Alles hat ein Ende – nur der Urlaub nicht: Wann Urlaub noch verjähren kann und wann nicht

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Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­wi­ckelt sei­ne Recht­spre­chung zum Urlaubs­recht unauf­halt­sam nach uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben fort und stellt damit Vie­les, was bis­her galt, auf den Kopf. Was es jetzt zu beach­ten gilt, erklärt Dr. Petra Oster­mai­er.

Wir erin­nern uns viel­leicht noch: Frü­her galt der Urlaubs­an­spruch als ein Natu­ral­an­spruch, der in einem bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis nur durch Urlaub im Urlaubs­jahr und maxi­mal im Über­tra­gungs­zeit­raum genom­men wer­den konn­te und sonst ver­fiel, da der Urlaubs­zweck nach die­sen Zeit­punk­ten nicht mehr hät­te erreicht wer­den kön­nen.

Seit gerau­mer Zeit jedoch gilt der Urlaubs­an­spruch als ver­mö­gens­recht­li­cher Anspruch, der auch ver­erbt wer­den kann. Wei­ter wur­de der gesetz­li­che Min­dest­ur­laubs­an­spruch etwa­igen Aus­schluss­fris­ten ent­zo­gen und ent­fiel auch nicht mehr mit Ablauf des Über­tra­gungs­zeit­raums, son­dern erst mit Ablauf von 15 Mona­ten nach Ablauf des Urlaubs­jah­res, wenn die Anspruchs­be­rech­tig­ten den Urlaub infol­ge Arbeits­un­fä­hig­keit nicht neh­men konn­ten. Bei­des führ­te in den Per­so­nal­ab­tei­lun­gen dazu, den Urlaubs­an­spruch künf­tig so zu regeln, dass zwi­schen dem gesetz­li­chen und einem ver­trag­li­chen Urlaub unter­schie­den wird, da der ver­trag­li­che Urlaub nicht den engen Gren­zen des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes unter­liegt.

Im Jahr 2019 mach­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (Urteil vom 19.02.2019, Az. 9 AZR 541/15) inso­weit auf sich auf­merk­sam, als es den Arbeit­ge­bern eine Hin­weis­pflicht auf­er­leg­te: Ohne einen kon­kre­ten Hin­weis auf den Ver­fall des Urlaubs zum Ende des Jah­res bzw. zum Ende des Über­tra­gungs­zeit­raums soll­te der gesetz­li­che Urlaubs­an­spruch nicht mehr ver­fal­len kön­nen; der in vie­len Arbeits­ver­trä­gen ent­hal­te­ne Hin­weis auf den Ver­fall wur­de hier­für als nicht aus­rei­chend erach­tet.

Und nun besteht die neu­es­te – kon­se­quen­te – Ent­wick­lung aus Erfurt dar­in, dass der Urlaubs­an­spruch nicht ver­jährt, wenn der Arbeit­ge­ber sei­ne Beschäf­tig­ten nicht recht­zei­tig auf­ge­for­dert hat, den ihnen zuste­hen­den Urlaub zu neh­men, und sie nicht auf die dro­hen­de Ver­jäh­rung hin­ge­wie­sen hat.

 

Was war geschehen?

Eine Steu­er­fach­an­ge­stell­te hat­te nach ihrem Aus­schei­den im Jahr 2017 ihren ehe­ma­li­gen Arbeit­ge­ber auf Zah­lung einer Urlaubs­ab­gel­tung ver­klagt. Der Arbeit­ge­ber hat­te ihr vor Ablauf des Über­tra­gungs­zeit­raums im Jahr 2012 bestä­tigt, dass ihr Rest­ur­laub aus dem Jahr 2011 und aus den Vor­jah­ren in Höhe von ins­ge­samt 76 Tagen nicht ver­fal­len wür­de; in den Jah­ren 2012 bis zum Aus­schei­den im Jahr 2017 hat­te die Klä­ge­rin dann nur ins­ge­samt 95 Tage Urlaub genom­men. Unter Ein­be­zie­hung des im Jahr 2012 bestä­tig­ten sowie des seit 2012 neu auf­ge­lau­fe­nen Urlaubs bestand zwi­schen den Par­tei­en in der Sache Einig­keit, dass die Klä­ge­rin nach den bereits genom­me­nen 95 Urlaubs­ta­gen immer noch 101 Urlaubs­ta­ge offen hat­te, vor­aus­ge­setzt, sie waren nicht schon ver­jährt.

