge­schlos­se­ne noch gegen­wär­ti­ge nicht abge­schlos­se­ne Sach­ver­hal­te gere­gelt, son­dern nur zukünf­ti­ge.

Vor dem 17. Sep­tem­ber 2022 gilt daher die alte Rechts­la­ge. Die­se ist — auch wenn es im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren hieß, dass die Neu­re­ge­lung für Nicht-Erkrank­te nur eine Klar­stel­lung wäre — bezüg­lich der Urlaub­s­an­rech­nung umstrit­ten und Gegen­stand der Vor­la­ge an den Euro­päi­schen Gerichts­hof. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt und die meis­ten Lan­des­ar­beits­ge­rich­te leh­nen eine ent­spre­chen­de Anwen­dung des § 9 EFZG ab, so dass Abson­de­rungs­ta­ge wäh­rend eines Urlaubs als Urlaubs­ta­ge gel­ten wür­den, soweit die Abson­de­rung nicht auf einer eige­nen Erkran­kung beruht. Die Betrof­fe­nen erhiel­ten danach für die in Qua­ran­tä­ne ver­brach­ten Urlaubs­ta­ge nur Urlaubs­ent­gelt; nach neu­er Rechts­la­ge erhal­ten sie für die Qua­ran­tä­ne­ta­ge eine Ent­schä­di­gung und kön­nen ihren Urlaub spä­ter neh­men.

„Nicht in vorauseilendem Gehorsam Urlaubstage vor dem 17. September nachgewähren“

Soll­ten Arbeit­ge­ber auf Grund­la­ge die­ser unkla­ren alten Rechts­la­ge und in Anbe­tracht der nun getrof­fe­nen Rege­lung dar­auf pochen, Urlaub für Qua­ran­tä­ne­ta­ge vor dem 17. Sep­tem­ber 2022 nicht nach­zu­ge­wäh­ren?

Oster­mai­er: Nun ja, auch wenn es im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren unter Bezug­nah­me auf eine Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs von 1978 hieß, die Neu­re­ge­lung wäre nur eine Klar­stel­lung, sieht die arbeits­ge­richt­li­che Recht­spre­chung das offen­bar mehr­heit­lich anders — des­we­gen hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt die Fra­ge auch dem Euro­päi­schen Gerichts­hof vor­ge­legt.

Der Gesetz­ge­ber kann durch Begrün­dun­gen zur neu­en Rege­lung im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren die frü­he­re Rechts­la­ge nicht „klar­stel­lend“ kor­ri­gie­ren; was frü­her galt, ent­schei­den die Gerich­te und nicht der Gesetz­ge­ber. Es besteht daher der­zeit kein Grund für die ohne­hin gebeu­tel­ten Arbeit­ge­ber, vor einer Ent­schei­dung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs und des Bun­des­ar­beits­ge­richts im vor­aus­ei­len­den Gehor­sam Urlaubs­ta­ge – und das gar seit 2020 – nach­zu­ge­wäh­ren, zumal nicht ein­mal klar ist, ob die Arbeit­ge­ber für die Qua­ran­tä­ne­ta­ge wäh­rend des Urlaubs eine Erstat­tung erhal­ten.

Aber selbst wenn dem so sein soll­te und die Arbeit­ge­ber finan­zi­ell kei­nen Nach­teil hät­ten, bleibt doch das eigent­li­che Pro­blem für die Unter­neh­men der durch die Abson­de­run­gen ohne­hin über­all ent­ste­hen­de Per­so­nal­man­gel, der schon jetzt dazu führt, dass Unter­neh­men mit ihren Diens­ten und Leis­tun­gen in Ver­zug gera­ten. Bis der Euro­päi­sche Gerichts­hof ent­schei­det, hal­te ich es für abso­lut ver­tret­bar, sich als Arbeit­ge­ber auf den Stand­punkt zu stel­len, dass Urlaubs­ta­ge, die Arbeit­neh­mer vor dem 17. Sep­tem­ber 2022 in Abson­de­rung ver­brin­gen muss­ten, nicht nach­ge­währt wer­den müs­sen.

 

Dr. Petra Oster­mai­er ist Part­ner bei SNP Schla­wi­en Part­ner­schaft mbB und schwer­punkt­mä­ßig im Arbeits­recht tätig. Sie berät und betreut neben mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen auch mit­tel­stän­di­sche und klei­ne­re Unter­neh­men in allen Fra­gen des indi­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven Arbeits­rechts. Hier­bei ver­tritt sie Arbeit­ge­ber nicht nur vor Gericht, son­dern beglei­tet die­se auch bei Ver­hand­lun­gen mit Gewerk­schaf­ten, Betriebs­rä­ten und in Eini­gungs­stel­len. Dane­ben unter­stützt Petra Oster­mai­er Vor­stän­de, Geschäfts­füh­rer und lei­ten­de Ange­stell­te bei ihren Ver­trags­ver­hand­lun­gen mit Unter­neh­men. Ihre Tätig­keit umfasst außer­dem die Bera­tung von Unter­neh­men im Daten­schutz sowie im Bereich des öffent­li­chen Rechts, vor­wie­gend im öffent­li­chen Bau­recht und Kom­mu­nal­ab­ga­ben­recht.
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