 

Verjährung beginnt erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweis- und Aufforderungsobliegenheit nachgekommen ist

Die ers­te Instanz hat­te der Klä­ge­rin nur Urlaubs­ab­gel­tung für den Urlaubs­an­spruch im Kalen­der­jahr 2017 zuge­spro­chen; die zwei­te Instanz hin­ge­gen sprach ihr die Urlaubs­ab­gel­tung für alle Urlaubs­ta­ge zu und wur­de nun am 20.12.2022 vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (Az. 9 AZR 266/20) bestä­tigt.

Die regel­mä­ßi­ge Ver­jäh­rungs­frist von drei Jah­ren beginnt, den Erfur­ter Rich­tern zufol­ge, erst mit dem Schluss des Jah­res zu lau­fen, in dem der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer über sei­nen kon­kre­ten Urlaubs­an­spruch und die Ver­fall­fris­ten belehrt hat und der Arbeit­neh­mer den Urlaub dann nicht nimmt, obwohl er ihn hät­te neh­men kön­nen. Ist der Arbeit­ge­ber sei­ner Hin­weis- und Auf­for­de­rungs­ob­lie­gen­heit nicht nach­ge­kom­men, ver­jährt der Urlaubs­an­spruch weder am Ende des Kalen­der­jah­res noch am Ende des Über­tra­gungs­zeit­rau­mes – so aber § 7 Abs. 3, S. 1, 3 BUrlG – noch wäh­rend des lau­fen­den Arbeits­ver­hält­nis­ses nach Ablauf von jeweils drei Jah­ren.

 

Kein Vertrauensschutz für Arbeitgeber

Auch wenn bis zur Ent­schei­dung der Erfur­ter Rich­ter im Jahr 2019 die Hin­weis- und Auf­for­de­rungs­ob­lie­gen­heit noch nicht im Gespräch war, ver­sagt das Bun­des­ar­beits­ge­richt den Arbeit­ge­bern Rechts­si­cher­heit: Es ver­neint selbst eine Ver­jäh­rung von Urlaubs­an­sprü­chen aus der Zeit vor 2019, weil es in einem feh­len­den Hin­weis und einer feh­len­den Auf­for­de­rung ein Ver­säum­nis der Arbeit­ge­ber sieht, obwohl die Arbeit­ge­ber die­se Oblie­gen­heit gar nicht kann­ten und auch nicht ken­nen konn­ten.

Begrün­det wird dies mit dem Gesund­heits­schutz der Beschäf­tig­ten, der Vor­rang vor dem Bedürf­nis der Arbeit­ge­ber nach Rechts­si­cher­heit hät­te – wie durch die Urlaubs­ab­gel­tung dem Gesund­heits­schutz der Beschäf­tig­ten Genü­ge getan wer­den kann, ergibt sich aus der Pres­se­mit­tei­lung aller­dings nicht. Der Hin­weis der Erfur­ter Rich­ter, der Arbeit­ge­ber könn­te Rechts­si­cher­heit gewähr­leis­ten, indem er sei­nen Oblie­gen­hei­ten nach­kom­me, mag seit 2019 gel­ten – für Urlaub aus der Zeit davor, in der der Arbeit­ge­ber recht­spre­chungs­kon­form von einem Ver­fall des Urlaubs­an­spruchs aus­ge­hen durf­te, hilft der Hin­weis aber gar nichts.

 

Bedeutung des Urteils

Das Urteil birgt gro­ße Risi­ken für die Arbeit­ge­ber: Gera­de in lan­ge bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis­sen kön­nen sich nach der neu­en Recht­spre­chung im Nach­hin­ein für ver­fal­len gehal­te­ne Ansprü­che jahr­zehn­te­lang kumu­liert haben und – nach betrieb­li­chen Rege­lun­gen bzw. nach Wahl des Arbeit­ge­bers – in Frei­zeit oder finan­zi­ell abzu­gel­ten sein. Dabei ist es nicht unwahr­schein­lich, dass den Arbeit­ge­bern auch noch die Dar­le­gungs- und Beweis­last für die Erfül­lung ihrer Pflicht zur Urlaubs­ge­wäh­rung auf­er­legt wird – wenn der Arbeit­ge­ber nicht alle Urlaubs­ka­len­der zur Ver­fü­gung hat, kann dies für ihn zu einem Pro­blem wer­den.

Ent­war­nung gibt es nur inso­weit, als das Urteil unmit­tel­bar nur für den gesetz­li­chen Urlaubs­an­spruch gilt; aller­dings folgt der über­ge­setz­li­che Urlaubs­an­spruch den Regeln des gesetz­li­chen, wenn im Ver­trag nicht zwi­schen bei­den dif­fe­ren­ziert wur­de. Dies zeigt, wie wich­tig eine Anpas­sung der Arbeits­ver­trags­mus­ter und eine Ände­rung bestehen­der Arbeits­ver­trä­ge war und ist.

Spä­tes­tens jetzt soll­ten Arbeit­ge­ber dazu über­ge­hen, ihre Beschäf­tig­ten auf ihre Ansprü­che hin­zu­wei­sen und sie zur Urlaubs­nah­me auf­zu­for­dern. Um für die Ver­gan­gen­heit Rechts­si­cher­heit zu bekom­men, kann der Arbeit­ge­ber nur mit sei­nen Beschäf­tig­ten eine Art „Tat­sa­chen­ver­ein­ba­rung“ schlie­ßen, dass sich die Par­tei­en einig sind, dass alle (gesetz­li­chen) Urlaubs­an­sprü­che (bzw. wel­che) in natu­ra genom­men wur­den, wobei das natür­lich nicht wider bes­se­ren Wis­sens gesche­hen darf, weil der gesetz­li­che Min­dest­ur­laub unver­zicht­bar ist.

 

Untergang von Urlaubsansprüchen Langzeitkranker trotz fehlenden Hinweises des Arbeitgebers

Wei­ter­ent­wi­ckelt haben die Erfur­ter Rich­ter in einem wei­te­ren Urteil vom 20.12.2022 (Az. 9 AZ 245/19) ihre Auf­fas­sung, dass gesetz­li­che Urlaubs­an­sprü­che bei Lang­zeit­kran­ken mit Ablauf des 31. März des zwei­ten Fol­ge­jah­res („15-Monats­frist“) unter­ge­hen: Hier­nach ver­fällt der Urlaubs­an­spruch mit Ablauf der 15-Monats­frist zumin­dest dann, wenn der Arbeit­neh­mer seit Beginn des Urlaubs­jah­res durch­ge­hend 15 Mona­te krank­heits­be­dingt kei­nen Urlaub neh­men konn­te, auch ohne Hin­weis und Auf­for­de­rung sei­tens des Arbeit­ge­bers. Denn auch mit einem ent­spre­chen­den Hin­weis und einer Auf­for­de­rung hät­te der Arbeit­neh­mer sei­nen Urlaub nicht neh­men kön­nen.

Hier­aus folgt aber, dass Urlaub aus dem Jahr, in des­sen Ver­lauf der Arbeit­neh­mer arbeits­un­fä­hig erkrankt, nach der Gene­sung zu gewäh­ren ist, wenn der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer nicht recht­zei­tig vor Ein­tritt der Arbeits­un­fä­hig­keit in die Lage ver­setzt hat, sei­nen Urlaub auch tat­säch­lich zu neh­men. Inso­weit wäre es recht­lich sinn­voll, wenn Arbeit­ge­ber ihren Hin­weis- und Auf­for­de­rungs­pflich­ten gleich zu Beginn eines Jah­res nach­kom­men; wenn man das prak­tisch betrach­tet, ver­setzt ein sol­cher Hin­weis den Arbeit­neh­mer aber auch nicht in die Lage, sei­nen gesam­ten Jah­res­ur­laub zu neh­men, wenn er z.B. im Som­mer lang­zeit­er­krankt und noch Herbst- und Win­ter­ur­laub geplant hat­te.

 

Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen

Zumin­dest dürf­ten sich Arbeit­ge­ber nach den neu­es­ten Ent­schei­dun­gen (vor­erst) rela­tiv sicher sein, dass sie ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter, die spä­tes­tens 2019 aus­ge­schie­den sind, nicht – vor Gericht – wie­der­se­hen: Urlaubs­ab­gel­tungs­an­sprü­che dürf­ten nach wie vor bin­nen drei Jah­ren ab Ende des Jahrs des Aus­schei­dens eines Arbeit­neh­mers ver­jäh­ren.

 

Ausblick zum Urlaubsrecht

Wohl nir­gends beach­tet wird § 7 Abs. 2 BUrlG: Danach ist Urlaub zusam­men­hän­gend zu gewäh­ren, es sei denn, dass drin­gen­de betrieb­li­che oder in der Per­son des Arbeit­neh­mers lie­gen­de Grün­de eine Tei­lung des Urlaubs erfor­der­lich machen. Gera­de in der heu­ti­gen Zeit viel­fa­cher Kurz­ur­lau­be ent­spricht dies nicht ein­mal dem Wunsch der Arbeit­neh­mer; es gin­ge ein Auf­schrei durch das Land, wenn Arbeit­ge­ber zumin­dest den gesetz­li­chen Urlaub von vier Wochen nur noch an einem Stück gewäh­ren wür­den. Ob die Stü­cke­lung des gesetz­li­chen Urlaubs für den Arbeit­neh­mer vor­teil­haft ist, so dass von der gesetz­li­chen Rege­lung abge­wi­chen wer­den darf, könn­te ggf. mit dem Aspekt des „Gesund­heits­schut­zes“, der von der Recht­spre­chung auch im Rah­men der Ver­jäh­rungs­pro­ble­ma­tik bemüht wur­de, ver­neint wer­den – mit der Fol­ge, dass der Urlaubs­an­spruch als nicht erfüllt gel­ten wür­de. Arbeit­ge­ber soll­ten jeden­falls dar­auf ach­ten, dass zumin­dest ein­mal jähr­lich 12 auf­ein­an­der­fol­gen­de Werk­ta­ge Urlaub genom­men wird.

 

Dr. Petra Oster­mai­er ist schwer­punkt­mä­ßig im Arbeits­recht tätig. Sie berät und betreut neben mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen auch mit­tel­stän­di­sche und klei­ne­re Unter­neh­men in allen Fra­gen des indi­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven Arbeits­rechts. Hier­bei ver­tritt sie Arbeit­ge­ber nicht nur vor Gericht, son­dern beglei­tet die­se auch bei Ver­hand­lun­gen mit Gewerk­schaf­ten, Betriebs­rä­ten und in Eini­gungs­stel­len. Dane­ben unter­stützt Petra Oster­mai­er Vor­stän­de, Geschäfts­füh­rer und lei­ten­de Ange­stell­te bei ihren Ver­trags­ver­hand­lun­gen mit Unter­neh­men. https://de.linkedin.com/in/dr-petra-ostermaier-90069021

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